Hohe Umfrageergebnisse für die AfD sind ernste Warnung
Am 4. September wird in Mecklenburg-Vorpommern und am 18. September in Berlin gewählt. Umfragen sagen mit 19 beziehungsweise 14 Prozent hohe Ergebnisse für die AfD voraus. Das ist nach dem schockierenden Ergebnis der AfD in Sachsen-Anhalt im März (24,3 Prozent) eine ernste Warnung an alle Linken, MigrantInnen, GewerkschafterInnen und DIE LINKE. Auch ein zusätzlicher erneuter Einzug der NPD in Mecklenburg-Vorpommern ist nicht ausgeschlossen. Besonders die SPD wird im Vergleich zur letzten Wahl in beiden Landtagswahlen Federn lassen und nach den Wahlen wahrscheinlich trotzdem an der Regierung in beiden Bundesländern wieder beteiligt sein. Wie sollte DIE LINKE auf die alarmierenden Zahlen und Zustände reagieren?
Kommentar von Lucy Redler, Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE und Mitglied der AKL und SAV
„Asylchaos beenden“ plakatiert die AfD in Mecklenburg-Vorpommern. Das Ergebnis der AfD im nordöstlichsten Bundesland wird auch als Signal für den Bund gewertet: Wie sehr kann die AfD aus der Kampagne bürgerlicher Medien, AfD, NPD und bürgerlicher PolitikerInnen gegen Geflüchtete im Zuge der Gewalttaten in Süddeutschland profitieren? Teile der CDU und CSU versuchen, am rechten Rand Stimmen zu sammeln und machen der AfD Konkurrenz: Gerade wurde der Entwurf einer Erklärung von Innenminister n der CDU und CSU öffentlich, in der sie unter anderem die Abschaffung der Doppelten Staatsbürgerschaft, ein Burkaverbot, mehr Polizei und die Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht fordern. Der Berliner CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel ist begeistert, was niemand verwundert, da er auch sonst keine Gelegenheit für Law-and-Order-Sprüche und Aktionen wie gegen BewohnerInnen der Rigaer Straße auslässt.
Auch wenn die Kanzlerin in Worten einen etwas anderen Ton anschlägt, sieht die Praxis komplett anders aus. Deutschland schiebt rigoros ab und verweigert Menschen die Einreise: Allein im ersten Halbjahr 2016 wurden an deutschen Grenzen bereits 50 Prozent mehr Menschen abgewiesen als im gesamten Jahr 2015.
Der Gefahr entgegentreten
Es ist vor allem Aufgabe von Gewerkschaften, sozialen und linken Organisationen und der LINKEn, sich rechter Stimmungsmache entgegenzustellen. Alle KandidatInnen und FunktionsträgerInnen der LINKEN müssen sich in Worten und Taten eindeutig und unmissverständlich gegen Abschiebungen, Obergrenzen und Stimmungsmache gegen Geflüchtete im Zuge der sogenannten Sicherheitsdebatte positionieren . In Berlin-Neukölln, wo ich mich am Wahlkampf beteilige, kleben wir den Slogan „Obergrenzen für Reichtum – nicht für Geflüchtete“ und organisieren Debatten zum Thema.
Aber wie kann DIE LINKE all jene erreichen, die sich von den Anti-Establishment-Sprüchen der AfD angezogen fühlen, und die AfD als neoliberale arbeitnehmerfeindliche Partei entlarven?
Ein Problem liegt darin, dass DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin als etablierte Kraft betrachtet wird, die selbst in Regierungsverantwortung war und in diesen nicht unter Beweis gestellt hat, dass sich mit ihr etwas zum Positiven verändert, sondern das Gegenteil eingetreten ist. Slogans der LINKEN in Mecklenburg-Vorpommern wie „Aus Liebe zu M-V“ sind auch gelinde gesagt keine oppositionellen kämpferischen Slogans.
Wenn die Partei der AfD den Kampf ansagen will, wird das nur möglich sein, wenn sie die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt, sich kämpferisch, unangepasst und gegen das Establishment positioniert, ein größerer Faktor in Bewegungen wird, sich stärker verankert und auch die rot-rote Regierungsbeteiligung offen kritisch bilanziert . Dafür ist ein Kurswechsel nötig.
Der Wahlkampf der LINKEN bei den hessischen Kommunalwahlen im März diesen Jahres und das gute Ergebnis für DIE LINKE in vielen großen und mittleren Städten wie Kassel, Marburg, Frankfurt und Offenbach ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Partei mit einem kämpferischen Profil und einer Verankerung in Bewegungen hinzugewinnen kann.
SPD im Sinkflug
Es ist gerade die SPD an der Regierung, die in Umfragen im Vergleich zum Ergebnis der letzten Landtags- beziehungsweise Abgeordnetenhauswahlen massiv an Zuspruch verloren hat (in M-V um 11 Prozentpunkte, in Berlin um 5 Prozentpunkte) – und das zu Recht. Warum soll DIE LINKE in Berlin und M-V ausstrahlen, mit einer solchen Partei, die vor jeder Wahl soziale Versprechen macht und nach der Wahl das Gegenteil umsetzt, erneut regieren zu wollen? In beiden Bundesländern ist eine Koalition unter Einschluss der LINKEn zumindest eine Möglichkeit. Eine solche würde dazu führen, dass DIE LINKE erneut für Sozialkürzungen mit v erantwortlich gemacht würde und die AfD sich als einzige vermeintliche Opposition generieren könnte. Die LINKE in Berlin steht bei 15 Prozent in den Umfragen. Das sind etwas mehr als die 11,7 Prozent, die die Partei am Ende von Rot-Rot im Jahr 2011 erzielte, aber zeigt auch, dass sich die Partei von dem Stimmenverlust durch die Regierungsbeteiligung 2001 bis 2011 noch nicht erholt hat (zum Zeitpunkt des Berliner Bankenskandals 2001 bekam die PDS 22,6 Prozent).
„Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“
Im Neuköllner Wahlkampf machen wir derzeit sehr gute Erfahrungen mit einer antikapitalistischen, oppositionellen und bewegungsorientierten Ausrichtung. Der Slogan im Reuterkiez „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ trifft die Stimmung von vielen und ist Ausdruck von einem Unmut gegen „die da oben“, den DIE LINKE von links besetzen kann.
Es gilt, die AfD nicht nur als rassistisch zu brandmarken, sondern ihren neoliberalen prokapitalistischen Charakter offenzulegen. Der Berliner AfD-Spitzenkandidat Pazderski hat jüngst erneut deutlich gemacht, wofür er steht: So schlug er im Interview mit der Berliner Zeitung am 5. August vor, Hunderttausende Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu privatisieren, indem sie an die MieterInnen verkauft werden. Abgesehen davon, dass sich die meisten MieterInnen das natürlich nicht leisten können, würde eine Umwandlung aller 300.000 städtischen Wohnungen in Eigentumswohnungen dazu führen, dass diese aus dem Mietspiegel rausfallen, wodurch der Mietspiegel dramatisch ansteigen und die Miethaie sich die Hände reiben würden. Die AfD macht nicht nur Politik gegen Geflüchtete, sondern gegen MieterInnen, Frauen und Lohnabhängige.
Zentral für die Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und den Kampf für höhere Löhne, sinkende Mieten und gegen die AfD wird sein, ob es gelingt, Initiativen und Bewegungen weiter aufzubauen und uns weiter in den Kiezen zu verankern – und das unabhängig davon, wer nach dem 4. und 18. September regieren wird. Der Wahlkampf kann – wie in Neukölln – dazu genutzt werden, Bewegungen gegen Verdrängung, Lohndumping und für mehr Personal im Krankenhaus bekannt zu machen und zu stärken.