Gewerkschaften: Kurswechsel nötig

FotoBei den Kämpfen im Jahr 2015 war und ist mehr drin!

Vier Wochen lang gab es eine Ahnung davon was es heißt, wenn Frontalangriffe von Oben angemessen beantwortet werden. Postler besuchen ErzieherInnen und KrankenpflegerInnen, reden auf Solidaritätsveranstaltungen und umgekehrt; überall war von der Streikrepublik Deutschland die Rede. Was wenn das Kräfteverhältnis sich dieses Mal nicht zu Gunsten von Unternehmen und Reichen verschiebt? Was wenn die Gewerkschaftsführungen so viel Feuer unterm Hintern bekommen, dass sie es nicht wie Kerzen auf dem Geburtstagskuchen ausblasen können, um sich hinterher mit ein paar Krumen abspeisen zu lassen?

von Alexandra Arnsburg, Mitglied im verdi-Landesbezirksvorstand Berlin-Brandenburg*

Eine Erzieherin auf der Demo in Dresden im Juni meinte zu mir: „Jetzt haben wir die Chance etwas zu erreichen, die bekommen wir bestimmt so schnell nicht wieder“. ver.di-Chef Bsirke schwärmte auf der Bundesvertrauensleutekonferenz, dass selbst in kleinen Dörfern, ErzieherInnen sich zu hundert Prozent organisieren und streiken ohne je einen Gewerkschaftssekretär gesehen zu haben. Was den Vorsitzenden verwundert, scheint bei vielen AktivistInnen längst überfällig. Neue Gewerkschaftsmitglieder nehmen die Führung in die Zange, fordern Beteiligung und Streikgeld ohne dass jemand vor Ort ist, der sie wieder an die Arbeit schickt weil sonst mehr dem Streikaufruf folgen könnten als vorher gemeldet. Mit der großen Ablehnung des Schlichtungsergebnisses setzen sie erneut ein Zeichen und im Oktober kann es wieder zu Streiks kommen.

Kämpferische Gewerkschaften gesucht

In der Vergangenheit wurde oft mit Streikabbruch und Annahmeempfehlungen zu schlechten Ergebnissen die Kampfkraft der KollegInnen ausgehöhlt. Den Gewerkschaftsspitzen geht es ja gut: sie bekommen Bezüge „auf Augenhöhe“ mit den Unternehmern während Millionen von Menschen jeden Tag unter sich verschlechternden Arbeitsbedingungen leiden, viele am Arbeitsplatz zusammenbrechen und von Löhnen leben müssen die weder für ein gesundes Leben noch für die Unterstützung von Kindern reichen. Immer noch zählen 1,22 Mio Beschäftigte zu den Hartz-IV-Aufstockern. Die Gewerkschaften benennen zwar die Probleme, entwickeln aber keine Strategie für einen Kampf dagegen, geschweige denn von den nötigen Vorrausetzungen: einer kämpferischen Organisation mit den fähigsten Leuten aus den Betrieben und der Jugend mit lebendigen Basisstrukturen.

Gegen den harten Kurs von Oben …

Solange der Verteilungsspielraum und die Angst vor sozialer Unruhe groß waren, funktionierte Stellvertreterpolitik und Co-Management mit Durchhalteparolen und Appellen an die Unternehmer zumindest für einen Teil der Beschäftigten, während ein immer größerer Teil vollkommen abgehängt wird. Der harte Arbeitgeberkurs in Auseinandersetzungen und die Einschränkungen im Streikrecht zeigen, dass diese Zeiten vorbei sind und wir uns gut auf künftige Streiks vorbereiten müssen. Die Gewerkschaften scheinen dagegen überrascht, wenn tausende einem Aufruf folgen und konzeptlos wenn kein akzeptabler Kompromiss in Sicht ist. Einige ErzieherInnen organisierten tägliche Streikversammlungen, die diskutierten wie der Streik entgegen der Ansage von Bsirske, man könne nicht weiter streiken, fortgesetzt werden kann. Die begonnene Solidaritätskampagne muss nun ausgeweitet und Kämpfe zusammengeführt, das massive Umverteilungsprogramm von Unternehmern und Politik zum Thema gemacht und mit Initiativen und der Partei DIE LINKE auf die Straße gebracht werden.

… muss Widerstand organisiert werden!

Gegen wachsende Prekarisierung und Arbeitshetze ist eine Gesamtstrategie nötig, mit der sich die Gewerkschaften mit Unternehmen und ihren Politikerfreunden anlegen müssen. Gemeinsam mit allen Mitgliedern sollten Forderungen aufgestellt werden, die wirklich die Lebenssituation verbessern, wie die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, die demokratische Verstaatlichung von Großbetrieben, die Massenentlassungen vornehmen wollen und von Banken, um der Kreditlast von Kommunen zu begegnen und höhere Ausgaben im Öffentlichen Dienst zu finanzieren. Entsprechende Maßnahmen für deren Durchsetzung müssten diskutiert und alle darauf vorbereitet werden diese dann auch umzusetzen. Von den jetzigen Vorständen ist das nicht zu erwarten. Sie starten lieber weitere Co-Management-Projekte, wie das Bündnis „Zukunft der Industrie“ oder stimmen dem Gesetz zur Tarifeinheit zu. Dafür brauchen wir neue AktivistInnen an der Spitze der Gewerkschaften und jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit mit Bezügen gemessen am Durchschnittslohn der Mitglieder. So kann gewährleistet werden, dass sie sich weiterhin auf Augenhöhe mit denen befinden, die sie wählen.

Vernetzung nötig

Eine solche Veränderung kann man nicht allein bewirken, AktivistInnen sollten sich zusammenschließen. Dafür gab es bereits Ansätze, die nun genutzt werden können, wie das Treffen des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di und der ver.di-Linken NRW am 30. August. Mit einem kämpferischen Programm, effektiven Strukturen und politischen Profil gegen Neoliberalismus und Unterdrückung hier und weltweit wäre Mitgliederschwund längst kein Thema mehr. Überall dort wo Beschäftigte das Gefühl hatten, mit der Gewerkschaft etwas bewegen zu können, sind sie auch eingetreten und aktiv geworden wie im Einzelhandel und bei Sozial- und Erziehungsdiensten gesehen. Bei den Sozial- und Erziehungsdiensten traten bereits in den ersten fünf Monaten des Jahres über 30.000 Beschäftigte ein. Wenn es keine radikale Änderung des Gewerkschaftskurses gibt, werden viele dieser KollegInnen ihnen wieder den Rücken kehren. Es ist höchste Zeit und getreu dem Motto des irischen Arbeiterführer James Larkin, das ein Streikführer beim beispielhaften und mitgliedergeführten Streik an der Berliner Charité zitierte: „Die Großen erscheinen nur deshalb groß, weil wir niederknien. Laßt uns uns erheben.“

*Funktionsangabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person