Vorschläge der Regierung enden im Fiasko
Bericht von „Socialist Action“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Hong Kong)
Am Ende stimmten nur acht regierungstreue Abgeordnete für das völlig unbeliebte Reformvorhaben der Regierung, das als „Schein-Demokratie“ abgetan wird. Geschehen ist dies in der gesetzgebenden Versammlung von Hong Kong, die als „Legco“ (= „Legislative Council“; dt.: „gesetzgebender Rat“) bekannt ist. Dieser Rat stimmte am Donnerstag, dem 18. Juni, über das Antragspaket ab.
Die Reform des Wahlrechts, mit der das bisherige Vorgehen verändert werden sollte, sah vor, dass die Wahlen nach dem Muster ablaufen sollen, wie man es aus dem Iran kennt. Heute wählt der „Chief Executive“ (Regierungschef) aus einer elitären auswahl an Kandidaten aus. Nach der Reform sollte dem Wahlvolk zwar das Recht zur Stimmabgabe zugestanden werden, allerdings nur für eine bestimmte Anzahl an handverlesenen KandidatInnen. Mit 28 zu acht Stimmen ist dieses Reformvorhaben nun abgelehnt worden. Zwar war im Vorfeld mit diesem Ergebnis gerechnet worden. Dass es allerdings so deutlich ausfallen würde, war für viele doch überraschend. Zurückzuführen ist dies auf die „mangelhafte Kommunikation“ der regierungstreuen Entscheidungsträger, die die Abstimmung verließen, weil sie glaubten, damit die Abstimmung verschieben zu können. Sie hatten gehofft, dass ein verspätet eintreffender Stimmberechtigter noch zu einem anderen Ergebnis hätte beitragen können.
Ob es am schlechten mathematischen Verständnis gelegen hat oder daran, dass man die Regularien des „Legco“ fehlinterpretiert hat, sei dahingestellt. Jedenfalls hat das Verlassen des Plenarsaals dazu geführt, dass das genaue Gegenteil des eigentlichen Ziels erreicht wurde: Am Ende blieben 37 Personen in der Sitzung übrig (zu denen auch der Sprecher der Kammer gehörte, der kein Stimmrecht hat). Das heißt, dass 36 Stimmberechtigte anwesend waren und die Abstimmung ohne die treuesten Unterstützer der Regierungsseite durchgeführt wurde. Die Ironie besteht darin, dass gerade diese regierungstreuen Politiker in den letzten Monaten immer wieder gegen die liberal-demokratische Opposition der „Pan-Demokraten“ in Hong Kong ins Feld geführt haben, letztere würden die Zukunft Hong Kongs sabotieren und seien verantwortlich dafür, dass die „Einführung des allgemeinen Wahlrechts“ blockiert werde. Die Pan-Demokraten kommen mit ihren 27 von insgesamt 70 Sitzen zwar auf eine ausreichende Zahl an Beigeordneten, um die Gesetzgebung zu verhindern (dafür wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig). Die Posse des regierungstreuen Lagers hat aber dafür gesorgt, dass das Ergebnis nun gar keine Zweifel mehr zulässt.
Dieses inkompetente Vorgehen der eigenen Vertreter hat das Regime in China in helle Aufregung versetzt. Weil die entsprechenden Beigeordneten damit die ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, ist es nun wesentlich komplizierter, die geplante Propagandaoffensive gegen die Pan-Demokraten durchzuziehen. Innerhalb des regierungstreuen Lagers in Hong Kong ist es vor aller Öffentlichkeit zu Spaltungen und Groll gekommen. Eine prominente Politikerin der Pro-Peking-Fraktion, Regina Ip Lau Suk-yee von der „Neuen Volkspartei“, die ebenfalls den Sitzungssaal verlassen hatte, brach während eines Radiointerviews in Tränen aus. Eine Truppe von Beigeordneten des Peking-treuen Lagers soll Berichten zufolge nach der verbockten Abstimmung das Verbindungsbüro der Zentralregierung, den Sitz des chinesischen Regimes in Hong Kong, aufgesucht haben, um sich zu entschuldigen und möglicherweise eine Standpauke abzuholen.
Nach dieser Abstimmung machte sich in der Demokratiebewegung der Stadt Erleichterung breit und man feierte diesen Erfolg, mit dem ein Vorschlag abgewürgt worden ist, der im vergangenen Jahr zum Auslöser der 79 Tage andauernden „Regenschirm-Revolution“ geworden ist. Damals kam es zu Massenprotesten und Besetzungsaktionen. Die Frage, die sich nun stellt, lautet, welche Strategie nötig ist, um den Kampf weiterzubringen. Die Kollaps, den die Reformpläne der Regierung erlitten haben, wird als Schlag gegen die Diktatur in China begrüßt. Letztere will Hong Kong ein scheindemokratisches System überstülpen, um weitere repressive Maßnahmen durchführen zu können. Auf diese Weise sollen die in Teilen als demokratisch zu bezeichnenden Rechte, die bisher erreicht werden konnten, wieder ausgehöhlt werden. Außerdem soll die Kontrolle Pekings ausgeweitet werden. Dieser Plan hat nun einen schweren Schlag erlitten. Es liegt jedoch auf der Hand, dass das nicht als Sieg im Kampf für Demokratie verbucht werden kann, weil dieser damit nicht weitergebracht worden ist. Dieser Kampf kann nur erfolgreich sein, wenn die Herrschaft der Ein-Parteien-Diktatur beendet wird. Nach der Abstimmung im „Legco“ muss der echte Kampf erst noch geführt werden.
Der revolutionäre Kampf
Vor allem mit Blick auf die im nächsten Jahr anstehende Neuwahl des „Legco“ werden die Pan-Demokraten diese Niederlage für Peking nutzen, um wieder für mehr Untersützung für sich zu werben. In den letzten Jahren sind die pan-demokratischen Parteien immer stärker in Frage gestellt worden, weil sie eine graduell verlaufende Kompromisslinie verfolgt haben. Sie meinten, dass darin der einzige Weg bestehe, um Peking demokratische Zugeständnisse abzuringen. Fakt ist, dass ihr gefährlicher Ansatz gescheitert ist. Nach mehr als 30 Jahren hat man eine spürbaren Fortschritte erzielt (sowohl unter britischer wie auch unter chinesischer Verwaltung). Das zeigt sich daran, dass das undemokratische politische System Hong Kongs, das ganz offen von einer Elite aus Milliardären beherrscht wird, alles in allem unverändert weiterhin Bestand hat. Ein ganz wesentlicher Faktor, der im letzten Jahr zum Ausbruch der Proteste geführt hat, besteht in der massenhaft vorhandenen Frustration über die mangelnde Kampfbereitschaft der Pan-Demokraten.
Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die „Moderaten“, die das pan-demokratische Lager anführen, zu einer Neuausrichtung bereit wären. Emily Lau Wai-hing, die Vorsitzende der „Democratic Party“, sagte, die Abstimmung im „Legco“ würde „ein klares Signal an die Zentralregierung und die internationale Gemeinschaft aussenden, dass es umgehend zu einem neuen Reformvorschlag kommen muss“. Das wird gesagt, obwohl Peking unmissverständlich klar gemcht hat, keine demokratischen Wahlen zulassen zu wollen (weil damit eine Kettenreaktion in Festland-China ausgelöst werden könnte, die den Machtanspruch der Diktatur bedrohen mag) und dass es sich bei der nun bgelehnten Reform um ihr „letztes Angebot“ gehandelt hat. Und dennoch setzen die „moderaten“ Pan-Demokraten weiterhin auf „das tote Pferd“ der Reformen. Trotz der Erfahrungen, die man in Hong Kong machen musste und der Lehren, die aus der Geschichte zu ziehen sind, glauben sie immer noch, dass eine parlamentarische Demokratie neben einer Diktatur im selben Land existieren kann.
Die Tatsache, dass keinE einzigeR BeigeordneteR des pan-demokratischen Lagers im „Legco“ für die Reformvorschläge der Regierung gestimmt hat (2010 haben das einige von ihnen tatsächlich noch getan), zeigt, unter welch immensem Druck diese PolitikerInnen von Seiten der Massen und nach der „Regenschirm-Revolution“ stehen. Sie waren gezwungen ihr Veto einzulegen, sind aber leider nicht bereit ihre Grundsatzhaltung zu überdenken. Sie sind weiterhin darauf aus, in Verhandlungen zu begrenzten Reformen zu kommen. Von daher haben sie keinen Vorschlag anzubieten, wie der Kampf vorangebracht werden kann. Die Gefahr, die ihre Herangehensweise mit sich bringt, bestewht darin, dass die führenden VertreterInnen der Pan-Demokraten jetzt versuchen werden zu de-mobilisieren und die Wut der Massen herunterzukochen. Damit würde dann auch die Hoffnungen, die in den Kampf gesetzt worden sind, geschmälert. Über diesen Kampf und die Bewegung haben die Pan-Demokraten zunehmend die Kontrolle verloren. Weil sie keine anderen Ideen auf Lager haben, außer Appelle in Richtung der Diktatur zu richten, man möge doch mit „neuen Reformvorschlägen“ kommen, werden diese Parteien zweifelsohne versuchen, den Fokus auf die nächsten Wahlen zu richten. Das wird auf Kosten der neuen Initiativen gehen, die sich für den Kampf der Massen eingesetzt haben. Dabei sollte der Kampf auf der Wahlebene der Notwendigkeit untergeordnete werden, eine Massenbewegung neu aufbauen zu müssen.
Dies zeigt wie nötig es ist, sich für eine neue kämpferische Führung und entsprechende Organisationen einzusetzen, die sich auf den Kampf an der Basis stützen und den Kampf für Demokratie auf diese Weise voranbringen können. Die wichtigste Zutat wäre in diesem Zusammenhang eine Partei der Arbeiterklasse mit sozialistischem Programm, das revolutionäre Forderungen nach Demokratie und gegen die Autokratie mit der Notwendigkeit verbindet, das Wirtschaftssystem abzuschaffen, das von den Milliardären beherrscht wird sowie zu Armut und Ungerechtigkeit führt. Eine solche Bewegung muss demokratische Aktionskomitees an der Basis aufbauen. Der Mangel an demokratischer Kontrolle war der größte Schwachpunkt der „Regenschirm-Proteste“, was dazu geführt hat, dass die Bewegung sich nicht ausweiten und eskalieren konnte. Andere, noch effekvollere Formen des kollektiven Massenwiderstands wie Streiks und ein politischer Generalstreik waren nicht möglich. Will man wirklich Aussicht auf Erfolg haben, dann ist es entscheidend, den Kampf aktiv über die Grenzen Hong Kongs hinaus zu exportieren. Dazu muss zu Solidaritätsaktionen der Massen aufgerufen werden – in China und weltweit.