Sascha Staničić weist Vorwurf zurück, er bezeichne Sahra Wagenknecht als Rassistin
Wir veröffentlichen hier einen Brief des SAV-Bundessprechers und verantwortlichen Redakteurs von sozialismus.info, Sascha Staničić, an die ZEIT-Redakteurin Evely Finger zu ihrem Artikel „Alles Nazis außer ich„, in dem ihm unterstellt wird, er bezeichne Sahra Wagenknecht als Rassistin.
Sehr geehrte Evelyn Finger,
in Ihrem Kommentar mit dem Titel „Alles Nazis außer ich“ erwähnen Sie mich mehrfach im Zusammenhang mit meiner Kritik an Sahra Wagenknechts migrationspolitischen Positionen. Dabei implizieren Sie, ich würde Sahra Wagenknecht als Rassistin bezeichnen und stellen meine Kritik auf eine Stufe mit den Äußerungen von Thomas Seibert (was unter KennerInnen der linken politischen Landschaft sicher ein Schmunzeln auslöst…).
Sie kritisieren in Ihrem Text, dass eine Erklärung linker AktivistInnen Wagenknecht kritisiert ohne ihre Positionen zu zitieren. Sie schreiben diese Erklärung verzichte auf eine Widerlegung von Wagenknechts Positionen und delegitimiere sie nur. In Bezug auf Ihren Umgang mit mir, machen Sie sich derselben Methode schuldig.
Sie zitieren selektiv aus einem langen Artikel von mir vom Januar 2017 (der sich also gar nicht mit den aktuellen Auseinandersetzungen beschäftigt) und behaupten, diesen habe ich „auf Blockupy“ geschrieben. Sie haben nicht einmal recherchiert, wen Sie da pseudo-journalistisch entlarven. Ich bin kein Blockupy-Vertreter oder -Aktivist (wenn auch immer Teilnehmer an den Blockupy-Protesten) und habe „auf Blockupy“ (wo oder was das auch immer ist) auch nie geschrieben, sondern bin Mitglied der Linkspartei, verantwortlicher Redakteur des SAV-Internetportals sozialismus.info und Autor von zwei Büchern zum Themenbereich Rassismus und Rechtspopulismus (Anti-Sarrazin, 2011 und Brandstifter, 2017). Sie müssen mit meinen Argumenten nicht übereinstimmen, aber der von Ihnen zitierte Text (hier zu finden) ist eine argumentative Auseinandersetzung mit Sahra Wagenknechts Positionen, in dem ich gleich zu Beginn unter anderem schreibe:
„Sahra Wagenknecht hat mit vielem, was sie sagt Recht. Sie gilt als schärfste Kritikerin der neoliberalen Verhältnisse und der sozialen Ungleichheit im Land. Als solche hat sie DIE LINKE gestärkt. Deshalb ist sie den etablierten Politikern aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP, den bürgerlichen Schreiberlingen von BILD bis SPIEGEL und den Bossen und Bänkern ein Dorn im Auge.
Mit ihren wiederholten Äußerungen zu Fragen der Flüchtlingspolitik und der inneren Sicherheit liegt sie jedoch sachlich und politisch falsch. Und sie gefährdet damit die Zukunft der LINKEN. Deshalb muss sie dafür nicht nur kritisiert werden. Sie muss selbstverständlich auch aufgefordert werden, sich als Spitzenkandidatin in keinen Widerspruch zur Programmatik der Partei zu begeben und sich an inhaltliche Beschlüsse zu halten. Gleichzeitig sollte sie gegen Angriffe aus prokapitalistischen Kreisen und von VertreterInnen des rechten Parteiflügels verteidigt werden, die ihr ungerechtfertigt eine Nähe zur AfD vorwerfen und denen es weniger um die inhaltlichen Aussagen Wagenknechts geht, als darum durch eine Beschädigung ihrer Person, die Parteilinke zu treffen und damit den Weg für Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen freier zu bekommen. Letztere muss sich jedoch dringend von Sahra Wagenknecht emanzipieren, um den Kampf um eine sozialistische Ausrichtung der LINKEN führen und gewinnen zu können.“
Mir auf Basis dieser Aussagen den Vorwurf zu machen, ich würde Sahra Wagenknecht als Rassistin oder gar Nazi sehen, ist ein starkes Stück Missachtung journalistischer Grundstandards. Auch ich bin der Meinung, dass es in dieser bestehenden kapitalistischen einen strukturellen Rassismus gibt, der seine Wurzel in den Herrschaftsverhältnissen hat und zu deren Aufrechterhaltung dient. Auch ich bin der Meinung, dass Sahra Wagenknechts Positionen diesen strukturellen Rassismus bzw. Aspekte von ihm (selektive Einwanderungspolitik nach ökonomischen Gesichtspunkten u.a.) nicht herausfordern. Aber deshalb mache ich sie und andere, die solche Positionen vertreten nicht zu RassistInnen. Wenn Sie meine Texte kennen würden, wüssten Sie, dass ich gerade die mir unterstellte Haltung „Alles Nazis“ auf AfD-WählerInnen und auch für rassistische Gesetze verantwortliche bürgerliche PolitikerInnen nie vertreten habe und immer eine differenzierte Sichtweise eingenommen habe.
Sie zitieren mich weiter selektiv. Sie schreiben, ich betone, dass ich den „ ‚Staat im Kapitalismus‘ (also die Demokratie) für ‚kein demokratisches Instrument‘ (also abschaffenswert)“ halte. Tatsächlich habe ich geschrieben, „dass der Staat im Kapitalismus kein neutrales, demokratisches Instrument ist, sondern zur Aufrechterhaltung der herrschenden Verhältnisse eingesetzt wird. Das bedeutet, dass jede staatliche Aufrüstung sich in Zukunft gegen linke Widerstandsbewegungen, Streiks etc. richten kann.“
Sie setzen Staat und Demokratie gleich, was nicht nur unter MarxistInnen ein Kopfschütteln auslösen sollte. Sie lassen den Begriff „neutral“ einfach mal weg, zerstückeln das Zitat und unterstellen mir Schlussfolgerungen, die ich nicht geäußert habe. Vom journalistischen Standpunkt ist das eine sehr fragwürdige Methode.
DIE ZEIT nimmt ja für sich in Anspruch einen differenzierten Journalismus zu betreiben. Wie dann ein Text erscheinen kann, in dem sie mir, der eine argumentative und inhaltliche Kritik an bestimmten Positionen von Sahra Wagenknecht formuliert hat, unterstellt bzw. impliziert wird, ich würde Wagenknecht zur Rassistin machen und sie, Nahles und Kretschmann als Nazis sehen, ist für mich schwer verständlich.
Wieso haben Sie eigentlich nicht meinen Originalartikel verlinkt? In Zeiten des Internets ist das ja nicht gerade unüblich, wenn man aus Artikeln zitiert.
Ich lade Sie gerne zu einer inhaltlichen Diskussion zu meinen Argumenten ein und biete Ihnen an, dass eine Gegenargumentation von Ihnen auf der von mir geleiteten Webseite sozialismus.info veröffentlicht und beantwortet wird. Aber bitte widerlegen und nicht nur delegitimieren …
Mit freundlichen Grüßen
Sascha Stanicic