Industrie 4.0: Von Schein-Revolutionen und der Krise des Kapitalismus
In einem Artikel des Business Insider über frühkindliche Erziehung steht: „Spätestens in 25 Jahren muss man Spaß an der Arbeit haben […] Glaubt man einer Studie der renommierten Oxford-Universität, dann werden in nur 25 Jahren 47 Prozent der Jobs verschwunden sein. Die Arbeit wird künftig von Robotern oder Künstlichen Intelligenzen erledigt werden. Nicht nur Fabrikarbeiter könnten in Zukunft durch Technologie ersetzt werden. Auch Buchhalter, Ärzte, Juristen, Lehrer, Bürokräfte und Finanzanalysten, schreibt ‚The Economist‘. Und so werden sich Menschen selbst Arbeit suchen müssen, so die Meinung des Forschers. Freudlose Tätigkeiten, die man nur aus finanziellen Gründen durchführt, würden ohnehin verschwinden.“1
Von Alexandra und René Arnsburg, Berlin
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Der Grund warum in diesem Artikel über die Verschulung von Kindergärten und Robotern die Rede ist, ist die gezielte Platzierung des Themas „Industrie 4.0“. Der Begriff ist eine Erfindung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Zusammenarbeit mit Unternehmensverbänden, vielen Plattformen und auch einigen Gewerkschaften. Jeden Tag erscheinen dazu neue Artikel, bei Google ergibt die Suche dazu momentan knapp 21 Millionen Treffer.
„Industrie 4.0“ wird oft mit dem Einsatz von Robotern und über das Internet-Protokoll vernetzte Maschinen gleichgesetzt. Das Neue daran ist, dass durch das jederzeit verfügbare Netzwerk Geräte und Anwendungen für alle Bereiche unseres Lebens und der Produktion miteinander kommunizieren. Das wird als „Internet der Dinge“ oder „Smart Production“2 zusammengefasst. Durch die Steigerung der Rechenleistung und angeblich selbstlernende Algorithmen entstehe eine künstliche Intelligenz, die die Maschinen beseelt und dem menschlichen Geist bald überlegen sein soll. Die Versionszahl 4.0 erweckt den Eindruck, als handele es sich um eine qualitative Neuerung gegenüber den vorhergehenden industriellen Revolutionen.3 Im englischen Sprachgebrauch ist der Begriff „Digitalisierung“ geläufig. In den USA wird darunter eher eine konsumorientierte Entwicklung verstanden, in Deutschland liegt der Schwerpunkt mehr auf der Produktion. Gleich ist daran der Gedanke, dass intelligente Maschinen den Menschen von seinen bisherigen Tätigkeitsfeldern verdrängen.
Diese Idee ist keinesfalls neu. Bereits 1946 erschien im US-Amerikanischen Fortune Magazine ein Artikel von John Brown und Eric Leaver unter dem Titel „Machines without Men“.4 Darin beschäftigen sich die Autoren ausdrücklich mit der Frage einer menschenlosen Produktion durch programmierbare Maschinen, zu dieser Zeit noch mit Lochkartensystemen. Die Vorstellung von selbstständig handelnden Automaten geht jedoch zurück bis in die Antike und tauchte auch im Mittelalter immer wieder auf.
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts kochte die Debatte um die selbsttätige Produktion in regelmäßigen Abständen hoch. Zuletzt sahen wir dies bei den Auseinandersetzungen um den „Internetkommunismus“, als viele Linke behaupteten, eine neue Form des gemeinschaftlichen Wirtschaftens stünde auf der Tagesordnung und der Kapitalismus vor dem Aus. Doch die Internetblase platzte, die Ausbeutung der Mehrheit durch die Minderheit blieb bestehen und die Hoffnungen auf eine Umwälzung der Produktionsweise und damit der ganzen Gesellschaft allein durch technischen Fortschritt, ohne Organisierung der Menschen und das bewusste Eingreifen dieser Massen in die Geschichte – durch eine Revolution – wurden zerschlagen. Die angekündigte Digitalisierung wird nun zum Anlass genommen, eingemottete Argumente wieder hervorzuholen. Die sogenannte „Nullgrenzkostentheorie“, mit der wir es erneut zu tun haben, nahm ihren Anfang bereits zur Zeit der flächendeckenden Einführung des Elektro-Photokopierers in der BRD der 1960er Jahre. Der Kern dieser realitätsfernen Idee ist, dass bei der Produktion eines weiteren Stücks keine weiteren Kosten entstehen. Auch wenn es seit dem Einzug der Massenproduktion durch Dampfkraft, später ausgeweitet durch Elektrizität möglich ist, immer billiger zu produzieren und Stückkosten massiv zu senken, werden jedoch diese Kosten nicht ohne Ausblendung sämtlicher Faktoren wie Förderung, Transport und Verarbeitung von Rohstoffen für die Produkte und die Maschinen, Geräten und Servern und die Erzeugung von Energie usw. nicht gleich Null sein können.
Der Unterschied in der Diskussion heute liegt vor allem darin, dass mehr als zuvor die Chefetagen der Konzerne und die bürgerliche Politik mit den von ihnen finanzierten Projekten in den Universitäten die Inhalte der Debatte bestimmen. Mit Verspätung findet nun eine Auseinandersetzung auch in der marxistischen Linken statt. Vieles wurde jedoch bereits unkritisch von vielen übernommen. Das reicht von antihumanistischen Vorstellungen eines Roboterkommunismus, einer schleichenden Veränderung des Kapitalismus durch 3D-Drucker, schlichter Technikvergötterung bis hin zum Transhumanismus, der das Verschmelzen von Mensch und Maschine als neue Stufe der Evolution ansieht. In letzterem spiegelt sich vor allem eine durch Hollywood transportierte Zukunftsvision der Chefs der finanzkräftigen Technikindustrie wider.
Ob positive oder negative Zukunftsvorstellung, eine Gemeinsamkeit besteht darin, dass von einer unumkehrbaren Entwicklung ausgegangen wird. Dabei stellt sich das Zahlenmaterial, auf dem diese Annahmen gegründet werden, oftmals als dünn und tendenziös heraus. Die von der Universität Oxford 2013 in Auftrag gegebene Untersuchung5 mit dem Titel „Die Zukunft der Beschäftigung“ stellt fest, dass 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA eine hohe Wahrscheinlichkeit aufweisen, durch Maschinen ersetzt zu werden. Auf der gleichen Berechnungsgrundlage sagt die ING-DiBa eine Digitalisierungswahrscheinlichkeit von 59 Prozent oder 18,3 Millionen Stellen für Deutschland voraus.6 Es ist das ultimative Drohszenario gegenüber allen Beschäftigten und soll bewirken dass sie jeden noch so groben Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte, Arbeits- und Lebensbedingungen durch die UnternehmerInnen zu akzeptieren. Dazu kommen dann Meinungsumfragen unter Top-ManagerInnen großer Unternehmen, wie der jährlich erscheinende Capgemini-Report „IT-Trends“.7
Das darf nicht dazu führen, die möglichen Folgen der aktuellen Entwicklung zu ignorieren oder das Potential herunterzuspielen, das sowohl negativ, als auch positiv sein kann – die grundlegende Frage bleibt jedoch, wer über die Art und Weise, wie produziert wird und wie wir leben entscheidet und wer davon profitiert.
Wir kennen kostenlose Apps, Touchscreens, Hologramme, Videoclips von Butlerrobotern, personalisierte Werbung und die scheinbar jederzeitige Verfügbarkeit aller möglichen Informationen. Doch letztendlich wirken Bier einschenkende Roboterarme auf der Hannover Messe wie Nebelkerzen, die von den wirklichen Vorgängen ablenken sollen – statt eine ernsthafte Auseinandersetzung zu führen, wird man mit Hochglanzprospekten vollgestopft. Die Entwicklungen können beeindrucken, es ändert sich jedoch bei Produktionsmitteln und -verhältnissen nichts grundlegend und das ist entscheidend.
Hinter den Kulissen zeigt sich ein Weltkapitalismus, der mit der Schuhspitze bereits über den Abgrund ragt. Es gilt für die Linke, die Ursachen dafür und wie die Digitalisierungsdebatte damit zusammenhängt, aufzuzeigen. Die Zyklen technischer Entwicklung sind untrennbar mit den wirtschaftlichen Bedingungen verknüpft. Aus dieser Perspektive wird klar, dass „Industrie 4.0“ vor allem ein Lösungsversuch für die strukturellen Probleme des Kapitalismus ist.
Damit sind nicht nur technische Änderungen verbunden, sondern auch die tiefgreifende Liberalisierung der Arbeitswelt durch Angriffe auf Gesundheit, Renten, Arbeitszeit, Mutterschutz und vieles mehr. Der technische Fortschritt führt nicht zwangsläufig zu einer Differenzierung in viele schlecht bezahlte Hilfstätigkeiten und wenig gut bezahlte MaschinenmanagerInnen, aber unter kapitalistischem Vorzeichen ist er die Voraussetzung dafür. Dabei laufen die Entwicklungen vor allem auf zwei Ebenen ab: in der Produktion und in der Spekulation.
Die Produktionsebene
Die sinkenden Profitraten konnten nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem durch mehr Profitmasse (in Deutschland durch Ankurbelung des Exports) ausgeglichen werden. Der Verfall der Profitraten wurde durch die Ausweitung der Produktionsanlagen und verbrauchten Halbfertigprodukte und Rohstoffe im Verhältnis zur Arbeitskraft verursacht. Trotzdem Maschinen zum Teil durch Preissenkungen günstiger werden und die Produktion rationaler gestaltet wird, ist diese Tendenz nicht aufgehoben.
Bereits in den 70er Jahren kam es in der BRD zur Überakkumulation. Das heißt, das Volumen der Warenproduktion stieß an seine Grenzen. Die Profite, die gemacht wurden, konnten nicht im nötigen Maße in neue Maschinen, Rohstoffe und Arbeitskraft investiert werden. Die Löhne waren bis dahin durch Arbeitskämpfe und Vollbeschäftigung stark gestiegen, sogar schneller, als die Produktivität, was die Lohnstückkosten steigerte. In der kapitalistischen Konkurrenz gibt es für jeden Betrieb den Druck, Löhne zu senken, um mehr Gewinn zu machen. Das schränkt jedoch gleichzeitig den Absatz ein, was das Entstehen von Überkapazitäten in der Produktion wiederum begünstigt.
Diese Situation traf in den 1970er Jahren auf die Vorgänger der heutigen Digitalisierung. Durch die Entwicklung des günstigen Mikrochips wurde in der Metall- und Autoindustrie Produktionsroboter eingesetzt, die in großem Maßstab menschliche Arbeit ersetzten. Ein typisches Merkmal sind die Einpunktschweißroboter, die heute noch weit verbreitet sind. Die computeringetrierte Produktion (CIM) nahm dort ihren Anfang. Genauso wenig wie „Industrie 4.0“ führte das damals zu einer menschenlosen Produktion. Und auch das Grundprinzip des Fordismus, also der Einsatz monofunktionaler Maschinen zur Produktion von Massenwaren zu einem geringen Kapitaleinsatz pro Stück und einer hohen Arbeitsproduktivität, wurde in den 1970ern ebenso wenig aufgehoben, wie es durch die Digitalisierung heute der Fall ist.
Während zu frühen kapitalistischen Aufschwungzeiten die technische Entwicklung zum Einsatz von mehr Beschäftigten führte, obwohl die Arbeit effizienter wurde, führt der Ersatz menschlicher Arbeit gepaart mit Überproduktion seit 1973 zu ununterbrochener Massenarbeitslosigkeit. Daran sind auch die Aussagen zu messen, dass es immer neue Arbeitsplätze in einem anderen zukunftsträchtigen Bereich geben würde. Wäre das der Fall gewesen, hätten nicht über eine Million Menschen zu diesem Zeitpunkt dauerhaft ihre Jobs verloren. Den Folgen der Überakkumulation konnte mit einer verstärkten Exportorientierung und zunehmend neoliberalen Maßnahmen und Lohnsenkungen einige Jahre in Deutschland erfolgreich entgegengewirkt werden.
Während durch verschiedene Erfindungen des 19. Jahrhunderts Produktionsprozesse revolutioniert wurden, veränderte sich die Produktion nach 1945 nur noch graduell, oder überhaupt nur noch durch staatliche Intervention in einigen Bereichen. Vor allem im Kommunikationssektor wäre ohne das US-Verteidigungsministerium das Internet nicht in der heutigen Form entwickelt worden.
Der eine Grund dafür ist Monopolisierung, diese bewirkt keine Investition in Neuerungen, sondern die Profite werden vor allem durch Monopolbildung ausgeweitet und ein weiterer Grund ist die Überakkmulation, das heißt wenig Anwendungen von Innovationen durch geringe Profitaussichten. Daraus ergibt sich ein Kapitalismus, in dem Monopolunternehmen aus der jetzigen Situation soviel Profit so schnell wie möglich schlagen und wenig in Neues investieren, weil die Aussichten schlechter sind. Es kann zur Verdrängung von Konkurrenz jedoch durchaus noch Neuerungen geben und auch Produktionsanlagen müssen irgendwann ersetzt werden.
Doch durch die rein graduelle Änderung der Produktionsmethoden ergab sich eine abflachende Entwicklung der Produktivität, die in Deutschland in den letzten Jahren sogar so gering war, dass trotz sinkendem Lohnniveaus und Flexibilisierung der Arbeit die Lohnstückkosten stiegen!
„Industrie 4.0“ ist der Versuch, die Produktivität zu steigern – mit ungewissem Ausgang. Bei den aktuellen Entwicklungen in der industriellen Produktion geht es vor allem um Flexibilisierung und Rationalisierung bestehender Arbeit und nur zum Teil um die unmittelbare Ersetzung menschlicher Arbeitskraft.
Anders im Dienstleistungssektor: Hier geht es direkt um die Ersetzung von Arbeitskraft und der Zerstückelung und Automatisierung von geistiger Arbeit. Das ist keine rein technische, sondern vor allem eine arbeitsorganisatorische Frage, die zur Zeit durch Klassenkampf von oben, durch Zielvorgaben, Schichtdienste, Heimarbeit und Union-Busting beantwortet wird.
Ist die Steigerung der Produktivität bisher von Erfolg gekrönt gewesen? Das Bundesamt für Statistik schrieb im Januar 2017:
“Als Produktivitäts-Paradoxon wird die durch statistische Ergebnisse untermauerte Hypothese bezeichnet, dass es trotz fortgesetzter technologischer Innovationen – insbesondere im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung – eine längerfristig abgeschwächte Produktivitätsentwicklung gibt. Die empirischen Befunde dafür liefert die amtliche Statistik. Nicht nur in Deutschland, sondern auch international ist diese Feststellung zutreffend.”8
Die Antwort lautet also: nein.
Während im 19. Jahrhundert in vielen Bereichen bahnbrechende Erfindungen und Entdeckungen auf der Tagesordnung standen, hat man heute den Eindruck, dass es bei der Forschung hauptsächlich nur noch um die Verbindung aller Gegenstände mit dem Internet und die Anwendungsforschung von Algorithmen geht.
Die spekulative Ebene
Der internationale Wettbewerb der Kapitalistenklasse kann, wie oben gezeigt, trotz gegenläufiger, dem System innewohnender, Widersprüche technischen Fortschritt bewirken. Der deutsche Kapitalismus hat die Industrien anderer Länder durch Niedriglöhne und hohe Produktivität zu Grunde konkurriert und so durch Export für den entsprechenden Absatz der Waren und damit der Realisierung von Mehrwert als Profite gesorgt. Das ist vor allem durch die krisenhafte Entwicklung in vielen Ländern gefährdet. Wird die Industrie eines anderen Landes vernichtet, wird sie keine Maschinen kaufen. Arbeitslose kaufen keine deutschen Produkte mehr. Es ist eine Illusion, anzunehmen, dass das deutsche Kürzungsdiktat in Europa keine Folgen für die deutsche Konjunktur hätte.
2016 lagen 9000 Milliarden US-Dollar auf Konten mit Negativzinsen, weil es sicherer war, etwas für die Verwahrung des Geldes an Banken zu zahlen, als es selbst in der Produktion anzulegen. Deshalb soll für die investitionsmüden KapitaleigentümerInnen die Versionszahl 4.0 verlockend wirken. Ähnlich konnte nach der Dot-Com-Krise 2000 mit dem Begriff Web 2.0 in dem Bereich massiv Kapital akquiriert werden. Und das nur wenige Jahre nach dem Platzen der Internetblase, mit der man Ende der 1990er bereits erfolglos versuchte, eine neue Anlagemöglichkeit zu schaffen.
Die deutschen Kapitalisten versuchen, Kapital im Land zu halten und treiben daher die Platzierung des Begriffs „Industrie 4.0“ voran. Deutschland gilt als Vorreiter in dem Bereich, neben den USA und Südkorea.
Neben der Produktion gibt es in der Sphäre des Austausches von Waren und Geldkapital enorme Kapitalansammlungen und Monopolbildungen (Zalando, Amazon, eBay, Alibaba) und die Aneignung neuer Bereiche für die Kapitalverwertung (persönliche Daten bei Facebook und Google) bis hin zu fast rein parasitären Monopolbildungen (MyTaxi, Uber, Lieferservice, AirBnB), die kaum etwas mit Produktion oder Verteilung von Waren und Dienstleistungen beitragen. Diese Plattformen funktionieren wie ein Zwischenhändler, der alle Vertriebswege unter seine Kontrolle bringt und einfach einen Aufschlag nimmt, um sie zu nutzen, aber sonst nichts beiträgt. Insgesamt treibt das die Kosten in die Höhe. Zuerst haben Handelsplattformen für schnelleren Umschlag gesorgt. Bei sonst gleicher Produktivität sorgt ein höherer Umschlag für eine absolute Zunahme der verkauften Warenmasse und infolgedessen mehr Profit, aber all das wirkt verstärkend auf die Überakkumulation, denn mehr Gewinn drängt auf mehr Produktion, die nicht entsprechend ausgeweitet werden kann, wenn es an Absatzmöglichkeiten mangelt.
Diese Prozesse waren zudem nicht ausreichend, um die Weltwirtschaft am Laufen zu halten. Es gab eine Steigerung der Investitionen in Startups von 2012 bis 2015 um 290 Prozent von 45 auf 141 Milliarden US-Dollar, aber das ist nichts im Vergleich mit brachliegendem Kapital von 9000 Milliarden US-Dollar. In 2016 ließ sich die Steigerung nicht fortsetzen und die Summe nahm wieder auf 127 Milliarden US-Dollar ab.9 Es ist davon auszugehen, dass die maßlose Überbewertung der Gewinnerwartungen in der Technologiebranche auch diese Blase zum Platzen bringen wird. Das könnte einen Prozess in Gang setzen, der die Weltwirtschaft erneut in den Abgrund reißt.
Fortschritt in unsere Hand!
Im Angesicht der Offensive des Kapitals und der drohenden Krise setzen Gewerkschaften vor allem auf die Mitgestaltung einer Entwicklung, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegt, zumindest solange, wie die Belegschaften nicht einen Kampf darum führen, tatsächlich Bedingungen auch gegen den Willen der Geschäftsführung durchzusetzen. Das betrifft betriebliche Regelungen wie Schichten, Arbeitsorganisation, Qualifizierungsmaßnahmen ebenso wie tarifliche, also Personalbemessung, Arbeitszeit, Entlohnung und andere Bereiche.
Dennoch gehen vor allem IG Metall und ver.di als größte DGB-Gewerkschaften voran, mit Unternehmerverbänden und der Bundesregierung Gespräche über eine „Arbeitswelt 4.0“ zu führen. PolitikerInnen der Partei DIE LINKE sind da nicht ausgenommen, wie die netzpolitische Sprecherin der Parteifraktion im Bundestag, Halina Wawzyniak, die auf ihrem Blog in Bezug auf das „Weißbuch Arbeit 4.0“ des Nahles-Ministeriums für Arbeit, Migration und Soziales ausführt: die neuen Definitionen sind gut und die alten Antworten überholt.10
Lebenslanges (privatisiertes) Lernen, flexible Arbeitszeitmodelle, Leiharbeit und Individualisierung im Kapitalismus werden kaum in Frage gestellt. Man möchte mitreden und Sozialpartner (politisch und tariflich) sein, somit darf die herrschende Logik nicht grundsätzlich abgelehnt werden.
In der BRD arbeitet nahezu die Hälfte der Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen.11 Das verschlechtert die Ausgangsvoraussetzungen für den Kampf um Verbesserungen und erhöht den Aufwand für die gewerkschaftliche Organisation erheblich. Die Antwort darauf kann nicht in der Mitgestaltung dieser Arbeitsverhältnisse „4.0“ liegen, wie es der DGB mit dem Tarifvertrag Leiharbeit macht, sondern im kollektiven Kampf dagegen.
Personalbemessung unter Kontrolle der Beschäftigten, also die Festlegung, wie viel Arbeitszeit auf welchen Vorgang verwendet wird und massive Arbeitszeitverkürzung sind Möglichkeiten, zu verhindern, dass noch mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit geschleudert werden. Vor allem muss demokratisch entschieden werden, was unter welchen Bedingungen geändert wird, denn der technische Fortschritt ist keine blind wirkende Kraft.
Ein Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung ist nur ein kleines Kampffeld, denn es geht darum, zu entscheiden, was mit der Gesellschaft und allen darin Lebenden geschieht. Um der ökologischen Krise entgegen zu wirken, kann nur Produktion unter gesellschaftlicher Kontrolle mit einem demokratisch gefassten Plan gezielte Schritte ergreifen. Dafür ist ein massives öffentliches Investitionsprogramm für die grundlegende Umstellung der bisherigen Produktion und Verteilung nötig, inklusive einer Forschung, die sowohl öffentlich, als auch demokratisch bestimmt ist.
Alexandra Arnsburg ist Mitglied des ver.di-Landesbezirksvorstands Berlin-Brandenburg (Angabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person) und des SAV-Bundesvorstands. René Arnsburg ist Autor des im Herbst diesen Jahres erscheinenden Buches „Industrie 4.0“ und Mitglied des SAV Bundesvorstands.