Immer noch aktiv gegen Faschismus und Kapitalismus
Am 7. März 1916 wurde Theodor Bergmann als siebtes Kind eines Rabbiners in Berlin geboren. 1927 trat er dem Jungspartakusbund bei, 1929 dem Jugendverband der neu gegründeten KPD-Opposition. 1933 nach seinem Abitur emigrierte er (Palästina, Tschechoslowakei, Schweden). 1946 kehrte er nach Deutschland zurück. Hier wurde er schließlich Professor für Agrarwissenschaften.
Von Wolfram Klein, Stuttgart
Dabei blieb er in der Tradition der KPD-Opposition aktiv und gab 1948 bis 1952 ihre Zeitung „Arbeiterpolitik“ heraus. 1952 trennte er sich von der „Gruppe Arbeiterpolitik“ und war die folgenden 38 Jahre nicht politisch organisiert, aber in der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (GGLF) und dort besonders in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit engagiert. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und seines politischen Engagements bereiste er zahlreiche Länder und verfasste eine Reihe von Büchern. 1990 trat er der PDS bei und war 1990/91 ihr baden-württembergischer Landesvorsitzender. Er ist auch heute noch in der Stuttgarter Linken aktiv, kommt zu Versammlungen und Veranstaltungen, schreibt Bücher, hält mit fester Stimme Vorträge, reist alleine neugierig in der Welt herum …
Antifaschismus
Besonders empfehlenswert sind seine Vorträge zum Faschismus, über den er nicht nur als Zeitzeuge berichtet, sondern ihn auch in der Tradition des KPO-Theoretikers August Thalheimers analysiert. Die KPO trat damals ebenso wie Trotzkis Anhänger für eine Einheitsfront zwischen Kommunistischer Partei und SPD (die damals noch eine Arbeiterpartei mit bürgerlicher Führung war) ein. Stattdessen bekämpften diese einander. In einem Interview (ND, 30. 12. 2008) erinnerte er sich: „Es gab sogar Prügeleien und Messerstechereien. Die einen schrien ,Sozialfaschisten‘, die anderen ,Kommunazis‘. (…) Das hat dem gemeinsamen Kampf gegen die Nazis, für den wir mit der Einheitsfront-Losung früher als alle anderen eingetreten sind, sehr geschadet. Heute müssen wir gemeinsam die Neonazis von der Straße und aus den Parlamenten jagen. Dafür müssen unsere Sprachrohre in den Parlamenten wirken. Und wir müssen alle außerparlamentarischen Mittel nutzen.“
Er betont die kapitalistischen Interessen hinter dem Faschismus und die Verantwortlichen für seinen Aufstieg: 1. die aktive Schuld der herrschenden Klasse (Banken, Industrie, die Spitzen des Staatsapparats), die Hitler an die Macht brachten, 2. die passive Schuld des Geschehenlassens und der politischen Blindheit der Führungen von SPD, KPD und Gewerkschaften, 3. die Sympathie und Klassensolidarität vieler bürgerlichen Regierungen, die das Nazi-Regime als Bollwerk gegen die Sowjetunion betrachteten. Er wendet sich gegen die Versuche, von dieser Schuld abzulenken durch eine angebliche Kollektivschuld der Deutschen und gegen die Vorstellung, der Widerstand gegen die Nazis habe erst 1944 begonnen.
Gegen den Stalinismus
Bergmann bezeichnet sich als „kritischen Kommunisten“. Er ist ein scharfer Gegner des Stalinismus. Er hat sich sehr für die Rehabilitierung der Opfer von Stalins „Säuberungen“ in der Sowjetunion (und von Maos „Kulturrevolution“ in China) eingesetzt. In seiner Autobiographie („Im Jahrhundert der Katastrophen“, Hamburg 2000) schreibt er: „Es gab innere und äußere Faktoren des langen Prozesses der Degeneration und der Selbstzerstörung der UdSSR. Zu den äußeren Faktoren gehören: die Isolation der russischen Revolution durch die kapitalistischen Mächte und vor allem durch die deutsche Sozialdemokratie, ihre Intervention in den Bürgerkrieg und die intensive Unterstützung der Weißgardisten und ihres weißen Terrors. Nach dem Sieg der Roten Armee im Bürgerkrieg wurde über das Land eine politische und ökonomische Quarantäne verhängt. Hinzu kamen das Ausbleiben bzw. die Niederlage der Revolution in Zentraleuropa und nach dem 2. Weltkrieg der Kalte Krieg und das Wettrüsten. Von einer Umwälzung in Westeuropa hatten sich die Bolschewiki das Ende der Isolierung und Aufbauhilfe versprochen. Zu den inneren Faktoren rechne ich den Abbau der Rätedemokratie und die immer weitere Einschränkung der innerparteilichen Demokratie. Weitere Negativposten waren: die Verflechtung von KPdSU und Staat, das Verbot und die Vernichtung aller kommunistischen Alternativen und der unabhängigen marxistischen Forschung, die Privilegierung der höheren Parteifunktionäre, die übermäßige Parteidisziplin der Opposition, die Bolschewisierung der Bruderparteien, der Verzicht auf jede Kritik, die überstürzte Industrialisierung und Kollektivierung, die Übertragung der Stalinschen Entwicklungsstrategie auf die im zweiten Weltkrieg von der Roten Armee eroberten Länder und schließlich die Intervention in Afghanistan.“ (S. 205 f.) Trotz dieser Kritik hat er in der Tradition der KPD-Opposition und seines Lehrers August Thalheimer die Sowjetunion als sozialistisch betrachtet (und nicht wie die SAV als einen „deformierten Arbeiterstaat“, als eine Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus). Er hoffte auf Reformkräfte innerhalb der Führung, nicht auf einen Sturz der Bürokratie von unten. Über die Sowjetunion im Sommer 1989 schreibt er: „Die eigene Initiative, die politische Mitwirkung war den Menschen jedoch in Jahrzehnten abgewöhnt, ja verboten worden. Die schon mehrfach wiedergekehrten Versprechen auf baldige Verbesserungen hatten ihre Glaubwürdigkeit verloren. Verordnete Passivität war zur Lethargie geworden.“ (a.a.O., S. 203) Die gigantischen Bergarbeiterstreiks, die gerade damals die Sowjetunion erschütterten, erwähnt er dort nicht.
Noch befremdender ist, dass er hartnäckig überzeugt ist, dass China sozialistisch sei. Zwar hat er das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens im Juni 1989 scharf verurteilt, aber die Verantwortung dafür sah er nur bei den „Reformgegnern“ innerhalb der chinesischen Führung.
Haltung zu Israel
In seiner Autobiographie schreibt er: „Die tiefste Erniedrigung der deutschen und der Menschheitsgeschichte – der deutsche Faschismus – hat als Rettung für die von der Vernichtung bedrohten Juden die Rückbesinnung auf die eigene Nationalität, die Entstehung des Staates Israel und eines neuen israelischen Volkes erzwungen. Dieser Staat hat das gleiche Existenzrecht wie 184 andere Staaten in der UNO, und seine Regierung muss genauso kritisiert werden wie viele andere Regierungen auch. Als Reaktion auf den Vernichtungswillen des deutschen Faschismus haben die gejagten Überlebenden große Leistungen vollbracht, die freimütig anzuerkennen sind.“ (a.a.O., S. 252) Dem können wir teilweise zustimmen. Aber er konstatiert nicht nur die Tatsache, dass eine israelische Nation entstanden ist, für deren Selbstbestimmungsrecht MarxistInnen eintreten müssen. Er betrachtet diese Entstehung auch als eine politisch richtige Antwort auf den Holocaust. Aber ein jüdischer Staat im Nahen Osten hätte die Ermordung der JüdInnen in Europa nicht verhindern können, von denen die meisten erst erkannten, dass sie fliehen mussten, als sie bereits nicht mehr fliehen konnten – also hätten auch seine offenen Grenzen für jüdische Flüchtlinge diese nicht gerettet. Bergmanns Position führt dazu, Israel ein höherrangiges Existenzrecht zuzuerkennen als Palästina oder dem Libanon. So rechtfertigt er Maßnahmen der israelischen Regierung, die er bei anderen Regierungen kritisieren würde.
Darüber hinaus ist die SAV gemeinsam mit ihrer israelischen Schwesterorganisation der Ansicht, dass eine dauerhafte Lösung des Konfliktes nur mit dem Sturz des Kapitalismus und der Schaffung eines unabhängigen sozialistischen Palästina neben einem sozialistischen Israel in einer demokratischen und sozialistischen Konföderation der Region möglich sein wird.
Aber solche Differenzen hindern uns selbstverständlich nicht, in den Fragen, die heute und in der absehbaren Zukunft in Deutschland auf der Tagesordnung stehen, mit ihm an einem Strang zu ziehen. Neben dem Kampf gegen den Faschismus gehört dazu der Kampf gegen den Imperialismus und die Kriegspolitik der Herrschenden in Deutschland ebenso wie der gegen den Abbau demokratischer Rechte, Sozialabbau, für kämpferische Gewerkschaften und eine antikapitalistische, sozialistische Ausrichtung der Partei DIE LINKE.
Für Sozialismus
In seiner Autobiographie nennt er elf „Eckwerte“ für ein sozialistisches Deutschland:
„1. Beseitigung der ökonomischen Macht des Kapitals und seiner Konzernherren, die in politische Macht umgesetzt wird, durch Enteignung der Kommandohöhen der Wirtschaft. Das bedeutet zugleich, dass andere Sektoren und Wirtschaftszweige nicht verstaatlicht werden, sondern mehrere Eigentumsformen an Produktionsmitteln nebeneinander existieren.
2. Damit Beseitigung des Strebens nach Profitmaximierung und privater Kapitalakkumulation als Haupttriebkräfte ökonomischer Entwicklungen.
3. Demokratie auch im Wirtschaftsleben – vom Betrieb bis zur staatlichen Plankommission, die damit zu einem Organ wird, in dem die autonom organisierten gesellschaftlichen Kräfte über die Grundfragen der sozialökonomischen Entwicklung, u.a. Verteilung des Mehrwerts, verhandeln. Planung wird so zu einem offenen, demokratischen Prozess.
4. Die sozioökonomische Bilanz wird durch eine Materialbilanz für Energie und Rohstoffe und ein gesellschaftliches Organ für vorausschauende und kontrollierende Technologiefolgenabschätzung ergänzt und durch sozialistische Marktwirtschaft korrigiert. Dafür ist ein neues Verständnis des Verhältnisses von Markt und Plan und der vielfältigen indirekten staatlichen Steuerungsmittel erforderlich.
5. Sparsamer Umgang mit Rohstoffen und Natur. Zielvorstellung in einem hochindustrialisierten Land ist nicht mehr Maximierung der Produktion, sondern Beseitigung der Armut, ein menschenwürdiges Leben für alle, der Abbau der materiellen Ungleichheit. Nicht der konsumierende Mensch, sondern der allseitig gebildete und sozial engagierte Mensch ist das Ziel.
6. Der Lebensstandard ist qualitativ zu verbessern durch erweiterte Bildungsangebote für jedermann, verbesserte soziale Sicherung, Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Recht auf Arbeit und Wohnung, Ausbau und Verbesserung der sozialen Dienste.
7. Trennung von Staat und Kirchen, von Staat und Parteien.
8. Es bedarf demokratisch verfasster Gegengewichte gegen den Staatsapparat, also vom Staat unabhängiger Gewerkschaften, Interessenvertretungen aller sozialen Gruppen und Schichten.
9. Sicherung aller bürgerlichen Freiheiten, Demokratie besonders in einer revolutionären Partei und Pluralismus der Parteien. Nur faschistische und ähnliche Parteien sind zu verbieten. Demokratie ist nur zu sichern durch aktivste Mitarbeit, Kritik und Kontrolle aller Bürger einer sozialistischen Gesellschaft, also durch die Selbstorganisation der Werktätigen.
10. Volle und effektive Gleichstellung der Geschlechter auf allen Ebenen der Gesellschaft.
11. Internationale Solidarität mit den Werktätigen der Entwicklungsländer im Kampf für politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Hilfe bei der Schaffung moderner, menschenwürdiger Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Die radikale Veränderung der Gesellschaft von einer des Profits und der allgemeinen Konkurrenz zu einer der Kooperation und der freien Entfaltung aller ihrer Angehörigen – das ist eine Revolution. Mit welchen Mitteln sie durchgeführt werden wird, lässt sich nicht vorausbestimmen. Das hängt u.a. vom Widerstand der alten herrschenden Klasse und ihres Apparates ab. Es wäre sicher falsch, den Weg der russischen Oktoberrevolution, der durch den Widerstand des alten Staatsapparates, die auswärtige Intervention und den weißen Terror bedingt war, als allgemeingültig zu verstehen. Aber ebenso sicher war der Weg der SPD, das friedliche Hineinwachsen in den Sozialismus – und das gerade im militaristischen Deutschland – ein Holzweg.“ (S. 269 f.)
Damit können wir weitgehend übereinstimmen. Bei den Auseinandersetzungen, die wir innerhalb der Linken (und LINKEN) zu diesen Fragen haben, steht Theodor Bergmann uns mit diesen Positionen näher an die meisten. Wir wünschen uns, dass wir noch eine Reihe von Jahren gemeinsam mit ihm für diese Ziele kämpfen können; dass uns Theodor Bergmann noch lange als Mitkämpfer, Diskutant und lebendiges Lexikon für 100 Jahre Geschichte der Arbeiterbewegung erhalten bleibt. Und wir wünschen ihm, dass er noch lange dafür Gesundheit und Kraft hat noch zu seinen Lebzeiten einen Aufschwung die Rückkehr des Klassenkampfes und eine breite Wiederbelebung sozialistischen Bewusstseins erlebt.
Eine der nächsten Gelegenheiten, Theodor Bergmann live zu erleben sind die Sozialismustage der SAV, wo er am 26. März referiert zum Thema „100 Jahre deutscher Imperialismus – ein kritischer Kommunist blickt zurück und nach vorn. Wie kämpfen wir gegen den Faschismus und seine Wegbereiter?“