Steht nun ein Generalstreik gegen die Regierung Valls/Hollande bevor?
Seit einigen Monaten ist der „Burgfriede“ zwischen den gesellschaftlichen Klassen in Frankreich dahin. Die sich beschleunigende Deindustrialisierung wird durch immer neue Entlassungspläne weiter vorangetrieben. Immer wieder ist der öffentliche Dienst von Haushaltskürzungen betroffen. Und die Regierung unter Führung der PS (Parti Socialiste) verfolgt eine Politik, die immer deutlicher im Sinne der kapitalistischen herrschenden Klasse in Frankreich betrieben wird.
Von Leila Messaoudi, „Gauche Revolutionnaire“ (Schwesterorganisation der SAV in Frankreich)
Fast ein Jahr ist es nun her, dass ein Teil der besser organisierten und politisch bewussteren ArbeiterInnen am 9. April 2015 auf die Straße gegangen ist, um „Nein“ zu einer Regierungspolitik zu sagen, die nur im Interesse der Arbeitgeber ausgeübt wird. An den letzten Wahlergebnissen, die von einer hohen Wahlenthaltung und einem starken Stimmenanteil für den Front National (was in gewissem Maß als Protestwahl interpretiert werden kann) gekennzeichnet waren, ließ sich die Ablehnung der PS und ihrer Verbündeten schon verstärkt ablesen.
Da die Wut allgemein zunimmt, hat das politische Bewusstsein allerdings über einen längeren Zeitraum hinweg zugenommen. Aufgrund der mangelnden Führung durch die Gewerkschaftsvorstände fehlt zwar eine wirkliche Perspektive, weshalb auch die Zahl der Kämpfe gegen die widerlichen Pläne und konkreten Angriffe der Arbeitgeberseite auf den öffentlichen Dienst im Jahr 2014 nicht weiter zugenommen hatte. 2015 kam es dann aber zu einer spürbaren Zunahme an Auseinandersetzungen. Aktuell kommt es zu rund 200 Streiks am Tag. Einige dieser Streiks, bei denen es sich um Löhne und Lebensbedingungen dreht, haben über einen längeren Zeitraum angedauert und manche von ihnen sind erfolgreich gewesen.
In einer ganzen Reihe von Betrieben hat sich eine Stimmung des Widerstands breit gemacht. Häufig findet dies ohne das Zutun von Gewerkschaften statt und ist auf kämpferische gewerkschaftliche Betriebsgruppen zurückzuführen. Dies kommt vor allem aus die Zeit, als ein gewisser Herr Sarkozy noch im Amt war, und als die Arbeitgeber sich gehen ließen. Heute, unter der Regierung Valls/Hollande hingegen, haben diese Betriebsgruppen eine gewisse politische Reife erlangt und sind tiefer in den Belegschaften verwurzelt. Sie befinden sich nun an der Spitze des Aufruhrs der dieses Frühjahr durch Frankreich zieht. Neben den Betrieben bildet sich auch unter den Studierenden an den Universitäten und Hochschulen eine Bewegung heraus.
Hollande und Valls sehen einer Welle des Widerstands entgegen!
Die Regierung unter Hollande und Valls versucht, ihr Gebilde aus Austerität und neoliberaler Politik durch das sogenannte „El Khomri-Gesetz“ aufzustocken. Diese gesetzliche Neuregelung der Arbeitsbeziehungen ist nach dem Arbeitsminister benannt, der es offiziell eingebracht hat und hinter dem sich Valls und Hollande verstecken. Die Regierung will damit einen Blankoscheck für die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten und jungen Leuten ausstellen und sie darüber noch stärker prekarisieren. So sollen mit dieser neuen Arbeitsrechtsreform die rechtlichen Bestimmungen zur Regelarbeitszeit gekippt, Entlassungen erleichtert und die sozialen Errungenschaften zerstört werden, die bislang den Schutz der Arbeitnehmerseite regelten.
Ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung lehnt dies jedoch entschieden ab. Eigentlich sollte das bereits Ende Februar angekündigte Gesetz schon am 9. März dieses Jahres offiziell dem Parlament vorgestellt werden. In nur einer Woche brachte eine Online-Petition allerdings über eine Million Unterschriften dagegen zusammen! Anfangs veröffentlichten die Gewerkschaftsvorstände eine Erklärung, in der sie lediglich zwei Punkte des neuen Gesetzes zurückwiesen. Ein Teil von ihnen – vor allem die CGT (der größte Gewerkschaftsbund in Frankreich) – sah sich gezwungen, einen „branchenübergreifenden“ Generalstreiktag auszurufen, der jedoch nicht vor dem 31. März terminiert werden sollte. Dabei wurde allerdings nicht mit einkalkuliert, dass der Druck von Seiten der jungen Leute und „einfachen“ Mitglieder der Gewerkschaften enorm zunehmen sollte.
Zehn Tage vor dem besagten 9. März forderten die offiziellen Jugendorganisationen (obgleich ein Teil von ihnen traditionell enge Verbindungen zur PS unterhält) für diesen Tag eine entsprechende Mobilisierung, Streikaktionen und Protestmärsche. Die Regierung versuchte, auf Zeit zu spielen und verschob die offizielle Einbringung des Gesetzes kurzerhand auf den 24. März. Dieses Vorgehen konnte die Mobilisierung, bei der die völlige und unverzügliche Rücknahme des Gesetzes gefordert wurde, aber nicht mehr stoppen; im Gegenteil! Die örtlichen Betriebsgruppen, die die Basis der CGT bilden, riefen eine nach der anderen zu Arbeitsniederlegungen und Streiks am 9. März auf. Damit haben sie ganz bewusst Druck auf den eigenen Bundesvorstand ausgeübt, ebenfalls einen solchen Aufruf zu starten.
Ein größer werdender Anteil an jungen Leuten und Beschäftigten erkennt, dass die zur Debatte stehende Arbeitsrechtsreform symbolisch für die Zukunft steht, die die PS aber auch die anderen rechten Parteien sowie die Arbeitgeberseite für uns bereithalten. Und sie lehnen es ab, diese Perspektive einfach so hinzunehmen. Die Mobilisierung in der Bevölkerung hält an. Jede und jeder spürt, dass die Lage ernst ist und dass es sich bei dieser Bewegung um genau die Art von Bewegung handelt, auf die wir schon so lange gewartet haben.
Mit beinahe einer halben Million TeilnehmerInnen war der 9. März ein echter Erfolg. Die Menschen sind mobilisiert worden und aktiv geworden, um ihrer Wut Luft zu verschaffen. Viele haben die Arbeit ganz oder zeitweise niedergelegt. Ihre Entschlossenheit war nicht zu stoppen. In den Betrieben hingen Transparente, Protestzüge fanden statt und auch junge Leute wurden in einer ganzen Reihe von Städten mobilisiert.
Mobilisierung der jungen Leute
Es ist zehn Jahre her, dass junge Leute in Frankreich eine massenhafte Mobilisierung initiiert haben. Damals lief der Kampf gegen das CPE (Einschnitte bei Personen im ersten Beschäftigungsverhältnis). Auf dieser Grundlage waren zahllose junge Menschen zusammengekommen, die sich mit den abhängig Beschäftigten und deren Organisationen verbunden haben. Am Ende zwangen sie die Regierung 2006 zum Rückzug. Das Gesetz zur Arbeitsrechtsreform hat hingegen einen wesentlich höheren Stellenwert. Damit wird ein Bild von der Zukunft gemalt, in der prekäre Beschäftigung in den Betrieben zum Regelfall wird. Das ist ein umfassender Angriff auf die ArbeiterInnen von heute und vor allem auf die jungen Leute – ganz egal, welche Ausbildung sie haben.
Unterdessen sind die ersten Generalversammlungen an den Universitäten einberufen worden, an denen im Moment nicht viele teilnehmen. Doch der Kampf befindet sich ganz eindeutig erst in seiner Anfangsphase. Studierende haben dadurch mobilisiert, dass sie ihre Hochschulen blockiert haben. Große Kontingente von ihnen organisierten sich zu den Protestmärschen in etlichen Städten – entweder autonom oder rund um politische AktivistInnen. Die Organisation dieser Bewegung befindet sich demnach noch in ihren Anfängen und hängt eng mit den bereits existierenden studentischen Organisationen an den Universitäten zusammen.
Die Regierung ermahnte die Jugendorganisationen, die Dinge einfach nur zu diskutieren, ist damit allerdings auf ganzer Linie gescheitert. Die Studierenden-Gewerkschaft UNEF, die eigentlich der PS nahesteht, hat dazu aufgerufen, die Mobilisierung auszuweiten, um die Rücknahme des Gesetzes zu erwirken, noch bevor es überhaupt offiziell vorgestellt worden ist.
Rolle der Gewerkschaften
Angesichts der Tatsache, dass sie es mit einer dem Namen nach „sozialistischen“ Regierung zu tun haben, fühlen sich die Gewerkschaftsspitzen ganz offenkundig beunruhigt. Ihnen kommt eine enorme Verantwortung zu. In einem Land, in dem der gewerkschaftliche Organisationsgrad niedrig ist, hängt ihr Überleben davon ab, welche Haltung sie gegenüber der Regierung und den Arbeitgebern sowie hinsichtlich der Erwartungen der ArbeiterInnen einnehmen.
Am Anfang hat sich der Vorstand der CFDT (Gewerkschaftsbund, der der PS nahesteht) zusammen mit anderen Gewerkschaften ziemlich unzweideutig dafür entschieden, das Gesetz nachbessern (!) zu wollen. Unter dem Druck von unten waren die CGT zusammen mit der FSU (der größten Lehrergewerkschaft) und den Basisgewerkschaften „SUD Solidaires“ sehr schnell dabei, um auf die Arbeitsrechtsreform zu reagieren. Die Mitgliedschaft der CGT hat den eigenen Vorstand sehr bewusst dazu gedrängt, die Verbindungen zur CFDT schon recht frühzeitig zu kappen und einen gewerkschaftlichen Block zusammen mit den Jugendorganisationen und für die umfassende Rücknahme der Gesetzesvorlage zu bilden.
Und der Druck von unten ist stark. Viele Gewerkschaftsgliederungen der CGT haben zum ersten Mal eigenständig Aufrufe herausgegeben, um für den 9. März zu mobilisieren – ohne auf die Haltung des Dachverbandes zu warten. Ähnlich läuft es nun mit Blick auf die Vorbereitungen für den Tag eines Generalstreiks am 31. März ab. Viele Menschen diskutieren bereits die nächsten Schritte für die Zeit nach dem 31. März. Eine Idee besteht darin, ab dem 24. März, dem Tag der offiziellen Einbringung des Gesetzes ins Parlament, zu mobilisieren. Betriebe, in denen ein Kampf für höhere Löhne oder gegen Restrukturierungen bzw. Entlassungen geführt wird, beziehen den 31. März schon als Höhepunkt in ihre Kampagnenplanungen mit ein.
Tiefe politische Krise
Das Potential ist vorhanden. Die politische Krise ist umfassend, und die Regierung ist ziemlich machtlos. Wie sich an den jüngsten Wahlergebnissen ablesen lässt, geht es tatsächlich nicht nur um eine Krise der Regierung und von Staatspräsident Hollande. Wir haben es mit einer Krise des gesamten Regimes zu tun und mit einer Krise der gesamten politischen Klasse, die im Dienste der Kapitalisten tätig ist.
Von der Parti Socialiste (PS) bis zum Front National (FN) ist eine Lagebestimmung schwierig und kompliziert. Die PS hat mit innerparteilichen Brüchen zu kämpfen, der rechte Parteiflügel ist äußerst gespalten und kritisiert die allzu abrupten oder „ungeschickten“ Methoden von Hollande! Und der FN hat ebenfalls mit internen Widersprüchen zu tun: Einige, wie Marion Marechal Le Pen, zeigen Unterstützung für ein Gesetz, das den Arbeitgebern mehr Freiheiten gewährt, wohingegen sich Marine Le Pen auffällig zurückhält.
Sie alle haben Angst vor einer länger anhaltenden Bewegung, die Entscheidungen im Land blockieren und sie daran hindern könnte, angesichts der Präsidentschaftswahl 2017 ihre kleinen Deals mit ihren Freunden zu machen. Vor diesem Hintergrund hält die Regierung Kurs und bleibt bei der üblichen Politik. Gleichzeitig geht sie weiter repressiv gegen GewerkschaftsaktivistInnen vor, hält an ihrer rassistischen Politik gegen Flüchtlinge und ihrer anti-muslimischen Propaganda fest, mit der die vermeintliche Terrorgefahr an die Wand gemalt wird.
All diese Elemente stellen für den Kampf jedoch keine echten Hindernisse mehr dar; jedenfalls nicht mehr, so lange junge Leute und ArbeiterInnen, die kampfbereit sind, betroffen sind. Diese Aspekte reifen zu Argumenten heran, die die Notwendigkeit für ein Zusammengehen und den gemeinsamen Kampf deutlich werden lassen. Es werden Verbindungen geknüpft und die politischen Fragen stärken die Vorstellung, nach der es an der Zeit ist, gemeinsam voranzuschreiten.
Steht im Frühjahr ein Generalstreik in Frankreich bevor?
Hinzu kommt, dass es auch ein gewisses Maß an Einvernehmen darüber gibt, dass ein Generalstreik bevorsteht. Diese Erkenntnis kommt teilweise instinktiv zustande, teilweise geht sie aber auch auf die Erfahrung mit den Massenbewegungen von 1995, 2003 und 2010 zurück. Es geht um einen Generalstreik, der diesen Namen auch verdient und mit dem die Arbeitsrechtsreform und die Regierung wirklich gestoppt und das gesamte gesellschaftliche Leben lahmgelegt werden könnte. Was das angeht, werden die politischen Diskussionen durchaus ernst und aufrichtig geführt und hängen eng mit der Frage zusammen, wie es weitergehen kann, wie die Bewegung vorangebracht werden kann, wie der Druck erhöht werden kann, um noch mehr Menschen zu aktiver Teilnahme zu bewegen und nicht im Sande zu verlaufen. An diesen Diskussionen beteiligen sich auch junge Studierende, die sich bewusst sind, dass sie für ihre Zukunft kämpfen. Dass die Zukunft von weltweiter Prekarisierung, Kriegen, Terrorismus und dem Aufhalten von MigrantInnen an den Grenzen geprägt sein soll, ekelt sie an und motiviert sie instinktiv zur Mobilisierung dagegen.
Das Gemisch aus diesen jungen Leuten, die sich für ihre eigene Zukunft mobilisieren, und kampfbereiten und organisierten Teilen der Gesellschaft, die sich häufig selbst als revolutionär bezeichnen, muss erreichen, breitere Gesellschaftsschichten anzusprechen, die mit großer Sympathie auf diese Bewegung blicken. Darum wird es in den nächsten beiden Monaten März und April gehen.
Was das angeht, ist das Potential für einen Generalstreik durchaus vorhanden. Ein bedeutender Teil der Arbeiterbewegung und der jungen Leute vollzieht nicht nur den Bruch mit der Sozialdemokratie; man will sie auch loswerden und kämpfen. Die Idee, sich selbst organisieren und eine sozialistische Gesellschaft aufbauen zu müssen, ist zwar noch nicht besonders weit verbreitet. Aber viele junge Leute und ArbeiterInnen sind auf der Suche nach einer politischen Perspektive. Momentan wird in der Bewegung noch nicht die Frage gestellt, ob die Regierung zu Fall gebracht werden muss. In den kommenden Wochen wird sich die Situation aber zuspitzen, und die Ereignisse könnten sich überschlagen.
Die Mitglieder von Gauche Revolutionnaire sind dort, wo sie studieren und arbeiten, in ihren Gewerkschaftsgliederungen und auf der Straße damit beschäftigte, die Aufgabe des Aufbaus einer Massenbewegung anzusprechen, die stark genug ist, um die Kapitalisten und die Regierungen, die ihnen dienen, zu stoppen. Darüber hinaus bieten wir eine echte sozialistische Perspektive gegen die Regierung und die Kapitalisten an.