Solidarität statt Hass und Terror
Am Sonntag vor einer Woche erschoss ein Angreifer während des Abendgebets in einer Moschee in Québec sechs menschen und verletzte viele weitere.
Der Täter, ein junger Kanadier, glaubt an die Vorherrschaft der weißen Rasse und hetzte schon seit langem auf sozialen Netzwerken gegen Muslime und Frauen.
Von Marit Knigge, derzeit in Saint John, Kanada
Nach dem terroristischen Anschlag gab es mehrere große Solidaritätskundgebungen mit tausenden TeilnehmerInnen, die sich auch gegen Vorurteile und Rassismus richteten. Alle waren schockiert, auch in Saint John. Sonst gibt es hier nur einmal im Jahr zum Gay Pride Tag eine Parade, doch diesmal gab es auch eine Kundgebung mit mehreren hundert TeilnehmerInnen in Solidarität mit den getöteten Muslimen und ihren Familien. Die Kleinstadt unweit der US-amerikanischen Grenze ist sehr arm, die Menschen sind mit sich selbst beschäftigt. Noch vor wenigen Wochen war der Premier Minister, Justin Trudeau, in Saint John zu Besuch, den viele hier auf Grund seiner vermeintlich „offenen“ Flüchtlingspolitik kritisieren. Kürzungen bei der Arbeitslosenversicherung und bei der Sozialhilfe, sowie die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse lassen die Menschen sich vernachlässigt fühlen, sie suchen nach Gründen für Ihre Misere. Einige sehen die Ursache in Trudeaus Politik und den ankommenden Geflüchteten.
Angstmache in den Medien
Bestärkung könnte dem Täter auch Trumps Einreisestopp für Muslime in die USA von letzter Woche gegeben haben.
Während bei Angriffen durch Muslime sofort eine Angstkampagne von PolitikerInnen und Medien gestartet wird, werden rechte Mörder oft als durchgeknallte Einzeltäter dargestellt.
Nachdem ein Soldat von einem Kanadier, der in Kontakt mit islamistischen Extremisten stand, in Ottawa vor dem Parlament 2014 erschossen wurde, berichteten verschiedene Quellen von einer Verzehnfachung der Beschwerden über Angriffe und Beleidigungen von weißen Kanadiern gegen Muslime. Die kanadische Regierung schlug sofort ein Anti-Terror-Gesetz vor, welches erlaubt, Menschen nur auf Verdacht hin festzunehmen.
In den vergangenen Jahren und besonders in den letzten Monaten kam es immer wieder zu Verwüstungen von Moscheen, sogar zu Brandanschlägen. Die Partei Québécois konnte zwischenzeitlich in einer Minderheitsregierung das Tragen von nicht-christlichen religiösen Symbolen verbieten, wurde 2014 auch aufgrund ihrer Anti-Muslim-Politik abgewählt.
„Einreiseparadies“ Kanada
Immer wieder wird Kanada dafür gelobt, Flüchtlinge mit offenen Armen zu empfangen, religiöse Toleranz zu leben und MigrantInnen vom ersten Tag an beim Übergang in ihren neuen Alltag zu begleiten. Von den 765.000 EinwohnerInnen Québecs identifizieren sich rund 6700 als Muslime. Landesweit machen Muslime 3,2 Prozent der Bevölkerung aus und stellen damit nach ChristInnen die größte Glaubensgemeinschaft. Kanada hat 40.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Die Mutter meiner Freundin ist die „Partnerin“ einer syrischen Familie, die vor einem halben Jahr nach Kanada kam. Sie genießt die Zeit mit Ihnen sehr und hilft der Familie, wo auch immer sie kann. Geflüchtete finden hier Arbeit, werden angestellt als KöchInnen, FriseurInnen, einige arbeiten sogar als ÄrztInnen.
So oder so dürfte die Tat rechten Gruppen wie Atalante Québec, La Meute und den Soldaten Odins, die anti-islamische Parolen verbreiten und Stimmung gegen Einwanderer machen, in die Karten spielen, da sie Trudeaus „verfehlte“ Einwanderungspolitik für alles verantwortlich machen. Auch in meiner Schule, die größtenteils tolerant ist, gibt es die Gruppe der „Trump-Supporter“. Die Leute, die bei politischen Debatten Sätze wie, „Wir sollten keine Muslime mehr ins Land lassen. In Europa haben die schon den Terror. Wenn wir so weiter machen, ist der auch bald bei uns.“ oder „Islam ist die Religion des Terrors,“ bringen.
Mehr Unsicherheit
International nehmen terroristische Anschläge durch den so genannten „Islamischen Staat“ oder andere zur Zeit zu und verunsichern viele Menschen. Das kapitalistische System ist in einer tiefen Krise. Es untergräbt jegliche Zukunftsperspektiven und führt zur Herausbildung von Terrorismus und anderen Formen von Gewalt. Wir können Regierungen, die durch Sozialausgaben kürzen und Kapitalisten helfen, Löhne zu drücken und damit die Flamme der Gewalt nähren, nicht vertrauen, dass sie den Terrorismus bekämpfen werden, nur weil sie das Ausbrechen des Feuers beweinen. Auch Trump schickte seine Mitleidsgrüße an Kanada während er gleichzeitig Muslime an Flughäfen einsperren ließ.
Staatlicher Rassismus
Die kanadische Regierung verfolgt auf der anderen Seite eine rassistische Politik zum Beispiel gegenüber der indigenen Bevölkerung, die in Reservate gesperrt und völliger Armut ausgesetzt wird. Es gibt auch viele Fälle, bei denen die Polizei Gewalt an Indigenen, insbesondere an jungen Frauen, nicht verfolgt oder es sogar Fälle gibt, wo Polizisten selbst die Täter waren oder Opfern nicht geholfen wurde, wie in dem Fall der 15jährigen Tina Fontaine, der 2015 Massenproteste auslöste.
Der Gewalt ein Ende setzen
Im Kapitalismus werden Informationen über Anschläge bewusst genutzt, um uns gegeneinander aufzuhetzen, um uns das Gefühl zu vermitteln, wir wären Feinde. Der wahre Feind jedoch steht an der Spitze von Regierungen und Konzernen und er versucht bitterlich, verschiedenen Kulturen, negative Attribute anzuheften, um sie böse und gefährlich aussehen zu lassen, damit wir ja nicht auf die Idee kommen, uns mit ihnen zu vereinen und gegen kapitalistische Regierungen und Konzerne zu kämpfen. Ob Brüssel, Berlin, Paris, Istanbul, Ankara oder Québec. Terror ist Terror – ob von rechts oder dem Islam, dem Christentums oder von Atheisten. Lasst uns den Kapitalismus stürzen, um dem Terror den Nährboden zu nehmen!