Teil 3: Die AfD ist keine Vertretung der „kleinen Leute“
Viele Erwerbslose und ArbeiterInnen trauen althergebrachten politischen Kräften nicht mehr zu, die Probleme zu lösen. Die AfD aber würde alles noch viel schlimmer machen. Ihr radikal unsoziales politisches Programm kaschiert sie mit Stimmungsmache gegen Geflüchtete und Muslime und Schüren von Sozialneid.
von Charlotte Claes, Berlin
Käme die AfD dazu, ihre „mutigen“ Vorstellungen zum „Wohle Deutschlands“ umzusetzen, würde das für den Großteil der Bevölkerung eine krasse Verschlechterung des Lebensstandards bedeuten. Eine Übersicht:
Reiche entlasten
Die AfD beharrt darauf, die Schuldenbremse umzusetzen, fordert Unternehmen und Reiche steuerlich zu entlasten:
„Die AfD will die derzeit zur Erhebung ausgesetzte Vermögenssteuer und die Erbschaftssteuer abschaffen.“
„Analog zur Schuldenbremse wollen wir eine verbindliche Steuer- und Abgabenbremse im Grundgesetz.“ „Die AfD strebt die Rückkehr zu ausgeglichenen Staatshaushalten an. Sie befürwortet die schrittweise Rückführung der ausgeuferten öffentlichen Verschuldung. Nachfolgenden Generationen sollen nicht die Folgen der bisherigen kurzsichtigen Schuldenpolitik auferlegt werden.“
Es sei außerdem eine „Überprüfung der Gewerbesteuer vorzunehmen“, die die Haupteinnahmequelle vieler Kommunen ist. Die AfD-Vorschläge führen dazu, dass lokale Unternehmen entlastet und arbeitende Menschen stärker belastet werden.
Stattdessen würde eine zehnprozentige Millionärssteuer, eine drastische Besteuerung von Unternehmensgewinnen und eine angemessene Besteuerung von Erbschaften zu einer gerechteren Verteilung von Reichtum und Wohlstand in der Bevölkerung führen.
Sozialversicherungen
Die AfD hält von öffentlichen Sozialversicherungen nicht besonders viel. Noch bis zum Sommer hatte sie die Idee, die Arbeitslosenversicherung einfach zu privatisieren und die gesetzliche Unfallversicherung ganz abzuschaffen. Nun erklärt sie schwammig, eine am „Leitbild Familie“ orientierte „Reform der sozialen Sicherungssysteme“ sei notwendig. ALG II soll ersetzt werden durch eine euphemistisch genannte „aktivierende Grundsicherung“:
„Dabei schmilzt der staatliche Unterstützungsbetrag der Grundsicherung mit wachsendem Einkommen immer weiter ab, bis ab einem bestimmten Einkommen Einkommensteuer zu entrichten ist, statt einen staatlichen Unterstützungsbetrag zu erhalten. Das erzielte Einkommen soll nicht wie bisher vollständig mit dem Unterstützungsbetrag verrechnet werden. Stattdessen verbleibt dem Erwerbstätigen stets ein spürbarer Anteil des eigenen Verdienstes. Dadurch entsteht Arbeitsanreiz. Wer arbeitet, wird auf jeden Fall mehr Geld zur Verfügung haben als derjenige, der nicht arbeitet, aber arbeitsfähig ist (Lohnabstandsgebot). Missbrauchsmöglichkeiten sind auszuschließen.“
Viele Punkte bleiben unklar, nach einer sozialeren Absicherung klingt das aber nicht. Die AfD unterstellt mit ihrer Formulierung, Erwerbslose würden deshalb nicht arbeiten, weil sie zu faul seien. Was da zu erwarten ist, wird nicht ausgeführt: Was sieht die AfD bezüglich der Höhe und Dauer der Leistungen vor? Was sagt sie zu den menschenverachtenden Sanktionen gegen „arbeitsverweigernde“ EmpfängerInnen? Sollen Aufstocker-Innen und geringfügig Beschäftigte bald auch noch Steuern zahlen?
Erwerbslosigkeit entsteht durch zu wenige Stellen am Arbeitsmarkt – dafür können nicht die Betroffenen selbst verantwortlich gemacht werden. Zur Bekämpfung von Armut wäre eine technisch längst machbare Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und eine durch Reichensteuern finanzierte Mindestsicherung notwendig. Erwerbslose mit „Arbeitsanreizen“ weiter zu drangsalieren und zu schröpfen schafft keine Arbeitsplätze.
Rentenalter und Mindestlohn
Gleichzeitig soll das Renteneintrittsalter erhöht werden. Die Vorsitzende Petry sagte dazu:
„An einer weiteren Verlängerung der Lebensarbeitszeit führt daher kein Weg vorbei. Das ist brutal, genauso, dass man vermutlich über eine weitere Kürzung der Renten wird reden müssen. Wir brauchen auch einen stärkeren innerfamiliären Zusammenhalt zur Entlastung des Sozialstaats.“ 1
Noch vor einigen Monaten sprachen AfD-Pressemitteilungen vom Mindestlohn als „Jobkiller“. Ins Programm aufgenommen wurde er wohl als Zugeständnis an die öffentliche Stimmung nun doch – aber ohne Angabe zur Höhe.
Frauen
Auch die Pflege kranker Angehöriger und die Betreuung kleiner Kinder soll stärker auf Privathaushalte abgewälzt werden, was bedeutet, Frauen noch intensiver auszubeuten und zu belasten:
„Die individuelle häusliche Pflege muss zu einem Hauptbestandteil sozialer Sicherungssysteme werden.“
„Das politische Leitbild der voll berufstätigen Frau“ soll durch eins der „Mutter und Hausfrau“ und „traditioneller Geschlechterrollen“ ersetzt werden.
Frauen werden oft schlecht bezahlt, leisten dazu zu Hause unentgeltliche Arbeit in der Haushaltsführung und Erziehung der Kinder, später die Pflege der erkrankten Eltern. Statt nebulöse „Förderungen“ der Erziehung zu Hause zu versprechen, sollten die Erziehung und Pflege stärker sozialisiert und von öffentlichen Trägern übernommen und „Frauenberufe“ aufgewertet werden, um Frauen ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben zu ermöglichen. Ein kräftiges Investitionsprogramm in die soziale Infrastruktur und den Öffentlichen Dienst ist dafür notwendig.
Privatisierung von Wohnraum
Der Berliner AfD-Fraktionsvorsitzende Pazderski hält die Privatisierung von Wohnraum für eine geeignete Reaktion auf die Wohnungskrise:
„Wohneigentum“ sei „eine wichtige Zukunftsvorsorge“. „Warum braucht das Land einen Bestand von ca. 300.000 Wohnungen in eigenen Händen? Aber wir müssen damit rechnen, dass auch in Berlin die Preise steigen. Wir glauben, dass die beste Reaktion darauf ist, Mieteigentum zu schaffen und für höhere Einkommen zu sorgen.“ 2
Der Grund für die heftigen Mietpreiserhöhungen ist beispielsweise der massenhafte Verkauf von kommunalen Wohnungen und die Spekulation privater Eigner mit Leerstand und Luxussanierungen. Die meisten BerlinerInnen können sich eigenen Wohnraum nicht leisten bzw. würden sich heftig verschulden. Wir brauchen ein umfangreiches kommunales Wohnungsbauprogramm, den Rückkauf privatisierten Wohnungsbestands und die Beschlagnahmung und Enteignung von Leerstand, um Spekulanten und Miethaien das Handwerk legen zu können.
Die AfD setzt auf die Abschaffung des Sozialstaates und verkauft das als Rückkehr zur familiären Idylle. In Wahrheit schützt sie damit die Reichen und Vermögenden des Landes, die unfassbare Geldsummen bunkern, während schon jetzt ein Drittel aller Erwerbstätigen im Niedriglohnsektor arbeitet. Die neoliberalen Rezepte der AfD sind keine Problemlösung, sondern lauter Problemverschlimmerungen. n
Alle Zitate, sofern nicht anders gezeichnet, stammen aus dem AfD-Grundsatzprogramm
1 Interview mit Frauke Petry, Welt am Sonntag, 05.06.2016
2 Interview mit Georg Pazderski, Berliner Zeitung 05.08.2016