Polizei verhilft NPD zu ihrem Parteitag

Foto: http://www.flickr.com/photos/prokura/ CC BY-NC-SA 2.0
Foto: http://www.flickr.com/photos/prokura/ CC BY-NC-SA 2.0NPD

Nazipartei trifft in Weinheim auf bisher stärksten Widerstand

Tausende Menschen haben am Samstag in Weinheim gegen den Bundesparteitag der NPD in Weinheim demonstriert. Dieser fand zum dritten Mal in Folge in der Stadt mit 44.000 EinwohnerInnen an der Bergstraße im Norden Baden-Württembergs statt.

Der Widerstand war in diesem Jahr deutlich größer und organisierter als in den Jahren zuvor, als das Vorhaben der NPD jeweils nur kurzfristig bekannt worden war.

Von Paul Pfersching

Allerdings wurde der Widerstand geschwächt und gespalten durch den Umstand, dass das bürgerliche Bündnis „Weinheim bleibt bunt“ (WBB), an dem alle Gemeinderatsfraktionen, der Oberbürgermeister und verschiedene Vereine beteiligt sind, sich von denen abgrenzten, die das Nazi-Treffen durch Blockaden verhindern wollten. Zudem vertrat WBB den Standpunkt, dass nur WeinheimerInnen gegen den NPD-Parteitag protestieren sollten. Der Beitrag dieses Bündnisses zum Tag war ein „Buntes Kulturfestival“ „gegen Gewalt“ und „gegen Extremismus“ in einem eigens aufgestellten beheizten Zelt, während gleichzeitig an verschiedenen Stellen in der Stadt aktive AntifaschistInnen versuchten, durch Blockaden der Zufahrtsstraßen das Durchkommen der Nazis zum Parteitagsort in der Stadthallte zu verhindern.

Lokale Medien hatten im Vorfeld teilweise regelrechte Bürgerkriegsszenarien ausgemalt, die durch „gewalttätige Linksextremisten“ angeblich drohen würden. Auch der örtliche LINKEN-Vorsitzende Carsten Labudda beteiligte sich an der Stimmungsmache gegen AntifaschistInnen, indem er davor warnte, dass einige Personen nach Weinheim kommen würden „um Gewaltexzesse zu veranstalten“.

Hätte er damit das Großaufgebot der Polizei gemeint, dann hätte er eventuell Recht gehabt. Bereits am Abend vor dem Parteitag hatte die Polizei den Bereich um die Stadthalle abgeriegelt. AktivistInnen vor Ort berichteten, dass der Tagungsort der Nazis über Nacht von mit Maschinengewehren bewaffneten PolizistInnen bewacht wurde.

Am Samstagmorgen wurden Versuche der Nazigegnerinnen, an verschiedenen Punkten bis zur Stadthalle vorzudringen, mit massiver Gewalt zurückgeschlagen. Ein Video zeigt, wie die Polizei regelrecht Jagd auf AntifaschistInnen macht, die gerade dabei sind, sich zurückzuziehen und mit Tritten und Schlagstöcken Menschen angreifen, die sich völlig passiv verhalten.

Die eingesetzte DemosanitäterInnen-Gruppe zählte 89 Verletzte, die bis auf wenige Einzelfälle allesamt durch die Polizei verletzt wurden. Besonders schwer verletzt wurde eine Antifaschistin, die nach Angaben von AugenzeugInnen mehrfach mit dem Schlagstock im Nacken getroffen wurde. Sie erlitt Lähmungserscheinung und musste in die Neurologie gebracht werden, es besteht der Verdacht auf einen Wirbelbruch. Ein kurdischer Journalist wurde mit dem Schlagstock attackiert, als er eine Polizeiaktion fotografieren wollte. Er blieb zwar unverletzt, doch seine Kamera wurde beschädigt. Die Polizei berichtet von einem Schwer- und 15 Leichtverletzten in ihren eigenen Reihen.

Nachdem die Polizei den Nazis den Weg in die Stadt freigemacht hatte – unter anderem durch das Einkesseln und die Festnahme von über hundert Personen, die sich an einer Blockade beteiligt hatten, wurden die Nazis einzeln oder in kleinen Gruppen von ihren Fahrzeugen zur Halle begleitet – teilweise direkt an den GegendemonstrantInnen vorbei. Die Polizei fungierte gewissermaßen als Bodyguards für die Nazis, die sich offensichtlich so sicher fühlten, dass sie die Gegendemonstranten auch mal provozierten oder fotografierten, ohne dass die Polizei auch nur ansatzweise so energisch eingriff, wie an anderer Stelle gegen AntifaschistInnen.

Die Polizei setzte sich mehrfach über im Vorfeld getroffene Absprachen und sogar über das Gesetz hinweg. Mehrfach wurde Personen aus nächster Nähe Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Die Arbeit der DemosanitäterInnen wurde erschwert, weil die Polizei teilweise fälschlicherweise behauptete, es sei diesen nicht erlaubt, Verletzte zu behandeln. Es wurde entgegen vorheriger Ankündigung ein Wasserwerfer eingesetzt, und der kurzfristig ausgetauschte Einsatzleiter der Polizei erklärte in Bezug auf die Hauptdemonstration der NazigegnerInnen am Nachmittag kurzerhand alle im Vorfeld beim Kooperationsgespräch getroffenen Absprachen für nichtig.

An dieser Demonstration, die vom Bahnhof durch die Innenstadt zur Abschlusskundgebung am Ort der durch Einkesselung und Massenfestnahme geräumten Blockade vom Vormittag führte, nahmen deutlich über 1000 Personen teil – die Polizei hatte anfänglich von 350 gesprochen, was angesichts vorhandenen Videomaterials sofort als völlig unseriöse Schätzung erwies. Links und rechts des Demozuges lief ein Spalier aus vermummten PolizistInnen, was gerade in den engen Straßen der Altstadt Konfliktpotenzial barg. Doch die DemonstrantInnen blieben besonnen und ließen sich nicht provozieren. Auf den Kundgebungen der Demonstration sprachen unter anderem RednerInnen vom DGB, von MigrantInnen-Organisationen und antifaschistischen Gruppen. Es wurde die Polizeigewalt des Tages angeprangert, aber auch die Stimmungsmache im Vorfeld seitens lokaler Medien und PolitikerInnen. Auch der gesellschaftliche und strukturelle Rassismus sowie die Stimmungsmache gegen Geflüchtete und die Einschränkungen des Asylrechts wurden kritisiert, geben sie doch den Nazis eine Steilvorlage nach der anderen, um ihre Positionen hoffähig zu machen.

„Ich stelle fest, dass die Polizei der NPD ihren Bundesparteitag in Weinheim ermöglicht, dieser hätte niemals stattgefunden ohne Polizeikonvois und ‚Polizeiescortservice‘ für NPD-TeilnehmerInnen“, resümmierte Annette Ludwig von „NoFragida“ aus Frankfurt. Zu ergänzen wäre noch, dass die Spaltung des Widerstandes durch eine entpolitisierte „Gewaltdebatte“, die Nazis auf eine Stufe stellt mit denen, die sich ihnen entgegengestellt haben, eine ebenso unrühmliche Rolle gespielt hat, wie die Angstkampagne einiger lokaler Medien, die zweifellos bewirkt hat, dass viele Menschen aus Weinheim und der Region, die gerne ihre Ablehnung der NPD auf die Straße getragen hätten, aus Angst vor Krawalle zu Hause geblieben sind.

Video Polizeigewalt am Morgen:

https://www.youtube.com/watch?v=kl9bgIgHSbo

Video von der Demo am Nachmittag:

https://twitter.com/Steffi_Oemisch/status/668059176816533504

Bericht „Beobachternews“

http://www.beobachternews.de/2015/11/22/massiv-und-bunt-protest-gegen-npd/

Bericht „Störungsmelder“

http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/11/22/massive-polizeigewalt-bei-block-npd-aktionen-in-weinheim_20713

Augenzeuginnenbericht von Annette Ludwig:

https://www.facebook.com/NOFRAGIDA1/posts/558923280949709:0