„Die SPD korrigiert einen Kardinalfehler“, hört man den Vorsitzenden des DGB, Reiner Hoffmann, frohlocken. Gemeint sind die von Martin Schulz vorgestellten Änderungen bei der Agenda 2010, insbesondere die Einführung vom „Arbeitslosengeld Q“. ver.di-Chef Frank Bsirske bezeichnet die Schulz-Versprechen als „Schritt in die richtige Richtung“.
von Angelika Teweleit, Berlin
So feiern die Gewerkschaftsoberen ihre „neue“ SPD, und man hört fast den Donner, weil ihnen ein riesiger Felsbrocken vom Herzen fällt. Seit der Einführung der Agenda 2010 unter der rot-grünen Schröder-Regierung hatten sie es immer schwerer gehabt, ihren Mitgliedern noch eine Nähe zur SPD zu verkaufen. Die meisten KollegInnen fühlten sich im wahrsten Sinne des Wortes „verraten und verkauft“ durch den größten Katalog neoliberaler Maßnahmen in der Geschichte, ausgerechnet unter einem SPD-Kanzler. Nun kommt einer daher, der meint, „er habe verstanden“ und sofort wird in den Reihen der Spitzenfunktionäre der DGB-Gewerkschaften aufgeatmet.
In Wahrheit nichts Neues
Dabei gibt es in Wahrheit nichts Neues an der SPD. Alles, was wir gerade sehen, ist der Versuch der SPD, mit einem neuen Gesicht und sozialem Anstrich Zugewinne zu machen. Dabei müssen sie natürlich auf die Unterstützung der Gewerkschaftschefs setzen. Die sind nur allzu bereit, die leeren und unzureichenden Reformversprechen des Martin Schulz als heilsbringend hinzustellen. So bezeichnet Reiner Hoffmann die Aussagen von Schulz auch als „richtige Strategie“, um die AfD zu stoppen, weil er auf die sozialen Themen setze (siehe Osnabrücker Zeitung 4.3.17). Darin steckt natürlich ein wahrer Kern. Trotzdem reicht es auf lange Sicht nicht, einfach nur die Themen zu setzen, wenn man es nicht ernst meint. Wenn die Gewerkschaftschefs jetzt so tun, als ob man dem Glauben schenken kann, was Schulz von sich gibt, werden sie die spätere Enttäuschung zu spüren bekommen. Wichtiger wäre, einen Weg aufzuzeigen, wie soziale Verbesserungen tatsächlich durchgesetzt werden können.
Politik des kleineren Übels
Doch ist nicht ein Martin Schulz besser als die Fortsetzung von Merkel? Und wäre nicht eine wirkliche Änderung der Politik möglich, wenn gar eine rot-rot-grüne Regierung an die Macht käme? Das fordert das IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban. Er stellt über eine solche Option sogar einen „fundamentalen Systemwechsel“ in Aussicht (siehe Welt N24 15.1.17). Doch mit SPD und Grünen wird es eine Fortsetzung der Politik geben, die zuallererst an den Interessen und Forderungen der Banken und Konzerne ausgerichtet ist. Das zeigt nicht zuletzt die von der jetzigen Koalition geplante Gesetzesänderung, die eine Schaffung einer Fernstraßengesellschaft vorsieht. Entgegen aller Behauptungen der SPD-Führung wird hiermit die Privatisierung der Autobahnen vorbereitet. Laut der SPD-Linken Gerlinde Schermer bedeutet es den „bislang gewaltigsten Ausverkauf der öffentlichen Daseinsvorsorge“ (siehe junge welt 14.3.17).
Veränderung durch Bewegung
In den Gewerkschaften hat sich die Logik festgesetzt, dass es politische Veränderung nur über das parlamentarische System gibt. Den Gewerkschaften selbst bleibt angeblich nur der Verteilungskampf in den Tarifauseinandersetzungen und Lobbyarbeit. Damit begrenzt man aber die Möglichkeiten, die Millionen von Gewerkschaftsmitgliedern eigentlich hätten. Eine Reform wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall konnte nur durch einen politischen Streik durchgesetzt werden. Angesichts der realen Probleme, die für die Arbeiterklasse im „Turbokapitalismus“ bestehen, wäre eigentlich nötig, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen mithilfe von Massenmobilisierungen auf die Tagesordnung setzen und dafür kämpfen, anstatt auf vage Aussagen einer SPD zu setzen, die wahrhaft lange genug gezeigt hat, dass sie nicht mehr auf der Seite der Beschäftigten steht.
Politische Vertretung der Arbeiterklasse nötig
Ohne politische Interessenvertretung kann das jedoch nicht auf Dauer erfolgreich sein. Hier muss der Kampf in den Gewerkschaften um den vollständigen Bruch mit der SPD geführt werden. Die enge Verbindung der Gewerkschaftsoberen mit der SPD bedeutet in der Praxis, dass so genannte Sparzwänge akzeptiert werden, anstatt konsequent zu mobilisieren. Um dieser Politik des Co-Managements etwas entgegenzusetzen, ist es nötig, sich von unten zu vernetzen und kämpferische Ansätze zu stärken. Teil davon sollte sein, in den Gewerkschaften auch die Diskussion über den massenhaften Aufbau einer politischen Interessenvertretung zu diskutieren, die im Interesse von Beschäftigten, RentnerInnen, Erwerbslosen handelt. Hier sollte der Schulterschluss mit der LINKEN, der einzigen Partei, die den Anspruch hat, die Belange der arbeitenden Bevölkerung an erste Stelle zu setzen, gesucht werden.
Für Forderungen mobilisieren
Es gibt zentrale Forderungen, mit denen sich die sechs Millionen DGB-Mitglieder identifizieren könnten, und über die weitere Millionen von Beschäftigten inspiriert würden, sich zu beteiligen. Anstatt Illusionen in die SPD zu schüren, sollten die Gewerkschaften für Forderungen mobilisieren, die eine wirkliche Verbesserung für die Mehrheit der Arbeiterklasse bedeuten. Anstelle von fraglichen Versprechen für unzureichende Agenda-Reformen könnten sie für die Abschaffung der Agenda 2010 mobilisieren, für die deutliche Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro, die Beendigung prekärer Beschäftigung und für die Rente ab sechzig. Die Tarifbewegung für mehr Personal in Krankenhäusern, die ausgehend von KollegInnen an der Berliner Charité inzwischen in anderen Kliniken in der Republik aufgegriffen wurde, könnte durch eine breite Solidaritätsbewegung von den DGB-Gewerkschaften begleitet und zu einer gesellschaftspolitischen Bewegung gemacht werden. Solche kämpferischen Ansätze könnten inspirierend für viele Gewerkschaftsmitglieder sein, aktiv zu werden und für viele Nicht-Organisierte ein Anreiz sein, in die Gewerkschaft einzutreten. Das wiederum könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, um rechte Kräfte wie die AfD einzudämmen und den Aufbau einer massenhaften politischen Interessenvertretung der Arbeiterklasse helfen.