Über Sevim Dagdelens Brecht-Zitierung und die Reaktion der LINKE-Führung
Sevim Dagdelen hat im Bundestag für einen Eklat gesorgt. Sie hat die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckhardt per Brecht-Zitat mit dem Begriff „Verbrecher“ ausgezeichnet. Ob das klug war und ob Sevim das rückblickend wiederholen würde, mag man in Frage stellen können. Schließlich ist die Wirkung einer solchen Aussage leider die Ablenkung von der inhaltlichen Debatte, weil sich die bürgerliche Politikermeute empören kann und plötzlich der Umgangston im Parlament im Mittelpunkt steht und nicht die politischen Argumente und Positionen.
Von Sascha Stanicic
ABER: Dass sich Gregor Gysi, Katja Kipping und Bernd Riexinger öffentlich von dieser Äußerung Sevim Dagdelens distanzieren ist für DIE LINKE das weitaus größere Problem. Diese Distanzierung hat eine verheerende Signalwirkung. Sie kommt einer Entsolidarisierung mit einer Genossin gleich, die nun Solidarität gegen die Angriffe der pro-kapitalistischen Kriegstreiberparteien braucht. Und sie ist als Warnung an die Parteilinke zu verstehen, die bürgerlich-parlamentarischen Spielregeln nicht zu verletzen. Diese Distanzierung durch die drei Spitzenkräfte der Partei ist leider auch eine deutliche politische Aussage: man will offensichtlich keine Verstimmungen mit den Grünen, man will die Atmosphäre im Bundestag nicht beschädigen … man will von den falschen Leuten akzeptiert werden!
Was war geschehen? Die Grüne Göring-Eckhardt hat einmal mehr die Rolle der Faschisten in der Kiewer Regierung herunter gespielt. Sevim Dagdelen hat daraufhin gesagt, dass sie dies an folgendes Zitat Bertolt Brechts erinnere: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ Harter Tobak! Aber sachlich doch gar nicht mal so falsch. Und zwar egal, ob man das Brecht-Zitat im engeren oder weiteren Sinne interpretiert. Eigentlich sagt es ja nur aus, dass derjenige, der die Wahrheit eine Lüge nennt, ein Verbrechen an der Wahrheit begeht. Falschaussage erfüllt ja unter gewissen Umständen einen Straftatbestand …. Aber auch im weiteren Sinne passt das Zitat. Für die Linke gilt: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Wer eine Regierung unterstützt, in der Faschisten eine nicht unerhebliche Rolle spielen und deren bewaffnete Einheiten von Faschisten durchsetzt sind, unterstützt doch offensichtlich Verbrecher (nicht im kriminalistischen, sondern im politischen Sinne).
Eigentlich hat Sevim uns einen der seltenen Momente beschert, in dem die Schwatzbude im Reichstagsgebäude einen politischen Wert bekommt, nämlich dann wenn mal Tacheles geredet wird. Wenn mal die Härte und Schärfe der Lebensrealität außerhalb dieser „heiligen Hallen“ zum Ausdruck gebracht wird. Wenn mal die Wut, Verzweiflung und Empörung über Unterdrückung, Krieg, Faschisten laut und deutlich zum Ausdruck gebracht wird, und auch die Empörung über die bürgerlichen Heuchler-Politiker, die den Plenarsaal füllen. Es passiert viel zu selten, dass LINKE-PolitikerInnen mal deutlich aussprechen, was von diesen Leuten zu halten ist. Sevim Dagdelens Empörung über die Dreistigkeit der Katrin Göring-Eckhardt muss man doch teilen!
Ich jedenfalls teile sie, auch wenn ich Sevims Äußerung für unüberlegt halte. Empört hat mich die Entsolidarisierung durch die Parteiführung. Und ich solidarisiere mich mit Sevim, obwohl ich mit ihrer Haltung in der Ukraine-Frage nicht völlig übereinstimme. Leider zeigte ihr Beitrag nämlich auch die Schwäche der Argumentation vieler Linker, die keine deutliche Kritik an Putin und rechten russisch-nationalistischen Kräften üben und es so einer Göring-Eckhardt leichter machen, DIE LINKE zu diskreditieren. Aber ich vergesse nicht, auf welcher Seite ich stehe. Und an Bernd Riexinger sei die Frage gerichtet, ob er sich als Gewerkschafter auch von solchen Kolleginnen und Kollegen distanziert hat, die mal ausfällig gegenüber ihren Bossen geworden sind.
Hier der Link zum Video der Bundestagsdebatte.
Sascha Stanicic ist aktiv in der LINKEN Berlin-Neukölln und Bundessprecher der SAV.