Der Dresdner Hauptbahnhof platzte aus allen Nähten: PendlerInnen, die zur Arbeit wollten, Schulklassen, die in der letzten Woche vor den Sommerferien die Absicht hatten gemeinsam ins Landheim zu fahren, TouristInnen und dazwischen Polizeistreifen mit Hunden und Maschinenpistolen, die langsam durch das Gedränge schlenderten. In Dresden lag der Zugverkehr am Montag, den 19.06. weitgehend lahm. Der Grund waren insgesamt 13 Brandanschläge im ganzen Bundesgebiet auf Kabelschächte für Signalanlagen, die zu Großraumsperrungen führten. Im Internet bei „linksunten.indymedia“ bekannte sich schnell eine Gruppe zu den Angriffen.
Von Steve Hollasky, Dresden
In markigen Worten hieß es dort: „Heute Morgen haben wir die Kabelstränge entlang mehrerer Hauptstrecken der Bahn in Brand gesetzt. Die Bahn nutzt die Kabelkanäle neben den Gleisen nicht nur für die interne Signalübermittlung sondern vermietet die Schächte auch an andere Datennetz-Betreiber. Wir unterbrechen die alles umfassende wirtschaftliche Verwertung. Und damit die so stark verinnerlichte Entwertung von Leben. Wir greifen ein in eines der zentralen Nervensysteme des Kapitalismus: mehrere Zehntausend Kilometer Bahnstrecke. Hier fließen Waren, Arbeitskräfte, insbesondere Daten.“
Ob es sich um ein authentisches Bekennerschreiben handelt, ist noch immer schwer zu sagen. Auch im Falle eines Brandanschlages auf eine Dresdner Moschee im September 2016 tauchte bei „linksunten.indymedia“ eine gefälschte Erklärung auf, deren Ziel es war den Terror-Akt linken AktivistInnen in die Schuhe zu schieben. Inzwischen scheint es bewiesen zu sein, dass der wirkliche Moschee-Attentäter Redner bei PEGIDA war.
Inwieweit der Angriff auf „eines der zentralen Nervensysteme des Kapitalismus“ im Auge derjenigen, die die Brände gelegt haben, ein Erfolg gewesen ist, mag dahingestellt bleiben. Das erklärte Ziel jedenfalls „Shutdown G20 – Hamburg vom Netz nehmen“, dürfte klar verfehlt worden sein – nicht zuletzt deshalb, weil eher Dresden vom Netz war.
Fakt ist, in den Augen des Großteils der Betroffenen dürfte diese Art des Kampfes gegen das Treffen der Staatschefs der wichtigsten 20 kapitalistischen Staaten wenig Verständnis hervorgerufen haben. Ein Bahnarbeiter in Dresden brachte es mit den Worten auf den Punkt: „Was hat das jetzt mit G20 zu tun?“ Ein Schulterzucken war noch die positivste Reaktion.
Gerade die Reisenden, die irgendwo auf den Strecken liegen blieben und von der Bundespolizei aus Zügen evakuiert wurden, werden wohl kaum zu Anhängern von dieser Art der Anti-G20-Kampagne werden. Doch diejenigen, die die Brände legten, sorgten auch für weit problematischere Entwicklungen: Einige der Reisenden waren über die Anwesenheit von Polizei auf den Bahnhöfen erfreut, sie glaubten sich ernsthaft in Gefahr und hofften auf Schutz durch die Uniformierten. Eine bessere Legitimation für staatliche Aufrüstung als individuellen Terror kann man im Grunde kaum liefern.
Entsprechend werden nun auch die staatlichen Reaktionen ausfallen: Ab sofort werden die Protestvorbereitungen noch viel stärker als bisher unter die Lupe genommen werden und der Staatsapparat wird die geplanten Aktionen noch stärker kriminalisieren. Die, die die Brandsätze gelegt haben, haben weder Sympathien für die Argumente der GipfelgegnerInnen geweckt – wohl eher im Gegenteil -, noch den staatlichen Umgang mit den Protesten delegitimiert und auch nicht geholfen Menschen, die bislang inaktiv waren, Teil der Proteste gegen G20 werden zu lassen. Die Angestellten der Deutschen Bahn und die Fahrgäste setzte man vor vollendete Tatsachen und brachte sich durch die Art der Aktion um jede Möglichkeit ihnen zu erklären, weshalb es richtig und sinnvoll ist gegen Kapitalismus, Krieg, Krise und die Verantwortlichen dafür die protestieren. Genau darin unterscheidet sich diese pseudo-radikale Militanz von einem Streik bei der Bahn. Bei dem versucht man logischerweise die Beschäftigten und auch die Fahrgäste mitzunehmen. Wie ein Hohn lesen sich gemessen daran die letzten Sätze des Aufrufs: „Das einzige Maß für die Krise des Kapitalismus ist der Grad der Organisierung der Kräfte, die ihn zerstören wollen“ Denn gerade für die „Organisierung der Kräfte“ hat diese Aktion nichts getan.
Bleibt noch der Jubel des Bekennerschreibens darüber, dass man die kapitalistische Maschinerie zum Stottern gebracht habe. Die Wahrheit ist, dass die kapitalistische Maschinerie weltweit stottert: Man schaue nur nach Griechenland, nach Spanien, nach Italien, von Syrien ganz zu schweigen. Das ganze kapitalistische System durchlebt eine weltweite Legitimationskrise. Nur das allein wird diesem überlebten System nicht den Rest geben. Wohl aber der solidarische Kampf derjenigen, die unter ihm zu leiden haben. Dafür geben der G20-Gipfel und die Proteste gegen diesen eine Chance. Wenn man es nicht so kolossal vermasselt wie die Kabelanzünder vom Montag.
Bleibt im Grunde genommen nur zu hoffen, dass es sich doch um eine „False-Flag-Operation“ gehandelt hat.