Bericht von der AKL-Bundesmitgliederversammlung am 11. Januar in Berlin
Mit 130 Mitgliedern und sieben Gästen war die Bundesversammlung der Antikapitalistischen Linken (AKL) zum Jahresauftakt deutlich besser als erwartet besucht. Wer zu spät von der Luxemburg/Liebknecht-Gedenkdemonstration in die benachbarte „Kiezspinne“ in Berlin-Lichtenberg kam, fand keine freien Stühle mehr.
von Heino Berg, Göttingen
Die AKL hat sich durch sehr konstruktive Diskussionen über die umstrittene Regierungsfrage, über Antworten auf ausländerfeindliche Aufmärsche und den Wahlkampf in Griechenland für die politischen Herausforderungen in der LINKEN gut aufgestellt.
Regierungsfrage
Viele TeilnehmerInnen hatten zuvor an der Gedenkdemonstration und am Vortag an der „junge-Welt“-Konferenz für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teilgenommen, um die marxistischen Ideen dieser Vorkämpfer der deutschen Arbeiterbewegung wach zu halten. Die Kritik von Rosa Luxemburg am Eintritt von SozialistInnen in bürgerliche Regierungen stand auch im Hintergrund der Debatten über die Frage, ob und unter welchen Bedingungen sich DIE LINKE an solchen Regierungen beteiligen kann.
Sascha Stanicic eröffnete diesen Tagesordnungspunkt, für den ein umfangreicher Reader und ein neuer Diskussionsbeitrag von Ekkehard Lieberam vorlagen, mit einem von drei kurzen Referaten, in dem er sich grundsätzlich gegen Koalitionen der LINKEN mit Kriegs- und Kürzungsparteien aussprach, auch wenn sie bei der Präsentation dieser Haltung auf Illusionen in der Bevölkerung Rücksicht nehmen und eine Einzelfallunterstützung von möglichen fortschrittlichen Maßnahmen rot-grüner Regierungen anbieten könne. Das gelte auch für Thüringen: Wenn DIE LINKE mit einem sozialistischen Regierungsprogramm angetreten wäre und Forderungen wie ein Nein zur Schuldenbremse, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich für die Landesbeschäftigten, öffentliche Investitionsprogramme und die Auflösung des Verfassungsschutzes u.ä. aufgestellt hätte, wären SPD und Grüne sicher nicht einmal zu Sondierungsgesprächen erschienen.
Thies Gleiss referierte eine Mittelposition in der AKL: Zwar gäbe es kein „linkes Lager“; und mit SPD und Grünen seien antikapitalistische Forderungen objektiv nicht durchsetzbar. Dies habe sich auch in Brandenburg und Thüringen schon wieder bestätigt. Trotzdem dürfe DIE LINKE solche Bündnisse nicht prinzipiell ausschließen, sondern müsse das jeweils neu am konkreten Beispiel untermauern. Es sei jedenfalls gut, dass Ramelow die Chance genutzt habe. Alle Mitglieder der LINKEN seien sich immerhin darin einig, dass wir keine neue SPD bräuchten.
Auch Christian Leye aus Bochum erklärte in seinem Input für den erkrankten Wolfgang Zimmermann, dass zwar alle AKL-Mitglieder im Grundsatz eine Koalition mit SPD und Grünen ablehnen würden, dass aber diese Position in der Partei nicht mehrheitsfähig sei und deshalb nur durch die Verteidigung der roten Haltelinien vermittelt werden könne. Die AKL solle eine Regierungszusammenarbeit deshalb von schärfer formulierten Bedingungen (zum Beispiel ein Nein zur Schuldenbremse) abhängig machen und sie damit indirekt blockieren, anstatt sie offen abzulehnen.
Ähnlich äußerte sich dann in der kontrovers, aber sehr solidarisch geführten Plenumsdebatte zunächst Michael Aggelidis vom NRW-Landesvorstand. Er plädierte ausdrücklich dafür, positiv an dem jüngsten Vorschlag vom Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag, Gregor Gysi, anzuknüpfen, der Führung von SPD und Grünen jetzt Gespräche über eine rot-rot-grüne Bundesregierung anzubieten. AKL-VertreterInnen sollten sich daran beteiligen, um konkret zu beweisen, dass mit ihnen kein wirklicher Politikwechsel (zum Beispiel in der Umweltpolitik) möglich sei.
Karin Binder, Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg, meinte, dass man die Regierung von Ramelow in Thüringen zunächst unterstützen müsse, um den angekündigten Politikwechsel nicht ausgerechnet an der LINKEN scheitern zu lassen.
Andere RednerInnen entgegneten, dass ein Politikwechsel mit Hartz- und Kürzungsparteien und auf der Grundlage der Schuldenbremse gar nicht möglich sei und dass die roten Haltelinien des Erfurter Programms in den Koalitionsvereinbarungen auch keine Rolle gespielt hätten. Die gebrochenen Versprechungen hätten der LINKEN insbesondere in den außerparlamentarischen Bewegungen geschadet und sie gerade unter den wahlmüden Opfern des Systems unglaubwürdig gemacht. Landesregierungen unter Beteiligung der LINKEN seien deshalb kein „Exportschlager“, wie das von der Parteivorsitzenden Katja Kipping bezeichnet wurde, sondern im Gegenteil eine Belastung für den Aufbau der LINKEN als Systemalternative. DIE LINKE könne sich nur gemeinsam mit anderen systemkritischen Parteien an Regierungen beteiligen, wenn sie sich dabei – wie aktuell in Griechenland – auf eine breite Mobilisierung der Bevölkerung stützen könne. Wenn das die Überzeugung der AKL sei, dann müssten solche Wahrheiten auch dann offen ausgesprochen werden, wenn sie noch unbequem und erklärungsbedürftig bleiben. Immer wieder wurde in der Diskussion geäußert, dass die roten Haltelinien nicht ausreichen würden.
Alle RednerInnen und die Bundesversammlung insgesamt bestätigten in der Debatte die gemeinsame Positionierung des AKL-Gründungsaufrufs, demzufolge die „Veränderung der gesellschaftlichen Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht über Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien (…) erzeugt werden kann“, auch wenn es weiterhin unterschiedliche Akzente in der öffentlichen Präsentation dieser Haltung gibt.
AKL-Strategie und PEGIDA-Aufmärsche
Den zweiten Tagesordnungspunkt zu den aktuellen Aufgaben der AKL leitete Jürgen Aust (vom Landesverband NRW) auf der Grundlage seines Papiers „AKL 2015“ ein. Darin befürwortet er eine Konferenz zum „Friedenswinter“. Unter anderem begründete er das damit, dass das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) rechtslastige Wortführer von sogenannten „Mahnwachen“ zur Diskreditierung friedenspolitischer Grundsätze und Kampagnen der Partei zu benutzen versuche. Außerdem solle sich die AKL an der Kampagne gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, an der Vorbereitung des „Zukunftskongresses“ und am Kampf gegen das Gesetz zur Tarifeinheit beteiligen. Anschließend berichtete Heidrun Dittrich über den Tarifkampf bei den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst.
In diesem Zusammenhang stellte Lucy Redler, die gemeinsam mit Sylvia Gabelmann die Tagungsleitung übernommen hatte, eine Resolution zu den PEGIDA-Aufmärschen vor, die im Plenum für sehr engagierte Debatten sorgte. Darin soll die Mobilisierung zu Gegendemonstrationen und Blockaden mit dem Kampf gegen die sozialen Ursachen und wirklichen Verantwortlichen für Fremden- und Islamfeindlichkeit verbunden werden.
Zudem soll die Heuchelei der „Kritik“ seitens der Regierungsparteien an den Organisatoren dieser Aufmärsche und an der AfD aufgezeigt werden. Anders als von der Parteiführung befürwortet, sollen bürgerliche Parteien nicht als Bündnispartner bei Gegendemonstrationen betrachtet werden.
Anträge auf Streichung dieser Passagen der Resolution wurden damit begründet, dass Gegendemonstrationen durch möglichst breite Bündnisse einschließlich der bürgerlichen Parteien getragen werden sollten, während andere Mitglieder betonten, dass Sozialabbau und Rassismus von oben den jüngsten Entwicklungen erst den Boden bereitet hätten. Diese Position erhielt in Tendenzabstimmungen eine knappe Mehrheit, nachdem die Bundestagsabgeordnete Inge Höger ihre Streichungsanträge zum Teil zurückgezogen hatte und Lucy Redler mit einer Überarbeitung der Resolution durch den BundessprecherInnenrat einverstanden war.
Die Bundesversammlung bekräftigte in der Diskussion die Stellungnahmen von BundessprecherInnenrat und Länderrat zur FDS-Kampagne gegen den vermeintlichen Antisemitismus sowie gegen angebliche Querfrontbestrebungen im linken Parteiflügel. Auch wenn diese Fragen nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Eingreifens stehen werden, soll eine Arbeitsgruppe um Jürgen Aust eine Konferenz zur Debatte über den „Friedenswinter“ vorbereiten.
Griechenland
Immer wieder in der Debatte wurde auf die anstehenden Wahlen in Griechenland und die Chance für Syriza, die Regierung zu übernehmen, Bezug genommen, unter anderem von dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und Michael Aggelidis. Andrej berichtete, dass die Absage von Syriza an Regierungskoalitionen mit der sozialdemokratischen PASOK erst deren Aufschwung zur stärksten Partei in Griechenland ermöglicht habe, während die Abspaltung Dimar aufgrund ihres Eintritts in die von der konservativen ND geführte Regierungskoalition 2012 mittlerweise bedeutungslos geworden sei. Syriza müsse gegen die Erpressungskampagnen insbesondere der deutschen Regierung unterstützt werden, weil ein Syriza-Erfolg der Austeritätspolitik in ganz Europa einen schweren Schlag versetzen und massive Reaktionen des Kapitals und der Europäischen Union hervorrufen würde.
Zudem wurde ein Resolutionvorschlag von Inge Höger zur Solidarität mit Syriza im griechischen Wahlkampf behandelt. Torsten Sting aus Rostock schlug vor, die Aufgabe einer Syriza-Regierung, mit den Eigentumsverhältnissen zu brechen, in die Resolution aufzunehmen, die vom BundessprecherInnenrat überarbeitet werden soll. Die Resolution wurde einstimmig verabschiedet.
Fazit
Die Mitgliederversammlung konnte nach vier Stunden sehr diszipliniert und in freundschaftlicher Atmosphäre geführter Debatten trotz der umfangreichen Tagesordnung, der Behandlung von Anträgen und vielen Plenumsbeiträgen pünktlich um 17 Uhr von der Tagungsleitung beendet werden. Die Antikapitalistische Linke hat gezeigt, dass inhaltliche Kontroversen und gemeinsames, zielorientieres Handeln kein Widerspruch sein müssen. Die AKL stand im letzten Jahr stark unter Beschuss. Mit ihrem Jahresauftakt in Berlin können AntikapitalistInnen in der LINKEN zusammen mit anderen Mitgliedern des linken Parteiflügels nun eine Gegenoffensive einleiten.