Wie geht es weiter nach dem Gerichtsurteil?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Klagen gegen das „Tarifeinheitsgesetz“ abgewiesen.
Von Torsten Sting, Rostock
Der zentrale Punkt des Gesetzes besteht darin, dass in Betrieben mit mehreren Tarifverträgen, nur noch jener Anwendung finden soll, der von der zahlenmäßig stärksten Gewerkschaft abgeschlossen wurde. Zu Recht sahen die kleineren Beschäftigtenorganisationen darin eine Einschränkung der vom Grundgesetz garantierten „Koalitionsfreiheit“. Letztlich bedroht dieses Gesetz deren Existenz. Eine Gewerkschaft, die keine Tarifverträge abschließen kann, ist ein Papiertiger.
Interessen des Kapitals
Aus Sicht der Großen Koalition und der Arbeitgeberverbände besteht der Sinn des Gesetzes darin, dass die in den letzten zwanzig Jahren deutlich gestärkten Branchengewerkschaften geschwächt werden sollen. Gerade die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) konnte zuletzt im Jahre 2015 mit einem längeren Streik einen eigenständigen Tarifvertrag gegenüber der Deutschen Bahn mit einigen deutlichen Verbesserungen erstreiten. Dies erreichte sie, obwohl es eine massive Kampagne der herrschenden Klasse gab, die zum Teil von der Führung des DGB mitgetragen wurde.
Gerade im Transportsektor sind die Branchengewerkschaften stark vertreten. Mit ihren Arbeitskämpfen haben GDL, Cockpit (Piloten) und UFO (Flugbesatzungen) gezeigt, dass sie großen Konzernen Paroli bieten und massiven Druck ausüben können. Zum Teil hatten diese Auseinandersetzungen auch Folgen für wichtige Bereiche der deutschen Industrie. Die betroffenen Konzerne haben ein Interesse daran, die kleineren Gewerkschaften deutlich in die Schranken zu weisen. Dies liegt aber auch im Interesse der ganzen Kapitalistenklasse, droht doch eine Radikalisierung der Beschäftigten. Viele KollegInnen sympathisierten mit den offensiven Forderungen, insbesondere der GDL.
Rolle der DGB-Spitze
Die Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) stand an der Seite von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Gerade die Vorstände der Industriegewerkschaften (IGM und IGBCE) sehen sich an der Seite „ihrer“ Unternehmer und versprechen sich von deren Wettbewerbsfähigkeit Vorteile. Kleinere Gewerkschaften, stören ihre „Ordnung“. Sie wiegen sich in der Illusion der Sozialpartnerschaft und befürchten, dass sie durch die offensiveren Branchengewerkschaften unter Druck kommen, ebenfalls für radikalere Forderungen kämpfen zu müssen.
Wie sieht das Urteil aus?
Das Bundesverfassungsgericht hat grundlegend das Gesetz bestätigt und im Sinne der Kapitalisten gehandelt. Sie unterstellten den Branchengewerkschaften „Schlüsselpositionen und Blockademacht zum eigenen Nutzen“. Daher überwog die Erleichterung auf der Kapitalseite.“Wir begrüßen aus ökonomischer Sicht das Urteil, weil der Flächentarif und der Betriebsfrieden gestützt werden“, meinte Sandra Vogel vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). (Spiegel Online, 11.7.17)
Die obersten Gesetzeshüter gaben der Bundesregierung aber auch einige Nachbesserungen mit auf den Weg, die nur schwer umzusetzen sein dürften. So sollen die Spartengewerkschaften nicht unzumutbar von den Mehrheitsgewerkschaften übergangen und ohne sachlichen Grund benachteiligt werden. Die Interessen der Minderheit sollen sich in den Tarifverträgen der Meherheit widerspiegeln.
Mögliche Folgen
Egal wie konkret die Bundesregierung das Gesetz korrigiert, eines scheint klar zu sein. In Zukunft werden noch mehr Streiks vor den Arbeitsgerichten landen. Theoretisch muss vor jedem Ausstand eine Gewerkschaft erst Mal beweisen, dass sie im betroffenen Betrieb, die stärkste Gewerkschaft ist. Zudem stellt sich die Frage, wie man den jeweiligen Betrieb definiert. Angesichts der heutigen, hochkomplizierten Konzernkonstrukte keine einfach zu beantwortende Frage. Diese Unsicherheit, ob ein Streik legal oder illegal ist, kann eine schwere Hypothek für zukünftige Kämpfe darstellen. Gerade kleinere Gewerkschaften können sich mit horrenden Schadensersatzforderungen der Arbeitgeber konfrontiert sehen. Diese Aussicht kann insbesondere (aber nicht nur) unerfahrene Schichten von Beschäftigten einschüchtern. Zudem ist diese Entwicklung auch ein Instrument für bremsende Gewerkschaftsfunktionäre, die einer zugespitzen Auseinandersetzung lieber aus dem Wege gehen.
Was kann man tun?
Dieses Gesetz muss weg, ohne wenn und aber! Es muss jetzt Druck von verschiedenen Seiten aufgebaut werden. Die Basis in den Gewerkschaften des DGB muss die Führung durch Initiativen von unten zum Jagen tragen. Gerade ver.di kommt hier eine zentrale Rolle zu. Konflikte, die derzeit laufen (z.B. Amazon, Einzelhandel) müssen mit dem Thema verbunden, in Betriebsversammlungen sollte das Thema angesprochen werden. Der bevorstehende Wahlkampf bietet hier eine gute Plattform. Der Schulterschluss mit der LINKEN bietet sich an, da sie die einzige große Partei ist, die gegen dieses Gesetz eintritt. Gemeinsam sollte eine Aktionskonferenz ins Auge gefasst werden, um die nächsten Schritte zu beraten.
Noch zentraler ist jedoch, dass wir uns von diesem Anti-Streik-Gesetz nicht einschüchtern lassen. Egal welcher Gewerkschaft wir angehören: Streiken ist ein Grundrecht! Und das lassen wir uns weder von von den bürgerlichen Parteien, Gerichten, Kapitalisten oder auch einigen Gewerkschaftsbürokraten absprechen!
Einheit im Kampf
Die Stärke der kleinen Beschäftigtenorganisationen hat auch mit den Fehlern der großen Gewerkschaften zu tun. Die GDL imponierte gerade deshalb, weil die im DGB organiserte Konkurrenz EVG (früher Transnet) sehr sozialpartnerschaftlich agierte und miese Kompromisse mittrug. Nichtsdestotrotz sind unterschiedliche Gewerkschaften und Tarifverträge eine Tatsache, mit der wir in den Betrieben umgehen müssen. Unser gemeinsames Ziel ist es , soviel wie möglich zusammen zu kämpfen um für die Kolleginnen und Kollegen das beste zu erreichen. Dafür sind enge Abstimmungen bei Tarifbewegungen und Arbeitskämpfen eine zentrale Vorraussetzung, um gemeinsam erfolgreich zu sein.
Torsten Sting ist ver.di-Betriebsrat* in einem CallCenter (*Funktionsangabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person)