Solidarität organisieren! Gemeinsam kämpfen & streiken!
Streiks bei der Bahn, Post, im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE), an der Berliner Charité, bei Amazon, jetzt auch im Einzelhandel: 350.000 Ausfalltage in den ersten fünf Monaten diesen Jahres sind bereits mehr als in den Jahren 2013 und 2014 zusammen. Gibt es Gemeinsamkeiten dieser Arbeitskämpfe? Wie könnten sie miteinander verbunden werden?
von Angelika Teweleit, Berlin
KrankenpflegerInnen klagen, dass sie keine Zeit mehr für PatientInnen haben. Bei ErzieherInnen schießt die Anzahl der Krankheitstage in die Höhe. Bei der Bahn schieben die Beschäftigten acht Millionen Überstunden vor sich her. PostzustellerInnen sollen immer größere Bezirke in kürzerer Zeit für weniger Geld bearbeiten. Das alles sind Folgen von neoliberaler Arbeitgeberpolitik. Jetzt sagen Belegschaften: halt – so geht es nicht weiter! So wurden offensive Forderungen aufgestellt. Als erste Gewerkschaft seit langem forderte die GDL eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Auch ver.di fordert diese für die Beschäftigten bei der Post, als Reaktion auf die Tarifflucht der Post AG. An der Berliner Charité kämpfen die KollegInnen – historisch zum ersten Mal – für einen Tarifvertrag für Personalbemessung. Ihre Forderungen: Keine Nacht allein und eine Personal-Patienten-Quote von 1:2 auf Intensivstationen und 1:5 auf Normalstationen. Für den gesamten Bereich SuE wird eine durchschnittliche Anhebung der Löhne um zehn Prozent gefordert.
Gesellschaftspolitische Fragen
In all diesen Bereichen nehmen die Arbeitgeber eine zunehmend harte Haltung in den Tarifverhandlungen ein. Bei Bahn, Post und im Gesundheitswesen entstand mit der Einführung privater Rechtsformen der Druck zur Profitabilität. Die Folgen waren jahrelanger Stellenabbau und eine Absenkung des Lohnniveaus. Im Sozial- und Erziehungsdienst wird gegen die Forderungen der Beschäftigten das Argument der Schuldenbremse ins Feld geführt.
Die Folgen von Privatisierungen und Einsparungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verkehr, Soziales betreffen auch die Masse der Bevölkerung. Bei allen Arbeitskämpfen geht es nicht nur um das Wohl der Beschäftigten, sondern um bessere öffentliche Daseinsvorsorge. Das sind gesellschaftspolitische Fragen.
Einschränkung des Streikrechts
Auch die harte Haltung der Bahn AG war vor allem politisch motiviert. Die GDL, die seit dem Arbeitskampf 2007 Beispiele für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik gesetzt hat, soll zurück gedrängt werden. Das ist im Interesse von Arbeitgebern wie auch einigen Spitzen innerhalb der DGB-Gewerkschaften. Denn die SPD-nahen Führungen des DGB, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG oder der IG Metall fühlen sich durch die kämpferische Haltung der GDL unter Druck gesetzt. Sie bevorzugen eine Politik des Co-Managements, die sich unter anderem durch ein Ausbleiben von großen Streikmobilisierungen auszeichnet. So hat sich der Vorsitzende des DGB, Reiner Hoffmann, am Tag der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes demonstrativ hinter die Regierung gestellt und damit der Einschränkung des Streikrechts zugestimmt!
Solidarität: Prinzip der Gewerkschaften
ver.di, GEW und NGG haben sich dagegen positioniert. Doch eine Verhinderung des Gesetzes hätte massenhaften Widerstand gebraucht, bis hin zum politischen Streik. Dazu waren auch die Führungen von ver.di, GEW und NGG nicht bereit. Eine Mobilisierung der Mitgliedschaft hätte auch einer anderen Vorbereitung bedurft. Zunächst wäre eine konsequente Haltung nötig gewesen, nämlich eine vorbehaltlose Unterstützung des GDL-Streiks. Wenn ver.di-Chef Frank Bsirske stattdessen den Streik der GDL als falsch bezeichnet, führt das auch zur Verwirrung innerhalb der eigenen Mitgliedschaft. Vor allem ist es ein Bruch mit dem gewerkschaftlichen Grundprinzip von Solidarität. Dieses muss jedoch wieder aufgebaut werden, um für zukünftige Auseinandersetzungen gewappnet zu sein.
Standhaftigkeit lohnt sich
Mit ihrer standhaften Haltung konnte die GDL einen Zwischenerfolg verbuchen. Die Bahn AG musste einen Rückzieher machen. Denn die Kernforderung der GDL nach eigenen Tarifverträgen auch für die ZugbegleiterInnen und LokrangierführerInnen scheint nun erfüllt. Jetzt geht es bei der Schlichtung um die materiellen Forderungen von Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Begrenzung der Überstunden. Ein Scheitern der Schlichtung ist möglich und dann müsste der Kampf mit aller Härte weiter geführt werden. Dann würde auch die Frage der Solidarität mit dem GDL-Arbeitskampf erneut auf die Tagesordnung kommen.
Solidarität aus der Bevölkerung
Standhaftigkeit allein ist nicht immer ausreichend. Wichtig war, dass die Versuche von Regierung, Arbeitgebern, Medien bis hin zu den Führungen der DGB-Gewerkschaften, die GDL zu isolieren, nicht funktioniert haben. Durchgehend stand etwa die Hälfte der Bevölkerung hinter der GDL. Es ist ein positives Zeichen, dass so viele Menschen im Gegensatz zu den Führungen der DGB-Gewerkschaften die Bedeutung von solidarischer Unterstützung im Arbeitskampf verstehen! Solidarität ist auch von großer Bedeutung für die anderen Arbeitskämpfe.
SuE-Streik
Das zeigt sich beim Streik der Sozial- und Erziehungsberufe (SuE), bei dem die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) eine harte Linie fährt. Vielerorts haben sich Eltern solidarisch an Protesten beteiligt. Doch teilweise wird von Elternvertretungen eine Haltung eingenommen vertreten, man solle sich auf keine Seite schlagen und nur allgemein appellieren, endlich zu einem Ergebnis zu kommen. Neutralität hilft in diesem Fall aber den Arbeitgebern, die auch die Medienberichterstattung dominieren. Eine zentrale Rolle könnten jetzt die DGB-Gewerkschaften spielen.
Die IG Metall schreibt: „Der Kita-Streik betrifft auch viele Metallerinnen und Metaller. Die IG Metall begrüßt es, dass in einigen Unternehmen für die betroffenen Eltern unbürokratische Lösungen gesucht werden. So könnten beispielsweise das Arbeiten von zu Hause und flexible Arbeitszeiten helfen.“ Diese „sozialpartnerschaftliche“ Herangehensweise hilft nicht weiter. Stattdessen sollten die DGB-Gewerkschaften dafür sorgen, dass die Eltern verstehen, warum dieser Streik notwendig ist und gleichzeitig helfen, den politischen und wirtschaftlichen Schaden des Streiks zu erhöhen.
Solidaritätskampagne in die Betriebe tragen
So könnte in den Unternehmen Druck aufgebaut werden, dass die Kinderbetreuung durch die Arbeitgeber finanziert wird. Vor allem muss umgehend eine Solidaritätskampagne durch ver.di und die DGB-Gewerkschaften in den Betrieben gestartet werden. Es sollten Betriebsversammlungen einberufen werden, zu denen Streikende eingeladen werden. Die GewerkschaftsvertreterInnen und Betriebs- und Personalräte sollten sich dort unmissverständlich für den Streik positionieren. Sie müssen klar machen: die Verantwortung für den Ausstand liegt einzig und allein bei den Arbeitgebern, die versuchen, den Streik auszusitzen. Auf den Versammlungen sollte erklärt werden: wenn die Arbeitgeber es hier schaffen, die Beschäftigten klein zu machen, dann versuchen sie es morgen auch in anderen Bereichen. Deshalb – und weil ein gutes Erziehungs-, Sozial- und Bildungswesen im gesellschaftlichen Interesse ist, muss dieser Arbeitskampf von allen solidarisch unterstützt werden. ver.di hat in den besser organisierten Bereichen des öffentlichen Dienstes aktive Mittagspausen organisiert. Auf der Grundlage von guter Vorbereitung durch Betriebsversammlungen kann auch die Grundlage geschaffen werden, solche Aktionen auszuweiten – bis hin zu Solidaritätsstreiks. Wenn die Arbeitgeber weiterhin blockieren, ist es dringend notwendig, so den Druck zu verstärken.
ver.di sollte auch die KollegInnen in Kitas freier Träger durch so genannte Partizipationsstreiks in die Auseinandersetzung einbeziehen. So haben KollegInnen aus protestantischen Kitas in Rheinland-Pfalz ebenfalls gestreikt. Da viele freie Träger sich am TVÖD für die kommunalen Kitas orientieren, gibt es hier Möglichkeiten zur weiteren Ausweitung.
Blockade der Arbeitgeber durchbrechen
Die Post AG will sich nicht daran hindern lassen, durch Ausgründungen Tarifflucht zu begehen und Beschäftigte mit Armutslöhnen abzuspeisen. Dabei übt sie Druck auf die einzelnen Beschäftigten aus, setzt Beamten und LeiharbeitnehmerInnen als Streikbrecher ein und zeigt auf TV-Bildschirmen in den Brief- und Paketzentren stundenlange Propaganda-Spots gegen ver.di. Auch in dieser Auseinandersetzung sind die KollegInnen auf Solidarität angewiesen.
Gemeinsam kämpfen
Es gilt mehr denn je zusammen zuhalten und sich gegenseitig zu unterstützen. Leider wird dies von den Gewerkschaftsspitzen wenig bis gar nicht vorangetrieben. Noch bei der Gründung von ver.di im Jahr 2001 wurde Hoffnung verbreitet, dass durch die Zusammenführung der damaligen verschiedenen Gewerkschaften aus dem öffentlichen Dienst und privaten Dienstleistungen eine größere Schlagkraft entwickeln würde. Vierzehn Jahre später sind Belegschaften, die früher noch zusammen für einen Tarifvertrag kämpften, mehr denn je zersplittert.
Tarifkämpfe – nicht nur ökonomisch
Die Ausgangsposition für Tarifkämpfe ist komplizierter geworden, weil häufiger kleinere Belegschaften für ihre Tarifverträge kämpfen. Doch es spricht viel dafür, die vielen einzelnen Kämpfe zusammen zu bringen, um sich gegenseitig zu stärken. Dabei sollten die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Tarifkämpfe betont werden. Das ist zum einen die Arbeitshetze als Folge von Personalmangel und Stellenabbau. Das ist der zunehmende Konkurrenzdruck durch Privatisierungen und Ökonomisierung. Das ist die politische Frage von mangelnden Investitionen in Bildung, Erziehung, Gesundheitswesen, Soziales, Verkehr und Infrastruktur. Eine zentrale Aufgabe besteht darin, die Arbeitskämpfe nicht nur als ökonomische Tarifauseinandersetzungen, sondern auch als gesellschaftliche Kämpfe zu verstehen.
Für bessere öffentliche Daseinsvorsorge
Deshalb sollten sie mit den Forderungen nach einer Rücknahme aller Privatisierungen verbunden werden. Es sollten Investitionen in die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge gefordert werden, anstatt Gelder für Rüstung rauszuwerfen. Mit einer Millionärssteuer von zehn Prozent bei einem Freibetrag von einer Million würden zusätzlich 200 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen fließen. Angesichts der Unfähigkeit des Kapitalismus, Ressourcen im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen, muss der Kampf für bessere Daseinsvorsorge auch mit der Perspektive einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft geführt werden.
Kämpfe zusammen führen
Verschiedene Tarifkämpfe könnten so ein Schritt in Richtung einer gemeinsamen gesellschaftlichen Bewegung werden. Das bedeutet natürlich immer noch, dass jede Belegschaft es mit „ihren“ Arbeitgebern zu tun hat und Verhandlungen separat geführt werden müssen. Dennoch würde die Zusammenführung zur Stärkung führen und die gesellschaftspolitische Dimension deutlich machen. Praktisch kann das mit gegenseitigen Solidaritätsbesuchen beginnen. Solche hat es bei den aktuellen Kämpfen auf lokaler Ebene schon gegeben. So besuchten in Kassel, Stuttgart, Aachen, Dortmund, Berlin und anderen Städten die KollegInnen der GDL Streikversammlungen der SuE-KollegInnen und umgekehrt. In Hannover sprachen SuE-Streikende auf einer Warnstreikkundgebung der Versicherungsbeschäftigten. In Brandenburg gab es gemeinsame Protestaktionen von SuE und Einzelhandel, in Hamburg von Post und SuE. Das sind gute Ansätze, die teilweise von unten angestoßen wurden. Diese Beispiele sollten überall aufgegriffen werden. Vor allem käme es darauf an, gemeinsame Protestkundgebungen und Demonstrationen von streikenden Kolleginnen aus den verschiedenen Bereichen bundesweit zu koordinieren.
Für kämpferische Gewerkschaften
KollegInnen, die solch eine gewerkschaftliche Herangehensweise erreichen wollen, sollten sich zusammen schließen und koordinieren. Die SAV unterstützt alle Ansätze, um sich innerhalb der Gewerkschaften für eine kämpferische Ausrichtung einzusetzen, unter anderem im „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“. SAV Mitglieder sind zudem bei den Tarifkämpfen in bezirklichen Streikleitungen als auch in der Solidaritätsarbeit aktiv. So engagieren sich SAV-Mitglieder in Soli-Komitees für den SuE-Streik, bei der Streikzeitung für die GDL, im Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“, wie auch in der Solidaritätsarbeit über LINKE und Linksjugend [’solid].
Angelika Teweleit ist Sprecherin des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di und Mitglied der SAV-Bundesleitung