Massenbewegung stoppt Verschärfung des Abtreibungsrechts
Wir veröffentlichen hier zwei Artikel von Mitgliedern der polnischen Schwesterorganisation der SAV, Alternatywa Socjalistyczna über die Massenproteste gegen den Versuch der polnischen Regierung, das ohnehin schon sehr restriktive Abtreibungsrecht weiter zu verschärfen. Der erste Artikel von Pavel Nowak stammt vom 13. Oktober und gibt den aktuellen Stand nach den Massendemonstrationen und Frauenstreiks vom 3. Oktober wieder. Der zweite Artikel von Paul Newberry stammt vom 5. Oktober und stellt die Bewegung für das Recht auf Abtreibung ausführlich dar.
Massendemonstrationen und Frauenstreiks zwingen polnische Regierung zum Rückzug
von Pawel Nowak
Nach einer atemberaubenden Machtdemonstration am „Schwarzen Montag“, an dem Frauen in den Streik getreten sind und es auf den Straßen zu Massenprotesten gekommen ist, hat die regierende Partei in Polen, die den Namen „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) trägt, eine 180-Grad-Wende hingelegt und den Gesetzentwurf, der ursprünglich ein absolutes Verbot von Abtreibungen vorsah, zurückgezogen.
Ganz entgegen den sonst üblichen parlamentarischen Gepflogenheiten ist eine Sondersitzung des „Ausschusses zur Bearbeitung von Gesetzesentwürfen“ einberufen worden, um eben diese Gesetzesvorlage quasi im Handumdrehen zurückzuweisen. Am Folgetag wurden die Empfehlungen dieses Ausschusses dann dem Parlament vorgelegt, das den Entwurf ebenfalls umgehend verworfen hat.
Einige AktivistInnen spielen die Bedeutung der Ereignisse der vergangenen Woche zwar herunter, weil sie die entstandene Bewegung aufrechterhalten wollen. Dennoch müssen wir festhalten, dass die panikartige Kehrtwende der Regierungspartei zweifelsohne einen umfassenden Erfolg darstellt – auch, wenn der Kampf noch lange nicht beendet ist, da neue Versuche unternommen werden, das Anti-Abtreibungsgesetz zu verschärfen. Ohne die massenhafte Mobilisierung hunderttausender von Frauen wäre dies nicht möglich gewesen.
Wenn man sich den Verlauf dieses „Schwarzen Montags“ ansieht, so besteht der wesentliche Aspekt darin, dass sich eine so enorme Zahl an jungen Frauen an den Protesten beteiligt hat, die an diesem Tag stattgefunden haben. So haben sich Schülerinnen in Streiks organisiert und sich auf diese Weise zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben an einem politischen Kampf beteiligt. Häufig geschah dies trotz körperlicher Drohungen und Einschüchterungsversuchen im Vorfeld. Überall in Polen haben sich Frauen auch aus kleineren Ortschaften des Landes an den Protesten beteiligt. Viele Institutionen sprechen von einer Beteiligung von sechzig Prozent an den Streikaktionen.
Dieser Kampf und der Erfolg, den er am „Schwarzen Montag“ erzielt hat, hat darüber hinaus auch die Frauen in anderen Ländern dieser Welt begeistert. Sie haben dadurch an Selbstvertrauen gewonnen und konnten erleben, dass sich die Dinge anders entwickeln können, wenn man/frau „nur“ dazu übergeht, aktiven Widerstand zu leisten.
Der Kampf muss weitergehen!
Dieser Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Schon jetzt ist von neuen Gesetzesentwürfen die Rede, die eine weitere Verschärfung des Abtreibungsrechts zum Ziel haben. Ein eben solcher, dem Parlament bereits vorgelegter Gesetzesentwurf sieht zudem ein absolutes Verbot von Abtreibungen vor. Darüber hinaus soll auch die „Pille danach“ verboten werden. Vorgesehen ist darin eine zweijährige Gefängnisstrafe für alle, die dieses hormonelle Verhütungspräparat verkaufen, verschreiben oder es irgendwie zugänglich machen. Unterdessen steht die PiS unter Druck von Seiten ihrer rechten Anhängerschaft. Gerüchten zufolge soll es zu einem sogenannten „Kompromiss“ kommen, das in Form einer Gesetzesvorlage daherkommt, nach der Abtreibungen in Fällen verboten sind, in denen der Fötus Missbildungen aufweist. Demgegenüber sind Abtreibungen weiterhin erlaubt, wenn Vergewaltigungen der Grund für die Schwangerschaft sind oder wenn das Leben der Schwangeren bedroht ist.
Deshalb muss der Druck nun erhöht werden. Die Aufgabe besteht jetzt darin, die Frauen dabei zu unterstützen sich zu organisieren und für die nächste große Protestwelle zu mobilisieren: den „Frauen-Streik Nummer 2“ am 24. Oktober 2016.
Auf lokaler Ebene sollte es zur Einrichtung demokratischer Ausschüsse in den Schulen, Universitäten und Betrieben kommen, die in der Lage wären, die größtmögliche Anzahl an Frauen und Männern zu mobilisieren. Diese Ausschüsse sollten auf kommunaler Ebene miteinander verwoben sein und demokratisch legitimierte VertreterInnen auf die landesweite Ebene entsenden, um die Aktivitäten und Aktionen zu koordinieren. Auf allen Ebenen sollten die jeweiligen RepräsentantInnen der demokratischen Rechenschaftspflicht unterliegen.
Die Bewegung muss auch unmissverständlich und klar die Liberalisierung der Gesetze einfordern. Wir haben gesehen, dass wir die Menschen auf unsere Seite bringen können, wenn wir energisch das volle Recht auf Abtreibung einfordern und den Argumenten der politischen Rechten entgegentreten. Dank der unermüdlichen Kampagnenarbeit , die von tausenden Frauen geleistet worden ist, hat sich die öffentliche Meinung gedreht. Die Unterstützung für eine Liberalisierung des Gesetzes nimmt zu. Dies wird aber nicht möglich sein, wenn die Bewegung es diskreditierten PolitikerInnen wie Stefan Niesiołowski erlaubt, bei den Protestkundgebungen zu sprechen. Er und andere PolitikerInnen der neoliberalen Parteien „Nowoczesna“ und der „Bürger-Plattform“ setzen sich lediglich dafür ein, dass das Abtreibungsgesetz nicht weiter verschärft wird.
Der „no logo“-Ansatz, den sich die Bewegung selbst auferlegt hat, hat nicht verhindert, dass sich solche Leute Gehör verschaffen konnten. Dieser Ansatz hat es ihnen ermöglicht, durch die Hintertür Teil dieser Bewegung zu werden. Unterdessen wird kleineren und radikaleren Organisationen, die für die Liberalisierung des Abtreibungsrechts kämpfen, verwehrt, ihre Ideen und Vorschläge in die Bewegung mit einzubringen.
Gerade jetzt, da eine Reihe neuer Angriffe auf das Abtreibungsrecht auf dem Tisch liegen, müssen wir in die Offensive gehen und die Kampagne für das volle Recht auf Abtreibung voranbringen.
Wir fordern:
- Aufbau einer demokratischen Bewegung! Für die Bildung demokratischer Ausschüsse auf lokaler, stadt- und landesweiter Ebene.
- Keine Kompromisse! Für die Liberalisierung des Gesetzes – für rechtlich abgesicherte, sichere und freie Abtreibungen, wenn die Frau dies wünscht.
- Kostenlose und qualitativ hochwertige Gesundheitsvorsorge – ÄrztInnen, die sich hinter dem Deckmantel ihrer „Ethik“ verstecken, müssen zurückgewiesen werden!
- Freier Zugang für alle zu kostenlosen Verhütungsmethoden.
- Anstatt Religion muss in den Schulen der Sexualkundeunterricht verpflichtend sein!
- Kostenlose Behandlungen zur künstlichen Befruchtung für alle, die dies wünschen.
- Eine garantierter Platz für jedes Kind in einer kostenlosen und staatlich geführten Kita bzw. Vorschule!
Über 140.000 Frauen demonstrieren gegen ein totales Verbot von Abtreibungen.
Von Paul Newberry
Pläne, ein totales Abtreibungsverbot einzuführen haben eine massive, unkontrollierte Explosion von Wut in Polen ausgelöst. Am Montag, 3. Oktober, wurde ein Streik polnischer Frauen ausgerufen, inspiriert vom Beispiel isländischer Frauen, die 1975 einen landesweiten Streik abhielten. In Warschau demonstrierten über 50.000 im strömenden Regen, in Wroclow 30.000 und in Krakau 25.000. Zehntausende mehr demonstrierten über das ganze Land verteilt. In Poznan gab es Zusammenstöße mit der Polizei, während in Kielce DemonstrantInnen eine kontroverse, homophobe Ausstellung zerstörten. Sogar die konservativen Schätzungen der Polizei sprechen von 98.000 Menschen, die bei 143 einzelnen Protesten im ganzen Land teilnahmen. Die linke Partei Razem schätzt, dass über 140.000 Menschen auf den Straßen überall im Land protestierten. Das sind locker die größten polnischen Proteste zur Verteidigung des Abtreibungsrechtes aller Zeiten, bei weitem größer als die Proteste 1993, als das aktuell Abtreibungsverbot eingeführt wurde.
Die erste Welle der Bewegung begann im Frühjahr mit der Ankündigung, dass eine rechte Initiative über 100.000 Unterschriften (am Ende waren es 400.000) gesammelt hatte, die notwendig waren, um einen Gesetzesentwurf im polnische Parlament einzubringen, der ein völliges Abtreibungsverbot einführen und Frauen mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestrafen würde. Die Barbarei der Vorhaben wird veranschaulicht durch die Tatsache, dass alle Fehlgeburten als mögliche Abtreibungen behandelt und Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung sein sollten.
Polen hat bereits jetzt eines der restriktivsten Anti-Abtreibungsgesetze in Europa. Abtreibungen sind nur im Falle von Vergewaltigungen, der Bedrohung der Gesundheit oder des Lebens der Frau oder bei Missbildungen des Fötus erlaubt. In der Praxis werden selbst Abtreibungen, die diese Voraussetzungen erfüllen, von Ärzten verhindert, die die sogenannte „Gewissens-Klausel“ ausnutzen und Patientinnen ihre eigenen religiösen Ansichten aufzwingen, indem sie lebenswichtige Behandlungen verweigern.
Dieses Gesetz wurde Anfang der 1990er durchgepeitscht, als in Polen die kapitalistische Restauration durchgeführt wurde: Eine ökonomische und soziale Konterrevolution, gemischt mit ein paar demokratischen Reformen. Aber die Heuchelei der demokratischen Reformen zeigt sich an der Tatsache, dass das Anti-Abtreibungsgesetz trotz der Opposition einer überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft (über 70% der Bevölkerung waren gegen das Abtreibungsverbot und unterstützten das Recht auf Abtreibung aus „sozialen Gründen“, also im Prinzip „ bei Bedarf“) durchgepeitscht wurde. Gleichzeitig wurde Religion in den Schulen eingeführt und das Konkordat wurde unterzeichnet. Dieser Vertrag zwischen Staat und Kirche gab der Kirche enorme materielle und politische Privilegien. PolitikerInnen aller Parteien nannten das einen Kompromiss. Es ist aber kein Kompromiss, sondern eine Schande und es schuf eine Hölle für Frauen.
Große spontane Bewegung im Frühjahr
Als Reaktion auf das geplante Verbot wurde im Frühjahr eine massive, spontane soziale Bewegung über soziale Netzwerke geschaffen. Eine Facebook-Gruppe, Dziewuchy Dziewuchom, sammelte über 100.000 Mitglieder in weniger als einer Woche. Informelle Gruppen und Initiativen entstanden landesweit. Das führte zu einer Serie von Demonstrationen im ganzen Land, jede davon involvierte mehrere Tausend TeilnehmerInnen.
Eine der Initiativen konzentrierte sich darauf, über 100.000 Unterschriften zu sammeln, um als „BürgerInneninitiative“ einen Gesetzesvorschlag einzubringen, der das Abtreibungsrecht liberalisieren würde und Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche – aus welchem Grund auch immer – zu erlauben. Trotz vieler Stimmen in der Bewegung, die zur Verteidigung des aktuellen, extrem restriktiven Gesetzes aufriefen, wurde die Idee der BürgerInneninitiative letztlich von der breiteren Bewegung aufgenommen. Es gelang, über 250.000 Unterschriften zu sammeln und den Gesetzesentwurf dem Parlament zu präsentieren.
Nach einer zweimonatigen Unterbrechung über den Sommer, flammten die Proteste Ende September wieder auf, als beide Gesetzesentwürfe am selben Tag im Parlament präsentiert wurden. Diese zweite Welle begann mit sogenannten „schwarzen Protesten“ (Czarny Protest), die landesweit organisiert wurden. Frauen und Männer kleideten sich dabei schwarz, um den Tod der Frauenrechte zu betrauern. Demonstrationen wurden in vielen Städten abgehalten und Menschen posteten Fotos, auf denen sie schwarz trugen, auf sozialen Netzwerken mit dem Hashtags #CzarnyProtest und #BlackProtests
Wie vorherzusehen war, lehnte das Parlament den Gesetzesentwurf zur Liberalisierung der Abtreibungsrechte ab, während das Gesetz, dass ein Totalverbot von Abtreibungen einführen würde, auf der Ausschusse-Ebene angenommen wurde. Gleichzeitig wurde angekündigt, dass künstliche Befruchtung sowie der Zugang zu Notfallverhütung verboten werden könnten. Das entfesselte weitverbreitete Wut auf die Arroganz und Verachtung, mit der PolitikerInnen und Kirche Frauen begegnen und aktivierte weitere Schichten, die sich nun an den Protesten beteiligten.
Polnische Frauen im Streik
Etwa zu dieser Zeit und inspiriert vom Streik der isländischen Frauen 1976, kam die Idee der Organisierung eines Frauenstreiks auf. Er wurde nicht von einer der Gewerkschaften ausgerufen, sondern die Idee kam aus der Bewegung, von Frauen, die zuvor keine Gewerkschafts- oder Streikerfahrung hatten. Wegen der Anti-Gewerkschafts-Gesetze und der Schwierigkeit, einen legalen Streik zu organisieren (selbst als Gewerkschaft), wurden Frauen nicht ermutigt, wirklich zu streiken, sondern sich lieber einen Tag frei zu nehmen für den so betitelten Czarny poniedzialek (schwarzer Montag). Leider konnten viele Frauen bei diesem Streik nicht teilnehmen, weil sie miese Verträge haben und deshalb kein Recht auf einen freien Tag auf Wunsch. Zum Beispiel drohte die Lidl-Supermarktkette, ihre ArbeiterInnen, die sich am Montag freinehmen, rauszuwerfen.
Am Streiktag erklärte OPPZ, einer der drei großen Gewerkschaftsverbände, endlich seine Unterstützung für den Streik und verprach, Mitglieder, die sich dazu entschließen, an den Protesten teilzunehmen, gegen Schikanen zu verteidigen. Dank dieser Erklärung konnten viele Arbeiterinnen aus der öffentlichen Verwaltung, vor allem der lokalen Regierungen, streiken. Einige Theater und kleine Firmen kündigten an, an diesem Tag zu schließen, um den ArbeiterInnen die Teilnahme zu ermöglichen. Viele weitere Frauen, die keine andere Wahl hatten, als zu arbeiten, kleideten sich schwarz, um ihre Solidarität mit dem Streik auszudrücken.
Die Unterstützung des OPPZ ermutigte vielleicht auch viele Lehrerinnen, die Gruppenfotos gemeinsam mit Schülerinnen machten – alle schwarz gekleidet. In vielen Gymnasien organisierten Schülerinnen ihre eigenen Streiks und verließen die Schule während der ersten Unterrichtseinheit, oft mit der Unterstützung ihrer LehrerInnen. Es gab Berichte über junge Frauen, die von Gruppen von Männern bedroht und angespuckt wurden, weil sie sich am Streik beteiligten.
In Warschau sammelten sich tausende am frühen Morgen vor den Büros der herrschenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“. Später, am Nachmittag, marschierten sie im Regen durch das Stadtzentrum zum Schlossplatz, wo sich grob 50.000 Menschen versammelten. Es waren vorwiegend junge Frauen, Studentinnen und Schülerinnen. Vor den Protesten gab es eine Initiative, schwarze Tränen ins Gesicht der Protestierenden zu malen, das setzte sich aber nicht durch. Stattdessen malten sich tausende dieser jungen Frauen zwei schwarze Streifen auf jede Wange, wie Kriegsbemalung. Die Stimmung war wütend und sehr lebendig.
Demonstrantinnen malten selbst Plakate, auf denen stand: „Die Regierung ist keine Schwangerschaft – sie kann beseitigt werden“, „Die Revolution ist eine Frau“, „Lasst uns Polen den Fanatikern wegnehmen!“, „Abtreibung verteidigt Leben“, „Mein Körper, meine Festung“, „Mein Bauch ist meine Angelegenheit“, „Ich bin keine Brutkasten“, „Ich bin nicht euer Eigentum“, „Wir werden nicht gebären, wenn wir sterben“, „Frauenhölle“, „Es ist nichts falsches an Selbstbestimmung“.
Leider wurden die Reden von Promis und politische Parteien wie der liberalen, Nowoczesna, und der pro-liberalen Demokratiebewegung KOD, dominiert. Beide sind politische Organisationen, die auf den fahrenden Wagen aufgesprungen sind und versuchen, die Bewegung für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Sie sind gegen die Forderung nach dem recht auf „Abtreibung bei Bedarf“ und argumentieren, dass sich die Bewegung auf die Verteidigung des aktuellen Anti-Abtreibungsgesetzes beschränken soll. Skandalös ist, dass feministische Organisationen und Pro-Abtreibungs-Gruppen keine Plattform bekamen, trotz der wichtigen Rolle, die sie seit vielen Jahren im Kampf für das Abtreibungsrecht gespielt haben.
Glücklicherweise hatten die OrganisatorInnen nur mit 5.000 DemonstratnInnen gerechnet, die meisten Leute hörten die Reden also sowieso nicht. Nach einiger Zeit begannen Protestierende zu skandieren, dass man zum Parlament marschieren sollte, bald darauf bewegte sich das Meer von Regenschirmen weiter und ließ die VeranstalterInnen zurück. Der Marsch war jetzt illegal, aber die Polizei entschied sich schlauerweise dafür, die Fortsetzung zu erlauben und beschränkte sich darauf, Kreuzungen zu regeln, während die DemonstrantInnen durch das Stadtzentrum marschierten, sich ihre eigene Route aussuchten und den gesamten Verkehr zur Stoßzeit stoppten.
Etwa Zehntausend versammelten sich im Regen vor dem Parlament. Es gab keine RednerInnen, aber die Stimmung war laut und wütend. Es gab Gerüchte, dass mehrere Tausend Protestierende zum Teatr Polski marschieren würden, dem Theater, in dem Jaroslaw Kaczynski, Führer der herrschenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“, an einer Besprechung teilnahm.
Die Kirche reagierte auf den Streik der polnischen Frauen und den schwarzen Protest, indem sie ihn als einen „Karneval des Teufels“ bezeichnete und zeigte so, dass sie völlig abseits der Realität steht. Bischöfe waren am nächsten Tag groß in den Medien und teilten ihre „Expertenmeinung“ zu Vergewaltugungen und Unfruchtbarkeit mit. Ein Bischof behauptete, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Frau durch Vergewaltigung schwanger wird, wegen der Belastung, die sie dabei durchlebt
Wie auch immer, „Recht und Gerechtigkeit“ wurde von der Bewegung völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Sie hatte nicht vor, eine Änderung beim Abtreibungsgesetz vorzunehmen, zumindest nicht dieses Jahr, wurde aber von noch rechteren Elementen und der Kirche, die ihre eigene „BürgerInneninitiative“ organisierten, gezwungen, eine Position zu beziehen.
Was ist jetzt notwendig für die Bewegung?
Wegen des Ausmaßes der Bewegung hat „Recht und Gerechtigkeit“ mit der Ankündigung, einen eigenen Gesetzesentwurf als Kompromiss vorzubereiten, reagiert. Dieser wird wahrscheinlich das Recht auf Abtreibung im Falle einer Vergewaltigung oder einer Bedrohung des Lebens der Frau erlauben, aber nicht im Falle einer Missbildung beim Fötus. Das ist natürlich überhaupt kein Kompromiss, sondern bedeutet eine Ausweitung des Verbots und ist völlig inakzeptabel. Es zeigt aber, dass die Regierung unter Druck kommt.
Das ist ein klares Zeichen dafür, dass der Druck aufrechterhalten werden und der Kampf für Abtreibungsrechte fortgesetzt werden muss. Aber Nowoczesna und die Civic Plattform, unterstützt durch KOD, versuchen, die politische Kontrolle über die spontan ausgebrochene Bewegung zu übernehmen und diese umzulenken. Das Resultat der Parlamentsabstimmung und die Deklarationen der RepräsentantInnen von Nowoczesna und der neoliberalen Civic Plattform, der früheren herrschenden Parteim, zeigen, dass sie in der Bewegung keinen Platz haben und gestoppt werden müssen. Die Strategie, nur das jetzige Anti-Abtreibungsgesetz zu verteidigen muss energisch bekämpft werden.
Auf der anderen Seite ist es ein Fehler, eine „keine Logos“-Politik einzuführen, die allen politischen Organisationen verbietet, mit Transparenten und gedruckten Materialien an den Protesten teilzunehmen, wie das in viele Städten der Fall war. Das wird den kompromittierten PolitikerInnen Eintritt durch die Hintertür verschaffen, während es kleineren, radikaleren Organisationen verunmöglicht, ihre Ideen und Vorschläge für die Bewegung einzubringen.
Der Streik polnischer Frauen am schwarzen Montag war bisher der Höhepunkt, er hat aber neue Kräfte entfesselt, die bisher noch nicht an der Bewegung teilgenommen haben: Tausende junge, wütende Frauen, die erst in den Kampf eintreten, jetzt ihre Stimme finden und Selbstvertrauen gewinnen. Eine sofortige Aufgabe der Bewegung ist es, ihnen zu helfen, sich zu organisieren.
Im Moment haben wir viele gute aber oft konkurrierende Initiativen und Gruppen in sozialen Netzwerken. Jedoch sind die Leute, die die Gruppe ursprünglich gegründet haben, die „Besitzer“ der Gruppe, kontrollieren das Facebook-Event und entscheiden, ob es eine „Keine Logos“-Politik gibt oder nicht. Oft zensieren sie auch die Diskussionen in den Facebook-Gruppen.
Was fehlt sind grundlegende demokratische Strukturen auf lokaler Ebene, die AktivistInnen von allen verschiedenen Initiativen, die entstanden sind, involvieren. Solche lokalen, demokratischen Komitees sollten sich landesweit vernetzen, um die Aktivitäten zu koordinieren und die nächste größere Aktion zu planen. Es sollte volle demokratische Rechenschaftspflicht für alle RepräsentantInnen solcher Komitees geben.
Ein Kampfprogramm ist notwendig
Vor allem kann ein Sieg nur mit einem klaren Programm erreicht werden. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass wir die öffentliche Meinung überzeugen können, aber nicht, wenn wir wie Nowoczesna auftreten, indem wir sagen, dass wir Abtreibungen ablehnen. Das ist gleichbedeutend damit, zuzugeben, dass die Unterstützer eines totalen Abtreibungsverbots gute Argumente haben und bedeutet, die Bewegung kampflos aufzugeben.
Wenn wir klar die Forderung nach Zugang zu Abtreibung bei Bedarf fordern und die Argumente der Rechten kontern, sind wir sicher, dass wir Menschen auf unsere Seite ziehen können. Wir müssen die Notwendigkeit von kostenlosen, sicheren Abtreibungen bei Bedarf erklären, die die Leben einer Vielzahl von Frauen retten würden. Das sollte verbunden werden mit der Notwendigkeit des Kampfes für eine ordentliche, qualitativ hochwertige, kostenlose Gesundheitsversorgung, sichergestellt durch gut bezahlte ExpertInnen und nicht durch religiöse FanatikerInnen, die Behandlungen verhindern.
Viele ungewollte Schwangerschaften können vermieden werden, wenn Verhütungsmittel besser zugänglich sind. Momentan ist Verhütung zu teuer für viele junge Frauen. Inzwischen können Unter-18-jährige nur mit der Zustimmung ihrer Eltern eineN GynäkologIn aufsuchen, was bei vielen die Möglichkeit der Verschreibung für Verhütungsmittel verhindert. Deshalb fordert Alternatywa Socjalistyczna universellen Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln. Wir fordern auch sexuellen Aufklärungsunterricht in Schulen statt Religionsunterricht, der von Priestern und Nonnen abgehalten wird.
Vor allem wollen Frauen wirkliche Selbstbestimmung – nicht nur in der Frage, ob sie ein Kind haben wollen oder nicht, sondern auch, dass sie ein Kind haben können, wann sie eines wollen. Deswegen unterstützen wir kostenlose IVF-Fruchtbarkeitsbehandlung und auch einen garantierten Platz in kostenlosen öffentlichen Krabbelstuben und Kindergärten für jedes Kind. Aber auch breitere soziale und wirtschaftliche Themen betreffen die Selbstbestimmung von Frauen. Es ist notwendig, für billige, qualitativ hochwertige, staatliche Sozialwohnungen, einen ordentlichen Mindestlohn und sichere Arbeitsplätze zu kämpfen. Alle schlechten Arbeitsverträge sollten beseitigt und mit unbefristeten Arbeitsverträgen ersetzt werden, damit schwanger werden nicht heißt, den Job zu verlieren.
Um solche Veränderungen zu erkämpfen, wird es nötig sein, sich mit der organisierten ArbeiterInnenbewegung in den Gewerkschaften zu vernetzen. Ein guter Start wäre, engere Verbindungen zwischen Basismitgliedern der Gewerkschaften, vor allem der LehrerInnengewerkschaft ZNP und dem Gewerkschaftsdachverband OPZZ, zu knüpfen. Die Bewegung sollte auch auf die ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst und im Gesundheitsbereich, die den Streik am schwarzen Montag unterstützten, zugehen. Aber ein solcher Kampf wird auch eine Konfrontation mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem bedeuten, das unfähig ist, ordentliche Wohnungen und Jobs für ArbeiterInnen zur Verfügung zu stellen.