Es wird wohl noch etwas dauern, bis die zwischen den Vertretern der europäischen Kapitalisten und der Syriza-Regierung Griechenlands erzielte Einigung vom 20. Februar im Detail eingeschätzt werden kann und ihre Folgen für die arbeitende und erwerbslose Bevölkerung in Athen und Thessaloniki klar sind. Alexis Tsipras und Gianis Varoufakis versuchen, den Deal als Erfolg darzustellen. Schäuble ebenfalls. Passt das zusammen?
von Sascha Stanicic und Lucy Redler
Nach ihrem Wahlsieg hatte die neue griechische Regierung mit der Ankündigung einer ganzen Reihe von Sozialreformen (im Wesentlichen die Rücknahme einiger von den Vorgängerregierungen unter Troika-Diktat beschlossenen Verschlechterungen), die ein Ende der Austeritätspolitik signalisieren sollten, und der Weigerung mit der Troika weiter zu verhandeln überrascht. Ein frischer Wind wehte durch Europa. Tsipras und Varoufakis machten den Eindruck, sich dem Diktat aus Berlin und Brüssel entschlossen entgegenzustellen. Dementsprechend schnellte die Unterstützung für die Syriza-geführte Regierung in der griechischen Bevölkerung nach oben. Die Hoffnung, dass endlich in einem EU-Land eine Regierung ins Amt gebracht worden war, die die Interessen der einfachen Leute gegen die Reichen und Mächtigen vertritt, stieg – europaweit.
Die Vereinbarung vom 20. Februar scheint nun diejenigen zu bestätigen, die den Kurs Syrizas von links kritisierten und betonten, dass es eine Illusion ist, auf dem Verhandlungsweg mit den Schäubles und Dijsselbloems die Austeritätspolitik zu beenden und Griechenland aus dem Würgegriff der EU zu befreien. Tatsächlich hatte Tsipras in den letzten Jahren immer wieder unterstrichen, dies sei möglich, da die VertreterInnen der Euro-Länder einen Grexit um alles in der Welt verhindern wollten. Die SAV und ihre griechische Schwesterorganisation Xekinima haben darauf immer geantwortet, dass es für die Herrschenden in der EU weitaus gefährlicher ist, wenn ein kleines Land mit einer linken Regierung den mächtigen EU-Staaten die Stirn bieten kann und eine Politik im Interesse der einfachen Bevölkerung durchsetzt. Die dadurch drohende Kettenreaktion von Massenbewegungen und der Wahl linker Regierungen in weiteren Ländern wäre aus Sicht der Kapitalisten weitaus bedrohlicher, als die mögliche ökonomische Krisenreaktion auf einen Grexit. Diese Warnungen haben sich bestätigt. Schäuble und die anderen Kapitalisten-Finanzminister sind hart geblieben und haben deutlich gemacht, dass nach ihren Regeln gespielt werden muss – zur Wahrung der Profite der Banken und Konzerne und auf dem Rücken der griechischen Arbeiterklasse.
Der Deal vom 20. Februar bedeutet vor allem eins: es ändert sich nichts Substanzielles. Die Tsipras-Regierung darf keine Politik ohne Zustimmung der „Institutionen“ machen, die vormals Troika genannt wurden. Von Schuldenschnitt ist keine Rede mehr. Die angekündigten Sozialreformen können nur umgesetzt werden, wenn sie durch „die Institutionen“ genehmigt werden und ihre Finanzierbarkeit gesichert ist. Ohne einen Schuldenschnitt bzw. die Streichung der Schulden, wie es SAV und Xekinima fordern, ist das aber kaum denkbar.
Varoufakis gibt sich trotzdem zufrieden und begründet dies damit, dass „Griechenland wieder Co-Autor des eigenen Schicksals ist“. Auch eine Art darauf hinzuweisen, dass von Selbstbestimmung weiterhin keine Rede sein kann. Tom Strohschneider, der Chefredakteur des Neuen Deutschland, kommentiert die Einigung auch positiv, weil es zu einer „Re-Politisierung der Krisenbearbeitung“ gekommen sei und nun klar sei, dass über die Bedingungen der Gläubiger politisch verhandelt werden könne. Die reformistische Linke ist bescheiden geworden. Die Armen und Erwerbslosen Griechenlands haben davon nichts. Für sie ist entscheidend, ob die Versprechen Syrizas, so begrenzt sie auch waren, umgesetzt werden. Tsipras und Varoufakis weisen darauf hin, dass die Einigung nur einen Zeitraum von vier Monaten überbrücken soll und werden wahrscheinlich versprechen, dass nach Ablauf dieses Zeitraums eine linke Politik umgesetzt werden wird. Sie werden sagen, dass es diesmal darum ging, Zeit zu gewinnen. Vielleicht wird ihnen das gelingen und die griechische Arbeiterklasse gewährt ihnen diese Zeit. Sicher ist das nicht, denn die Debatte innerhalb (und außerhalb von Syriza) scheint zu beginnen. Der antifaschistische Veteran und Syriza-Europaabgeordnete Manolis Glezos entschuldigte sich in einer Erklärung beim griechischen Volk dafür, dass er die Illusion in die Verhandlungen mit der Troika mitgetragen hatte und schreibt: „Es kann prinzipiell zwischen dem Unterdrücker und den Unterdrückten keinen Kompromiss geben (…) Freiheit ist die einzige Lösung.“ Glezos ruft zu Versammlungen auf allen Ebenen von Syriza auf, um die neue Situation zu beraten und einen Kurswechsel herbeizuführen.
Denn leider spricht viel dafür, dass sich in vier Monaten herausstellen wird, dass es kein Zeitgewinn, sondern ein Vertrösten gewesen sein wird. Denn nichts spricht dafür, dass sich a) die Verhandlungsposition der griechischen Regierung gegenüber Schäuble und Co. verbessern wird, b) letztere ihre Haltung ändern oder c) die griechische Wirtschaft so wachsen wird, dass die ökonomischen und finanziellen Möglichkeiten des Syriza-geführten Regierung sich qualitativ ändern werden. Dann wird aus dem Zeitgewinn schnell verlorene Zeit, die dazu hätte genutzt werden können, europaweit den Druck auf die Kapitalisten-Regierungen zu erhöhen und die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und linken Parteien zu stärken.
Wie? Tsipras und Varoufakis haben eine rege Reisetätigkeit hinter sich. Sie sind von einer europäischen Hauptstadt in die andere geflogen. Doch sie haben dort nicht mit Gewerkschaftsvorständen gesprochen, haben nicht auf Kundgebungen vor ArbeiterInnen und Jugendlichen geredet, haben nicht vorgeschlagen, den Widerstand gegen die Troika und gegen die kapitalistische Austeritätspolitik kontinent-weit zu koordinieren und zu steigern. Sie haben sich verhalten, wie sich bürgerliche Politiker verhalten. Damit wird eine Chance vertan: die Hoffnung, die der Wahlsieg der griechischen Linken auslöste, in Widerstand zu verwandeln.
Die Einigung vom 20. Februar hat den status quo in der EU weitgehend bestätigt, das „deutsche Europa“ gestärkt. Spätestens jetzt sollte klar sein: Schäuble und Co. sind nicht in Verhandlungen zu überzeugen und sie haben auch nicht so viel Angst vor einem Grexit, dass sie Syriza gewähren lassen werden. Das macht drei Dinge nötig: sozialistische Maßnahmen der griechischen Regierung (Einstellung des Schuldendienstes, Verstaatlichung der Banken unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung, Kapitalverkehrskontrollen, staatliches Außenhandelsmonopol etc.) auf deren Basis dann wirkliche Sozialreformen im Interesse der Arbeitenden und Armen umgesetzt werden können; da das von Tsipras nicht zu erwarten ist: Druck von unten durch Massendemonstrationen und -versammlungen und ggf. Streiks, um die Regierung zu solchen Maßnahmen zu zwingen; und die Organisierung einer europaweiten Bewegung gegen Austerität und in Solidarität mit Griechenland. Dazu sollten die Linksparteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen umgehend zu einer internationalen Aktionskonferenz einladen und ein Datum für einen ersten europaweiten Aktions- und Streiktag festlegen.