Gender pay gap: Frauen verdienen 79 Prozent

„Das ist Kapitalismus“

Frauen bekommen in Deutschland im Schnitt 21 Prozent weniger Lohn als Männer. Auf ein Jahr umgerechnet bedeutet diese „Gender Pay Gap“, dass Frauen 97 Tage länger arbeiten müssten, um das Jahresgehalt eines Mannes zu erhalten.

von Aleksandra Setsumei, Aachen

Als Frauen im 19. Jahrhundert damit begannen, in Manufakturen und Fabriken zu arbeiten, bekamen sie einen Bruchteil vom Lohn der Männer. Die Begründung damals lautete, dass die Familie vom Mann unterhalten wird, während die Frau neben ihrer täglichen Hausarbeit nur etwas „dazu verdiene“. Außerdem konnten die Fabrikbesitzer diesen Umstand nutzen, um die Arbeit der Männer abzuwerten und auch ihren Lohn zu senken. Heute behauptet kaum jemand, dass eine Familie nur durch den Mann finanziert werden soll. Trotzdem werden Frauen deutlich schlechter bezahlt. In Deutschland liegt die Lohndifferenz bei 21 Prozent – in Westdeutschland sogar bei 23 Prozent. Zum Teil entsteht der Unterschied dadurch, dass Frauen öfter in prekären Verhältnissen arbeiten, von Teilzeitjobs und Leiharbeit betroffen sind. Aber selbst bei gleichem Beruf und gleicher Qualifikation bleibt ein Lohnunterschied von acht Prozent. Die Gender Pay Gap unterscheidet sich von Branche zu Branche, aber es gibt keinen Beruf, in dem Frauen mehr oder gleich viel Lohn erhalten.

Warum manche Arbeit schlechter bezahlt wird

Der durchschnittliche Stundenlohn in Berufen, in denen siebzig Prozent oder mehr der Beschäftigten Frauen sind, beträgt zwölf Euro. Im Gegensatz dazu liegt er in Berufen, in denen Männer deutlich überrepräsentiert sind, bei zwanzig Euro. Auch in Berufen, die eine vergleichbare Ausbildungsdauer haben, wie zum Beispiel SozialarbeiterInnen und TechnikerInnen, bleibt die Differenz erhalten. So verdienen SozialarbeiterInnen im Schnitt 16 Euro brutto pro Stunde, während TechnikerInnen durchschnittlich mit 29 Euro Stundenlohn entlohnt werden.

Die meisten der „frauentypischen“ Berufe sind soziale Berufe wie ErzieherIn oder PflegerIn. Diese Berufe werden oft als „leicht“ oder „nicht fordernd“ dargestellt. Außerdem befinden sich die Beschäftigten dieser Berufe in schlechter Verhandlungsposition in Arbeitskämpfen. Da sie keine Waren produzieren, können sie nur wenig wirtschaftlichen Druck durch Streik erzeugen. Außerdem wird ihnen vorgeworfen, ihre Forderungen auf dem Rücken von Schwachen und Bedürftigen auszutragen.

Fakt ist, dass die Arbeitgeber kein Interesse daran haben, gleiche Löhne zu zahlen. Sie wollen die Arbeit so niedrig wie möglich entlohnen und profitieren von der Spaltung von Männern und Frauen bei Lohn und Gehalt. Wenn sie eine Rechtfertigung haben, weniger zu zahlen – sei es aufgrund von sexistischen Vorurteilen, wenig Anerkennung für den Beruf oder einem niedrigen gewerkschaftlichen Organisierungsgrad – werden sie sie ausnutzen.

Doppelbelastung

Im Schnitt verbringen Frauen täglich 164 Minuten mit – natürlich unbezahlter – Hausarbeit, Männer dagegen neunzig Minuten. Auch Kindererziehung und Pflege von Familienangehörigen lasten vorwiegend auf Frauen. Durch diese häusliche Belastung ist es für viele Frauen nicht möglich, voll berufstätig zu sein. Außerdem ist ein Wiedereinstieg ins Berufsleben schwierig. Das sind die Ursachen dafür, dass Frauen viel öfter in Teilzeit oder in schlecht bezahlten, wenig qualifizierten Jobs landen, statt ihren erlernten Beruf auszuüben.

Die Folge dieser prekären Beschäftigung ist eine finanzielle Abhängigkeit der Frau von ihrem Partner. Grundlage für eine Gleichbehandlung der Frauen ist finanzielle Unabhängigkeit. Deswegen gehört der Kampf für gleiche Bezahlung und Entlastung von Hausarbeit zum Kampf um Frauenbefreiung.

„Das nennt man Kapitalismus“

Das Mantra des Kapitalismus lautet: Da die Gleichberechtigung längst erreicht sei, läge es jetzt an den Frauen, sich in der Konkurrenzgesellschaft durchzusetzen. Wenn sie es nicht schaffen, läge es an ihnen. Diese Begründung erhielt die ZDF-Reporterin Birte Meier, als ihre Klage vom Gericht abgelehnt wurde. Sie hatte gegen ihren Arbeitgeber geklagt, weil er ihr weniger als ihren männlichen Kollegen zahlte. Das Gericht rechtfertigte die Entscheidung mit der Vertragsfreiheit, der Basis der freien Marktwirtschaft. Wenn Männer besser verhandeln können, verdienen sie mehr. „Das nennt man Kapitalismus“ – fasste der Richter zusammen. Wenn ihnen die Bezahlung oder Arbeitsbedingungen nicht gefallen, können sie das Arbeitsverhältnis ablehnen. Damit wird die strukturell sexistische Diskriminierung in der Entlohnung bestritten. Doch wie sollen sich Frauen, in individuellen Lohnverhandlungen besser durchsetzen, wenn es normal ist, dass Arbeitgeber Frauen weniger Lohn zahlen?

Kapitalismus abschaffen

Die Gender Pay Gap ist nichts anderes als sexistische Diskriminierung. So werden Frauen besonders hart im kapitalistischen System ausgebeutet. Durch die dazu kommende Hausarbeit werden sie in doppelter Weise belastet. Für eine Gleichbehandlung von Frauen zu kämpfen, bedeutet auch für gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit zu kämpfen. Wenn der Kapitalismus sich gleiche Löhne nicht leisten kann, können wir uns dieses System nicht mehr leisten.