Dokumentiert: Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di zum Tarifabschluss Bund und Kommunen
Endlich soziale Komponente erkämpft, aber: Mit dieser Kampfkraft wäre mehr drin gewesen
Auch bei dieser Tarifrunde war – wie schon 2012 – die Beteiligung an den beiden Warnstreikwellen mit insgesamt 300.00 Beschäftigten sehr gut. Bei den Kundgebungen in größeren Städten wie Hannover, Stuttgart, Dortmund und anderen kamen weit mehr KollegInnen als erwartet. In NRW stand zwei Tage lang der Nahverkehr still. Mit dem Bestreiken von Flughäfen wurde deutlich, dass ver.di in diesem Bereich auch wirtschaftlichen Druck entfalten kann. Bezeichnend für diese Tarifrunde war auch eine hohe Beteiligung von Auszubildenden. Insgesamt wurde eine sehr hohe Kampfbereitschaft deutlich.
Wie von vielen erwartet, ist es nach der zweiten Warnstreikwelle zu einem Verhandlungsergebnis gekommen. Die Tarifkommission hat sich für dieses Ergebnis ausgesprochen, nun folgt eine Mitgliederbefragung bis 25.4.2014. Ver.di Vorsitzender Frank Bsirske spricht von einem „der besten Abschlüsse dieses Jahres“. Innenminister Thomas De Maizière sagt, der Abschluss sei in der Höhe vergleichbarer Ergebnisse und „im kommenden Jahr eher am unteren Rand.“ Wie ist das Ergebnis zu bewerten?
Positiv: soziale Komponente
Neben der einheitlichen Regelung von 30 Urlaubstagen nach der Ausbildung ist vor allem positiv, dass diesmal eine soziale Komponente beim Ergebnis durchgesetzt werden konnte. So bedeuten die 90 Euro Mindestbetrag im ersten Jahr eine überproportionale Anhebung für die unteren Lohngruppen. Die GEW hebt hervor, dass davon zum Beispiel auch die ErzieherInnen in Kindertagesstätten profitieren. Die Durchsetzung einer sozialen Komponente wurde von den meisten KollegInnen als wichtiges Tarifziel erachtet. 2012 hatte es massive Kritik daran gegeben, dass diese Forderung beim Ergebnis keine Berücksichtigung gefunden hatte. Entsprechend fand die Forderung nach einem Sockelbetrag in den Diskussionen um die Forderungen große Resonanz. Insbesondere aufgrund der Haltung der Arbeitgeber, dass sie eine Festgelderhöhung für die unteren Lohngruppen nicht wollten, wurde mit dem Ergebnis ein wichtiges Zeichen gesetzt.
In den Forderungsdiskussionen gab es allerdings auch in einigen Bezirken sehr viel höhere Forderungen, mit Festgeldbeträgen von bis zu 250€ wie in Stuttgart oder Forderungen nach Sockelbeträgen von 200€ plus 3% wie in einigen Betrieben in Nordrheinwestfalen. Viele KollegInnen hatten solche Forderungen auch unter dem Blickwinkel aufgestellt, dass am Ende sowieso die Hälfte davon herauskommt. Diese Erwartung ist leider wieder bestätigt worden.
Wieviel an Lohnerhöhung unterm Strich?
Im Vergleich zum Ergebnis 2012 bedeutet das Ergebnis eine deutliche Verbesserung für die unteren Lohn- und Gehaltsgruppen. Damals berechnete das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“: „Laut Tabelle TVÖD VKA ab 1. März 2012 macht die Lohnerhöhung für die Gruppen 1 – 9/3 +10/1 zwischen 50,71 und 96,52 Euro aus, erst darüber beträgt das Lohnplus zwischen 100,58 und 192,81“.
Stellt man das Ergebnis jedoch den geforderten 100€ plus 3,5% bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gegenüber, handelt es sich im Volumen um weniger als die Hälfte des Geforderten. Daran ändert sich auch nichts, wenn wie üblich das Ergebnis auf eine Erhöhung von 5, 7 Prozent in zwei Jahren hochgerechnet wird. Wenn Bsirske im Tarifinfo behauptet „mit den meisten Forderungen konnten wir uns durchsetzen“, „der Abstand zu den Einkommen der Privatwirtschaft wird mit diesem Ergebnis deutlich vermindert“ und er von einer „deutlichen Reallohnsteigerung“ spricht, ist das übertrieben und einige KollegInnen beschweren sich zurecht, dass hier die Ergebnisse wieder einmal schön gerechnet werden.
Die Anhebung der unteren Lohngruppen bedeutet einen Schritt in die richtige Richtung. Dennoch: Gemessen an den explodierenden Mieten, Anstiegen bei Strom- und Lebensmittelpreisen wäre eine deutlichere Anhebung dringend nötig gewesen. Für die Einstiegsstufe bei Entgeltgruppe 1 bedeutet der Anstieg immer noch ein Brutto-Stundenlohn unter den von Bsirske geforderten zehn Euro Mindestlohn. Nur mit der vollen Durchsetzung der aufgestellten Forderungen wäre diese Marke durchbrochen worden.
Laufzeit problematisch
Zudem gibt es die soziale Komponente nur für das erste Jahr, weil mit dem Abschluss gleichzeitig ein rein prozentuales Ergebnis für 2015 festgeschrieben wurde. Insgesamt ist die Frage der Laufzeit ein fortwährendes Problem bei den Abschlüssen. Bei jeder Tarifrunde wird eine Laufzeit von zwölf Monaten gefordert, doch fast jedes Mal handelt es sich im Ergebnis um zwei Jahre. Zum einen ist das problematisch, weil der Anstieg der Lebenshaltungskosten für so einen langen Zeitraum nicht eingeschätzt werden kann. Somit besteht die Gefahr, dass die vereinbarte Erhöhung von 2,4 Prozent ab dem 1.3.2015 keinen ausreichenden Ausgleich darstellt. Zum anderen steht seit langem im Raum, die Laufzeiten der Beschäftigten bei Bund und Kommunen mit denen der Länderbeschäftigten anzugleichen. Somit könnte die Kampfkraft für die Tarifauseinandersetzungen gesteigert werden. Diese Chance wurde erneut vertan.
Enttäuschung für KollegInnen im Nahverkehr und Krankenhäusern
Eher enttäuschend ist das Ergebnis für die KollegInnen im Nahverkehr. Da sie seit langem abgehängt sind , wurde hier eine Forderung nach einer Zulage von 70 Euro im Nahverkehr aufgestellt. Davon wurde ebenso wenig umgesetzt wie die Forderung nach zusätzlichen Entlastungstagen. Eine Forderung im Bereich Krankenhäuser war, dass wie in den anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes hier auch 20 Prozent Zulage für Nachtschichten gelten soll, anstatt 15 Prozent. Diese Ungerechtigkeit wurde nicht aufgehoben.
Übernahme Auszubildende
Für die Auszubildenden wurde eine Festgelderhöhung von 40 Euro im ersten Jahr und 20 Euro im zweiten Jahr erreicht. Außerdem bekommen sie einen weiteren Urlaubstag (Erhöhung von 27 auf 28 Tage). Das ist nicht schlecht. Doch bei der Übernahme ist das Ergebnis lediglich die Fortschreibung der Regelung, die 2012 erreicht wurde. Zu dieser Regelung analysierte das Netzwerk damals: „…die folgenden Zusätze und genaugenommen Einschränkungen sind so schwammig formuliert, dass sich der auszubildende Betrieb aussuchen kann wie er es drehen und wenden möchte. Tatsächlich heißt es zum Beispiel bei der Frage des Bedarfs: ,Der dienstliche bzw. betriebliche Bedarf muss zum Zeitpunkt der Beendigung der Ausbildung nach Satz 1 vorliegen und setzt zudem eine freie und besetzbare Stelle bzw. einen freien und zu besetzenden Arbeitsplatz voraus, die/der eine ausbildungsadäquate Beschäftigung auf Dauer ermöglicht.‘ (Endfassung der Einigung).“ Diesmal lautete die Forderung wieder Regelung für eine unbefristete Übernahme. Dafür gingen diesmal viele der Azubis auf die Straße. Denn ihre Zukunftsaussichten sind ihnen wichtig. Auch für viele Beschäftigte ist die Bedeutung dieser Forderung klar. Denn sie sind wiederum vom stetigen Personalabbau und dem daraus wachsenden Arbeitsdruck betroffen und eine unbefristete Übernahme der Auszubildenden würden sie als Entlastung sehen. Zudem sind sich die meisten der Verantwortung bewusst, für die Zukunftsperspektiven der Jugendlichen kämpfen zu müssen.
Wäre mehr drin gewesen?
Bei dieser Tarifrunde war die Ausgangslage dafür da, mehr rausholen zu können. Die Arbeitgeber hatten kein Interesse an einer zugespitzten Auseinandersetzung und waren selbst nicht in die Offensive gegangen. Vor allem war die Kampfbereitschaft bei den KollegInnen wieder deutlich zu spüren. Es ist nicht nur das Gefühl von vielen Beschäftigten im öffentlichen Dienst, jahrelang bei den Löhnen abgehängt zu sein, was dazu beigetragen hat. Viele KollegInnen benennen vor allem die gestiegenen Anforderungen, die Zunahme von Stress am Arbeitsplatz und die teilweise unzumutbare Personalsituation als hauptsächliche Missstände, die es zu bekämpfen gilt.
Die massive Beteiligung an den Warnstreiks hätte genutzt werden können, um für die Durchsetzung der Forderungen zu mobilisieren. Mehr noch: Es hätte die Möglichkeit bestanden, gewerkschaftlich in die Offensive zu kommen. Die Stimmung ist seit langem da, dass der massiven Umverteilung zugunsten der Reichen ein Riegel vorgeschoben werden muss. Ver.di hätte diese Tarifauseinandersetzung als gesellschaftspolitische Bewegung zur längst überfälligen Umverteilung von oben nach unten begreifen können. Wenn dabei auch die Verbindung zu anderen Bereichen gezogen worden wäre, hätte dies eine große Resonanz bei sehr vielen Beschäftigten bekommen. Das hätte zu einer kämpferischen Stimmung führen können, das Vertrauen vieler in die Gewerkschaften wäre wieder belebt und damit auch die Bereitschaft, sich für den Aufbau der Gewerkschaften in den Betrieben aktiv einzusetzen!
Wäre ein Streik durchsetzbar gewesen?
Auch im öffentlichen Dienst selbst hätte ein Streik eine positive Wirkung gehabt. Die Stimmung für Streik war in vielen Bereichen vorhanden. Auch, wenn es wie überall einige Schwachstellen gewerkschaftlicher Organisierung gibt, ist allgemein eine große Kampfbereitschaft bei Bund und Kommunen sichtbar geworden.
Die ver.di Führung hätte das Angebot der Arbeitgeber ablehnen und erklären können: Diesmal wollen wir ein klares Signal setzen. Uns ist es ernst mit unseren Forderungen. Diese gilt es durchzusetzen. Wir akzeptieren keine verlängerte Laufzeit. Die Zukunft der Auszubildenden muss sicher geregelt werden, deshalb bestehen wir auf einer tariflichen Regelung für unbefristete Übernahme. Aus diesen Gründen werden wir unsere Mitglieder befragen, ob sie bereit sind, dafür in den Streik treten.
Es spricht viel dafür, dass eine solche klare Ansage großen Zuspruch bekommen hätte. Davon wäre ein Signal ausgegangen, was auch viele KollegInnen, die in den letzten Jahren skeptisch gegenüber ihrer Gewerkschaft geworden sind, hätte begeistern können. Wie bei bisherigen Arbeitskämpfen hätte es einen noch größeren Zuwachs an Neumitgliedern geben können. Mit einer demokratischen Streikführung, das heißt optimaler Beteiligung der KollegInnen an der Streikvorbereitung und -durchführung, hätte man auch die Anzahl von Aktiven in den Betrieben und Dienststellen erhöhen können. Auf Streikversammlungen hätten auch demokratische Diskussionen über wichtige Fragen geführt werden können, zum Beispiel: Wie erreichen wir die Öffentlichkeit? Wie gehen wir mit der Frage der Streikgelder um, wenn es zu einer längeren Auseinandersetzung kommt? Schwächer organisierte Bereiche hätten durch die starken Bereiche inspiriert werden können, selbst auch mit zu kämpfen. Hierbei hätten Besuche von streikenden KollegInnen Wirkung zeigen können. Wie alle Erfahrungen zeigen, kann die Gewerkschaft gerade durch einen Arbeitskampf aufgebaut und gestärkt werden.
Warum hat die Verhandlungsführung das Angebot angenommen?
Schon von Beginn an hat ver.di Chef und Verhandlungsführer Bsirske gesagt, dass er für einen schnellen Abschluss ist. Zwischenzeitlich hat er auch von der Möglichkeit eines Streiks gesprochen. Doch das hat es auch in den vergangenen Tarifrunden gegeben, wo es jedes Mal doch nicht so weit gekommen ist. Es ist gut, dass von Anfang an bei den Warnstreiks durch massenhafte Mobilisierung ein großer Druck aufgebaut wurde. Doch die Führung von ver.di war sicherlich weit davon entfernt, sich auf eine große Streikbewegung vorzubereiten. Das hängt mit den Verknüpfungen großer Teile des Apparats mit der SPD zusammen. Dieser wollen sie in der Regierung möglichst den Rücken frei halten. Aber es gibt noch weitere Gründe, warum ein solcher Streik nicht im Interesse der Führung gewesen wäre. Es hätte bedeutet, sich nicht, wie sonst immer etwa bei der Hälfte der Forderungen mit dem Arbeitgeber zu einigen. Man hätte gezeigt, dass man bereit und in der Lage ist, einen Kampf für die volle Durchsetzung der Forderungen zu führen; dass man auch den Schulterschluss mit den Beschäftigten anderer Branchen für eine breite Tarifbewegung für Umverteilung von oben nach unten sucht, Ein solches Vorgehen würde erfahrbar machen, was mit starken Gewerkschaften und einer kämpferischen Politik möglich wäre. Damit würden auch die Erwartungen der Mitglieder steigen. Die oberen Funktionäre bewegen sich aber lieber im Rahmen einer vermeintlichen Sozialpartnerschaft. Mit dieser Politik sind – besonders vor dem Hintergrund der momentan noch relativ entspannten Haushaltslage – kleine Erfolge möglich. Dennoch konnten die jahrelangen Reallohnverluste (verstärkt mit Einführung des TvÖD), der stetige Personalabbau von tausenden von Stellen, enorm anwachsender Arbeitsdruck durch Arbeitsverdichtung, Privatisierungen und Ausgliederungen mit dieser Politik nicht verhindert werden. Wir brauchen daher einen Kurswechsel, auch um uns auf die möglicherweise härteren Auseinandersetzungen in der Zukunft vorzubereiten.
Mit Nein stimmen
Es ist von einer mehrheitlichen Zustimmung bei der nun anstehenden Mitgliederbefragung auszugehen. Viele KollegInnen erwarten schon nicht mehr, dass es möglich ist, mehr als die Hälfte des Geforderten durchzusetzen. Viele sind sicher auch vor allem wegen des Mindestbetrags, der endlich erreicht wurde, froh. KollegInnen, die wie wir der Meinung sind, mehr wäre möglich gewesen, sollten jedoch mit Nein stimmen, um damit ein Zeichen zu setzen. Das heißt nicht, dass man die Gewerkschaft schwächt. Klar ist, dass auch dieses Ergebnis nur mit einer Gewerkschaft und mit den gut befolgten Warnstreiks möglich war. Doch um ver.di weiter zu stärken, ist nötig, sich aktiv einzumischen und sich für einen kämpferischeren Kurs einzusetzen.
Aktiv werden – für einen kämpferischen Kurs von ver.di
Es gilt, sich auch schon vom heutigen Tag an auf die nächste Tarifauseinandersetzung vorzubereiten. Das heißt auch zu diskutieren, wie der Wunsch vieler KollegInnen, etwas gegen gestiegenem Arbeitsdruck und Personalmangel zu tun, aufgegriffen werden kann. Denn bei vielen ist die Stimmung, dass sie die Arbeitsbedingungen als wichtigeres Thema erachten als die Lohnfrage. Auf einem Transparent der ver.di Jugend Hessen stand treffend „Das Leben ist zu kurz für schlechte Arbeitsbedingungen“. Dabei wird die Frage eine Rolle spielen, inwieweit in der nächsten Runde die Frage einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich aufgegriffen werden kann. In Bereichen wie den Krankenhäusern, sollte auch diskutiert werden, ob beziehungsweise wie der Weg der KollegInnen an der Charité, die sich für eine tarifliche Personal-Mindestbesetzung stark machen, eingeschlagen werden kann.
Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ bietet einen Ansatz, sich gemeinsam mit anderen für einen kämpferischen Kurs von ver.di einzusetzen. Wer dazu einen Beitrag leisten oder in Diskussion darüber treten möchte, ist herzlich eingeladen, sich bei uns zu melden.