Bundesregierung will angeblich Gesetz zur „Tarifeinheit“ vorlegen, in dem das Streikrecht unerwähnt bleibt. Die Konsequenz wäre dennoch dessen Einschränkung.
Dieser Artikel erschien zuerst am 4. September in der Tageszeitung jungewelt.
von Daniel Behruzi, Frankfurt am Main
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat ein Problem: Angesichts der Arbeitsniederlegungen von Piloten und des Zugpersonals bei der Bahn fordern Unternehmer und Konservative immer vehementer eine Beschneidung des Streikrechts unter dem Motto der „Tarifeinheit“. Doch rechtlich ist die Sache schwierig. Ein im Koalitionsvertrag angekündigtes Gesetz – das sogenannte Minderheitsgewerkschaften in die Friedenspflicht zwingt, obwohl sie keinen Tarifvertrag unterzeichnet haben – dürfte vom Bundesverfassungsgericht als Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit kassiert werden. Daher sucht Nahles nach einem Ausweg, den sie laut einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom Mittwoch nun angeblich gefunden hat. Demnach soll das Gesetz die Frage des Streikrechts schlicht unerwähnt lassen. An dessen Wirkung würde das indes nichts ändern.
„In dem Gesetzentwurf soll zwar festgeschrieben werden, dass künftig der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Unternehmen maßgeblich sein soll“, berichtet das Blatt. „Was dies für das Streikrecht von Gewerkschaften bedeutet, will die Regierung aber nicht vorschreiben. In informierten Kreisen hieß es, über die genaue Auslegung müssten dann die Gerichte entscheiden.“
Die Kritiker einer Fixierung der „Tarifeinheit“ beruhigt das nicht. „Wenn Ministerin Nahles gesetzlich festschreibt, dass in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gilt, schränkt sie zwar vielleicht das Streikrecht nicht direkt ein, öffnet aber das Tor hierfür“, erklärte der Linkspartei-Vorsitzende Bernd Riexinger am Mittwoch in Berlin. Mit diesem Vorgehen schaffe die SPD-Politikerin bewusst eine Gesetzeslücke. Das sei nicht nur unverantwortlich, sondern auch Augenwischerei: „Denn selbst wenn die Minderheitengewerkschaft streiken darf, findet das Ergebnis des Arbeitskampfes, nämlich der Tarifvertrag, keine Anwendung. Damit würde das Streikrecht faktisch doch eingeschränkt“, kritisierte Riexinger.
Der ehemalige Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart appellierte „auch dringend an die DGB-Gewerkschaften, das Streikrecht nicht für organisationspolitische Interessen preiszugeben“. Noch ist ungewiss, wie sich insbesondere die Industriegewerkschaften zu einer Gesetzesinitiative verhalten würden. Zwar hat sich der DGB-Kongress im Mai dieses Jahres klar „gegen jeglichen Eingriff in das Streikrecht“ ausgesprochen. Die Chemiegewerkschaft IG BCE hatte auf ihrem Gewerkschaftstag wenige Monate zuvor aber noch ganz anders entschieden.
DGB-Chef Reiner Hoffmann kündigte am Dienstag in Schloss Meseberg an, in der kommenden und übernächsten Woche werde es detailliertere Gespräche der Gewerkschaften mit der Regierung zum Thema geben. Das deutet darauf hin, dass die DGB-Spitze das Ziel eines Gesetzes zur „Tarifeinheit“ keineswegs aufgegeben hat. Das widerspräche allerdings dem Beschluss des Bundeskongresses. Denn auch wenn es nicht explizit im Gesetz stehen sollte: Eine Festschreibung, dass nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gilt, die die meisten Mitglieder im betreffenden Betrieb hat, wäre de facto eine Einschränkung des Streikrechts und der Koalitionsfreiheit. Denn welche Gewerkschaft könnte die Beschäftigten für ihre Ziele mobilisieren, wenn diese nicht per Tarifvertrag wirksam werden können?
Bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft wollte man sich am Mittwoch nicht zu dem Bericht äußern. Ihr Vorsitzender Frank Bsirske hat zuletzt aber klar gegen eine gesetzliche Regelung Stellung bezogen. So betonte er kürzlich in seiner Rede beim Gewerkschaftsrat, dem höchsten ver.di-Gremium zwischen den Bundeskongressen: „Ich bin der festen Überzeugung: Man kann es gar nicht anders gesetzlich bzw. verbindlich regeln als über einen Eingriff ins Streikrecht.“ Und dagegen hätten sich die DGB-Delegierten „klipp und klar“ ausgesprochen.
Das Streikrecht im Gesetz nicht explizit zu erwähnen, würde nach Ansicht der Ärzteorganisation Marburger Bund keinen Unterschied machen. „Ein Zwang zur Tarifeinheit nach der sogenannten Mehrheitsregel degradiert die zahlenmäßig unterlegene Gewerkschaft zum Zaungast von Tarifverhandlungen“, sagte deren Sprecher Hans-Jörg Freese am Mittwoch gegenüber junge Welt. Eine Gewerkschaft, deren Tarifvertrag nicht wirksam werden könne, dürfe nicht zu einem Arbeitskampf aufrufen. „Insofern spielt es keine Rolle, ob im Gesetz explizit klargestellt wird, dass Gewerkschaften mit weniger Mitgliedern im Betrieb an die Friedenspflicht der größeren Gewerkschaft gebunden sind. Implizit ist das die Konsequenz einer verordneten Tarifeinheit: Die Minderheitsgewerkschaft im Betrieb wird kaltgestellt.“
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) macht hingegen weiter Druck: „Es muss gewährleistet sein, dass während der Geltungsdauer des Tarifvertrages, der mit der Mehrheitsgewerkschaft abgeschlossen wurde, für alle Mitarbeiter, die in den Anwendungsbereich dieses Tarifvertrages fallen, die Friedenspflicht gilt“, forderte ein BDA-Sprecher am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Zuspitzen dürften sich diese Debatten im Herbst. Dann werde es „eine wirksame gesetzliche Regelung geben, die auf jeden Fall verfassungsfest sein wird“, sagte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums am Mittwoch in Berlin. Den Bericht über die geplante Ausklammerung des Streikrechts wollte er allerdings nicht bestätigen. Es stünden noch intensive Verhandlungen und Gespräche an. „Da gibt es noch Diskussionen, Abstimmungen, Prüfungen.“
Nach unseren Informationen gibt es in der Tat noch keinen fertigen Gesetzentwurf. Bereits im Frühjahr hatte die Bundesregierung ein von Nahles erstelltes Eckpunktepapier kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Offenbar tun sich die Bundesarbeitsministerin und ihre Kollegen aus dem Arbeits-, dem Innen- und dem Justizministerium doch schwer damit, eine grundgesetzkonforme Lösung zu finden.