Interview mit Jan von Hagen, Gewerkschaftssekretär bei ver.di NRW, Fachbereich 3
An der Berliner Charité wurde mit dem Kampf für mehr Personal und Tarifvertrag für Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung ein Meilenstein gesetzt. Unter dem Motto „Tarifvertrag Entlastung“ wird in ver.di nun vielerorts diskutiert, wie KollegInnen unterschiedlicher Berufsgruppen in anderen Kliniken daran anknüpfen können. Neben dem Saarland werden jetzt auch in NRW in vielen Krankenhäusern Auseiandersetzungen vorbereitet.
Welche Schlussfolgerungen ziehst du aus dem Kampf der KollegInnen an der Berliner Charité? Inwiefern können die dort gesammelten Erfahrungen Vorbild für eine bundesweite Tarifbewegung sein?
Die Auseinandersetzung an der Charité hat für mich vor allem zweierlei gezeigt. Zum einen, dass Krankenhausbeschäftige und insbesondere die größte dortige Berufsgruppe, die Pflegenden, bereit sind, für ihre Arbeitsbedingungen in den Konflikt mit ihrem Arbeitgeber zu gehen, bis hin zum Streik. Die dort gemachte Erfahrung, dass KollegenInnen sich auch in helfenden oder sozialen Berufen für ihre Rechte einsetzen und gemeinsam auch nach Rückschlägen weiter kämpfen, finde ich sehr wertvoll. Ein Mobilisierungsinstrument war betriebliche Bildungsarbeit in den Bereichen und auf den Stationen. Hier haben die Aktiven den Beschäftigten aufgezeigt, warum die Arbeitsbedingungen in diesem Finanzierungssystem zwangsläufig schlecht sind und dass die Defizite der Refinanzierung gar nicht individuell kompensierbar sind, egal wie oft man einspringt oder wie viele Überstunden man noch leistet. Dieses erweiterte Verständnis war sicher einer der Schlüssel zum Erfolg. Neben der Strategie des Betten- und Stationsschließungsstreiks, hat mich vor allem die konsequente Einbeziehung der Belegschaft in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse über das TarifberaterInnenmodell überzeugt. Der Gedanke, dass wir in den Betrieben nur durchsetzungsfähig sind, wenn wir gut in möglichst allen Bereiche vernetzt sind, ist ja nicht neu und war auch der Hintergrund klassischer gewerkschaftlicher Vertrauensleutestrukturen. Diese sind aber in den meisten Betrieben im Gesundheitssystem auf Betriebs- oder Aktivengruppen zusammengeschmolzen, die lange nicht mehr alle Bereiche abdecken. Mit dem TarifberaterInnensystem haben wir ein neues Instrument in der Hand, über das KollegenInnen sich aktiv einbringen können und diese Möglichkeit auch nutzen, weil sie nahe dran sind am Geschehen „ihrer“ Tarifauseinandersetzung.
Welche Rückmeldungen bekommst du auf den ver.di-Versammlungen in NRW zum Thema? Wie sehen die Vorstellungen der Mitglieder aus?
In NRW haben mittlerweile ca. 400 Beschäftigte aus über 100 Krankenhäusern an betrieblichen oder regionalen Auftaktveranstaltungen zum Tarifvertrag Entlastung teilgenommen. Darunter auch viele aus kirchlichen Krankenhäusern, was in NRW wichtig ist, weil sich zwei Drittel der NRW-Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft befinden. Das Interesse an dem, was an der Charité und aktuell im Saarland passiert ist riesengroß und die KollegenInnen diskutieren sehr aktiv auf den Versammlungen. Auffällig ist, das die Beschreibung der Belastungssituationen und auch die konkreten Forderungen sich auf allen Veranstaltungen sehr ähneln, fast unabhängig davon, ob es sich um Beschäftigte aus öffentlichen, privaten oder kirchlichen Krankenhäuser handelt. Allein dies festzustellen und zu merken, dass man nicht allein ist und es viele Menschen im Land gibt, die an der Belastung etwas ändern wollen, gibt Mut und Motivation. In allen Regionen ist vereinbart worden, sich auch weiter überbetrieblich zu vernetzen und in Richtung Tarifverträge für mehr Personal und verlässliche Arbeitszeiten zu mobilisieren. Es gibt einen großen Konsens für die zentrale Forderung nach mehr Personal, ohne das alle anderen Regelungen z.B. zur Sicherstellung von verlässlichen Arbeitszeiten für nicht realisierbar gehalten werden. Und hier schließt sich der Kreis, da wir in der Auseinandersetzung um Tarifverträge natürlich nicht den Gesetzgeber aus der Verantwortung lassen. Es gibt eine hohe Motivation in den Auftaktveranstaltungen, jetzt Druck zu machen. Und weiter für eine gesetzliche Personalbemessung, die für alle Krankenhäuser in Deutschland gute Arbeitsbedingungen und ausreichend Personal sicherstellt, zu kämpfen.
Was sind die weiteren Pläne von ver.di, um die neue Entlastungs-Kampagne aufzubauen?
In den Krankenhäusern ist der nächste Schritt, mit den Beschäftigten die Belastung und konkrete Entlastungsforderungen zu diskutieren und TarifberaterInnen zu gewinnen. Überbetrieblich gibt es in vielen Städten und Regionen NRWs Vernetzungstreffen der Aktiven, die die Erfahrungen aus den einzelnen Kliniken austauschen und gemeinsame Aktionen planen und durchführen werden. Parallel dazu entstehen verschiedene städtische oder regionale Bündnisse, um die Tarifauseinandersetzungen zu unterstützen und die Diskussion auch spürbar in die Öffentlichkeit und den politischen Raum zu tragen, so wie es das Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ in Berlin gemacht hat. Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege sind halt nicht nur ein Thema von Beschäftigten, sondern gehen alle an. JedeR ist potentiell PatientIn oder AngehörigeR und angewiesen auf eine gute gesundheitliche Versorgung. Ein zentrales Mittel der Bündnisarbeit wird der „Nordrhein-Westfälische Appell für mehr Personal im Krankenhaus“ sein, unter dem wir landesweit Unterschriften sammeln und den jedeR unterstützen kann. Am 29. April 2017 findet dann als nächster Meilenstein in NRW in Oberhausen unsere landesweite Entlastungskonferenz mit Aktiven aus allen Betrieben statt.
An einigen Universitätskliniken in NRW bereiten sich die KollegInnen bereits jetzt auf eine Auseinandersetzung vor. Was sind dort die nächsten Schritte für Entlastung und mehr Personal?
An den Unikliniken in NRW findet aktuell die normale Entgelttarifrunde statt. Diese nutzen wir natürlich auch für die Mobilisierung für einen Tarifvertrag Entlastung. Dort gewinnen wir gerade weitere TarifberaterInnen und beginnen diese zu schulen und zu vernetzen, um für die Tarifauseinandersetzung gut und durchsetzungsfähig aufgestellt zu sein. Sehr schnell im Anschluss an die Tarifrunde wird es dann losgehen mit betrieblichen Aktionen für einen Tarifvertrag Entlastung für die sechs Unikliniken in NRW in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster.
Das Gespräch führte Sebastian Förster.