R2G räumt Neuköllner Kiezladen Friedel54

Mitglieder der SAV, LINKE und linksjugend [’solid] beteiligen sich an Protesten

Am Donnerstag 29. Juni kamen sie wie angekündigt in aller Frühe: Fünfhundert PolizistInnen marschierten auf, um den Stadtteilladen im Berliner Reuterkiez zu räumen. Gegen die Proteste gingen sie rücksichtslos vor. Ein rot-rot-grüner Senat ändert offenbar weder etwas an der Polizeigewalt noch an den Räumungen.

von Michael Koschitzki, Berlin

Seit 2004 bestand der Kiezladen Friedel54 in der Neuköllner Friedelstr. In die Wohnungen darüber zogen SympathisantInnen ein. Das Soziale Zentrum, das von einem Personenkreis und 15 Initiativen vor allem aus dem anarchistischen Spektrum betrieben wurde, organisierte Vorträge, Veranstaltungen, Parties und half zuletzt mit, alternative Essensverteilung mit zu organisieren. Der Laden liegt genau in dem Stadtteil, in dem es die höchsten Mietsteigerungen gab – 80 Prozent in fünf Jahren!

Deshalb stellt das Haus auch ein begehrtes Objekt für Immobilienspekulanten da. Mehrfach wechselte der Besitzer – zuletzt schlug eine Luxemburger Briefkastenfirma zu. Für solche Besitzer sind 636 Euro Miete zu wenig und aufmüpfige BetreiberInnen ein Dorn im Auge. So wurde dem Laden im Oktober 2015 gekündigt. An den zahlreichen Protesten zu denen Initiativen und Menschen aus der ganzen Stadt kamen, beteiligte sich DIE LINKE im Reuterkiez und der Bezirksverband Neukölln. Die Fraktion in der BVV bot Hilfe an. Die örtliche Direktkandidatin zur Bundestagswahl Judith Benda ist eine Anwohnerin und solidarisierte sich mit den Protesten. Nach einigen Gerichtsverhandlungen kam es nun zur Räumung für die der rot-rot-grüne Senat, der Innensenator Geisel (SPD), aber auch alle beteiligten Parteien und damit auch DIE LINKE Berlin die Verantwortung tragen.

Die Räumung

Zur Räumung rückten am frühen Morgen mehrere Hundertschaften der Berliner Polizei an. Die Beamten, die gerade von ihrem Einsatz in Hamburg abgezogen wurden, gehörten dazu, was von den anwesenden Demonstranten genüsslich mit Parolen wie „Berliner Polizisten. Partytouristen“ kommentiert wurde.

Die örtliche LINKE Kandidatin zur Abgeordnetenhauswahl 2016 und SAV Mitglied Sarah Moayeri war bereits am Mittwoch Abend mit vielen anderen zur Friedel54 zum gemeinsamen Übernachten gekommen und widersetzte sich in den Morgenstunden der Räumung. Auf Facebook schrieb sie über ihre Erlebnisse: „Wir wurden als es losging mit voller Wucht gegen Polizeiwagen gedrückt, während uns der Ausweg von anderen Polizisten versperrt wurde und wir somit krass eingequetscht wurden, unter einigen brach Panik aus. Viele wurden rausgezerrt, festgenommen, eine Frau sah ich, der ins Gesicht geschlagen wurde. Diejenigen, die weggetragen wurden, hatten es mit noch heftigerer Repression und Brutalität zu tun. Viel Prügel und viele Verletzte, schaut euch die Videos an die es gibt, vieles wurde dokumentiert.“

In einer Stellungnahme der LINKEN Berlin einen Tag später heißt es, für die Räumung sei „in erster Linie der Eigentümer des Hauses in der Friedelstr. 54 verantwortlich, der keinerlei Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft zeigte“. Weiter heißt es darin „Und die Polizei wiederum ist im Rahmen der herrschenden Rechtsordnung dazu verpflichtet, diesen dabei zu unterstützen. Eine Versagung dieser Unterstützung kann nur aus einem sachlichen Grund (bspw. nicht genügend Einsatzkräfte), nicht aber aus politischen Gründen erfolgen. Anderenfalls setzen sich die politisch Verantwortlichen der Gefahr aus wegen Rechtsbeugung belangt zu werden.“

Die Regierungsparteien laufen also Gefahr, verklagt zu werden und können deshalb nichts gegen die Räumung tun? Als in den 80er Jahren ein mehrheitlich sozialistischer Stadtrat im britischen Liverpool an der Regierung war, handelte er nach dem Motto: „Lieber das Gesetz brechen, als den Armen das Rückrat“ und hätte es auf solche „Rechtsbeugung“ eher ankommen lassen. Als würde nicht tagtäglich für die Reichen in diesem Land das Recht gebeugt! In einem Neuköllner Antrag an den LINKE Landesparteitag, der am 1. Juli stattfindet, heißt es deshalb zurecht: „DIE LINKE ist angetreten, die Wohnungspolitik in Berlin fundamental zu ändern. Ändert die SPD ihre Wohnungspolitik nicht, ergibt die Koalition keinen Sinn.“

Der Landesverband der linksjugend [’solid] solidarisierte sich mit der Friedel54 und kritisierte den Einsatz der Berliner Polizei. Sie sagen „Rücksichtslose Durchsetzung von Interessen der Investoren ist hier eine Untertreibung!“ In ihrer Erklärung heißt es jedoch auch „Wir sind enttäuscht, dass in einer Stadt mit einem Rot-Rot-Grünen Senat keine andere Möglichkeit als die brutale Zwangsräumung und ein Großeinsatz der Polizei gefunden wurde.“ Dabei ist es gerade das Wesen der Regierungsbeteiligung mit Immobilienparteien wie SPD und Grünen, dass es meist keine Spielräume oder andere Möglichkeiten gibt. Entweder du bist für den Investor oder du bist für den Kiezladen. SPD und Grüne stehen jedenfalls klar auf Seiten der Immobilienlobby.

Die Räumung ordnet sich ein, in eine Reihe von Ereignissen wie der Kampagne gegen den Staatssekretär und Immobilienschreck Andrej Holm oder dem Anstieg des Mietspiegels um fast zehn Prozent, was jetzt flächendeckend Mietsteigerungen möglich macht. Sie bestätigen die Warnungen von uns in die Regierung einzutreten. DIE LINKE muss gemeinsam mit den AktivistInnen der Stadt den Kampf gegen Mietsteigerung und Verdrängung aufnehmen, statt die Senatspolitik zu verteidigen. In der Opposition könnte sie eine Rolle spielen, effektiven Widerstand mit zu organisieren, statt die herrschende Politik für Immobilienkonzerne zu rechtfertigen und durchzusetzen.

Wie geht es weiter?

Die Räumung der Friedel54 war eine Teilräumung des Gebäudes. In Zukunft sind auch Räumungen der Wohnungen darüber möglich und könnten sich zu einem Kampffeld entwickeln. Die Auseinandersetzung um die Rigaer Str. in Friedrichshain hält an. Es muss diskutiert werden, wie noch größer und breiter für Gegenwehr mobilisiert werden kann. Es gab zahlreiche Demonstrationen, zuletzt mit über 1.000 TeilnehmerInnen. Es muss diskutiert werden, wie daran angesetzt werden kann. Leider sind auch weniger hilfreiche Ideen für Widerstand im Umlauf. Bereits im Januar 2016 hieß es in einem Aufruf von autonomen Gruppen, im Falle einer Räumung der Friedel würde eine Million Euro Sachschaden an Autos oder ähnlichem verursacht werden.

Solche Methoden sind nicht geeignet, den Kampf zu gewinnen, sondern werden den Widerstand nur isolieren und der Polizei Vorwände liefern für ihre Brutalität. Nur durch Großmobilisierungen verbunden mit Aktionen von zivilem Ungehorsam, die den Zusammenhang solcher Räumungen mit Mietsteigerungen und Verdrängung in der ganzen Stadt herstellen und für günstigen öffentlichen Wohnraum für alle kämpfen, werden das erreichen. Die Kreuzberger Demonstrationen gegen Verdrängung waren dafür ein guter Anfang. Die Friedel54 muss zurückgegeben und die Polizei abgezogen werden. Der Polizeieinsatz muss unabhängig untersucht und die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Es braucht einen sofortigen Stopp aller Zwangsräumungen, Bestandsschutz für alle selbstorganisierten Projekte und Läden und ein massives öffentliches Investitionsprogramm für Wohnraum. Mehr Informationen zum Wohnungsprogramm der SAV, Kampf für Erhalt von Jugendclubs und Arbeit der LINKEN im Reuterkiez findet ihr hier:

https://www.archiv.sozialismus.info/2014/05/mieten-explodieren-mieterinnen-auch-2/

https://www.archiv.sozialismus.info/2016/09/nein-zum-senat-heisst-nicht-rot-rot-gruen/

https://www.archiv.sozialismus.info/2016/07/widerstand-gegen-rassismus-sparzwang-und-verdraengung/

LINKE Neukölln: http://www.die-linke-neukoelln.de/bezirksverband/strukturen/bo_reuterkiez/

http://www.die-linke-neukoelln.de/nc/politik/news/detail/zurueck/aktuell-2/artikel/die-haeuser-denen-die-sie-brauchen/

Erklärung der AKL http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=2110