„¡Sí hay dinero, lo tienen los banqueros!“
„Ja, das Geld ist da, die Banker haben es!“ ist einer von zahlreichen Sprechchören, die am 26. Oktober überall im spanischen Staat zu hören waren. Die Bildungsgewerkschaft Sindicato de Estudiantes (SE) hatte über Wochen zum Generalstreik mobilisiert. Millionen im Streik und Hunderttausende auf den Straßen zwingen die Regierung in die Defensive, während die Jugend weitergehen will.
von Tom Hoffmann, Berlin
Die Wut auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ist riesig unter spanischen Jugendlichen und das ist nicht verwunderlich. Über 43 Prozent haben keinen Job, mehr als jedes dritte Kind ist armutsgefährdet. Das EU-Kürzungsdiktat, durchgesetzt und forciert durch den deutschen Finanzminister, hat die soziale Polarisierung im spanischen Staat massiv verschärft. Die Regierung versucht mehr und mehr das öffentliche Bildungswesen in die Sparpolitik einzubeziehen. Ziel ist die Einschränkung des Rechts auf Bildung für alle, denn wenn der Bildungsgrad von teurer, privater Nachhilfe, steigenden Studiengebühren oder Zugang zu Lehrmitteln abhängt, ziehen die Armen den Kürzeren. Anlass für den Generalstreik im Oktober war jedoch ein krasse Angriff, der im Sommerbeschlossen worden war: die geplante Wiedereinführung der „Revalidierungen“ aus der Franco-Diktatur. Das Bestehen dieser zahlreichen, zusätzlichen Abschlussprüfungen am Ende der Primar-, Sekundar- und Post-Sekundarstufe wäre für einen weitergehenden, akademischen Bildungsweg obligatorisch geworden. Hunderttausende zwischen 14 und 16 Jahren könnten so vom Studium abgehalten werden, welches wieder das Privileg einer reichen Minderheit geworden wäre.
Hunderttausende auf den Straßen
Es ist nicht übertrieben, den riesigen Generalstreik als ein historisches Ereignis zu bezeichnen. Er wurde vorbereitet durch unermüdliche SE-AktivistInnen, welche mehr als 100.000 Flugblätter und zehntausende Poster verteilten. International organisierte u.a. das CWI (Internationale, der die SAV angeschlossen ist) zahlreiche Solidaritätsaktionen. Die Zahlen des 26. Oktober sprechen Bände: knapp zwei Millionen im Streik, Streikbeteiligung von über neunzig Prozent, mehr als sechzig Demonstrationen mit über 200.000 TeilnehmerInnen. Vom Baskenland nach Andalusien, von Katalonien nach Galizien – überall liefen SchülerInnen und Studierende neben ihren Eltern und forderten die sofortige Rücknahme der „Revalidierungen“ und des LOMCE (der neoliberale Bildungsgesetzesentwurf). Weitergehend verlangten sie den Rücktritt des Bildungsministers de Vigo, die Rücknahme aller Kürzungen, mehr Geld für den Bildungsetat und die Wiedereinstellung der in den letzten Jahren entlassenen LehrerInnen.
Gewerkschaft erhält Druck aufrecht
Die Funktionäre des Partido Popular, der regierenden Partei unter Ministerpräsident Rajoy, haben die volle Wucht der Bewegung zu spüren bekommen. Ihre Antworten sind das Stiften von Verwirrung beziehungsweise dreiste Lügen. Die Schwäche der spanischen Regierung und der alten Volksparteien ist seit den vielen Neuwahlen kein Geheimnis mehr. Die spanische Sozialdemokratie hat mit der Tolerierungsbereitschaft für eine konservative Regierung ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie ist genauso politische Interessenvertretung der korrupten Eliten wie der PP und nicht die Stimme der Arbeiterklasse und Jugend. Zurecht verurteilt die SE, in der Mitglieder der marxistischen Organisation Izquierda Revolucionaria eine wichtige Rolle spielen, diese Kapitulation und knickt auch vor der Regierung nicht ein. Rajoys Erklärungen, wonach die Rücknahme der Revalidierungen erfolgen solle, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Aufrechterhaltung des derzeitigen Stands. Die Gewerkschaft ist hingegen nicht bereit dieses Spiel mitzuspielen. Ihr Ultimatum seit Freitag morgen lautet: Rücknahme der franquistischen Revalidierungen innerhalb der nächsten Woche oder erneuter Bildungsgeneralstreik im November. Die SE kritisiert ebenfalls die Führungen der Lehrergewerkschaften, welche sich nicht für einen landesweiten Streik der Beschäftigten entschieden hatte. Lediglich in Madrid und in Andalusien hatte es regionale Streikunterstützung gegeben. Sollte es zu einem neuen Generalbildungsstreik kommen, ist es unklar, inwiefern sich die Lehrergewerkschaften beteiligen werden. Dabei würde ein gemeinsamer Streik die Regierung noch weitaus mehr unter Druck setzen. Sollte sie die Auseinandersetzung verlieren, würde das Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse enorm gestärkt und ein Aufschwung weiterer Kämpfe begünstigt werden. Die Bewegung der spanischen Jugend könnte der Startschuss für die spanische Arbeiterklasse sein.
Zur Webseite der SchülerInnen- und Studierendengewerkschaft mit Fotos der weltweiten Solidaritätsaktionen: hier