Ukraine: Janukowitsch abgesetzt

Foto: http://www.flickr.com/photos/jeroenakkermans/ CC BY-NC-SA 2.0
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Pro-westliches, rechtes Regime festigt seine Macht

Vorbemerkung: Dieser Artikel wurde am 25. Februar, also noch vor der Zuspitzung auf der Krim, auf unserer internationalen Website „socialistworld.net“ – der Website vom CWI (Committee for a Workers‘ International) veröffentlicht. – Bei den jüngsten Entwicklungen in der Ukraine wurde Präsident Viktor Janukowitsch dramatisch gestürzt. Er floh aus Kiew. Massenunzufriedenheit über drückende Armut und ein korruptes, brutales Regime entluden sich schließlich im letzten November in einer Revolte in Kiew und vielen Teilen der Ukraine.

von Niall Mulholland, CWI (Committee for a Workers‘ International)

Aber das Fehlen einer Alternative auf Seiten der Arbeiterklasse ermöglichte es reaktionären Kräften, die Protestbewegung mit Unterstützung des westlichen Imperialismus zu dominieren. Ein neues pro-westliches Regime wird gefestigt, ethnische Spaltungen vertiefen gefährlich sich in der 46 Millionen starken Bevölkerung.

Nach den blutigen Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Polizei in Zentral-Kiew, bei denen es zwischen 18. und 21. Februar über 80 Tote und Hunderte Verletzte gab, verhandelten Spitzenpolitiker aus Deutschland, Frankreich und Polen ein Abkommen mit dem bröckelnden Janukowitsch-Regime. Das EU-vermittelte Abkommen sah die Bildung einer Regierung der ’nationalen Einheit’, das Abhalten von Präsidentschafts- und Ministerpräsidentenwahlen im November und die Wiederinkraftsetzung der Verfassung von 2004 vor, die dem Präsidenten manche seiner zentralen Machtbefugnisse entziehen würde.

Aber das Abkommen platzte schnell. Die rechte Opposition, die ultra-nationalistische und faschistische Elemente umfasst, ging in die Offensive und nutzte ihren Vorteil. Das Parlament enthob Janukowitsch des Amtes und ernannte die Vertreter der Vaterlandspartei, Arsen Awakow und Oleksandr Turchynow, zum Innenminister und Sprecher der Rada (Parlament). Turchynow, ein enger Verbündeter der früheren Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko, die das Parlament am 22. Februar aus dem Gefängnis entließ, ist auch Übergangspräsident. Turchynow versucht jetzt, diese Woche eine neue Koalitionsregierung zu bilden und neue Präsidentschaftswahlen werden am 25. Mai abgehalten. Haftbefehle für Janukowitsch und andere frühere Minister wurden erlassen.

Selbst Abgeordnete aus Janukowitschs Partei der Regionen stimmten für die Maßnahmen, da seine früheren Parteifreunde verzweifelt versuchten, sich von dem entmachteten Regime zu distanzieren. Der Fraktionsvorsitzende der Partei der Regionen verurteilte den gestürzten Präsident, “kriminelle Befehle” erteilt zu haben. Mächtige Oligarchen, die bis vor kurzem enge Verbündete von Janukowitsch waren und sein Bündnis mit Russland als in ihrem Interesse ansahen, haben sich opportunistisch auf die Seite des neuen Regimes geschlagen.

Wütende Reaktion des Kremls

Der Kreml reagierte wütend auf die Ereignisse und prangerte an, was er als einen vom Westen unterstützten “Putsch” unter der Führung von “bewaffneten Extremisten und Pogromisten” sieht. Die Entfernung von Janukowitsch stellt einen ernsthaften Rückschlag für das Putin-Regime dar, das die Ukraine als strategisch entscheidend betrachtet.

Der Kreml hat große Anstrengungen unternommen, um seinen engen Nachbarn weiter in ein wirtschaftliches und politisches Bündnis zu bringen. Letzten November stimmte Moskau für ein 15-Milliarden-Dollar-Abkommen mit Kiew, nachdem Janukowitsch ein EU-‘Assoziierungsabkommen’ ablehnte. Dies vertiefte den internationalen Kampf unter den imperialistischen Mächten um Einfluss auf die Ukraine, die auch ein wichtiges geostrategisches Territorium für die USA und die Nato ist.

Die Ablehnung des EU-Abkommens entfachte Oppositionsproteste auf dem Maidan-Platz im Zentrum von Kiew, die am Anfang vor allem aus Angehörigen der Mittelschicht und Studierenden bestanden. Viele haben Illusionen, dass eine engere Assoziierung mit der EU ihnen Wohlstand und demokratische Rechte bringen werde, trotz der Tatsache, dass das EU-Abkommen vom November mit einem harten IWF-Kürzungspaket verbunden war, von dem Janukowitsch zu Recht fürchtete, dass es zu einer Explosion von Massenprotesten geführt hätte.

Es war die Brutalität der Polizeisondereinheiten gegen Protestierende, die dazu führte, dass größere Zahlen in Kiew und Lviv und im ganzen ukrainischsprachigen Westteil des Landes auf die Straßen gingen. Unruhe wegen der Absage des EU-Abkommens entwickelte sich schnell in Massenwut auf Armut, wirtschaftliche Stagnation und das korrupte, unfähige und autoritäre Janukowitsch-Regime.

Während arbeitende Menschen zunehmend verarmten, bereicherten sich Janukowitsch und die ‘Familie’ der Günstlinge um ihn. Es gab sogar Proteste gegen das Regime in der industrialisierten, überwiegend russischsprachigen Ost-Ukraine, die Janukowitschs politische Basis war.

Es wurde schnell enthüllt, dass das korrupte Regime sehr wenig Unterstützung in der Bevölkerung hatte. Das wurde unterstrichen, als die Protestierenden die Tore von Janukowitschs Hauptresident öffneten und seinen üppigen Lebensstil entlarvten (allerdings zogen es die westlichen Medien vor, keinen Blick auf den ähnlich obszönen Reichtum der pro-westlichen OligarchInnen und PolitikerInnen zu werfen).

Aber beim Fehlen von starken Arbeiterorganisationen war es nicht möglich, die Massenopposition gegen Janukowitsch für eine vereinigte Massenbewegung der gesamten Arbeiterklasse der Ukraine nutzbar zu machen, die alle ethnischen, religiösen und Sprachspaltungen hätte überbrücken können. Auch wenn viele individuelle ArbeiterInnen auf die Straßen gingen, wurde die Revolte – die an ihrer Wurzel gegen das brutale und korrupte Janukowitsch-Regime und die Herrschaft der Oligarchen gerichtet war – nicht von der Arbeiterklasse geführt, die als Klasse für sich gehandelt hätte. Die Mehrheit der Arbeiterklasse lehnte das Regime und die Oligarchen ab, aber sie waren weitgehend passiv. Die Arbeiterklasse drückte den Ereignisse nicht auf unabhängige und organisierte Weise ihren Stempel auf.

Reaktionäre Kräfte

Stattdessen konnten von Anfang an reaktionäre Kräfte mit der Unterstützung der westlichen Mächte in das Vakuum vorstoßen und die Massen zynisch ausbeuten. Rechte, pro-kapitalistische Oppositionspolitiker wie Vitali Klitschko, der frühere Schwergewichtsboxchampion, und Arsenij Jatseniuk, der mit der Vaterlandspartei verbunden ist, übernahmen die Führung.

Sie verbanden sich eng mit Ultranationalisten, Rechtsextremen und den neofaschistischen Gruppen. Während der letzten drei Monate spielten die antisemitische Swoboda-Partei und der rechtsextreme Rechte Sektor eine Schlüsselrolle bei der Organisierung von Straßenkämpfen und der Besetzung von Regierungsgebäuden.

Der zutiefst reaktionäre Charakter des neuen Regimes und die Ängste, die es hervorruft, kann man an dem Aufruf von Rabbi Moshe Reuven Azman sehen, Kiews JüdInnen sollten aus der Stadt fliehen. Der neue Innenminister erklärte, dass die ‚Selbstverteidigungskräfte‘ des Maidan in die Strukturen des neuen Regimes eingegliedert werden sollten. Es wird erwartet, dass Führer der Swoboda-Partei in einem neuen Regime Ämter bekleiden werden.

Die provozierende Entscheidung des Parlaments, den Status der russischen Sprache herabzusetzen, führte zu mehr Rufen nach Lostrennung im russischsprachigen Süden und Osten der Ukraine. Tausende protestierten in Sewastopol auf der Krim, einem entscheidenden Marinestützpunkt für Russlands Schwarzmeerflotte, und schwenkten russische Fahnen. Sie stimmten für die Schaffung einer “Parallelverwaltung” und “zivile Verteidigungseinheiten”.

Übers Wochenende warnte Susan Rice, die nationale Sicherheitsberaterin der USA, Putin, dass es ein “schwerwiegender Fehler” wäre, wenn Russland militärisch eingreifen würde. Der Chef des Nato-Militärkommandos in Europa führte Gespräche mit Russlands Spitzengenerälen am 24. Februar in einem Versuch westlicher Länder, die Spannungen mit Russland zu mildern.

Moskau hat regionale Führer der Ost-Ukraine ermutigt, Kiews Herrschaft abzulehnen und sich Richtung größere ‚Autonomie‘ zu bewegen. Es bleibt abzuwarten, wie weit dieser Prozess gehen wird, aber wenn sich beträchtliche Regionen abspalten würden, könnte das angeschlagene Putin-Regime leicht den Einsatz erhöhen und eine bewaffnete Intervention durchführen.

Konkurrierende Oligarchen und aggressive Einmischung durch den westlichen und russischen Imperialismus haben die Ukraine gefährlich einem chaotischen Zerfallsprozess oder gar regelrechter blutiger Teilung oder ‚Kantonisierung‘ näher gebracht.

Der Ukraine droht der Bankrott

Putin behält mächtigen Wirtschaftseinfluss auf Kiew. Mehr als die Hälfte der Exporte der Ukraine gehen nach Russland und Russland liefert das Gas der Ukraine. Das Moskauer Regime könnte den UkrainerInnen binnen Tagen ernstliche Härten auferlegen, wenn es die 30%-Senkung der Gaspreise widerrufen würde.

Weder Brüssel mit der Unterstützung der USA noch Moskau und seine Oligarchen handeln im Interesse der arbeitenden Menschen in der Ukraine. Ob Janukowitsch oder das neue pro-westliche Regime an der Macht in Kiew – sie handeln zur Verteidigung der Interessen der Superreichen. Das schließt ein, den Massen der UkrainerInnen Kürzungspolitik aufzuzwingen.

Während Russland signalisiert, dass es sein 15-Milliarden-Dollar-Rettungsprogramm für die Ukraine einfrieren will, sprechen führende westliche Politiker davon, ein finanzielles “Rettungsabkommen” zusammenzubringen, das das Land vor dem Bankrott retten soll. Das neue Kiewer Regime sagt, dass es 35 Milliarden Dollar in den nächsten zwei Jahren braucht, um die “Fahrt in den Abgrund” der Wirtschaft zu stoppen. Das Wirtschaftswachstum 2013 war Null, und die Währung, die Hryvnia, verlor mehr als 8% ihres Wertes in drei Monaten.

Die “Financial Times” berichtete, dass die EU und US klarmachten, dass sie “keinem Rettungspaket zustimmen würden ohne eine neue Regierung, die bereit ist, sich zu Wirtschaftsreform” zu verpflichten. Jack Lew, der US-Finanzminister, betonte die Notwendigkeit, “Reformen einzuführen, die von einem IWF-Programm unterstützt werden können” (ein Synonym für Kürzungen und Privatisierung).

Ein deutliches Merkmal der letzten Wochen war, dass trotz der ethnischen Spaltung arbeitende Menschen überall starke Opposition gegen die ganze politische Elite und ihre Oligarchen-UnterstützerInnen ausdrückten. Arbeitende Menschen überall im Land wollen ein Ende des Mafia-Regimes und der Oligarchie und sehnen sich nach einer anderen Gesellschaft, wo sie demokratische Rechte und einen angemessenen Lebensstandard haben können.

Oppositionsführerin Julia Tymoschenko wurde laut einem Guardian-Reporter “höflich, aber keineswegs begeistert empfangen”, als sie sich nach ihrer Entlassung aus dem Gefängniskrankenhaus von Charkiw an die Menge auf dem Maidan-Platz Square wandte. Viele UkrainerInnen erinnerten sich gut, dass Tymoschenko, die Heldin der ‘orangenen Revolution’ 2004, dann Ministerpräsidentin eines korrupten Regimes wurde, das Kürzungen beim Ohnehin schon niedrigen Lebensstandard durchführte.

Das neue Regime wird mit der Arbeiterklasse zusammenstoßen

Die neuen pro-westlichen kapitalistischen Herrscher werden auf Flitterwochen hoffen, aber früher oder später werden sie mit den Interessen der ukrainischen Arbeiterklasse kollidieren. Die Krise der letzten paar Monate machen die dringende Notwendigkeit deutlich, dass die arbeitenden Menschen ihre eigenen Klassenorganisationen aufbauen, einschließlich wirklich unabhängiger Gewerkschaften. Dies hat sich bisher als lang gezogener und schwieriger Prozess erwiesen. Dies ist nicht überraschend angesichts von Jahrzehnten der Herrschaft unter dem Stalinismus, der keine wirkliche Selbstorganisation der Arbeiterklasse duldete, auf die der Zusammenbruch der früheren UdSSR und die Restauration des Kapitalismus per ‚Schocktherapie‘ folgte. Unter diesen Umständen muss das politische Bewusstsein unter den Massen desorientiert und verwirrt sein.

Aber arbeitende Menschen ziehen wichtige Lehren aus den Ereignissen. Sie sind durch die tief enttäuschende ‘orangene Revolution’ und die Herrschaft von Janukowitsch gegangen. Jetzt werden Leute wie Turchynow, Klitschko und Jatseniuk und andere pro-westliche Konzern-Politiker entlarvt werden.

Zunehmend werden mehr Teile der Arbeiterklasse erkennen, dass der einzige Weg vorwärts der Aufbau von unabhängigen multiethnischen Arbeitermassenparteien ist, die den reaktionären Nationalismus, die Oligarchie und jede imperialistische Einmischung ablehnen. Eine sozialistische Partei mit Massenunterstützung, die die Einheit aller ArbeiterInnen quer durch die Ukraine schmiedet, würde dafür kämpfen, dass eine Arbeiterregierung den riesigen Reichtum der Oligarchen übernimmt und die großen Banken und Konzerne verstaatlicht als Teil einer demokratisch geplanten Wirtschaft, die zum Nutzen der riesigen Mehrheit geleitet wird. Auf solch einen Kampf würde es eine bereitwillige Reaktion der ArbeiterInnen von Europa, Russland und der Region geben.