Für kämpferischen Sozialismus im Jugendverband
Mit etwa 5400 Mitgliedern ist [‘solid] der zahlenmäßig größte linke Jugendverband Deutschlands. Trotzdem steht man vielerorts vor verschlossenen Türen, wenn man selbst aktiv werden will. Bei Bewegungen vor Ort ist [‘solid] oft kaum sichtbar und tritt nicht mit auffälligen, kämpferischen Slogans an Jugendliche heran. Was der Verband an Mitgliedern bei Großdemos mobilisiert steht in keinem Verhältnis zu seiner Mitgliederzahl.
von Katharina Doll
Gleichzeitig waren in den Bewegungen der letzten Jahre zehntausende Jugendliche auf der Straße. Viele suchen Anschluss –in vielen kleineren Orten gibt es eine lokale Antifa, linke Gruppen und Bündnisse, die vor allem auf lokaler Ebene aktiv sind oder ein linkes Jugendtreff. Was wäre nötig, um sie für eine breitere Organisierung zu gewinnen? Welche Kampagnen brauchen wir? Und: wie kann es weitergehen mit dem Jugendverband?
Oft sind es in Bewegungen und Kämpfen Jugendliche, die mutig nach vorne gehen. Viele haben den ungebrochenen Willen, die Welt zu verändern. Das hat die Flüchtlingsbewegung gezeigt, bei der Zehntausende auf der Straße waren und vor allem Jugendliche über Schulstreiks, gewerkschaftliche Aktivität oder Demos den Widerstand gegen staatlichen Rassismus mit aufgebaut haben.
Um solche Bewegungen zu bekämpfen und die Bevölkerung zu spalten, werden soziale Ängste geweckt. „Wenn wir Flüchtlingsunterkünfte bauen, kriegst DU keine günstige Wohnung mehr“. Gerade viele Jugendliche bleiben mutig: In Klein Borstel (Hamburg) hat letzten November eine Gruppe SchülerInnen eine Demonstration für eine geplante Flüchtlingsunterkunft in ihrer Nachbarschaft organisiert, über die wegen einer Klage ein Baustopp verhängt worden war. „Eure Kinder können sich nicht mehr frei bewegen, sagt ihr […]. Ist euch klar, dass eure Kinder keine Angst haben, sondern ihr? Sie werden Projektionsfläche für eure Panik. Kinder sind weltoffen. Kinder freunden sich an. […] Eure Kinder wären froh, wenn es keine Zäune gäbe“, so ein Auszug aus dem Demoaufruf.
Die Polarisierung unter Jugendlichen ist groß. „Politik“ klingt für viele nach einem Club von Anzugträgern, die weichgespültes Zeug reden und mit dem man sich erst gar nicht beschäftigen will – dazu ist der eigene Alltag stressig genug.
Letztes Jahr habe ich für linksjugend [’solid] an einer Podiumsdiskussion mit den Jugendkandidaten von CDU, SPD, FDP und Grünen in einer Schule in Volksdorf (Randbezirk bei Hamburg) teilgenommen. Schon am Anfang stand ein Schüler auf und beschwerte sich, dass nur die „normalen Parteien“ eingeladen waren und nicht die AfD. Das zeigt, wie gefährlich es ist, wenn den Rechten die Opposition zum Establishment überlassen wird. Wir wollen keine besseren Berufspolitiker sein, sondern die Wut, die Jugendliche im Bauch haben, auf die Straße tragen!
Welche Kampagnen brauchen wir?
Immer wieder entsteht Potenzial für eine kämpferische Jugendbewegung. In den letzten zwei Jahren wäre mit den Mitteln der Linksjugend eine große bundesweite Kampagne zum Thema Antirassismus möglich gewesen. Für Großtermine wie Anti-Pegida-Demos in Dresden begleitet von Trainings für OrdnerInnen und für die Teilnahme an Blockaden gegen Rechts hätte in allen Bundesländern mit SchülerInnen-, Azubi- und allgemeinen Jugendbündnissen mobilisiert werden können. Bei der bundesweiten TTIP-Demo wäre ein antikapitalistischer Jugendblock mit Tausenden möglich gewesen gegen eine Welt, die von Banken und Konzernen beherrscht wird!
Um Bewegungen ein festes Rückgrat zu geben, ist der Schulterschluss mit der organisierten Arbeiterbewegung nötig. Geld- und Zukunftsangst, Niedriglöhne, Stress zuhause und in der Schule … machen uns alle fertig. Ein Kampf für höhere Löhne und gegen soziale Kürzungen (auch in der Sozial- und Jugendarbeit) liegt in unserem gemeinsamen Interesse. Ein linker Jugendverband muss Angebote zum gemeinsamen Kampf machen und die Interessen Jugendlicher dort einbringen. Dabei spielen die Gewerkschaftsjugenden und migrantische Verbände eine wichtige Rolle in der Organisierung. Die Zusammenarbeit mit solchen Gruppen ist entscheidend dafür, dass unsere Kämpfe ausgeweitet werden können.
Ansätze zur Zusammenarbeit mit der Gewerkschaftsbewegung gab es mit der Unterstützung des Sozial- und Erziehungsstreiks und der GDL durch die Linksjugend NRW, der Solidarität mit dem Streik an der Charité durch [’solid] Berlin Kreuzkölln oder den Anläufen zu einem antirassistischen Jugendblock auf dem 1. Mai des DGB in Hamburg. Mit den Geldern und Kapazitäten der Linksjugend wäre im Streikjahr 2015 jedoch viel mehr möglich gewesen, zum Beispiel eine viel größere bundesweite Kampagne zur Unterstützung der Streiks der GDL und der Sozial- und Erziehungsdienste.
…wo bleibt die Linksjugend?
Eine linke Organisation mit über 5000 Mitgliedern und hunderttausenden Euros hätte enormes Potenzial. Doch das Programm der Linksjugend, das für die Überwindung des Kapitalismus und den Aufbau einer demokratisch geplanten Wirtschaft eintritt, wird nicht in kämpferische Praxis umgesetzt.
Der Verband ist von Flügelkämpfen zerrissen. Auf der ganz rechten Seite steht das „antideutsche Spektrum“ und Befürworter von Regierungsbeteiligungen. Viele werdende fds-Karrieristen und Parteibürokraten rekrutieren sich aus diesem Umfeld. Benjamin Krüger, Sprecher und Mitgründer des antideutschen Bundesarbeitskreises Shalom, arbeitete zuerst als Büroleiter des zum fds gehörenden Abgeordneten Frank Tempel und nun für die Staatskanzlei von Bodo Ramelow tätig als Referent für den Minister Benjamin Hoff. Isabelle Vandre, für ihre Jugendpolitik in den Brandenburger Landtag gewählt, beteiligt sich nun als Abgeordnete an bürgerlicher Haushaltspolitik im Zeichen der schwarzen Null.
Solche Kräfte bauen keine starken kämpferischen Strukturen an der Basis auf. Auch ist das antideutsche Spektrum inhaltlich kein Anziehungspunkt für Jugendliche, die sich nach links entwickeln. Sie drucken wie in Niedersachsen Sticker, wo sie für mehr militärisches Material an die US-amerikanische und israelische Regierung werben und brüllen auf Bundeskongressen Sprüche wie „Palästina, knie nieder, die Siedler kommen wieder“.
Aber die Entwicklung der Linksjugend ist kein einheitlicher Rechtsruck. LINKE und Linksjugend sind bundesweit die bekanntesten linken Strukturen außerhalb der linken Szene. Sie ziehen weiter Jugendliche an, die vor Ort etwas aufbauen wollen oder nach einer ersten Organisierung suchen. Trotz aller Schwierigkeiten ist der Aufbau linker Kräfte in diesen Strukturen deshalb entscheidend – und möglich! Linke Basisgruppen bauen weiter auf, immer wieder kommt es zur Gründung solcher wie kürzlich in Berlin-Ost oder Wiesbaden und bald erneut in Hamburg. Landesverbände wie Niedersachsen rücken nach links. Ansätze für kämpferische Kampagnen gibt es in einigen Regionen – Berlin Kreuzkölln und -Ost sind zentral an Protesten und Schülerstreiks gegen Bärgida und faschistische Kräfte beteiligt. In NRW organisierte [‘solid] eine Kampagne gegen den G7-Gipfel. In Hamburg gelang einer einzigen Basisgruppe ein Schulstreik mit über 5.000 Jugendlichen gegen den Rassismus des SPD-Senats, seitdem gab es immer wieder Proteste von SchülerInnen für Bleiberecht oder gemeinsame Jugendblöcke mit DGB-Jugend und DIDF.
Die widersprüchliche Zusammensetzung der Linksjugend erklärt ihre widersprüchliche Beschlussfassung. Letztes Jahr bekamen auf dem Bundeskongress die rechtesten Anträge seit dem Bestehen der Linksjugend eine Mehrheit. Gleichzeitig wurde als Erfolg des linken Flügels ein Antrag gewonnen, der sich mit der griechischen Bevölkerung solidarisierte und den Verrat der Syriza-Regierung verurteilt. So lange ein so zugespitztes Kräftemessen in der Linksjugend besteht, wird sie auf Bundesebene relativ handlungsunfähig bleiben.
Gegen Anpassung
Der Jugendverband positionierte sich in den letzten Jahren oft links von der Parteiführung der LINKEN – mit dem Antrag gegen alle Auslandseinsätze, zur neoliberalen, militaristischen und undemokratischen EU oder mit der bundesweiten Ablehnung von Regierungsbeteiligungen. Wenn, wie auf den letzten zwei Bundes- und einigen Landesparteitagen, aktiv gegen den Anpassungskurs protestiert wurde, dann für gewöhnlich durch Kräfte des linken Flügels.
Je mehr die LINKE auf Regierungsbeteiligungen in Bund und Ländern schielt, umso fester wird der Griff um den Jugendverband. Um anpassungsfähige Kräfte wie das antideutsche Lager zu schützen, duldet man unter dem Deckmantel des „Pluralismus“ ihre antilinken und militaristischen Positionen. Gleichzeitig gibt es heftige Angriffe auf Verbandslinke. So gibt es immer wieder Versuche, Mitgliedern der SAV die Mitarbeit zu verbieten. Das wurde in den letzten zwei Jahren in Hamburg deutlich, wo eine Basisgruppe in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Fraktion künstlich hochgezogen wurde, um durch einen Putsch den Landesverband dem linken Flügel zu entziehen und die Mitarbeit von SAV-Mitgliedern mit bürokratischen Mitteln zu bekämpfen. Ähnlich ist es in Berlin oder Dortmund, wo die Partei Parallelstrukturen zu denen der Linksjugend aufbaut, um die Parteijugend auf Kurs zu bringen.
Die Stimmung auf Bundeskongressen ist unerträglich – linkes Material (siehe Foto) wird geklaut, online brechen ganze Hassorkane herein, AktivistInnen werden niedergebrüllt. Seit dem letzten Bundeskongress soll Kritik am israelischen Staat verboten sein. Ein vermeintlicher Feminismus wird genutzt, um Verbandslinke mundtot zu machen – so wurde bei einem Frauenplenum angegriffen, dass linke Strömungen mit eigenem Material und roten Fahnen zum Berliner Frauentag kamen. Vor zwei Jahren wurde eine Aktivistin aus Hamburg verwarnt, da sie im Feminismus-Workshop zu laut geredet haben soll.
Demokratische Verbandskultur sieht anders aus. Wir brauchen einen Jugendverband, in dem es keinen Maulkorb für linke Positionen gibt und der niemanden mundtot macht weil er oder sie sich nicht nach den Regeln linker Szenetreffs ausdrückt. Es muss selbstverständliche Rechte für Strömungen und unterschiedliche Meinungen geben, frei zu diskutieren und sich einzubringen. Die Grenze ist da, wo das Programm aufhört: keine Kriegspropaganda, kein Siedler-Chauvinismus, kein Mobbing als Mittel der Repression gegen Linke!
Rein in die Revolutionäre Linke!
Der Kampf gegen Bürokratismus und den Rechtstrend in linksjugend [‘solid] ist zur Stärkung linker Kräfte notwendig, darf aber nicht Hauptaugenmerk sein. Entscheidend ist es, unsere Strukturen an der Basis zu stärken und bisher nicht organisierte Jugendliche von unseren Positionen zu überzeugen. Der Aufbau linker Basisgruppen und ihre aktive Außenarbeit sind der Hebel, um den Karrieristen und Bürokraten das Zepter aus der Hand zu nehmen. Kämpferische Kampagnen, eine nachvollziehbare Taktik und leicht zugängliche, demokratische Strukturen sind dazu nötig.
Um kampagnenfähig zu sein, müssen wir unsere Kräfte bündeln. Außerdem müssen wir Bürokratismus und „Karrieredruck“ auch im linken Flügel etwas entgegensetzen. Die einseitige Konzentration auf die Eroberung von Posten, taktische Absprachen zwischen einzelnen Mitgliedern und deren isoliertes Vorgehen sind Fehler die dazu führen, dass die linke Basis wegbröckelt und unsere Positionen und Taktik unverstanden bleiben.
Ein wichtiger Schritt zur politisch klaren, linken Organisierung in linksjugend [‘solid] war die Gründung des Bundesarbeitskreises Revolutionäre Linke letzten Sommer, der jetzt etwa 120 Mitglieder in über 30 Orten hat. Mit dieser Struktur treffen wir auf Grundlage gemeinsamer Positionen (siehe Gründungserklärung auf Facebook) Entscheidungen über Kampagnen im linken Flügel und eine gemeinsame Taktik. Auf bundesweiten Treffen organisieren wir Diskussionen zur politischen Lage, zum Vorgehen im Verband, zu gemeinsamen Kampagnen und Material und Workshops zum Basisgruppenaufbau und zur erfolgreichen Außenarbeit (Flyer schreiben, Treffen bewerben, Neumitglieder gewinnen, Plakatkampagnen, Arbeit an Schulen, Demotrainings…).
Für ein antikapitalistisches Programm
Wir wollen aufbauen und unsere Forderungen nach außen tragen. Dabei müssen wir uns daran orientieren, was notwendig ist. Wenn wir wollen, dass niemand mehr fliehen muss, muss das Bomben in der Welt, müssen Abschiebungen und der Verkauf von Waffen gestoppt werden. Aber wie soll das gehen, wenn die Kontrolle von Politik, Armee und Produktion in den Händen der Kapitalisten und ihrer Politiker liegt?
Viele Forderungen, die aktuelle Probleme lösen würden, gehen über die Grenzen des Kapitalismus hinaus und bedeuten ein revolutionäres Programm. Die letzte Schlussfolgerung daraus ist, was der BAK Revolutionäre Linke in seiner Gründungserklärung schreibt: „Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte. Gesellschaftsordnungen sind durch Menschen gemacht – sie können auch durch uns geändert werden. Wir treten für sozialistische Ideen ein, dafür, dass nicht für die Profite einer kleinen Minderheit, sondern nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung und nach ihrem Willen produziert wird. Das bedeutet für uns die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Ressourcen, politisch kontrolliert und geplant durch die Organisation der Arbeiterklasse von unten, sei es in Stadtteilkomitees, in Schulen und Unis, in Fabrik- oder Büroräten.“
Ein gutes Beispiel, wie ein antikapitalistischer Forderungskatalog zur Flüchtlingsbewegung aussehen kann, liefert der Kampagnenaufruf der Revolutionären Linken zu „Wohnen. Bleiben. Fluchtursachen bekämpfen. Die Reichen sollen zahlen!“ (siehe Facebook).
Die ganze Welt hat in Griechenland gesehen was passiert, wenn eine Partei wie Syriza in Worten viel fordert, aber in Taten nicht bereit ist mit dem System zu brechen. Die einfache Bevölkerung in Griechenland ist in Protesten so weit gegangen, nur um durch den Verrat von Syriza wieder mit voller Wucht gegen die Gitterstäbe zu laufen. Wir müssen Erfahrungen bekannt machen die uns zeigen, wie ein Bruch mit dem System möglich ist. Um einen Klassenstandpunkt in den Debatten in Linksjugend und LINKE einzunehmen und konsequent kämpferische Politik auf die Straße zu tragen, brauchen wir eine antikapitalistische und sozialistische Praxis im Jugendverband. Nicht der Anpassungsdruck in breiteren linken Formationen, sondern die Klassensolidarität muss unser Kompass sein.
Wir machen nicht Politik für unseren Lebenslauf, sondern um Proteste aufzubauen und uns für eine kämpferische Praxis und sozialistische Antworten einzusetzen. Deswegen werden wir weiter Jugendliche gewinnen. Zwar können wir noch nicht mit einem sozialistischen Programm Massenbewegungen gewinnen, aber wir können Beispiele setzen, Bewegungen inspirieren und stärken und AktivistInnen ausbilden. Wir brauchen einen Kampf um eine soziale Perspektive für alle und große, schlagkräftige linke Organisationen mit einem klaren Programm! Wir brauchen einen unangepassten Jugendverband der ausstrahlt: „Wir haben eine Welt zu gewinnen“!
Katharina Doll ist Mitglied im Bundessprecherkreis des BAK Revolutionäre Linke und des SAV Bundesvorstands. Sie lebt in Hamburg und ist dort aktiv im Landesverband der Linksjugend [’solid].