Vorschläge der SAV für die gewerkschaftliche Gegenwehr
Die Zahl der Beschäftigten steigt, die Arbeitslosenquote sinkt, die Reallöhne steigen – so die Erfolgsmeldungen. Doch die Situation ist für die meisten Beschäftigten und Erwerbslosen alles andere als rosig.
von Angelika Teweleit, Berlin
Die Zahl von atypischen Beschäftigungsverhältnissen ist weiter angestiegen. 2014 hatten fast vier von zehn ArbeitnehmerInnen Teilzeitstellen, Minijobs oder Leiharbeitsverhältnisse. Das trifft vor allem Frauen. Trotz Reallohnsteigerung aufgrund der niedrigen Inflation, sinkt die Lohnquote weiter und zwei Drittel der Beschäftigten liegen unter dem Durchschnittseinkommen aller ArbeitnehmerInnen.
Ein Hauptproblem ist die enorme Arbeitshetze. Produktivität wird mit dem Ziel erhöht, Personal einzusparen. Die Tarifflucht der Post bei den Paketdiensten ist ein Beispiel für die jahrelange Strategie von Privatisierung und Outsourcing, die immer neue Blüten treibt. Und mit dem geplanten Tarifeinheitsgesetz soll ein Einstieg in die Einschränkung des Streikrechts geschafft werden.
Co-Management
DGB-Chef Hoffmann und der IG Metallvorsitzende Wetzel setzen auf Kooperation mit der Großen Koalition und auf Co-Management mit den Unternehmen. So wurde auch das Bündnis „Zukunft der Industrie“ auf Initiative der Industriegewerkschaften geschaffen. Dieses soll „die Voraussetzungen für eine engere Kooperation von Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften schaffen“, so liest man im Kooperationsvertrag der Vorsitzenden von IG Metall, IG BAU, EVG und IG BCE, die sich im April unter Ausschluss der übrigen DGB-Gewerkschaften getroffen hatten.
Die Zustimmung zum Gesetz zur Tarifeinheit durch die DGB-Führung hat zum Ziel, kämpferische Gewerkschafts- und Tarifpolitik, wie sie die GDL in den letzten zehn Jahren geliefert hat, einzuschränken. Denn auch bei den eigenen Mitgliedern könnte irgendwann der Ruf laut werden, häufiger das Mittel des Streiks einzusetzen. Das letzte Mal hat die IG Metall 2002 bei einer bundesweiten Tarifrunde zu Urabstimmung und Streik aufgerufen.
Begrenzte Gegenwehr
Die ver.di-Führung unterscheidet sich politisch von der DGB- und IGM Führung durch eine schärfere Kritik an der Regierung. Gerade in den Bereichen des öffentlichen Dienstes ist es die jahrelange Spar- und Privatisierungspolitik, die für eine Verschlechterung der Lage der Beschäftigten verantwortlich ist. Da liegt es nahe, die Frage der Umverteilung aufzuwerfen und eine höhere Besteuerung von Reichen und Unternehmen zu fordern. Doch gleichzeitig wird die Verteilungsfrage nicht konsequent in der Tarifpolitik umgesetzt. In den Bereichen, in denen ver.di über einen hohen Organisationsgrad verfügt (wie zum Beispiel in Bund und Kommunen), wird meist nicht über Warnstreikmobilisierungen hinaus gegangen, obwohl Kampfbereitschaft vorhanden wäre, auch um für die volle Durchsetzung der Forderungen zu kämpfen.
Dass die ver.di–Führung sich gegen das Tarifeinheits-Gesetz positioniert, war Resultat des Drucks von unten. Jedoch hat ver.di-Chef Bsirske den Kurs der Entsolidarisierung vom Arbeitskampf der GDL mitgemacht. Das ist Ausdruck einer bürokratischen Haltung, in der Organisationsinteressen über den Interessen der Beschäftigten stehen. Das Grundprinzip der gewerkschaftlichen Solidarität in einem jeden Arbeitskampf aufzugeben, bedeutet eine Schwächung für alle Gewerkschaften!
Harte Arbeitskämpfe
Die Arbeitskampfstatistik des WSI vom April 2015 zeigt eine relativ niedrige Zahl an Streiktagen. Allerdings gibt es eine Reihe von lang anhaltenden Konflikten wie bei Amazon oder bei der Bahn.
Schon 2013 hatten die Arbeitgeber im Einzelhandel mit der Aufkündigung des Manteltarifvertrags einen Generalangriff auf die Beschäftigten gestartet, der ver.di in einen harten Arbeitskampf zwang.
So gab es in den letzten Jahren eine Verschiebung von Arbeitskampferfahrungen hin zu den prekären Dienstleistungsbereichen, die oft auch einen (zumindest anfangs) geringeren Organisationsgrad haben. Oft ist es hier objektiv schwierig, aus eigener Kraft zu gewinnen.
Welche Strategie?
Der Zersplitterung der Tariflandschaft und wachsender Prekarisierung muss eine kämpferische Gesamtstrategie entgegen gesetzt werden. Sie muss unter anderem darin bestehen, auf die Mobilisierung von großen Belegschaften nicht zu verzichten. Durch Mobilisierungen in den besser organisierten Bereichen muss die Spirale von Löhnen und Arbeitsbedingungen nach unten gestoppt werden. Der Schwung der „starken Bataillone“ kann es erleichtern, KollegInnen in den prekären Bereichen zum Arbeitskampf zu mobilisieren. Eine kämpferisches Auftreten der Gewerkschaften kann nur helfen, um auch in den Bereichen, wo es noch wenige Mitglieder gibt, KollegInnen zu gewinnen und zu aktivieren.
Solidarität
Solidarität kann durch gemeinsame Protestaktionen (bei zeitgleichen Streiktagen) und gegenseitige Besuche entwickelt werden. Das sollte vor Ort eingefordert und beispielhaft umgesetzt werden. Ziel sollte sein, zeitgleiche Kämpfe zu gemeinsamen gesellschaftlichen Tarifbewegungen zu machen.
„Mehr von uns ist besser für alle“
Auf den Leidensdruck durch gestiegene Arbeitshetze und Personalmangel muss eine Antwort gegeben werden. Über den beispielhaften Kampf für mehr Personal an der Berliner Charité sollte überall berichtet werden. Das Problem des Personalmangels herrscht fast überall. Es wäre an der Zeit, dass die Gewerkschaften Arbeitskämpfe für mehr Personal führen. Dazu sollte auch Wiederaufnahme des Kampfes für eine drastische Arbeitszeitzeitverkürzung bei vollem Lohn gehören. Dies müsste allerdings mit einem tarifvertraglich fest geschriebenen vollen Personalausgleich verbunden werden.
Mobilisierungen und Arbeitskämpfe sind das beste Mittel um neue Mitglieder zu gewinnen. Neben der aktiven Einbeziehung der Streikenden muss es auch darum gehen, dass sie selbst das Heft in der Hand halten. Über tägliche Streikversammlungen und Streik-Delegierten-Konferenzen sollte über alle Schritte im Arbeitskampf diskutiert und demokratisch entschieden werden. Nötig ist eine vollständige Transparenz und Rechenschaftspflicht von der Verhandlungsführung gegenüber den Mitgliedern.
Politische Aufgabe
Dabei dürfen sich die Gewerkschaften nicht auf betriebliche und tarifliche Auseinandersetzungen beschränken. Aktuell bedeutet das auch, gegen das Aufkommen von rechts-populistischen Bewegungen wie PEGIDA, Rassismus und rechter Gewalt zu mobilisieren. Das ist im ureigensten Interesse der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder: denn die Spaltung von Lohnabhängigen entlang von Nationalität, Hautfarbe oder Religion hilft nur den Bossen und schwächt die Gegenwehr. Gewerkschaften stehen deshalb in der Verantwortung, Antworten auf rechte und rassistische Propaganda zu geben und dieser die Idee von internationaler Solidarität und gemeinsamem Kampf entgegen zu setzen.
Gerade in Zeiten, wo der Kapitalismus immer neue Katastrophen produziert, sollten die Gewerkschaften die Ursachen für die Misere aufzeigen: eine Gesellschaft, in der Konzerne und Banken über das Leben von Millionen bestimmen. Dafür braucht es eine Systemalternative jenseits von Konkurrenz und Profitlogik. Karl Marx‘ Worte aus dem Jahr 1866 sind weiterhin gültig: „Wenn die Gewerksgenossenschaften notwendig sind für den Guerillakrieg zwischen Kapital und Arbeit, so sind sie noch weit wichtiger als organisierte Kraft zur Beseitigung des Systems der Lohnarbeit selbst.“
Von dieser Erkenntnis könnten die derzeitigen Gewerkschaftsführungen nicht weiter entfernt sein. Sie haben sich politisch und materiell mit dem Kapitalismus arrangiert. Um eine kämpferische Gewerkschaftspolitik zu erreichen, muss daher auch die Abgehobenheit der Gewerkschaftsführungen beendet werden. Dazu kann eine Begrenzung der Einkommen von hauptamtlichen FunktionärInnen auf einen durchschnittlichen Tariflohn, jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit sowie Rechenschaftspflicht dienen.
Zusammenschluss von kämpferischen KollegInnen
Um Erfahrungen aus Arbeitskämpfen auszutauschen und Lehren daraus zu ziehen, wurden von der Rosa-Luxemburg-Stiftung die „Erneuerung durch Streik“-Konferenzen organisiert. Die große Beteiligung drückt das Bedürfnis nach Austausch und Vernetzung unter aktiven GewerkschafterInnen aus. Dazu gibt es noch zu wenig Angebote und Initiativen, die über das Zusammenkommen auf Konferenzen hinaus gehen.
Um eine kämpferische Ausrichtung sowie eine Demokratisierung der Gewerkschaften zu erreichen, müssen sich AktivistInnen in handlungsfähigen Gruppen zusammen schließen und gemeinsam Vorschläge und Forderungen entwickeln. Einen Ansatz dafür bietet das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“, das mit anderen innergewerkschaftliche linke Vernetzungen wie der „Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG)“ kooperiert.
Die SAV unterstützt KollegInnen und Gruppen, die sich für kämpferische und demokratische Gewerkschaften einsetzen und die Kontakte zu anderen kämpferischen KollegInnen suchen.
Die SAV fordert:
– Kurswechsel der DGB-Gewerkschaften – für einen Bruch mit SPD und Grünen! Nein zu Co-Management und Verzichtspolitik – für kämpferische und demokratische Gewerkschaften; um das zu erreichen ist der Aufbau von handlungsfähigen Zusammenschlüssen kämpferischer und kritischer AktivistInnen nötig
– Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von FunktionärInnen, kein Funktionär darf mehr verdienen, als einen durchschnittlichen Tariflohn
– Demokratische Kontrolle der Belegschaften und Gewerkschaftsmitglieder über Streiks und Arbeitskämpfe; keine Unterschrift und kein Abschluss ohne Zustimmung von Streikversammlungen und Urabstimmungen
– Internationale Gegenwehr gegen imperialistische Institutionen und multinationale Konzerne; internationale Koordinierung und Vernetzung von Betriebsräten und Vertrauensleuten
Angelika Teweleit ist Sprecherin des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di und Mitglied der SAV-Bundesleitung