Brandenburg und Thüringen: Protest und Enttäuschung in Ostdeutschland

LINKE BrandenburgLINKE wird in Brandenburg für Regierungspolitik abgestraft

77 Prozent der NichtwählerInnen in Thüringen und Brandenburg sagen, es gibt viele Parteien, aber keine die etwas verändert. Viele Proteststimmen landeten bei der AfD während DIE LINKE in Brandenburg für ihre Politik an der Regierung die Hälfte ihrer WählerInnen verliert.

von Michael Koschitzki, Berlin

Drei Landtagswahlen binnen kurzer Zeit in Ostdeutschland werfen ein Schlaglicht auf die derzeitigen politischen Verhältnisse. Einerseits sieht beispielsweise in Brandenburg laut Umfrage der Tagesschau die Mehrheit zum ersten Mal die wirtschaftliche Lage positiv. 82% der Befragten empfinden ihre eigene wirtschaftliche Lage als gut. Andererseits fühlt sich 25 Jahre nach der Wende eine wachsende Schicht nicht vom politischen Establishment und ihren falschen Versprechen vertreten. 78% der Nichtwähler sagen, es gäbe viele Parteien, aber keine, die etwas verändert.

Um zwanzig Prozentpunkte ist die Wahlbeteiligung in Brandenburg gegenüber 2009 gesunken. Das ist die zweitniedrigsten Wahlbeteiligung in der Geschichte der Bundesrepublik. Über die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung (von der Menschen ohne deutschen Pass immer noch ausgeschlossen sind) fühlt sich von keiner Partei mehr vertreten. SPD Generalsekretärin Yasmin Fahimi machte deshalb Vorschläge, künftig eine Woche lang die Stimme abgeben zu dürfen und/oder Wahlurnen im Supermarkt aufzustellen – als hätte die Entfremdung so vieler Menschen etwas mit dem Weg zum Wahllokal zu tun. In Thüringen fiel die Wahlbeteiligung gegenüber der letzten Wahl nicht so stark – bleibt aber auf einem Tiefstand von 52,7 %.

Brandenburger Regierungspolitik abgestraft

Landtagswahl 2014 BrandenburgBER-Flughafen-Desaster und Betrug beim Nachtflug, Stellenabbau im Öffentlichen Dienst, Sparkurs an den Unis und die Zustimmung zum Braunkohleausbau: Die rot-rote Koalition wurde für diese Verschlechterungen abgestraft. Während die SPD über 140.000 Stimmen verlor, büßte die LINKE die Hälfte ihrer Stimmen ein und bekam nur 183.000 Zweitstimmen. Sie traf die Unzufriedenheit am meisten. Während 61% mit der SPD in der Regierung zufrieden waren, sagten das nur 39% zur LINKEN. Von ihr hatte man etwas anderes erwartet. Sie behielt von 21 Direktmandaten nur noch vier.

Am augenscheinlichsten wurde die Bereitschaft der LINKEN-Fraktion Inhalte für die Regierung zu opfern, als sie trotz anderer Aussage im Wahlprogramm dem Braunkohleausbau zustimmte. Das war eins der Zugeständnisse, das sie der SPD für die immer noch mögliche Fortsetzung der Regierungskoalition zu bringen hatte. Erreichte Verbesserungen oder auch neue Versprechen auf 4400 neue LehrerInnen wogen das nicht auf – in der Regierung trug sie für die ganze Politik die Verantwortung, zum Beispiel für das BER-Desaster. Die Debatte um das BER-Nachtflugverbot brachte im Teltow Fläming sogar einem der Freien Wähler (ehemaliger SPD Abgeordneter) ein Direktmandat. Sie sind durch die dadurch aufgehobene Prozenthürde mit insgesamt drei Mandaten vertreten und lassen die rot-rote Mehrheit auf nur drei Sitze zusammenschmelzen. Rot-Schwarz dagegen hätte sieben.

Das Brandenburger Ergebnis zeigt wohin eine Koalition der LINKEN mit der SPD führt – nicht zum Ausbau der Position sondern wie zuvor in Mecklenburg Vorpommern und Berlin zum starken Einbruch bei der Unterstützung. Eine Fortsetzung der Koalition statt eines Kurswechsels der LINKEN droht das zu verschlimmern. Während DIE LINKE unter ihren AnhängerInnen verlor, konnte sie auch keine neuen hinzugewinnen. Unter 16-24 Jährigen ist sie mit nur 15% gleichauf mit der AfD und schneidet unterdurchschnittlich ab. Wo wird die Partei in einigen Jahren stehen, wenn sie keine Jugendlichen mehr erreichen kann?

Wechselstimmung in Thüringen?

Landtagswahl2014ThueringenIn Thüringen setzte die amtierende Ministerpräsidentin auf den Stabilitätsfaktor und fühlte sich auch vor dem Hintergrund einer in Umfragen beliebten Bundesregierung, die eher mit Sozialreformen als Angriffen aufzufallen scheint, abgesichert. Sie verlor „nur“ 15.000 Stimmen. Dagegen trat DIE LINKE mit dem Vorhaben an, die CDU geführte Regierung abzulösen, die das Amt seit der Wende inne hatte und den ersten linken Ministerpräsidenten zu stellen. Trotz Hoffnungen in Teilen der Bevölkerung diese Regierung loszuwerden, konnte Rot-Rot-Grün keine Begeisterung auslösen. DIE LINKE verlor über 23.000 Zweitstimmen – die Grünen 11.000. Am härtesten traf es die mitregierende SPD, die über 78.000 Stimmen verlor. Sie gab am meisten Stimmen (27.000) an DIE LINKE ab, die prozentual ihr bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl einfuhr. Doch ihr Ministerpräsident in Wartestellung Bodo Ramelow hat nicht mal seinen eigenen Wahlkreis in Erfurt gewonnen. Trotzdem scheint er zu allen Zugeständnissen bereit, Rot-Rot-Grün auch mit nur einer Stimme Mehrheit und dem gemeinsamen Verlust von über 110.000 Stimmen, möglich zu machen.

Bodo Ramelow zeigte, dass die von der Partei beschlossenen Inhalte kein Hemmnis für eine Regierungskoalition sein sollen. Er machte klar, dass man von der Abschaffung des Verfassungsschutzes (eine Kernforderung nach dem NSU-Skandal) absehen könnte und präsentierte kurz vor der Wahl ein Regierungsprogramm, das in weiten Teilen aus SPD Forderungen bestand. Das enttäuschte die Hoffnung, dass sich grundsätzlich etwas ändern könnte. Während Rot-Rot-Grün rechnerisch noch möglich ist, ist Rot-Rot bereits am Einbruch der SPD aufgrund ihrer Regierungspolitik gescheitert. Statt dem nachzueifern sollte sich DIE LINKE darum bemühen, sich aufzubauen und mit klarem linken Programm und Forderungen zu verankern. Dass sie unter Jugendlichen (19%) am schlechtesten abschneidet, ist auch hier eine Warnung.

AfD festigt sich

Während andere Protestphänomene wie die Piraten deutlich an Zustimmung verlieren, holte die Alternative für Deutschland AfD in beiden Landtagswahlen zweistellige Ergebnisse beziehungsweise jeweils um die 100.000 Stimmen in beiden Wahlen. Dass ihre ausländer- und frauenfeindlichen Forderungen mit der AfD einen organisierten Ausdruck finden, muss eine ernste Warnung sein. Das kann dazu führen, dass die CDU auch wieder verstärkt in der Richtung agiert und Angriffe verschärft. Einerseits schafft es die AfD als erzkonservative rechtspopulistische Partei, die von alten Adligen, Akademikern und verzweifeltem Mittelstand getragen wird, erfolgreich im nationalistischen Milieu zu fischen. Gleichzeitig konnten sie eine große Zahl von Proteststimmen auf sich vereinen, so zeigen die Umfragen, dass sie vor allem aus der Enttäuschung über die etablierten Parteien gewinnen konnte und von allen Parteien WählerInnen abgezogen hat. So konnte sie es sogar schaffen unter ArbeiterInnen (in Brandenburg mit 19% gleich auf mit der LINKEN) und Jugendlichen Stimmen zu gewinnen. Das ist eine ernstzunehmende Herausforderung an DIE LINKE. Eine Warnung ist auch, dass 22 % der AfD WählerInnen in Brandenburg und 15% der WählerInnen in Thüringen davor LINKE gewählt haben. Wo DIE LINKE mit einer kämpferischen und sozialistischen Politik antritt, kann sie Proteststimmen erhalten, Protest organisieren und in eine linke Richtung lenken, statt die Menschen an die Rechten zu verlieren.

Die AfD erhält mit populistischen Forderungen Unterstützung. In Brandenburg klebte sie Plakate zum Nachtflugverbot. Sie schaffte es aber auch, sich mit frauenfeindlichen konservativen Forderungen familienfreundlich darzustellen – eine Folge der Kürzungspolitik bei Kitas und Sozialleistungen. Außerdem konnte sie die Angst vor vermehrter Zuwanderung für sich zu nutzen. Laut einer Emnid-Umfrage stimmen 83% in Deutschland ihrem Slogan „Einwanderung braucht strikte Regeln“ zu. Direkt an der polnischen Grenze – zum Beispiel in Frankfurt Oder holte sie mit fast 20 Prozent sehr hohe Ergebnisse. Damit gräbt die AfD auch den Faschisten etwas Wasser ab – erschreckend ist aber, wie hoch trotzdem die Ergebnisse der krisengeschüttelten NPD sind.

Ebenfalls setzte die AfD auf Ostalgie. 43 % der ThüringerInnen sagt, sie spräche viele gute Dinge an, die es in der DDR gab. Einige hofften, dass die AfD nur ein Spuk ist, der schnell vorbei sein wird. Bisher ist es ihr aber gelungen den Laden zusammen zu halten.

Kurswechsel der LINKEN nötig

Angesichts der Verlust der Hälfte der WählerInnen in Brandenburg darf es kein „Weiter so“ geben. Stattdessen muss ein Kurswechsel in der LINKEN her und die Bilanz aus den Erfahrungen gezogen werden – Regierungsbeteiligungen mit prokapitalistischen Parteien müssen abgelehnt werden. (Ausführliche Stellungnahme der SAV zu Regierungsbeteiligung hier: https://www.archiv.sozialismus.info/2014/06/die-linke-und-das-regieren/

Die parteiinterne Strömung AKL hat recht, wenn sie zu den anstehenden Aufgaben schreibt: „DIE LINKE muss ihre Verankerung in sozialen, Bewegungen und in den Milieus der Menschen, die heute nicht mehr zur Wahl gehen, vorantreiben. Dazu ist programmatische Klarheit, strategische Rücksichtslosigkeit und Radikalität und unkonventionelles, kühnes Auftreten erforderlich. Die staatsmännische Pose der Partei muss komplett ersetzt werden.“ (http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=581)