Tausende DemonstrantInnen stellen sich Pegida in Berlin in den Weg
6.000 Menschen auf der Demonstration des „Bündnisses gegen Rassismus“ blockierten am Montagabend den Marsch eines versprengten Häufleins „besorgter BürgerInnen“ und stadtbekannter Nazis
von René Kiesel, Berlin
Es war ein dunkler Moment für die TeilnehmerInnen des Bärgida-Marsches, als ihr geplanter Lauf zum Brandenburger Tor endgültig ins Wasser fiel.
Karl Schmitt, der Begründer des rechten „Patrioten e.V.“, hatte für die Demonstration 300 Teilnehmende angemeldet, von denen sich zum Auftakt am Roten Rathaus höchstens 200 einfanden.
In einer anderen Größenordnung fanden sich unweit des Rathauses bereits über eine Stunde früher tausende Menschen zur Gegendemonstration ein. Neben der offiziellen Route gab es mehrere Kundgebungen um den Bärgida-Auftakt, die es anfänglich mit mehreren Hundert schafften, den rassistischen Umzug am Starten zu hindern.
Nach einigen Redebeiträgen setzte sich die Gegendemonstration in Richtung Rotes Rathaus in Bewegung. In diesem Beiträgen zogen unter anderem der Berliner LINKE-Vorsitzende Klaus Lederer und eine Vertreterin der Türkischen Gemeinde zu Berlin eine Parallele zur Stimmung Anfang der 90er Jahre in Deutschland mit Blick auf Pegida in Dresden und rechte Übergriffe auf MigrantInnen und Flüchtlingsunterkünfte.
Niemand ahnte, dass die Zwischenkundgebung in Hörweite der Bärgida-Kundgebung vor dem Roten Rathaus bereits der Endpunkt sein würde. Geplant war, die Route der Rassistischen Demonstration bis zum Brandenburger Tor zu begleiten, wo der Türkische Bund Berlin-Brandenburg zu einer Großkundgebung aufgerufen hatte.
Es gelang jedoch, Bärgida samt sie schützender Polizei von allen Seiten zu umstellen und damit jegliche Bewegung unmöglich zu machen. Mit Sprüchen wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ oder „Um Europa keine Mauer – Bleiberecht für alle und auf Dauer“ sowie zahlreichen antifaschistischen Sprechchören, wurden die Besorgten mit feucht-klammen Deutschlandfahnen um ein Vielfaches übertönt. In gleichem Maße nahm deren Demoralisierung zu und Teilnehmerzahl ab, bis sie dann ein paar Minuten vor 21 Uhr ihre Niederlage eingestanden und die Veranstaltung beendeten. Ohne einen Meter gelaufen zu sein. Dies war die Ansage der antirassistischen Blockade am Roten Rathaus: „Nie wieder Bärgida“ und „Heute, hier, keinen Meter!“
Licht aus gegen Rassismus?
Viel wurde in den bürgerlichen Medien gelobt, dass Domprobst in Köln und Bürgermeister in Berlin bei den Wahrzeichen der Städte für eine Zeit lang den Stecker zogen. So blieben der Kölner Dom, die Berliner Siegessäule und Bandenburger Tor am Abend unbeleuchtet.
Natürlich ist es zu begrüßen, wenn rechte Demonstrationen nicht zu allem Überdruss noch eine malerische Fotokulisse vorfinden. Dennoch darf das nicht darüber hinweg täuschen, dass es dem massenhaften Widerstand zu verdanken ist, dass die lokalen Pegida-Ableger gar nicht erst bis dahin kamen.
Auf der antirassistischen Demonstration in Berlin fanden sich zudem einige prominente Politiker ein. Darunter Bundesjustizminister Heiko Maas und Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (beide SPD). Sie liefen bei Jusos, SPD und IG-Metall im Zug mit. Der Parteikollege und neugemachte regierende Bürgermeister Michael Müller gehört zur selben Patei. Dieser ließ die Order ergehen, dass das Licht ausgeschaltet wird.
Während diese auf der einen Seite Präsenz zeigten, zeigte die anwesende Polizei aus Bund und Berlin (beides regiert von CDU/SPD) eine ausgesprochene Härte beim Vorgehen gegen die BlockiererInnen. Selbst nach Beendigung der Bärgida-Kundgebung griffen sie scheinbar wahllos nach Menschen und zerrten sie brutal hinter ihre Linien. Mehr als einmal blitzte der Büttelknüppel während der Provokation der Einheiten um und in der Demo hervor.
Wem das noch nicht genug der Doppelmoral ist, darf gern den Koalitionspartner CDU hinzuzählen und deren moralische Appelle (SPD-Altkanzler Schröder eingeschlossen) an die Vernunft und christliche Nächstenliebe. Wie viel Nächstenliebe in Schwarz-Rot steckt, hat sich deutlich gezeigt. Als sie Waffen und Soldaten in die Welt schickten, um Krieg zu führen. Als sie die Opfer dieser Kriege hier in Containerlagern und Traglufthallen unterbringen ließen. Als sie mit staatlichem Rassismus den Boden für Pegida bereiteten. Als sie die Flüchtlinge am Oranienplatz und vom Dach in der Gürtelstraße räumten und auf die Straße warfen.
Sie waren es nicht, die gestern ein Zeichen gegen Rassismus und Nationalismus gesetzt haben. Antifaschistische AktivistInnen, Gewerkschafts und LINKE-Mitglieder, MigrantInnen, Geflüchtete
und viele engagierte Menschen haben sich widersetzt. Ihnen gegenüber standen nicht etwa eine große Anzahl besorgter BürgerInnen. Neben einigen Fehlgeleiteten war das die Berliner Naziszene, die sich mit Bärgida einen weiteren bürgerlichen Anstrich geben will. Der stadtbekannte NPD-Organisator Jan Sturm durfte dabei nicht fehlen.
PEGIDA – Eine Bewegung?
Bürgerliche Medien diskutieren, ob Pegida eine Bewegung ist und kommen dabei zu unterschiedlichem Urteil. Tun wir ihnen nicht zu viel Ehre an. Bis auf Dresden ist deren Lokalisierung auf allen Ebenen an massenhaftem Widerstand und mangelnder Teilnahme gescheitert.
Pegida ist keine Bewegung. Es sei denn, man bezeichnet den Rassismus, der tagtäglich von der herrschenden Politik und den Medienkonzernen á la Springer, Holtzbrink, Bertelsmann und Co. geschürt wird als Bewegung. Dies ist typisch für die Spalte- und Herrsche-Politik im Interesse der Konzerne. Nicht nur in Deutschland.
Dennoch darf der Aufschwung an insgesamter rechter Bewegung nicht missachtet oder herunter gespielt werden. Die jahrelange Hetze gegen wirkliche oder vermeintliche Muslima/a, „Wirtschaftsflüchtlinge“ und Menschen, die vor verschiedenen Ursachen des kapitalistischen Systems flüchten müssen, war eine Saat, die auf fruchtbaren Boden fiel.
Wo Perspektivlosigkeit, Verarmung und Arbeitslosigkeit sich mit einer mangelnden Alternative von einer anderen Gesellschaft paaren, haben Rechte viele Zugangsmöglichkeiten. Sie nutzen die Ängste der Menschen für ihre rassistische und nationalistische Propaganda und verschleiern die wirklichen Ursachen für Verschlechterungen der Lebens- und Arbeitsumstände. Damit spielen sie Profiteuren und der Politik nur in die Hände.
Dies ist deutlich in Sachsen zu sehen. Nicht nur, aber auch dort sind die Wahlergebnisse rechter Parteien umso höher, je niedriger der migrantische Bevölkerungsanteil ist. Neben einer Kernwählerschaft ist die Partei DIE LINKE eine weiter entleerte Fortführung der PDS. Sie stellt schon lange keine Alternative für die Menschen vor Ort dar. Neben dem politischen Aspekt gibt es in vielen Teilen nicht einmal mehr aktive Basisstrukturen, die das Vakuum füllen könnten. Gute Voraussetzungen für Nazis, ideologisch und physisch zuzuschlagen.
Was als Hogesa und Pegida seinen Anfang nimmt, größere Schichten Desillusionierter anzuziehen, kann in Parteien wie AfD oder gewalttätigen Gruppen Autonomer Nationalisten seinen organisierten Ausdruck finden. Der staatliche Umgang mit Flüchtlingen hat es NPD und anderen Organisationen erst möglich gemacht, mit ihrer Hetzpropaganda breiteren Anklang zu finden.
Noch breiter muss der Widerstand dagegen sein. Lokal, aber auch regional und bundesweit. Allerdings werden rein antifaschistische Demonstrationen das Problem nicht auf Dauer bekämpfen können. Die soziale Misere, die der Kapitalismus verursacht, ist der Schoß, in dem Nazis wachsen. Nur der Kampf dagegen kann ihnen den Boden entziehen.
Dennoch wird dies nicht die letzte Gelegenheit gewesen sein, gegen Bärgida und andere Rechte auf die Straße zu gehen. Es geht jeden Montag weiter in Marzahn-Hellersdorf und anderen Stadtteilen. Karl Schmitt selbst sagte, er habe aus gestern Abend gelernt und für nächsten Montag eine weitere Demo angekündigt. Zeigen wir ihm, dass wir ein für alle Mal „die Schnauze voll“ haben. Von ihm und all seinen GesinnungsgenossInnen.