Dokumentiert: Erklärung der Linksjugend[‘solid] NRW
Die Bereitschaft von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, diejenigen Teile der Arbeiter*innenklasse, die auch für rechte und rassistische Antworten offen sind, für eine linke Perspektive zu gewinnen ist richtig. Allerdings hilft es uns nicht, dafür den Kampf gegen Rassismus oder andere Formen der Unterdrückung wie Sexismus oder Homophobie hintanzustellen. Für einen Großteil der Klasse sind genau diese Unterdrückungsmechanismen schmerzhafte Alltagserfahrung. Sie drücken sich in alltäglicher Gewalt und Ausgrenzung aus, wie auch in niedrigeren Löhnen und geringeren Chancen auf sozialen Aufstieg. Die LINKE muss denjenigen eine Stimme geben, die keine Stimme haben. Der Kampf gegen Rassismus und der Kampf um soziale Gerechtigkeit gehören zusammen. Die LINKE kann klarmachen, dass Menschen die in Deutschland von Hartz IV betroffen sind oder zu Niedriglöhnen arbeiten keinen Cent mehr in der Tasche haben, wenn Menschen abgeschoben werden oder weniger Geflüchtete nach Deutschland kommen. Die deutsche Volkswirtschaft ist eine der reichsten der Welt. Niemand müsste arbeitslos oder arm sein. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der die oft genannte Grenze der Belastbarkeit noch nicht annähernd erreicht ist. Die angeblich „beschränkten Aufnahmekapazitäten“ von denen heute oft gesprochen wird, sollen von der seit Jahren stattfindenden Ausplünderung der öffentlichen Haushalte ablenken. Die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge ist tatsächlich bedroht, allerdings nicht von Geflüchteten, sondern von einer Politik im Interesse der Reichen, Banken und Konzernen.
Haltung von SozialistInnen
Die Debatte darüber, wie Linke sich zur Frage der Migration und der Einwanderung positionieren sollten, ist alles andere als neu. Schon 1907 stritten auf dem Internationalen Sozialist*innenkongress in Stuttgart Sozialist*innen über ihre Haltung zur Einwanderung. Auf dem Kongress versammelten sich 884 Delegierte aus 25 Ländern. Unter den Delegierten befanden sich bekannte Sozialist*innen wie Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, August Bebel, Jean Jaurès und Wladimir Iljitsch Lenin. Zur Eröffnung des Kongresses fand eine Massenkundgebung mit 50.000 Teilnehmer*innen statt. Am Ende sprach sich der Kongress für die Abschaffung aller Beschränkungen aus, welche bestimmte Nationalitäten vom Aufenthalt in einem Lande und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen.
Karl Liebknecht formulierte es so: „Ich habe viel Gelegenheit, die Misere der Einwanderer in Deutschland und insbesondere ihre Abhängigkeit von der Polizei zu beobachten, und ich weiß, mit welchen Schwierigkeiten diese Leute zu kämpfen haben. Ihre Vogelfreiheit sollte gerade uns deutsche Sozialdemokraten besonders veranlassen, uns mit der Regelung des Fremdenrechtes, besonders der Beseitigung der Ausweisungsschmach schleunigst und energisch zu beschäftigen. Es ist ja bekannt, dass die gewerkschaftlich organisierten Ausländer mit Vorliebe ausgewiesen werden […] Die Kongressresolution fordert also die völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in Bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung! Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein.“ Liebknecht erkannte, dass die Herrschenden inländische und ausländische Lohnabhängige gegeneinander ausspielten, um aber letztlich beide Gruppen besser ausbeuten zu können. Die von Liebknecht formulierten Positionen sind auch heute noch richtig. Die LINKE sollten sich auf diese politische Tradition beziehen. Die LINKE sollte, so wie Liebknecht damals, deutlich machen, dass die Grenzen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten verlaufen.
Gegen Abschiebungen
Keineswegs darf bei der Kritik außer Acht gelassen werden, dass es Landesregierungen mit Beteiligung von DIE LINKE gibt, die die mündlichen Forderungen von Sarah und Oskar schon längst in die Tat umsetzen. Wie zum Beispiel DIE LINKE Thüringen, DIE LINKE. Brandenburg und DIE LINKE. Berlin.
Statt eines Lagerwahlkampfs, sollte Antirassismus und Antikapitalismus zum eigenständigen Profil der LINKEN gehören. Die LINKE und all ihre Funktionsträger*innen und Abgeordnete haben eine große Verantwortung. Die Partei ist in Deutschland für viele Millionen Menschen eine Alternative zum Neoliberalismus, Rassismus und Militarismus der etablierten Parteien. Eine geschwächte LINKE wird niemandem nutzen, der gegen den Rechtsruck kämpfen will. Wenn die LINKE als radikale Opposition gegen Kapital, Rassismus und herrschenden Politikbetrieb erkennbar wird, kann sie gewinnen. Es gilt, beide Elemente in einem bewegungsorientierten Wahlkampf zu bündeln und damit die Menschen zu ermutigen, selbst aktiv zu werden. So kann sich ein anderes Lager formieren: in einem Lagerwahlkampf „unten gegen oben“ der aus mehr besteht als alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen, nämlich selbst für bezahlbaren Wohnraum, Arbeit und kostenlose Bildung für alle, also für eine bessere Welt insgesamt zu kämpfen.