Studierende und Beschäftigte der „University of Washington“ fordern Mindestlohn von 15 Dollar
40.000 abhängig Beschäftigte im US-amerikanischen Seattle haben am 1. April eine Lohnerhöhung bekommen. Wer zuvor 9,47 Dollar Stundenlohn bekam, erhält nun 11,- Dollar. Beschäftigte in Kleinbetrieben, in denen Trinkgelder üblich und/oder wo Zuschüsse zur Gesundheitsversorgung üblich sind, bekommen jetzt 10,- Dollar. Dem gegenüber meint die Verwaltung der „University of Washington“ (UW), dass für sie eine Ausnahmeregelung vom neuen städtischen Mindestlohn zu gelten habe.
von Kailyn Nicholson
Ein Sprecher der UW erklärte, dass die Hochschule eine Einrichtung des Bundesstaates sei und somit nicht unter das „municipal wage law“ (dt.: „städtisches Lohngesetz“) falle. Darüber hinaus wurde angedeutet, dass die Kosten, die die Lohnerhöhung für schlecht bezahlte Beschäftigte an der Uni auf das Niveau des neuen Mindestlohns verursachen würden, ansonsten über die Studierenden abzudecken seien, die ja ohnehin schon mit immensen Studiengebühren und Kosten für ihre Unterbringung zu kämpfen hätten.
Am 1. April wurde jedoch deutlich, dass die Studierenden wie auch die Beschäftigten selbst diese Argumente nicht teilen. Studierende, Hochschulbeschäftigte und AktivistInnen der Kampagne für einen höheren Mindestlohn arbeiten gerade an einer Kampagne, um alle, die zur Hochschule gehören, hinter der Forderung nach einem Mindestlohn von 15 Dollar zu vereinen. Entsprechend haben die Aktiven vor Ort eine Kundgebung und einen Protestzug organisiert, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen und von der Universität einzufordern, dass auch sie all ihren Beschäftigten (seien es Studierende oder abhängig Beschäftigte) den Mindestlohn zu bezahlen hat. Gleich zu Beginn der Kundgebung stellte ein Student ein Papier vor, auf dem er alle Verwaltungsangestellte der UW aufgelistet hatte, die mehr als 150.000 Dollar im Jahr verdienen. Diese Liste war über vier Meter lang! Der Knackpunkt dabei wurde sehr gut herausgearbeitet: Für die Uni ist es kein Problem, die Löhne ihrer am schlechtesten bezahlten Beschäftigten anzuheben, ohne die entstehenden Mehrkosten dabei den Studierenden aufzubürden.
Bald wurde die Kundgebung dann zu einem Protestzug, der an mehreren Stellen auf dem Unigelände Halt machte: überall dort, wo Niedriglohn-Jobs existieren. Dort informierte man die Beschäftigten über die Entscheidung der Hochschule, sie von der stadtweit geltenden Lohnerhöhung ausschließen zu wollen. Ergänzt wurden die Beiträge durch KollegInnen, die beschrieben wie schwer es ist, mit weniger als 15 Dollar Stundelohn über die Runden zu kommen. Das gelte sowohl für Hochschulbeschäftigte wie auch für alle anderen ArbeiterInnen des Niedriglohnsektors. Am Ende wendete sich dann noch Kshama Sawant, Stadträtin in Seattle und Mitglied der „Socialist Alternative“ an die Anwesenden. Sie betonte, dass „unser Erfolg nur ein halber [ist], wenn wir nicht jede und jeden mitnehmen!“. Sie lobte das Bündnis aus Studierenden und abhängig Beschäftigten dafür, dass es die Entscheidung der Hochschulverwaltung öffentlich bekannt macht. Außerdem ermutigte sie die AktivistInnen, den Druck so lange aufrecht zu erhalten, bis die UW-MitarbeiterInnen die Lohnerhöhung erhalten, die ihnen zusteht.
Nahverkehrsunternehmen geht gegen Kampagne vor
Etwas früher am selben Tag war die Kampagne „15 Now“ darüber informiert worden, dass die Informationsblätter, die wir im Namen eines Bündnisses aus Gewerkschaften, der Stadträtin Sawant und der Kampagne „15 Now“ in den Nahverkehrslinien ausgelegt hatte, vom kommunalen Nahverkehrsunternehmen „Metro“ als nicht hinnehmbar erachtet worden sind. Mit diesen Materialien informieren wir die Beschäftigten über die Anhebung des Mindestlohns und bieten eine Hotline an, über die sich Beschäftigte melden können, wenn sie den neuen Mindestlohn nicht bekommen. „Metro“ lehnt diese Infoblätter deshalb ab, weil auch der Name der Stadträtin Sawant darin genannt wird (neben unserer Kampagne „15 Now“ und den Gewerkschaften wird sie als Unterstützerin dieser Infomaterialien aufgeführt). „Metro“ betrachtet dies als Wahlwerbung für die Kampagne zur Wiederwahl von Sawant, was vom Unternehmen nicht unterstützt wird. Das Bündnis druckte eine Neuauflage ohne Sawants Namen, doch die Entscheidung von „Metro“ sorgte dafür, dass unsere Informationskampagne damit um mindestens eine Woche verzögert wurde.
Abgesehen davon hat die Entscheidung von „Metro“ den AktivistInnen für einen höheren Mindestlohn eine Möglichkeit gegeben hervorzuheben, wie wichtig es ist, noch breiter über den Mindestlohn zu informieren, um vor Lohnraub zu schützen, der schon fast epidemische Züge angenommen hat. Am 2. April wurde eine Pressekonferenz anberaumt, auf der die Koordinatorin von „15 Now“ in Seattle, Jess Spear, Stadträtin Sawant sowie VertreterInnen der Mechanikergewerkschaft bei „Boeing“ („IAM Local 751“) und der Gewerkschaft der Gastro-Beschäftigten („Unite HERE Local 8“) zu den anwesenden Presse- und MedienvertreterInnen sprachen. Dabei ging es um die Unzulänglichkeit mit der die Stadt in puncto Mindestlohn berät und informiert sowie darum, dass höchste Anstrengungen unternommen werden, damit sich daran etwas verbessert. Es kam auch zur Sprache, wie dringend nötig es sei, gegen Lohnraub vorzugehen, nachdem der Mindestlohn bereits in Kraft getreten ist. Stefan Moritz von „Unite HERE local 8“ äußerte sich zum Kampf gegen den Lohnraub in der Nachbarstadt SeaTac. Dieser sei ein Beispiel dafür, dass es offenbar nicht ausreiche, einfach nur ein Gesetz durchzubekommen, wenn es nicht auch tatsächlich umgesetzt wird.
Anschließend stattete man verschiedenen Betrieben im Zentrum von Seattle einen Besuch ab, in denen Niedriglöhne üblich sind. Dort sprach man mit den Beschäftigten über die Lohnerhöhung, die sie in ihrer nächsten Gehaltsabrechnung eigentlich wiederfinden müssten. Es war nicht besonders überraschend, dass die meisten Beschäftigten sehr interessiert waren, über die Lohnerhöhung zu diskutieren. Die Reaktionen lassen sich insgesamt auf eine Formel bringen: „Das wurde aber auch Zeit!“.
In den kommenden Wochen werden „15 Now“ und die Gewerkschaften damit fortfahren, sich an Beschäftigte im Niedriglohnsektor Seattles zu wenden, um sicherzustellen, dass sie über ihre Rechte informiert sind. Am 15. April hat „15 Now“ zusammen mit 60.000 ArbeiterInnen in mehr als 200 Städten der Forderung nach 15 Dollar Mindestlohn und dem Recht, sich gewerkschaftlich organisieren zu dürfen, Ausdruck verliehen. Unser Erfolg von Seattle kann am besten verteidigt werden, wenn dieser im ganzen Land NachahmerInnen findet.
Der Artikel erschien im Original auf der Internetseite www.15Now.org