Auf wen gezielt und wer getroffen wird
Nach dem schrecklichen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt Ende letzten Jahres sind Verunsicherung und Angst weiter gewachsen. Wie können solche Taten verhindert werden? Bringen die von Innenminister de Maizière und der Bundesregierung geplanten Maßnahmen mehr Sicherheit?
von Svenja Jeschak, SAV Dortmund
Bundesinnenminister de Maizière und Bundesjustizminister Maas planen unter anderem erleichterte Voraussetzungen für die Abschiebehaft (bis zu 18 Monate), Fußfesseln für „Gefährder“ und die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Fluggastdatenspeicherung. Hinzu kommt der Plan von Angela Merkel und Sigmar Gabriel mehr Polizei einzusetzen und die Überwachung im öffentlichen Raum zu verschärfen.
Dabei werden Rechtsnormen weiter ausgehöhlt. Menschen werden nicht mehr aufgrund von konkreten Hinweisen und Beweisen in ihrer Freiheit eingeschränkt, sondern schon aufgrund von „Annahmen“. Es ist daher unvermeidlich, dass diese Maßnahmen meist völlig unschuldige Menschen treffen werden. Prinzipien, wie das der Unschuldsvermutung, wurden aber einst erkämpft, gerade um Schutz vor obrigkeitsstaatlicher Willkür zu bieten.
Werden diese Maßnahmen mehr Sicherheit vor Terroranschlägen bringen? Terroristen sind offensichtlich zu allem bereit. Einige Attentäter posierten absichtlich vor oder nach ihren Anschlägen vor Überwachungskameras. Einer der beiden Terroristen, die im Sommer in Nordfrankreich einen Pfarrer ermordeten, trug eine elektronische Fußfessel.
Außerdem: Gehört der Schutz vor Nazi-Terror etwa nicht zur „Inneren Sicherheit“? Doch die NPD wird nicht verboten, sondern darf weiter ihr Unwesen treiben, obwohl die Partei mit ihrer Hetze rechten Terror fördert und wiederholt NPD-Mitgliedern Beteiligung an Anschlägen nachgewiesen wurden.
Demokratieabbau statt Sicherheit
Fanatische Terroristen sind durch mehr Polizei nicht aufzuhalten. Das zeigt das Beispiel Frankreich. Nach dem Attentat auf die Zeitschrift Charlie Hebdo in Paris wurde die Anzahl an PolizistInnen deutlich erhöht, dennoch konnten weitere Terrorangriffe nicht verhindert werden.
Bleibt man beim Beispiel Frankreich, sieht man auch wie die Verschärfung von mehr Überwachung auf Linke und auf die Arbeiterbewegung zurückschlagen kann. Im November 2015 wurde nach Terroranschlägen der Ausnahmezustand ausgerufen (und mehrfach bis Anfang diesen Jahres verlängert). Die geplanten Massenproteste anlässlich des Klimagipfels Ende 2015 in Paris wurden mit Verweis auf den Ausnahmezustand verboten.
In dieselbe Zeit fiel die Verabschiedung der neuen Arbeitsgesetze, mit dem die Arbeitszeiten verlängert, die Arbeitsbedingungen verschlechtert und die Rechte der Beschäftigten beschnitten wurden. Vielfach wurde gegen Streiks und Proteste gegen die Arbeitsgesetze seitens der Polizei härter vorgegangen als ohne die Ausnahmegesetze möglich gewesen wäre.
Das zeigt, dass der Abbau demokratischer Rechte immer auch zu staatlicher Repression genutzt werden kann. Wir leben in einer Klassengesellschaft, in der der Staatsapparat letztendlich die Machtinteressen der Herrschenden durchsetzt. Die sind daran interessiert den Kapitalismus, die Quelle ihre Profite und Privilegien, am Leben zu erhalten. Gerät dieses System ins Wanken, können Überwachungsmaßnahmen immer gegen die Arbeiterklasse verwendet werden.
Woher kommt der Terror?
Neue Attentate drohen so lange, wie die Grundlage dafür fortbesteht. Der so genannte Islamische Staat (IS) ist stark geworden durch die Kriege, die gegen islamisch geprägte Länder geführt wurden und werden, durch die wirtschaftliche Ausbeutung dieser Länder, durch Waffenlieferungen an Staaten wie Saudi Arabien, aus denen der IS unterstützt wird. Die permanente Demütigung und pauschale Verleumdung von Menschen muslimischen Glaubens, einhergehend mit Armut und Sozialabbau, düngt ebenfalls den Boden, aus dem der Terror dann erwächst. All das geschieht ausgehend von oder mit Unterstützung durch westliche Staaten. Unter diesen Umständen wird es keine Sicherheit vor Anschlägen geben. Die Ursachen von Terror müssen bekämpft werden.
In den vergangenen Jahren, beginnend mit dem „Anti-Terror-Gesetzen“ nach dem 11. September 2001, sind immer neue Gesetze erlassen worden, die die staatliche Überwachung erweitern, Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten ausbauen und demokratische Rechte abbauen. Aber was ist das Ergebnis? Können wir uns heute sicherer fühlen?
Und geht es beim Thema Sicherheit und Schutz von Leben eigentlich vor allem um Terrorismus? Betrachtet man sich die Statistiken, wie viele Menschen durch Autounfälle oder durch medizinische Unterversorgung in Krankenhäusern sterben, stellt man fest, dass die Zahl der Toten um ein Vielfaches höher ist, als bei Terroranschlägen. Diese Tatsache macht Terroranschläge nicht weniger schrecklich, aber wenn es tatsächlich darum ginge, Menschenleben zu retten, dann müsste auch über den Ausbau von Bus und Bahn gesprochen werden, dann müssten mehr Personal in den Krankenhäusern eingestellt werden.
Was können wir machen?
Wir können nicht auf einen Staat vertrauen, der Überwachung in Form des Verfassungsschutzes dazu nutzt, jahrelang eine rechte Terrororganisation wie den NSU zu schützen oder der tagtäglich nach eigenem Dafürhalten „nicht deutsch aussehende“ Menschen an Bahnhöfen mit Ausweiskontrollen schikaniert. Der Abbau demokratischer Rechte und der Ausbau staatlicher Überwachungsmaßnahmen kann sich schnell gegen alle richten, die gegen die bestehenden Verhältnisse aufbegehren. Der Wahnsinn des Terrors hat eine rationale Grundlage in den hoffnungslosen Lebensverhältnissen von Millionen Menschen. In einer Welt, in der es keinen Hunger, Armut, Krieg und Rassismus gäbe, würde es auch keinen Terror geben. Wir brauchen eine internationale Bewegung von allen Menschen unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht und Religionszugehörigkeit für soziale Verbesserungen für alle Menschen, gegen Imperialismus und Krieg.
Nur durch den gemeinsamen Kampf von ArbeiterInnen, Jugendlichen und Erwerbslosen kann die Spaltung und Gefahren durch die Kräfte des rechten politischen Islam und durch Rassisten überwunden werden.