Gespräch mit Paul Murphy, Parlamentsabgeordneter der Anti-Austerity Alliance (AAA) und Mitglied der Sozialistischen Partei, über eine neue Massenbewegung in Irland
Du sprichst von einer Revolte der Arbeiterklasse in Irland. Worum geht es?
Mehr als sechs Jahre hat die einfache Bevölkerung Irlands einen hohen Preis in Form von Austeritätspolitik für eine Krise bezahlt, die sie nicht verschuldet hat. Es gab in diesen Jahren zwar viele Versuche der Menschen, sich zur Wehr zu setzen, aber die Gewerkschaftsführung hat das immer wieder blockiert. Nun hat sich die Lage grundlegend geändert. Allerdings nicht, weil die Gewerkschaftsführer begonnen hätten, zu kämpfen, sondern weil eine selbstorganisierte Bewegung von unten geradezu explodiert ist.
Es geht um den Widerstand gegen die Einführung von Wassergebühren und die Installation von Gebührenzählern. Aber das ist nur der Anlass. Dahinter steht die Wut über die fortwährende Zerstörung des Lebensstandards.
Seit Anfang Herbst sind im ganzen Land in den Stadtteilen und Wohnsiedlungen Komitees gegen die Wassergebühren und Gebührenzähler entstanden. Straßenversammlungen, an denen oftmals Hunderte teilnehmen, sind als neues Mittel der Diskussion und Organisation aufgetaucht. Anwohner, die sich der Installation von Gebührenzählern entgegengestellt haben, wurden verhaftet. Mittlerweile ist es zu drei Großmobilisierungen gekommen. Jeweils 100.000 bei landesweiten Demonstrationen im Oktober und Dezember und im November 150.000 bei einem dezentralen Aktionstag.
Es gab in dem Zusammenhang eine mediale Hetzkampagne gegen Dich und weitere Parlamentsabgeordnete der Sozialistischen Partei. Euch wurde vorgeworfen, Ihr stündet für „die Herrschaft des Mobs“ und für ein „Sowjetsystem“. Was war passiert?
Eine solche Bewegung von unten ist immer eine größere Bedrohung für das kapitalistische Establishment, als Bewegungen, die von braven Gewerkschaftsführern kontrolliert werden. Wir haben es nicht nur mit einem Ausbruch von Wut zu tun, sondern auch mit einer breiten Politisierung und Radikalisierung. Gleichzeitig verlieren die Regierungsparteien Fine Gael und Labour gerade massiv an Unterstützung. Vor diesem Hintergrund versuchte das Establishment, die Proteste und die Sozialistische Partei als gewalttätig zu diskreditieren und eine „rote Gefahr“ heraufzubeschwören. Ein Parlamentsabgeordneter hat uns sogar mit dem „Islamischen Staat“ verglichen. Aber das hat alles nicht funktioniert.
Anlass dieser Kampagne war ein Protest in Jobstown, einem Stadtteil von Dublin, der zu meinem Wahlkreis gehört. Hier wurde ich am Tag der ersten Massendemonstration gegen die Wassergebühren im Oktober in einer Nachwahl für die Anti-Austerity Alliance (A) ins nationale Parlament gewählt. Hier gab es einen spontanen Protest von 700 Anwohnern gegen die stellvertretende Premierministerin Joan Burton, die an einer Zeremonie teilgenommen hatte. Dabei wurde auch ihr Wagen blockiert und sie wurde langsam aus dem Stadtteil begleitet, so dass ihre Abfahrt um zweieinhalb Stunden verzögert wurde. Auch wenn sie in einer Situation von einem Wasserballon getroffen wurde, war dies ein friedlicher Protest von Menschen, die durch die Regierungspolitik massiv betroffen sind. Weil ich an diesem Protest teilgenommen habe, nutzte das Establishment den Vorfall, um gegen die AAA, in der die Sozialistische Partei eine wichtige Rolle spielt, und mich zu hetzen.
Am 10. Dezember gab es während eines Werktags eine Massendemonstration. Wie kann die Bewegung nun weiter gehen?
Die Demonstration am 10. Dezember fand statt, nachdem es zu einigen kosmetischen Zugeständnissen der Regierung kam. Sie wurde daher als Gradmesser für den weiteren Verlauf der Bewegung betrachtet, gerade weil sie an einem Werktag stattfand. Wir haben deshalb für Arbeitsniederlegungen argumentiert, zu denen es aber leider nicht kam. Trotzdem nahmen 80.000 bis 100.000 an der Kundgebung vor dem Parlament teil. Nun kommt es darauf an, dass sich die Bewegung noch besser organisiert und dafür sorgt, dass die ersten Rechnungen, die im April erwartet werden, massenhaft nicht bezahlt werden. Die Sozialistische Partei ist Teil der von der AAA angestoßenen Kampagne „Wir zahlen nicht!“. Leider sind wir die einzigen, die ernsthaft für einen massenhaften Zahlboykott eintreten, um die Wassergebühren zu stoppen und die Regierung zu Fall zu bringen. Diese ist schon enorm geschwächt und könnte in den nächsten Monaten, nicht zuletzt durch einen großen Zahlboykott fallen.
Wie geht die politische Linke mit dieser Situation um? Oftmals wird Sinn Féin als größte linke Partei betrachtet. Was ist deren Position?
Die AAA argumentiert dafür, dass aus der Bewegung gegen die Wassergebühren und von den linken Kräften bei den nächsten Wahlen Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt werden sollten – gegen die kapitalistischen Austeritätsparteien. Das könnte der Anfang des Aufbaus einer neuen Linken und eine Herausforderung gegen das System sein. Sinn Féin wurde durch diese Bewegung als eine opportunistische und eben nicht linke Kraft entlarvt. Sie sprechen sich zwar gegen die Wassergebühren aus, organisieren aber keinen Kampf dagegen und sprechen sich nicht für einen Zahlboykott aus, weil das illegal wäre. Das zeigt, dass sich Sinn Féin dem Establishment als mögliche Regierungspartei andienen will. Sie sind so sehr gegen Kürzungspolitik, wie es Labour in der Opposition war. Sobald sie in der Regierung waren, haben sie sie umgesetzt. So wird es auch mit Sinn Féin sein. Wenn es keine starke Alternative gibt, wird Sinn Féin aber trotzdem bei den Wahlen von der neuen Stimmung profitieren. Gerade deshalb ist der Vorschlag der AAA so wichtig, dass die Massenbewegung aus sich heraus Kandidaten aufstellt, die als eine politische Stimme dieser neuen Bewegung aus der Arbeiterklasse wirken können.
Interview: Sascha Stanicic
Das Interview erschien in gekürzter Fassung zuerst in der Tageszeitung „junge Welt“.