Linksrutsch in New York City?

NordamerikaBill de Blasio hat hohe Erwartungen geweckt

In den USA wächst die Abscheu der einfachen Leute gegenüber dem politischen Establishment. Als es im Oktober zum „government shutdown“, der Haushaltssperre, kam, brachte dies die Stimmung zum Kochen. Die Wut richtet sich vor allem gegen die Republikaner, aber auch gegenüber Obama und den Demokraten schwinden die Illusionen. In den einzelnen Bundesstaaten haben Demokraten wie Bürgermeister Rahm Emmanuel in Chicago unter Beweis gestellt, dass sie für die einfachen Leute ebenso gefährlich sind wie die Republikaner.

Von Tom Crean

Nach fünf Jahren Austerität, Kürzungen und Angriffen auf die Rechte der arbeitenden Menschen halten Millionen von Menschen Ausschau nach einer linken Alternative. Das ist auch der Grund, weshalb die Kandidatin von Socialist Alternative in Seattle und der Kandidat von Socialist Alternative in Minneapolis derart enthusiastisch unterstützt worden sind. Doch diese Wut kommt auch populistischen Demokraten zu Gute, die den Anschein erwecken, als wollten sie sich mit dem Establishment anlegen. Vor allem gilt dies, wenn es vor Ort keine glaubwürdige linke Alternative zu den beiden Parteien der Konzerne gibt.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür gibt es in New York zu beobachten, wo Bill de Blasio der nächste Bürgermeister von New York City wird. Damit ist er seit zwanzig Jahren der erste „Demokrat“, der dieses Amt erringen konnte. Seit 2002 hat Michael Bloomberg als direkter Vertreter der Wall Street die Stadt regiert. Bloomberg ist wahrhaft einer von ihnen: In seiner Amtszeit stieg sein privates Vermögen von fünf Milliarden auf 27 Milliarden US-Dollar.

Die Geschichte von den zwei Städten

 An den Vorwahlen hatte sich eine ungewöhnlich große Zahl von Menschen beteiligt, und der Wahlkampf von de Blasio führte schließlich dazu, dass Bloombergs vermeintliche Nachfolgerin, die Sprecherin des Rates der Stadt, Christine Quinn, mit Leichtigkeit abgehängt wurde. Letztere hatte zuvor noch in Aussicht gestellt, die konzernfreundliche Politik ihres ehemaligen Parteifreundes fortsetzen zu wollen. Das Hauptthema von de Blasio war: „Die Geschichte von den zwei Städten“. Außerdem sprach er ausdrücklich über die enorme Ungleichheit zwischen arm und reich in der Stadt. Daten des Statistischen Bundesamts haben gezeigt, dass mit 46 Prozent fast die Hälfte der Bevölkerung von New York City, der reichsten Stadt der Welt, entweder „arm“ oder „beinahe arm“ ist. Dringend benötigte Krankenhäuser sind geschlossen worden und trotz einer „Bildungsreform“, die seit 12 Jahren in Gang und ganz nach dem Geschmack der Konzerne ausgerichtet ist, hat sich der Zustand der Schulen (vor allem in den ärmeren Vierteln) verschlechtert statt verbessert. Unterdessen sind Polizeigewalt, Überwachung und die rassistischen „stop and frisk“-Maßnahmen (polizeiliche Sonderbefugnisse zur Personenkontrolle; Erg. d. Übers.) für dunkelhäutige Jugendliche und junge Leute mit lateinamerikanischem Hintergrund zur Normalität geworden.

Der Umschwung im öffentlichen Bewusstsein der Stadt war an der breiten Unterstützung für die Bewegung „Occupy Wall Street“ vor zwei Jahren ablesbar. Auch werden die einfachen New YorkerInnen nicht so schnell vergessen, wie die Elite 2012, nach dem Hurrikan Sandy, Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um im Finanzdistrikt von Lower Manhatten die Stromversorgung wieder herzustellen, während zur selben Zeit tausende von arbeitenden und armen Menschen in düsteren Gebäuden im Stich gelassen wurden, in denen das Leitungswasser nicht über das Erdgeschoss hinauskam.

De Blasio versprach, die Steuern für Reiche anzuheben, um davon Hortplätze zu finanzieren, die „stop and frisk“-Maßnahmen massiv herunterzufahren und die privaten „charter schools“ nicht mehr vor den öffentlichen Schulen bevorzugt zu behandeln. Die Wut der Arbeiterklasse auf Bloomberg und die reiche Elite hat er auf eine sehr verzerrte Art und Weise wiedergegeben.

 Die Geschichte von den zwei de Blasios

 Weit verbreitet ist die Hoffnung, dass de Blasio für den Beginn einer neuen Ära in der Stadt steht. Es muss aber allen klar sein, dass es sich bei de Blasio – fernab aller Rhetorik – keinesfalls um einen Radikalen handelt. So gehörte er in den 1990er Jahren der Regierungsadministration von Bill Clinton in dessen zweiter Amtszeit an, und fungierte 2000 als Wahlkampfmanager von Hillary Clinton, die zu jener Zeit für den Senat kandidierte. Im Rahmen einer auf Gutbetuchte ausgerichteten Spendenveranstaltung beschrieb de Blasio sich kürzlich selbst als „einen progressiven Aktivisten und finanzpolitischen Konservativen“.

Die Gründe, weshalb es Hoffnungen in de Blasio gibt, können wir sehr gut nachvollziehen; vor allem, da es an einer glaubwürdigen Alternative zum linken Flügel der Demokraten fehlt. Zwischen ihm und seinem Gegner von den Republikanern, Joe Lhota, gibt es zu einer ganzen Reihe von Fragen eindeutige Unterschiede. Wenn es aber hart auf hart kommt und de Blasio erst einmal in Amt und Würden ist, dann wird er sich an der Seite des viel zitierten einen Prozent und gegen die 99 Prozent positionieren. Er wird Kürzungen durchführen und die Lebensstandards der arbeitenden Menschen sowie der verarmten Schichten attackieren. Dem elitären einen Prozent der Gesellschaft wird er keine Krisen-Lasten aufbürden, die ja erst durch deren Verhalten entstanden sind.

Er wird von einer Schicht des Establishments unterstützt, der auch Finanziers und Immobilienspekulanten angehören. Und unter diesen sind wiederum etliche, die der Meinung sind, dass die politische Taktik geändert werden muss, um die grassierende Wut wieder herunterzukochen, durch die z.B. die Occupy-Bewegung oder vor kurzem erst die Bewegungen in der Türkei und Brasilien hervorgebracht wurden. Allerdings gibt es auch andere Vertreter aus dem Establishment, die – aufgerüttelt durch die Ereignisse um die Bewegung „Occupy Wall Street“ – davor warnen, dass die Rhetorik von de Blasio auf Klassenkampf hinausläuft und dass die ArbeiterInnen die Versprechungen am Ende noch für bare Münze nehmen könnten. Sie haben Angst, dass seine populistische Botschaft Tür und Tor öffnen könnte für den massenhaften Kampf gegen die Wall Street, die Reichen, das Finanzkapital und die Kulturelite des Landes.

 Nötig ist eine echte Alternative

Im Moment ist de Blasio das prominenteste Beispiel für das populistische Phänomen des linken Flügels der Demokratischen Partei. Dabei ist er nicht der einzige. Ein weiteres Mitglied der Demokraten, dessen Popularität in der aktuellen Situation enorm zugenommen hat, ist Elizabeth Warren. Die neue Senatorin der Demokratischen Partei aus Massachusetts wird als schärfste Kritikerin der Wall Street verstanden.

Es ist verständlich, dass viele in Personen wie de Blasio und Warren eine Möglichkeit erblicken, um ein fortschrittliches Programm durchzusetzen. Dabei zeigt alle Erfahrung, dass derlei Unterstützung nur dazu genutzt wird, um den beschmutzten Markennamen der Demokraten wieder aufzupolieren und die Menschen zurück in die Herde zu treiben. Das war in der Vergangenheit die Rolle, die den „Linken“ bei den Demokraten zukam.

Es fällt auch auf, dass PopulistInnen wie de Blasio – trotz ihrer bisweilen radikalen Rhetorik – in der Regel nur sehr moderate Vorschläge machen. Während de Blasio in seinem Wahlkampf eine Menge zum Thema Einkommensunterschiede zu sagen hatte, so unterstützt er dennoch nicht die Forderung nach einem Mindestlohn von 15 Dollar oder auch nur eine spürbare Anhebung des Mindestlohns. Und das, obwohl es sich hierbei um eine sehr beliebte Forderung handelt, die von den Beschäftigten aus der Fast Food-Branche aufgestellt wurde und die ganz konkret dazu beitragen würde, die bestehende Ungleichheit zu verringern.

Und selbst die moderatesten Forderungen, die von den PopulistInnen aufgebracht werden, werden ohne soziale Bewegungen kaum umzusetzen sein. Nehmen wir den Aufruf von de Blasio, die Steuern für Reiche ein bisschen anzuheben, um damit Hortplätze zu bezahlen: Dazu bräuchte es die Mobilisierung der einfachen Leute, weil der Gouverneur, der Mitglied der Demokraten ist, bereits klargemacht hat, dass er bei Steuererhöhungen nicht mitmacht! Als er gefragt wurde, wie er diese Hürde zu nehmen gedenke, reagierte de Blasio ausweichend. Soziale Kämpfe gehören nicht zum Forderungskatalog der Demokratischen Partei – egal, um welchen Flügel der Partei es geht. Ausschließlich SozialistInnen und andere wirklich linke AktivistInnen sagen klar und deutlich, dass die Wahl in ein Amt nur dann Sinn macht, wenn damit breiter angelegte Kämpfe für grundlegenden sozialen Wandel unterstützt werden und ihnen auf diese Weise mehr Gehör verschafft wird.

Letztendlich unterscheiden sich die Demokraten keinen Millimeter von den „Republikanern“, wenn es darum geht, das kapitalistische System aufrecht zu erhalten, das die Quelle für die gewaltige Ungleichheit und das um sich greifende Elend in unserer Gesellschaft ist. Diese Partei ist nicht reformierbar. Man kann sie einfach nicht in eine fortschrittliche und progressive Kraft verwandeln. Arbeitende Menschen und die verarmten Schichten sowie all jene, die gegen Unterdrückung kämpfen, müssen KandidatInnen ins Rennen schicken, die für die Interessen der Beschäftigten und gegen die Konzerninteressen stehen. Das muss Bestandteil des Aufbaus einer neuen, wirklich linken Partei sein, die für die Interessen der 99 Prozent steht. Das eine Prozent hat zwei Parteien, wir brauchen eine eigene!

Tom Crean ist Mitglied der Socialist Alternative in New York City. Der Artikel erschien erstmals am 22. November 2013 auf www.socialistalternative.org