Ein Gespräch mit Shahar Benhorin von Maavak Sotsyalisti/Nidal Eshteraki
Das Interview führte Aron Amm.
Erst letztes Jahr war die jüngste Netanyahu-Regierung gebildet worden. Anfang Dezember trat diese bereits nach 20 Monaten zurück. Warum?
Die Fünf-Parteien-Koalition war von vornherein sehr instabil. Noch steckt Israel zwar nicht offiziell in der Rezession, aber der Wirtschaftsabschwung hinterlässt seine Spuren. Im Sommer eskalierten zudem die israelisch-palästinensischen Spannungen und führten neben der Militäroffensive Israels im Westjordanland zum Angriff auf Gaza.
Die verschiedenen Koalitionspartner der rechten Regierung sehen sich alle unter Druck und bemühen sich, sich auf Kosten der anderen zu profilieren. Das spitzte sich in einem neuen Gesetzesstreit zu. Israel soll als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ festgeschrieben werden, was die 20 Prozent Araber in Israel weiter an den Rand drängen würde. Nachdem sich der Finanzminister Lapid und die Justizministerin Livni dagegen sträubten, wurden sie von Netanyahu (Likud) entlassen. Am 17. März soll ein neues Parlament gewählt werden.
Normalerweise schließt ein Krieg doch die Reihen der Regierung?
Dieses Mal war es anders. Während des Gaza-Krieges wuchsen die Konflikte weiter an. Und Netanyahus Befreiungsschlag mit dem Ausrufen von Neuwahlen könnte sich als Schlag ins Wasser erweisen: Seine Popularitätswerte sind auf unter 40 Prozent gesunken.
Der Status Quo wird für das israelische Regime immer kostspieliger. Zudem isoliert es sich international zusehends – wenngleich trotz der aggressiven Siedlungspolitik keine Sanktionen zu erwarten sind. Natürlich bleibt das Weiße Haus ein Verbündeter Israels, aber Obama und Co. stoßen sich am gegenwärtigen Kurs der Regierenden in Israel.
Mittlerweile ist von einer neuen sogenannten städtischen beziehungsweise stillen Intifada die Rede.
Die Unruhen wachsen in der Tat. Während des Gaza-Krieges protestierten bei Ramallah 20.000 Palästinenser. Das hat es seit Jahren nicht gegeben. Aber auch in den vergangenen Wochen tat sich viel: Fast täglich gehen Hunderte von Palästinensern in Ost-Jerusalem auf die Straße.
Beim Begriff Intifada muss man allerdings aufpassen. Die Netanyahu-Regierung nimmt das Wort auch deshalb in den Mund, um die eigene Bevölkerung einzuschüchtern. Viele jüdische Israelis assoziieren damit aufgrund des Verlaufs der zweiten Intifada eine Serie von Bombenanschlägen. Für einen Großteil der Palästinenser handelt es sich freilich ebenfalls um ein Trauma.
Die künftige israelische Regierung könnte noch brutaler vorgehen als die jetzige Mitte-Rechts-Koalition. Zwar haben sie im Sommer militärisch gesiegt, trotzdem haben sie für ihren Gaza-Angriff Wochen benötigt und konnten die Bevölkerung nicht vollends in die Knie zwingen. Die Hamas profitierte davon.
Wir erleben eine barbarische Politik. Wenn palästinensische Jugendliche dabei erwischt werden, einen Stein zu werfen, werden die Eltern dafür zur Kasse gebeten – die ohnehin zu den ärmsten Schichten des Landes gehören. Immer wieder verweigert Israel den Palästinensern den Zugriff zum Trinkwasser. Die Menschen in den Flüchtlingslagern werden wie Vieh behandelt.
Umfragen signalisieren hohe Zustimmungsraten für sogenannte Friedensgespräche.
Das trifft zu. Wobei eine Mehrheit der israelischen Bevölkerung vor wenigen Monaten noch den Gaza-Krieg gut hieß.
Die Stimmung ist widersprüchlich. Auch weil die Linke extrem schwach ist. Zum Teil werden gegenüber den Palästinensern nationalistisch-chauvinistische Töne angeschlagen. Dann wieder sehnen sich viele nach Verhandlungen. Allgemein wird die sogenannte Zwei-Staaten-Lösung unterstützt.
Wie ist die Stimmung unter jüdischen Israelis?
Israel ist stark auf den Export angewiesen. Hier verdüstern sich die Aussichten. Die Lebenshaltungskosten steigen stetig. Kein Wunder, dass der „arabische Frühling“ auch die jüdischen Israelis vor drei Jahren zu Massenprotesten inspirierte.
Unter jüdisch-israelischen Jugendlichen kam es zu einer Facebook-Aktion. Aufgerufen wurde dazu, nach Berlin zu emigrieren. Das fand viel Resonanz.
Am schlechtesten sind aber die palästinensischen Arbeiter dran. Ihre Reallöhne stagnieren seit Jahren beziehungsweise gehen zurück.
Welche Aufgaben stellen sich für die Linke?
Nötig ist es, die soziale Frage nicht isoliert zu betrachten, sondern mit dem Israel/Palästina-Konflikt zu verbinden. Die Herrschenden Israels sind nicht nur für Armutslöhne, Prekarisierung und Inflation verantwortlich, sondern auch für Krieg und Spaltung.
Allerdings bieten die Spitzen von Hamas und Fatah ebenfalls keinen Ausweg an. Die Fatah hat sich selber gegenüber der Palästinenser repressiv gezeigt. Abbas legte sich auch mit den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes an.
Die Palästinenser können aufgrund ihrer verheerenden Lage nicht warten. Sie haben ein Recht darauf, sich – auch bewaffnet – gegen die viertgrößte Armee der Welt zu verteidigen. Israel ist der Staat, der gegen die meisten UN-Resolutionen verstoßen hat. Den oberen Zehntausend dieses Staates wird man nicht gut zureden können. Nötig ist allerdings eine massenhafte Erhebung – wie es bei der ersten Intifada und am Beginn der zweiten noch zum Teil der Fall war. Nur so kann ein militärischer Vormarsch israelischer Truppen aufgehalten werden. Nur durch Massenproteste gelang es 2008, die Grenze zwischen Israel und Ägypten zu öffnen.
Unter den palästinensischen Jugendlichen und Arbeitern sollte man jedoch über eine Strategie gegen Besatzung und Wirtschaftspolitik diskutieren. Die eigenen Strukturen sollten demokratisch organisiert sein. Es sollte auch versucht werden, die jüdisch-israelischen Beschäftigten und Jugendlichen anzusprechen. Ein gemeinsamer Kampf gegen einen Krieg, der zum einen Unterdrückung und zum anderen Sozialabbau bedeutet, sollte das Ziel sein. Die reaktionäre Siedlungs- und Besatzungspolitik muss gestoppt werden. Mit der Belagerung von Gaza muss Schluss sein.
In Israel sollte der Gewerkschaftsverband Histadrut aktiv für einen Mindestlohn, von dem man auch wirklich leben kann, eintreten und Leiharbeit sowie Billiglöhne bekämpfen.
Wir von Maavak Sozialisti/Nidal Eshteraki treten für einen unabhängigen, demokratisch-sozialistischen palästinensischen Staat an der Seite eines demokratisch-sozialistischen Israels ein, mit zwei Hauptstädten in Jerusalem und Schutzrechten für alle Minderheiten – als Teil einer freiwilligen sozialistischen Konföderation von Staaten im Nahen Osten.