Countdown für das Unabhängigkeitsreferendum
Am 18. September entscheiden die WählerInnen in Schottland bei einer Volksabstimmung darüber, ob sich das Land nach über 300 Jahren von Großbritannien und dem Vereinigten Königreich abspalten soll, um künftig ein unabhängiger Staat zu sein. Es wird ein knappes Ergebnis erwartet. Noch haben die GegnerInnen der Unabhängigkeit laut Umfragen einen Vorsprung, der allerdings zuletzt zu schrumpfen scheint.
von Seán McGinley
Die Abstimmung findet vor dem Hintergrund jahrelanger Kürzungen statt, die in Schottland besonders starke Spuren hinterließen. Dass viele die Unabhängigkeit mit der Hoffnung auf eine sozialere Politik verbinden, resultiert auch aus der Desillusionierung mit allen Regierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte. War Schottland in der Thatcher-Zeit noch eine Hochburg der Labour Party, hat die Schottische Nationalpartei (SNP), die für die Unabhängigkeit eintritt, seit 15 Jahren kontinuierlich hinzugewonnen. Sie argumentiert, Schottland wäre von den in London beschlossenen Kürzungen überproportional betroffen und werde nicht ausreichend an den Erlösen der vor der schottischen Küste geförderten Erdöl- und Gasvorkommen beteiligt.
SNP
Gleichzeitig hat die SNP, die ab 2007 mit einer Minderheitsregierung und seit 2011 mit absoluter Mehrheit die schottische Regionalregierung stellt, seit 2010 drei Milliarden Pfund an Kürzungen umgesetzt. Sie versucht, sich als verlässlicher Partner des Kapitals zu präsentieren und verspricht einen ausgeglichenen Haushalt sowie eine Senkung der Unternehmenssteuern nach der Unabhängigkeit. Notwendigerweise muss sie daher ständig auf die Bremse treten, wenn es um mögliche soziale Fortschritte durch die Unabhängigkeit geht. Sie verspricht keine Rücknahme bereits erfolgter Kürzungen. 2016/17 sollen die öffentlichen Ausgaben um 1,2 Milliarden Pfund ansteigen – „falls möglich“. Bis dahin wird die schottische Regierung aber Kürzungen in Höhe von 6,7 Milliarden aus London weitergegeben haben.
Zudem strebt die SNP eine Währungsunion mit Rest-Britannien an, was die Möglichkeiten einer Politik gegen die Banken und Konzerne extrem erschwert, sollte Schottland jemals eine Regierung bekommen, die eine solche Politik betreiben will.
London lehnt eine Währungsunion ab. So ist unklar, welche Währung ein unabhängiges Schottland verwenden würde. Kapitalisten drohen, weniger zu investieren oder Standorte aus Schottland rauszuverlagern. In diesen zentralen Fragen hat die SNP keine überzeugenden Antworten, weil sie die Konfrontation mit dem Kapital scheut. Dadurch untergräbt sie die Unterstützung für die Unabhängigkeit seitens derer, denen es am schlechtesten geht, und die sich von einem „Ja“ am 18. September eine bessere Zukunft erhoffen.
Veranstaltungsreihe „Hoffnung statt Angst“
Die Socialist Party Scotland, Schwesterorganisation der SAV, hat zusammen mit dem bekannten Sozialisten Tommy Sherdian und anderen Linken seit Januar im ganzen Land Veranstaltungen unter dem Titel „Hoffnung statt Angst“ durchgeführt, um der Angst-Propaganda zu kontern und die Haltung der SNP zu kritisieren. Über 14.000 TeilnehmerInnen hörten dabei Argumente für eine sozialistische Politik in einem unabhängigen Schottland.
Zentrale Punkte müssten die Verstaatlichung der Banken, des Finanzsektors sowie der Öl- und Gasindustrie unter demokratischer Kontrolle sein, sowie eine Ablehnung der Zahlung der Schulden aus der Bankenrettung. Mit einem solchen Programm könnte man eine Mehrheit für eine Unabhängigkeit auf sozialistischer Grundlage gewinnen.
Für eine freiwillige sozialistische Föderation
Als MarxistInnen sind wir in der nationalen Frage internationalistisch und nicht nationalistisch. Wir wenden uns gegen die Unterdrückung von Nationalitäten und verteidigen das Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Abspaltung eines Territoriums, dessen Arbeiterklasse dies wünscht. Das Recht auf Abspaltung verteidigen heißt nicht, die Abspaltung grundsätzlich immer zu befürworten. Wir bekämpfen die Illusion, dass Unabhängigkeit auf kapitalistischer Grundlage alles besser macht. Zudem wollen wir die historisch gewachsenen Verbindungen der Arbeiterklasse verschiedener Länder aufrechterhalten und fördern.
Die Geschichte hat gezeigt, dass ein isolierter sozialistischer Staat nicht überleben kann. Deshalb ist sogar ein unabhängiges sozialistisches Schottland noch kein Allheilmittel. Nötig ist eine freiwillige sozialistische Föderation der heutigen britischen Staaten und Irland in einem sozialistischen Europa und einer sozialistischen Welt.