Großbritannien: Polarisierung in Labour
In Großbritannien versucht der rechte Flügel der Labour Party den linken Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn aus dem Amt zu jagen. Erst ein Jahr nachdem er mit überwältigender Mehrheit gewählt wurde, muss er sich einer neuerlich Abstimmung stellen. Die Chancen, dass er wiedergewählt wird, stehen gut. Doch die aggressive und zunehmend verzweifelte Kampagne des rechten Parteiflügels und des kapitalistischen Establishments, um Corbyn loszuwerden, sagen viel über den Zustand der Labour Party und die Furcht des Establishments vor echten politischen Alternativen aus.
Von Séan McGinley, Viernheim
Schon die erste Wahlkampagne von Corbyn um den Parteivorsitz hat eine große Anzahl von Menschen – vor allem junge Menschen – mobilisiert und begeistert. Tausende besuchten seine Veranstaltungen und ließen sich als Mitglieder beziehungsweise UnterstützerInnen der Labour-Party eintragen, um bei der Wahl für Corbyn stimmen zu dürfen. Corbyn ist seit über dreißig Jahren Parlamentsabgeordneter und seinen linken Grundsätzen stets treu geblieben. Während der Regierungsjahre von Labour unter Blair und Brown stimmte er regelmäßig gegen die Fraktionsdisziplin.
Albtraum für Parteirechte
Weil der Parteivorsitzende erstmals unmittelbar von der Basis gewählt wurde, bekam Labour einen Vorsitzenden, der im krassen Gegensatz zur Parlamentsfraktion und zum Parteiapparat steht – beide sind durch Jahrzehnte der Verbürgerlichung meilenweit von Labours Ursprüngen als sozialistische Partei entfernt und haben die neoliberale Ideologie vollkommen verinnerlicht.
Corbyns Erfolg war ein Albtraum für die Parteirechten, die dachten, den Kampf gegen die Linken längst endgültig gewonnen zu haben. Doch angesichts der massiven Unterstützung für Corbyn waren sie gezwungen abzuwarten, ehe sie versuchten ihn loszuwerden.
Das EU-Referendum bot den Anlass hierzu. Im Vorfeld hatte Corbyn – wohl unter dem Druck der Parteirechten – seine Position zur EU verändert. Hatte er zuvor immer die EU von links kritisiert – als neoliberales und militaristisches Projekt – so warb er nun plötzlich für den Verbleib in der EU.
Nach dem Referendum gaben Parteirechte und bürgerliche KommentatorInnen Corbyn eine Mitschuld am Austrittsvotum und verwiesen auf die hohen Ergebnisse für einen Austritt in Labour-Hochburgen.Es folgte eine Welle von Rücktritten von Parteirechten aus Corbyns Schattenkabinett. Corbyn hatte diese in sein Führungsteam aufgenommen unter anderem als Zeichen der Kompromissbereitschaft gegenüber innerparteilichen GegnerInnen.
Nach diesen Rücktritten forderten der rechte Parteiflügel, die Konservativen und bürgerliche Medien Corbyns Abgang – er habe die Fraktion nicht mehr hinter sich und so gebe es keine effektive Opposition mehr. Bei einer fraktionsinternen Misstrauensabstimmung stimmten achtzig Prozent gegen Corbyn. Doch er weigerte sich, zurückzutreten. Das stellte für die Parteirechten ein ernstes Problem dar. Sie hatten gehofft, ihn zum Rücktritt bewegen zu können, um ihn ohne Votum der Parteibasis loszuwerden – denn sie wissen um die ungebrochene Unterstützung unter den Mitgliedern. Als einziges Mittel blieb die Erzwingung einer Abstimmung über den Parteivorsitz – und selbst hier wurde versucht, Corbyn mit bürokratischen Tricks aus dem Rennen zu werfen, indem man (letztlich erfolglos) argumentierte, er müsse – genau wie etwaige GegenkandidatInnen – Unterstützungsunterschriften aus der Fraktion sammeln (was ihm nicht gelungen wäre). Allerdings wurden die Regeln verschärft, so dass die 130.000 Mitglieder, die in den sechs Monaten vor der Wahl eingetreten sind – nicht wählen dürfen. Dies sind vor allem solche, die eingetreten sind, um Corbyn den Rücken zu stärken. Zudem wurde die Gebühr, um sich als UnterstützerIn zu registrieren, drastisch erhöht.
Corbyn vor Wiederwahl?
Dennoch ist es sehr wahrscheinlich, dass Corbyn die Wahl gewinnen wird. Spannend wird die Frage, wie es danach weitergeht. Einige Parteirechte denken laut über eine Abspaltung nach.
Corbyn und seine UnterstützerInnen sollten erkennen, dass es keinen Sinn hat, den Rechten die Hand der Versöhnung zu reichen. Die Neoliberalen in der Partei werden alles tun, um Corbyn loszuwerden. Das kann nur verhindert werden, wenn die Partei demokratisiert wird – beispielsweise durch die Abwahl von Abgeordneten, die sich gegen die Interessen der Arbeiterklasse stellen, durch die Parteibasis. Die Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV in England und Wales) sieht sich als Teil der entstehenden linken Bewegung. Sie fordert die Möglichkeit, für sich und andere linke Organisationen, einer breiten, föderalen Labour Party beizutreten und gemeinsam für ein sozialistisches Programm zu kämpfen – auf dieser Grundlage könnte eine von Corbyn angeführte Labour Party an die Macht kommen und eine grundsätzlich andere Politik durchführen, die sich auf Massenmobilisierungen stützt. Die Parteirechte nimmt dies zum Anlass, um das Schreckgespenst einer Übernahme der Partei durch „trotzkistische“ Kräfte an die Wand zu malen. Die Socialist Party hat vor dem Hintergrund viele Möglichkeiten, ihre Positionen im Fernsehen zu erklären. Generalsekretär Peter Taaffe sagte in einem TV-Interview: „Labour hat sich verändert. Sie ist jetzt schon wahrscheinlich die größte linke Partei Westeuropas. Sie ist eine radikale Partei, und sie ist anders als die Labour Party der Vergangenheit. Wir möchten ein Teil dieses spannenden Projekts sein.“ Diese Strategie bedeutet im Prinzip eine Neugründung der Partei – die zehntausenden Neumitglieder haben ohnehin das interne Kräfteverhältnis erheblich nach links verschoben. Um dieses Potenzial zu nutzen, braucht es einen Bruch mit der Parteirechten und einen Zusammenschluss mit anderen linken, sozialistischen Kräften. Dann kann eine Bewegung entstehen, die in der Lage ist, die weit verbreitete Hoffnung auf eine politische Alternative zur Austeritätspolitik zu erfüllen.