Merkel und Europäische Zentralbank gegen Syriza
Nach ihrem Wahlsieg begann die Syriza-Regierung mit Gesprächen mit den anderen EU-Ländern über eine Abkehr von der Griechenland seit 2010 aufgezwungenen Kahlschlagpolitik.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Syriza will den von der Vorgängerregierung zugesagten Aderlass des Landes von über vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich zur Bedienung der Auslandsschulden auf etwa 1,5 Prozent verringern. Dazu will sie nur noch 60-70 Prozent der Troika-Auflagen einhalten und den Rest neu verhandeln. Dadurch soll die Wirtschaft endlich wieder auf die Beine kommen, nachdem sie seit 2010 um ein Viertel eingebrochen war. Trotzdem beharren die Europäische Zentralbank (EZB) und die deutsche Regierung auf den Vereinbarungen.
Druckmittel
Dabei haben sie zwei Druckmittel: den Finanzbedarf des griechischen Staats und den der griechischen Banken.
Die griechische Regierung will ihre sozialen Notmaßnahmen durch eine verstärkte Besteuerung der Reichen finanzieren. Bis entsprechende Schritte ergriffen sind, will sie die Zwischenzeit vor allem mit kurzfristigen Krediten („T-Bills“) überbrücken. Aber das Limit von 15 Milliarden Euro in T-Bills hat Griechenland schon unter Antonis Samaras ausgeschöpft. Die geforderte Aufstockung um zehn Milliarden Euro müssen EU, EZB und der Internationale Währungsfonds (IWF) genehmigen … Also die bisherige Troika, die jetzt nur nicht mehr so genannt wird.
Die Finanzprobleme wurden noch dadurch verschärft, dass schon vor den Wahlen die Bereitschaft, Steuern zu bezahlen, deren Abschaffung Syriza versprochen hatte, zurückging. So betrug der Überschuss des Primärhaushalts (des Haushalts ohne Schuldendienst) im Januar statt erwarteter 1,4 nur 0,4 Milliarden Euro. Dazu kommen noch die fälligen Zinsen und Tilgungen für die Staatsanleihen.
Die Liquidität des griechischen Finanzsektors ist zum einen Voraussetzung der Staatsfinanzierung, weil sonst niemand mehr griechische Staatsanleihen kauft. Zum anderen hängt natürlich die ganze Wirtschaft (die Auszahlung von Gehältern, Käufe, Verkäufe et cetera) davon ab.
Die EZB erklärte am 4. Februar, ab dem 11. Februar keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheiten für Kredite zu akzeptieren. Damit bekommen griechische Banken Geld nur noch für 1,5 Prozent Zinsen aus Notfallkrediten (ELA-Kredite), bis zu 65 Milliarden Euro. Es ist fraglich, ob die EZB die griechischen ELA-Kredite über den 28. Februar hinaus zulässt, wenn das Troika-„Hilfs“programm nicht verlängert oder fortgeschrieben wird.
Der Finanzsektor leidet außerdem an einem Kapitalabfluss von mehreren hundert Millionen Euro täglich, 20 Milliarden seit November, die teils zu Hause gehortet oder ins Ausland geschafft werden.
Woher kommen die Schulden?
Wenn die Propaganda der Bundesregierung und dem Großteil der deutschen Medien stimmen würde, dann wäre die hohe Staatsverschuldung der südeuropäischen Staaten eine Folge vergangener unverantwortlicher sozialer Wohltaten. In Wirklichkeit entstand ein Großteil der Staatsschulden in der Wirtschaftskrise ab 2008 durch die staatliche Rettung von Banken und anderen Kapitalisten.
In Griechenland war sie schon davor relativ hoch. Ein Grund war, dass deutsche und andere internationale Konzerne griechische Politiker und Beamte bestachen, bei ihnen zum Beispiel U-Boote (oder auch rundum gepanzerte Limousinen für 750.000 Euro pro Stück, die die neue griechische Regierung jetzt verkaufen will) zu kaufen. Erst profitierten deutsche Konzerne von den Käufen, dann deutsche Banken und andere Investoren von den Zinsen (samt Risikozuschlag) der griechischen Staatsanleihen, mit denen die Käufe finanziert wurden. Als die Kurse der Anleihen abstürzten, wurden sie ihnen zum Nennwert von der EZB abgekauft. Obendrein profitieren deutsche Unternehmen (und der deutsche Staat) noch davon, dass sie als Nebeneffekt der Schuldenkrise seit Jahren Kredite zu minimalen Zinsen aufnehmen können.
So haben Reiche und Kapitalisten in Deutschland und international (nicht zuletzt in Griechenland selbst) von der Krise profitiert, während für die Masse der griechischen Bevölkerung der beispiellose Sozialkahlschlag zu einer humanitären Katastrophe führte. Von den von der Troika geforderten Privatisierungen profitierten multinationale Konzerne ganz direkt, weil sie öffentliches Eigentum zum Schleuderpreis bekamen. Zugleich hatte die Troika kein Problem damit, wenn die Versprechen beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Korruption gebrochen wurden (davon profitierten ja Kapitalisten). Und wenn jetzt die Syriza-Regierung erklärt, die Zusagen beim Sozialkahlschlag nicht einhalten zu wollen, aber dafür endlich mit den Zusagen beim Kampf gegen Korruption und Steuerhinterziehung Ernst machen zu wollen, dann bestehen Wolfgang Schäuble und Co. darauf, die erpressten Zusagen beim Sozialabbau zu erfüllen.
Deren Haltung erinnert an einen Unterwelt-Geldverleiher, der säumigen Schuldnern die Knochen brechen lässt, um ihre „Zahlungsmoral“ zu erhöhen … und sie schließlich ermorden lässt als warnendes Beispiel für andere (hier: die anderen südeuropäischen Länder).
Kompromiss, Kapitulation oder Konfrontation?
Manche linke Ökonomen hoffen auf Einsicht, wie wirtschaftlich verheerend die derzeitige Politik ist, und auf Verbündete für Griechenland. Immerhin hat selbst US-Präsident Barack Obama die bisherige Griechenland-Politik kritisiert. Ein (zumindest teilweises) Einlenken kann nicht ausgeschlossen werden. Dagegen spricht aber zum einen, dass die deutschen Kapitalisten weiterhin kurzfristig von der bisherigen Politik profitieren. Und wenn der Euro neue Tiefstände erreicht, ist das gut für die deutschen Exporte. Zum anderen ist der Euro gezielt als Instrument für Sozialkahlschlag konstruiert worden. Das war der entscheidende Grund, warum die SAV seinerzeit die Euro-Einführung entschieden abgelehnt hat.
Deshalb ist nicht zu erwarten, dass Kanzlerin Angela Merkel und Co. über Verhandlungen zu so weitgehenden Zugeständnissen bereit sein werden, dass Syriza ihre Wahlversprechen einfach umsetzen kann. Von daher werden sich die Interessen der griechischen ArbeiterInnen nur in der Konfrontation mit der EZB und dem deutschen Imperialismus verteidigen lassen. Möglich, dass die Kapitalisten in Europa darauf setzen, dass ein Austritt Griechenlands nicht zu einer Kettenreaktion führt (wofür die bisherige relative Ruhe auf den internationalen Finanzmärkten zu sprechen scheint). Es könnte jedoch passieren, dass sich die Ruhe auf den Finanzmärkten als Ruhe vor einem Sturm erweist, der den Sturm nach der Pleite von Lehman Brothers in den Schatten stellt.