Veranstaltung der linksjugend [’solid] Aachen
Seit etwa zwei Monaten macht eine neue rassistische Gruppe in der Aachener Region von sich reden: Die „Identitäre Aktion“. Sie knüpft an die „Identitäre Bewegung“ in Frankreich und Österreich an.
von Aleksandra Setsumei und Christian Walter, Aachen
Die „Identitären“ versuchen sich von klassisch-faschistischen „Blut und Boden“-Ideologien abzugrenzen. Stattdessen phantasieren sie von einer europäischen Kultur, die vor einer Islamisierung und anderen Einflüssen „geschützt“ werden müsse.
Hetze und Drohungen
Die Aachener Gruppe beschränkt sich bisher weitgehend auf eine sehr aktive Facebook-Seite. Die über 1000 „Likes“ dürften vor allem von anderen „Identitären“, Neonazis und AnhängerInnen rassistischer Bewegungen wie PEGIDA stammen. Auf dieser Seite werden meist Fahndungsaufrufe der Polizei und Pressemeldungen geteilt. Dazu wird dann in der Regel geschrieben „Ausländer“ oder „Asylanten“ brächten nichts als Kriminalität. In Kommentaren kommt es zu deutlichen Drohungen: Bilder mit Baseballschlägern und Gewaltsphantasien waren regelmäßige Reaktionen auf die Einrichtung eines neuen Übergangsheims für AsylbewerberInnen.
Die „Identitären“ sind aber kein reines Internetphänomen. Anfang Juni fuhren sie gegen fünf Uhr morgens mit einem leistungsstarken Soundsystem durch mehrere Straßen des migrantisch geprägten Aachener Ostviertels. Über ihre Anlage ließen sie Muezzingesänge laufen und versuchten so, ein Bild einer angeblich drohenden „Islamisierung“ zu zeichnen. Vor wenigen Wochen kündigten sie an am Aachener „Nachtlauf“ teilzunehmen, einem großen Sportevent.
Gegenwehr ist notwendig
Sobald sie ihre angebliche Teilnahme angekündigt hatten wurde Druck von AntifaschistInnen gemacht. Mit linksjugend [’solid] und Teilen der LINKEn verteilten wir beim „Nachtlauf“ selbst Aufklärungsflyer. Andere hatten im Vorfeld antirassistische Symbole entlang der Strecke gesprüht. Von den „Identitären“ war nichts zu sehen. Auch nach der hetzerischen Lärmbelästigung informierten wir die Bevölkerung, dass nicht durchgeknallte Islamisten dafür verantwortlich waren, sondern Neonazis.
Um uns und andere inhaltlich fitter zu machen organisierten wir mit linksjugend [’solid] und einer LINKE-AG Ende Juli eine Info-Veranstaltung. Unser Referent Christoph Glanninger aus Wien ist Mitglied der Sozialistischen LinksPartei (SLP; österreichische SAV-Schwestergruppe) und kennt sich mit den dort recht starken „Identitären“ gut aus.
Die „Identitären“: Rassistisch und faschistisch
„Die Identitären“ sind eine neue rechte Bewegung, die 2003 als Wahlpartei in Frankreich gegründet und seit einigen Jahren in Frankreich und Österreich, aber auch in Deutschland und Italien mit aktionsorientierten Jugendgruppen aktiv ist.
Ihre Ideologie basiert auf dem Gedanken des „ethnischen Pluralismus“ oder „Ethnopluralismus“, der aussagt, dass alle „Ethnien“ ihre eigenen Kulturen hätten, die sich untereinander unter keinen Umständen vermischen dürften. Jegliche „fremden“ Einflüsse brächten die Gefahr des Verlustes der eigenen „Identität“ und müssten vermieden werden. So ist der Kampf gegen eine tolerante, multikulturelle Gesellschaft, die zur „Auslöschung“ oder „Abschaffung“ von Europa oder Vaterland führe, die Hauptmotivation der Identitären.
Zwar geben die Identitären immer demonstrativ vor, „nicht rassistisch“ und „weder rechts noch links“ zu sein, doch bereits ein kurzer Blick auf ihre Inhalte zeigt, dass sie die alten faschistischen Idee hinter einem neuen Stil zu verbergen versuchen. So hetzen aber mit ihren Slogans wie „Stoppt den großen Austausch!“ oder „Islamisierung? Nein, Danke“ gegen MigrantInnen und Muslime.
Auch wenn ihre Ideologie nicht von minderwertigen Ethnien oder Rassen spricht, ist die Schlussfolgerung des ethnischen Pluralismus die gleiche – Vielfalt brauche Grenzen. Sollte der Gedanke in die Tat umgesetzt werden, würde das praktisch Massenvertreibungen fordern, um kulturell homogene Gebiete zu kreieren. Diesen Gedanken verfolgend verhöhnen die „Identitären“ die Asylsuchenden mit zynischen Parolen wie „Grenzen retten Leben“ oder „Asylwahn stoppen!“.
Doch nicht nur MigrantInnen werden zur Zeilscheibe ihrer chauvinistischen Angriffe – auch Frauen hätten den „Identitären“ nach in der Gesellschaft eine feste Rolle: Während die Männer „die Welt aufbauen“, sollen die Frauen zu Hause bleiben, schön aussehen und eine gute Mutter spielen.
Auch wenn die „Identitäre“ Bewegung eine relativ kleine ist, ist sie strukturell diszipliniert und schafft es, durch gezielte Aktionen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. So organisieren sie regelmäßig Flyerverteilungen oder hängen Plakate und Transparente mit hetzerischen Inhalten auf. Außerdem schrecken sie nicht davor zurück, auch härtere Aktionen durchzuführen, wie z.B. das Nachspielen einer Hinrichtung durch die IS-Kämpfer, um die Angst vor dem islamistischen Terrorismus zu schüren. In Berlin und Hamburg haben sie kurzzeitig die SPD-Zentrale besetzt und ihre rassistische Propaganda auf die Balkone gehängt.
Bei fremdenfeinlichen Demos, an denen sie massiv teilnehmen, wird immer wieder der Versuch von AntifaschistInnen unternommen, sie zu behindern und zu blockieren. In Wien im Juni 2015 standen 300 Rechte einer Übermacht von rund 500 GegendemonstrantInnen gegenüber.
Natürlich ist es wichtig, sich den RassistInnen in den Weg zu stellen, ihnen den öffentlichen Raum zu nehmen und ihre Propaganda zu zerstören. Andererseits sind die meisten Gründe für Menschen, die auf diese Hetze reinfallen, soziale Probleme, die nicht nur nicht von den MigrantInnen verursacht werden, sondern unter den auch sie leiden. So müssen wir immer wieder auf die Gemeinsamkeit der Interessen aller Lohnabhängigen hinweisen: Höhere Löhne, bezahlbare Wohnungen, gute Bildung usw. Diese Interessen teilen wir unabhängig von der „ethnischen Zugehörigkeit“ oder Religion und der gemeinsame Kampf dafür ist der beste Weg, gegenseitige Vorurteile abzubauen. Um Rassismus endgültig aus der Welt zu schaffen, müssen seine Ursachen, also die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, überwunden werden.
In Österreich kommt es im Umfeld solcher Aufmärsche immer wieder zu Angriffen auf vermeintliche MigrantInnen oder Linke. In den letzten Monaten gab es mehrere Angriffe auf SLP-Mitglieder. „Identitäre“ hetzen gegen die ArbeiterInnenbewegung und Linke. Zusammen mit rechten, nationalistischen Burschenschaften stehen sie damit in bester faschistischer Tradition. Die Aachener Gruppe „Identitäre Aktion“ positioniert sich weiter rechts als die „Identitäre Bewegung“, tritt hetzerischer auf und spielt mit bei Neonazis beliebter Symbolik. Es ist klar, dass sie als faschistische Gruppe charakterisiert werden muss.
Selbstschutz und Solidarität
Die Veranstaltung war mit über 50 Teilnehmenden bis auf den letzten Platz besetzt, einige mussten stehen. Wer nicht kam waren die „Identitären“ – anders als angekündigt.
Sie hatten im Vorfeld über verschiedene Facebook-Seiten dazu aufgerufen die Veranstaltung zu „besuchen“. Das muss als Drohung gewertet und ernst genommen werden. Wir waren auf mögliche Provokationen oder Angriffe vorbereitet: Mehrere Menschen waren vor der Tür, behielten die Gegend im Auge und es gab zu Beginn Ansagen, wie im Falle von Provokationen oder Angriffen reagiert werden sollte. In Wien konnte eine Handvoll „Identitäre“ schonmal eine Veranstaltung sprengen, weil die VeranstalterInnen unvorbereitet waren und sie teilnehmen ließen. In Anwesenheit von Faschisten über den Kampf gegen Rechts zu diskutieren geht aber nicht – ihre Anwesenheit schafft Verunsicherung und Angst.
Während der Veranstaltung wurden auch Sachspenden für Flüchtlinge in Aachen gesammelt. Mehr als 20 Menschen beteiligten sich daran. Eigentlich sollte so etwas nicht nötig sein und Hilfesuchende in einem reichen Land gut versorgt werden. Die Realität sieht anders aus. In einer am Ende beschlossenen Stellungnahme kritisiert linksjugend [’solid] Aachen genau dies und fordert ebenso, Fluchtursachen zu bekämpfen.