Bericht von der „Weltperspektiven“-Diskussion, die im Rahmen des Treffens des „Internationalen Exekutivkomitees“ (IEK) des CWI stattfand
„Die globale Elite fürchtet den Aufstand der Massen“, dieses Zitat aus der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ geht auf eine Umfrage unter 1.500 Managern und Politikern zurück, die anlässlich des nächste Woche in Davos beginnenden „Weltwirtschaftsforum“ durchgeführt wurde. Erwähnt wurde dies von Aron Amm aus Deutschland in seinem Diskussionsbeitrag über die „Weltwirtschaft und zwischenimperialistische Beziehungen“ beim jüngsten Treffen des „Internationalen Exekutivkomitee“ (IEK) des „Committee for a Workers’ International“ (CWI; „Komitee für eine Arbeiterinternationale“), dessen Sektion in Deutschland die SAV ist. Das zeigt, dass die „globale Elite“ – die Kapitalisten und ihre Verbündeten – sich vor den Folgen fürchten, die die Austerität und der Kapitalismus allgemein für die große Mehrheit der Weltbevölkerung haben. Ihnen ist angst und bange vor weltweiten gesellschaftlichen Erhebungen, die ihre Herrschaft in Frage stellen und Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt die Ideen des Sozialismus näherbringen.
von Kevin Parslow, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales)
Peter Taaffe hielt das Einleitungsreferat und bezog sich dabei auf die gesellschaftlichen Erhebungen, zu denen es bereits gekommen ist. Das bedeutendste Ereignis des letzten Jahres war die Revolte der Arbeiterklasse und verarmten Massen in einer ganzen Reihe von Ländern. Wie wir schon beim letzten IEK-Treffen betont haben, hat es sich bei den Massenbewegungen in Europa und im Nahen Osten um herausragende politische Ereignisse gehandelt, zu denen 2013 noch die Revolte der Massen in Brasilien und Lateinamerika insgesamt, in der Türkei und in weiteren Ländern hinzugekommen ist.
Darüber hinaus hat der riesige Erfolg von Kshama Sawant und der „Socialist Alternative“ in Seattle die USA in die vorderste Reihe der Länder gebracht, in denen der Sozialismus rasch an Zuspruch gewinnen kann. Die ArbeiterInnen und jungen Leute in den USA sind für die Ideen des Sozialismus offener geworden, die dort als ganz frische Ansätze verstanden werden, weil die US-amerikanische Arbeiterklasse und die jungen Leute nicht dieselben enttäuschenden Erfahrungen gemacht haben wie beispielsweise die Arbeiterklasse in Europa mit Jahrzehnten von Erfahrungen mit der Sozialdemokratie und dem Stalinismus.
Zuallererst muss festgestellt werden, so Peter, dass der Kapitalismus weltweit in der Sackgasse steckt. Das gilt vor allem für den wirtschaftlichen Bereich. Die Kapitalisten versuchen sich aus einer ausweglosen Situation wieder herauszubugsieren. Sie können mit kurzfristigen Linderungen aufwarten, sind aber nicht zu Lösungsansätzen im Stande, die langfristiges Wachstum garantieren.
Es handelt sich nicht allein um eine Wirtschaftskrise, sondern auch um eine soziale und eine Umweltkrise (wie am Beispiel der Auswirkungen des Taifuns auf den Philippinen zu sehen). Außerdem geht es um eine „Führungskrise“, wie die Kapitalisten selbst es nennen. Gemeint ist damit, dass man nicht in der Lage ist, politisch mit dem eigenen System zurechtzukommen und politische Krisen zu vermeiden. Wenn in dieser Situation nicht die Möglichkeit des gesellschaftlichen Wandels in Erwägung gezogen wird, tritt in einer derartigen Epoche die Frage des Krieges oder gar des Bürgerkrieges immer weiter in den Vordergrund.
In den ersten Jahren zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde überall auf dem Planeten die kapitalistische Globalisierung unerbittlich vorangetrieben. Das Ziel dahinter war, die angeblichen Vorteile des Kapitalismus zu verbreiten: Wachstum, höherer Lebensstandard und bessere Lebensqualität. Auf diesem Wege würde der Kapitalismus auch ideologisch als der einzige in die Zukunft weisende Weg zementiert. Allerdings hat sich unter den Ideologen des Kapitalismus aufgrund der Ereignisse, zu denen es seit der Finanzkrise und dem Crash der Jahre 2008/-09 gekommen ist, Schwermut breit gemacht.
Dass es ihren öffentlichen Vertretern an Zuversicht mangelt, äußert sich auf ganz unterschiedliche Weise. Unter den Studierenden der Wirtschaftswissenschaften herrscht Aufruhr, weil sie dagegen aufbegehren, weiterhin die Lehre des „freien Marktes“ vermittelt zu bekommen. Sie verlangen nach Alternativen wie etwa den Ideen von Keynes und – bezeichnenderweise – von Karl Marx und wollen diese auf dem Lehrplan sehen. Studierende in Manchester haben eine Gruppe etabliert, die sich mit „Post-Crash Economics“ (dt.: „Wirtschaftslehre nach dem Crash“) befasst.
In der Schweiz wurde ein Referendum durchgeführt, in dem es um die Forderung ging, die Gehälter von Unternehmensvorständen auf höchstens das 12-Fache der untersten Lohngruppen des jeweiligen Betriebes zu begrenzen. Diese Initiative ist zwar zurückgewiesen worden, wird an anderer Stelle aber aufgegriffen werden.
Der wirtschaftliche Hintergrund geriert sich als hartnäckige ökonomische Krise in allen wichtigen Regionen der Welt – sowohl in den entwickelten Industrienationen Europas, den USA und Japan als auch und in zunehmendem Maße in den sogenannten aufstrebenden Märkten sowie in erheblichem Umfang auch in Osteuropa. Die Kapitalisten haben so getan, als würde es überall „blühende Landschaften“ geben, die das Leben der Menschen verändern. Jetzt müssen sogar die Raubtierkapitalisten und ihre Repräsentanten widerwillig eingestehen, dass Osteuropa „niemals mit den entwickelten Industrieländern Westeuropas gleichziehen wird“.
Nach sechs Jahren, die die verheerende Wirtschaftskrise nun schon andauert, schlagen sich die „Theoretiker“ des Kapitalismus immer noch die Köpfe darüber ein, wie eine Lösung aussehen könnte. Mittlerweile wird gemeinhin anerkannt, dass es nicht zu einer vollständigen Erholung kommen wird, und die Weltwirtschaft ist immer noch nicht auf ihr Vor-Krisenniveau zurückgekehrt. Jedes sich wie auch immer abzeichnende Wachstum wird blutarm und kraftlos bleiben und nicht zum substantiellen Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit beitragen, von der viele Länder betroffen sind. Es wird gewiss nicht zu einem derart umfassenden Wachstum kommen, dass die Probleme der Austerität und Kürzungen damit behoben wären. Stattdessen ist es zu einem erbarmungslosen Wachstum der Armut gekommen, wie in der Großen Depression der 1930er Jahre.
Ein Flügel der Kapitalisten – möglicherweise die Mehrheit unter ihnen – ist zu dem Schluss gelangt, dass die größte Bedrohung für Europa und die USA in der Deflation und mangelnder Nachfrage besteht; gerade so wie im Falle Japans mit seinen „zwei verlorenen Jahrzehnten“. Dieser Flügel ist zur selben Erkenntnis gekommen wie wir MarxistInnen, aber mit entgegengesetzter Klassen-Perspektive. Das Hauptproblem, mit dem der Kapitalismus konfrontiert ist, ist nicht der sinkende Profit sondern der kolossale Mehrwert, mit dem man nicht weiß, wohin damit. Martin Wolf fasste dieses Phänomen in der „Financial Times“ wie folgt zusammen: „Die Weltwirtschaft hat mehr Überschüsse generiert, als die Unternehmen sich zu nutzen wünschen – selbst zu derart niedrigen Zinsen“.
Sie selbst bezeichnen dies als „Rücklagen-Schwemme“. Bislang sind selbst in der so bezeichneten Erholungsphase die Investitionen in neue Produktionsstätten und Maschinenparks zurückgegangen. Der Produktivitätsrückgang ist unterdessen zum strukturellen Phänomen geworden, was das System erdrückt.
Vor kurzem warnte das Wirtschaftsmagazin „The Economist“ schlicht vor „den Risiken einer sinkenden Inflation“. Für diejenigen, die sich an die hysterischen Angriffe in den 1970er Jahren erinnern können, hört sich das wie Ironie an. Leo Trotzki sprach in diesem Zusammenhang übrigens einmal von der „Syphilis der Inflation“. Auf sie wurde zurückgegriffen, um die Löhne der Arbeiterklasse unter Beschuss zu nehmen. Jetzt versuchen die Kapitalisten verzweifelt, aus dem Jammertal maroder Banken in einem maroden Wirtschaftssystem auszubrechen. Ohne Veränderungen in der Wirtschaft können sich die Kapitalisten jedoch absolut sicher sein, es mit Revolten der Arbeiterklasse zu tun zu bekommen.
Ein anderer Flügel der Kapitalisten spricht sich für Konjunkturprogramme und die Fortführung des „quantitative easing“ (de facto Erhöhung der Geldmenge) aus. Dafür nehmen sie sogar in Kauf, dass die Defizite noch größer werden. Das ist kein klassischer Keynesianismus (steigende Löhne für die Arbeiterklasse und somit steigende Nachfrage), sondern es passt den Konzernen einfach am ehesten in den Kram. Oder, um es etwas treffender zu formulieren: Es passt den parasitärsten Teilen unter ihnen, den Herren über die Finanzhäuser, am besten in den Kram.
Eine „extrem auf Expansion ausgerichtete Geldpolitik“ hat die Spekulation beflügelt und die aufstrebenden Märkte zeitweise gestützt. Dabei geht es allerdings nicht um Investitionen im Bereich der sogenannten Realwirtschaft. Dies wurde von Per-Åke Westerlund aus Schweden betont, der sich auf einige Ökonomen bezog, die behaupten, sie „brauchen Blasen“. Das Mittel des „Quantitative Easing“ (sinngemäß: lockere Geldpolitik) hat die Aktienpreise steigen lassen und den Dollar abgewertet. Doch die Probleme schaukeln sich hoch, und das könnte weitere verheerende Folgen für die Weltwirtschaft mit sich bringen.
Peter äußerte sich auch über die kapitalistischen Vertreter, die Teile des Bankensystems als „gesellschaftlich nutzlos“ bezeichnet haben. Andere – wie Larry Summers, ehemaliger Chef der US-amerikanischen Finanzministeriums – haben sich hingegen dafür stark gemacht, dass es zu einer Konzentration der Ausgaben für Infrastrukturmaßnahmen kommen sollte. Sie plädierten vor allem für staatlich generiertes Wachstum in den Bereichen der sauberen und grünen Technologien.
Dies würde demnach unterstrichen durch den neuerdings erlangten Machtzuwachs der USA durch eine zunehmende Förderung von Schieferöl und -gas. Einige Berichte gehen sogar davon aus, dass die USA darüber bis ins Jahre 2035 autark werden könnte, was den Energiebedarf angeht. Das, so hoffen es die Konzerne, wird dann auf gewisse Weise immun machen vor Aufständen im Nahen Osten und könnte im Verhältnis zu den Rivalen China und Russland als Gegengewicht genutzt werden. Doch im Moment kommt dem Öl des Nahen Ostens – vor allem aus Saudi Arabien – aus Sicht der USA weiterhin eine geopolitische Schlüsselrolle zu. Ein strukturelles Wachstum garantiert es allerdings weder für die Volkswirtschaft der USA noch irgendeines anderen Landes auf der Welt. Damit auf die Möglichkeiten, die die Technologie bietet, auch in vollem Umfang zurückgegriffen werden kann, braucht es neue Investitionsfelder, eine höhere Profitrate und einen Aufwärtstrend auf ökonomischer Ebene.
Allgemein wird sich die Wirtschaftslage in nächster Zukunft genauso darstellen wie bisher. Es geht darum, dass die wirtschaftlichen Bedingungen, die in Richtung Depression deuten und seit 2007/-08 das Bild prägten, beibehalten werden. Schon ein begrenztes Wachstum würde die Arbeiterklasse stärken und Zuversicht geben, um Streiks und Konflikte für sich zu entscheiden. Aufgrund der angestauten enormen Wut, die unter den Massen herrscht, und wegen des fehlenden Ventils, das eine Massenpartei bieten könnte, kann und wird eine Fortsetzung der derzeitigen ökonomischen Bedingungen dazu führen, dass es zu beispiellosen gesellschaftlichen Erhebungen kommt; ganz nach dem Muster Brasiliens, der Türkei und Ägyptens.
Der „Arabische Frühling“ hat der Idee von der Revolution allgemein zwar einen enormen Auftrieb verliehen, gleichzeitig aber auch klargemacht, wie entscheidend doch die Rolle ist, die die Massen aus den Ballungsräumen einnehmen. Das fiel auf Zustimmung und den Enthusiasmus der Massen weltweit. Die ägyptische Revolution hat die Idee beflügelt, dass die Massen ihre Lebensbedingungen ändern können, wenn sie nur unabhängig bleiben.
Die theokratischen Regime in der Region wie auch der Imperialismus – vor allem der US-Imperialismus – standen anfangs ganz hilflos da und wussten nicht, was zu tun. Durch die Ereignisse in Libyen, Bahrain und nun auch in Syrien sahen sie sich dann aber gezwungen einzugreifen. Bei all diesen Erhebungen konnte man zu Beginn revolutionäre Elemente wahrnehmen. Dann griff allerdings die Konterrevolution ein, was die Bewegungen in eine andere Richtung lenkte. Zu dieser Reaktion gehörte auch, dass Frauenrechte attackiert wurden. Das gilt auch für Ägypten, wo die Frauen trotzdem Widerstand leisten.
Neben Israel kommt Ägypten in der Region eine Schlüssel-Rolle zu. Zweifelsohne war schon ein starkes konterrevolutionäres Element vorhanden, als das Militär im Juli die Macht übernommen hatte. Anfangs war das den Massen jedoch nicht klar. Einige glaubten, dass ein „starker Führer“ wie General Sisi, Chef der Regierung, nötig sei, um Chaos und Verschlechterungen der Lebensbedingungen abzuwenden. Um seine Person wurde fast dasselbe Aufhebens gemacht, wie um den späten Präsidenten Nasser in den 1950er und 1960er Jahren. Die jüngsten erlassenen Gesetze, die einen Angriff auf die demokratischen Rechte darstellen, sind eine Warnung, dass der Arbeiterklasse ein Wettlauf gegen die Zeit aufgezwungen wird, um unabhängige Organisationen aufzubauen. Seit Januar 2011 konnten die neuen unabhängigen Gewerkschaften drei Millionen Mitglieder gewinnen. Im gleichen Zeitraum sind aber auch einige ihrer Vorsitzenden ins Lager des Regimes übergewechselt.
In Tunesien existiert eine unabhängige Gewerkschaft, die auf eine eigene Geschichte zurückblicken kann. Dieser Dachverband, die UGTT, ist – mit einer korrekten Führung – in der Lage, die Macht zu übernehmen noch bevor eine entsprechende Partei überhaupt gegründet wäre.
Die gleichsam schwer lösbaren wie auch verheerenden Kriege der derzeitigen Epoche sind im Irak und in Afghanistan zu beobachten. Ihr Gift breitet sich vor allem auf Syrien aber auch auf die gesamte Region des Nahen Ostens aus. Syrien ist schon als „das Afghanistan am Mittelmeer“ beschrieben worden. Vor den kürzlich durchgeführten Genfer Verhandlungen über den Iran drohte der Albtraum eines sektiererischen Kriegs und der schwersten Zusammenstöße zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen seit mehr als 1.400 Jahren wahr zu werden. Ein Bogen des sektiererischen Unfriedens spannt sich von Pakistan über den Irak, den Libanon und Syrien bis nach Saudi Arabien. Der Rest des Nahen Ostens und sogar Europa (von wo aus „Djihadisten“ nach Syrien gereist sind) würden von den verheerenden Folgen nicht verschont bleiben. Nicht zuletzt gibt es da noch die Angst eines neuen Krieges im Nahen Osten mit einem möglichen Präventivschlag gegen den Iran von Seiten Israels. Derartige Entwicklungen könnten die Perspektiven des Kampfes der Beschäftigten ins Gegenteil verkehren.
Das CWI hofft, dass sich die Dinge nicht in dieser Richtung entwickeln werden. Dieses Szenario unterstreicht jedoch, wie dringend nötig es ist, neue Massenparteien mit weitsichtiger Führung aufzubauen, die die Arbeiterklasse in eine vereinte Bewegung führen können auf diese Weise kann ein derartiges Desaster verhindert und der Weg bereitet werden, um selbst die Macht zu erlangen. Die Arbeiterklasse hat keine Zeit zu verlieren, wenn es darum geht zu verhindern, dass man derart in den Abgrund gerissen wird.
Auch wenn es keinen endgültigen Charakter hat, so ist dieses erste Abkommen über den Iran in gewisser Hinsicht ein „Paradigmenwechsel“ und könnte die Zukunftsperspektiven für den Nahen Osten verändern. Eine Folge-Vereinbarung ist nur dann möglich, wenn es den Hauptakteuren – namentlich den USA und dem Iran – auf politischer, ökonomischer und strategischer Ebene dient. Judy Beishon von der CWI-Sektion in England und Wales wies darauf hin, dass die US-amerikanische Politik in der Region auf Abscheu und massenhaften Widerstand stößt. Im Gegensatz zu Israel stellt der Iran für die USA zwar keine existentielle Bedrohung dar, doch auch die Vereinigten Staaten sehen im Iran eine nukleare Bedrohung für ihre eigenen Interessen in der Region.
In Syrien lehnt die Bevölkerungsmehrheit sowohl das Assad-Regime als auch die Opposition ab, die in zunehmendem Maße unter den Einfluss djihadistischer Gruppierungen gerät. Ein Wendepunkt war, dass die Kampagne für einen Militärschlag gegen Syrien abgewehrt werden konnte. Massenhafter Widerstand – vor allem in den USA und in Großbritannien – zwang die wichtigsten Akteure dazu auszuloten, was auf dem Wege von Verhandlungen möglich ist. Nihat aus der Türkei berichtete von den verheerenden Folgen des Bürgerkriegs in der Region . Die Türkei hat versucht, eine neo-imperialistische Politik durchzusetzen und eine regionale Rolle zu übernehmen. Gleichzeitig wollte man die Beziehungen zu den KurdInnen verbessern. Doch diese Positionierung verliert mehr und mehr an Boden.
GenossInnen aus Israel berichteten von der zunehmenden Wut der PalästinenserInnen angesichts des verstärkten Kolonisierungszustands, der Annexionen und Angriffe, was einige dazu bringt, die Frage des bewaffneten Kampfes zurück auf die Tagesordnung zu bringen. Möglicherweise steht die letzte Chance für eine Zwei-Staaten-Lösung kurz bevor. Die israelischen ArbeiterInnen werden aufgrund der Austeritäts- und Kürzungspolitik jedenfalls auch immer aufgebrachter.
Die Welt-Beziehungen befinden sich in einer Umbruchsituation. Die USA, so Peter, sind durch die letzten Kriege in Afghanistan und dem Irak geschwächt worden, und keineR strebt weitere militärische Abenteuer an. Jedes weitere Eingreifen könnte eher militärpolizeilichen Charakter haben. Darin zeigt sich, dass die Welt mehrpolig geworden ist und China beginnt, mit den USA in Wettbewerb zu treten. Die kleineren Mächte spielen eine weniger wichtige Rolle. Und dennoch können die USA sich nicht in eine gemütlich Isolation zurückziehen. Das Land versucht immer noch, den Verlauf der Ereignisse zu seinen Gunsten zu beeinflussen, indem es „sanfte Macht“ ausübt. Die USA weisen weiterhin den höchsten Stand an Technologisierung und Produktivität auf.
Vor allem in der eigenen Region kann Russland sich zwar behaupten, erfüllt jedoch in erster Linie die Mittlerfunktion zwischen den beiden verbliebenen Supermächten China und USA. Russland hat versucht, sich und seinen Ansprüchen im „nahen Ausland“ wieder Geltung zu verschaffen. Und die Ukraine wurde mit wirtschaftlichem Druck unter Kontrolle gebracht. Doch das hat nur zu den riesigen Demonstrationen geführt, die danach verlangen, dass die Ukraine ein Wirtschaftsabkommen mit der EU statt mit Russland unterschreibt!
Peter nahm auch Bezug auf die Situation in Asien, und es kam zu einer Debatte über die Perspektiven vor allem für China und die Beziehungen des Landes zu seinen Nachbarn in Südost- und Ostasien. Er ging auch auf Südasien ein und dabei vor allem auf die schwierige Situation, mit der die Arbeiterklasse und das CWI in Ländern wie Sri Lanka und Pakistan zu kämpfen haben.
Das jüngste Treffen der „Kommunistischen Partei Chinas“ lieferte einige Hinweise darauf, in welche Richtung sich China bewegen könnte. GenossInnen aus Asien berichteten, dass das Ergebnis davon „mehr Markt und mehr Diktatur“ bedeutet. Außerdem bestätige sich mit dem Aufstieg von Präsident Hi Jinping eine Machtverschiebung. Er sei der neue starke Mann im Land. Peter sagte dass dies durchaus möglich sei, die chinesische Führungsriege aber immer noch auf der Hut ist, wie weit sie gehen kann. Schließlich schwingt bei allem immer noch das Erlebnis des Zusammenbruchs der Sowjetunion mit.
Dass China sich zur Weltmacht entwickelt, geht auf die wirtschaftliche Macht des Landes zurück. Einige WirtschaftswissenschaftlerInnen gehen davon aus, dass China – zumindest was die Brutto-Ergebnisse angeht – bis zum Jahr 2020 zur größten Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen könnte. Dieser Prozess könnte durch einer Bewegung der chinesischen Arbeiterklasse zwar beeinträchtigt werden. Die USA werden ihre Position als wichtigste Weltmacht aber dennoch nicht halten können. In seiner Zusammenfassung der Debatte wies Robert Bechert am Ende dieser Plenumsdiskussion auf die Streiks hin, die in China stattfinden, und auf die Standortverlagerung einiger Produktionsstätten aus dem Land heraus aufgrund von steigenden Löhnen und Transportkosten sowie angelaufener ausländischer Währungsreserven im Umfang von drei Billionen US-Dollar. Zur Frage, wie sich China weiterentwickeln wird, gab es unterschiedliche Perspektiven.
Sollte die wirtschaftliche Entwicklung Chinas anhalten, so meinte Peter, dann werde sich das auch hinsichtlich des militärischen, diplomatischen und politischen Gewichts des Landes widerspiegeln. Das zeigt sich an den jüngsten Zusammenstößen in Asien anlässlich des Konflikts um die umstrittenen Inseln in den Gewässern rund um China. Die rechts-konservative Regierung in Japan hat energisch versucht, ihren nationalen Interessen in der Region neue Geltung zu verschaffen und wurde dabei von den USA unterstützt. Auf diese Weise will man in Asien ein Gegengewicht zu China bilden. Der pazifische Raum gehört zu den wichtigsten Einflusssphären, nicht der Atlantik, sagte er. Dies zeige, wie nötig die Entwicklung eines Programms für die Arbeiterklasse ist, das behutsam mit der nationalen Frage umgeht und sich gegen jede Form des Chauvinismus richtet.
Einige GenossInnen erwähnten auch, dass sich der Boom in der australischen Gebrauchsgüter-Produktion verlangsamt, weil die Volkswirtschaft Chinas ins Stocken gerät. In Australien haben wir es mit einer Volkswirtschaft der zwei Geschwindigkeiten zu tun, wobei die Produktion im Osten des Kontinents mittlerweile stagniert. Wenn sich die Lage in Asien zuspitzt, gibt es in Australien auch unter der neuen rechtsgerichteten Regierung kein Entkommen.
Der Rückgang des Welthandels hat das Ausmaß der Krise verdeutlicht. Es gibt Diskussionen, die auf ein neues Handelsabkommen zwischen Europa und den USA abzielen. Dabei geht es um die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP). Aber auch auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents wird Ähnliches diskutiert. Dort eruiert man Möglichkeiten für ein Abkommen über den Pazifik hinweg („Trans-Pacific Partnership“, TPP). Seit dem letzten IEK-Treffen hat die „Welthandelsorganisation“ (WTO) einem neuen Handelsabkommen zugestimmt, dieses ist aber weit weniger umfassend ausgefallen als vielfach erhofft. Auf dem Papier umgehen Handelsabkommen zwar die Spielräume nationaler Regierungen. Doch die Spannungen, die sowohl zwischen den als auch innerhalb der Handelsblöcke bestehen, bremsen neue Abkommen. Mit jeder neuen Vereinbarung dieser Art soll der neoliberale Politikansatz verstärkt und der „Wettlauf nach unten“, was die Lebensbedingungen der Mehrheit angeht, in Stein gemeißelt werden, wie verschiedene GenossInnen meinten.
Peter brachte die Ereignisse in Afrika und Lateinamerika zur Sprache, zu denen es eigene Diskussionen gab. Auf beiden Kontinenten stellt sich die politische Lage als äußerst sprunghaft dar. Die ArbeiterInnen dort können für echte marxistische Ideen gewonnen werden. Nach dem Streik der Bergleute und der Gründung der „Workers´ and Socialist Party“ (WASP) hat die Arbeiterklasse in Südafrika die politische Bühne betreten. Die Nachricht vom Tode Nelson Mandelas, der sehr unvorteilhaft mit dem derzeit amtierenden Vorstand des ANC in Verbindung gebracht wird, kam, nachdem die Diskussion bereits zu Ende war. Mandelas Tod wird bei einigen ArbeiterInnen dazu führen, dass sie nicht mehr loyal zum ANC stehen, was sie seit dem Ende der Apartheid getan haben.
Der Erfolg, den wir in Seattle verzeichnen konnten, wird weltweit umfassende Folgen haben. Die Massen brauchen jedoch Zeit und müssen ihre Erfahrung sammeln, um zu der konkreten Schlussfolgerung zu gelangen, das eine Revolution nötig ist. Von Seiten der teilnehmenden GenossInnen aus den USA kamen Diskussionsbeiträge, die sich mit der Arbeiterbewegung dort befassten. Demnach stagnieren die traditionellen Gewerkschaften, während Organisationen, die die Forderung nach 15 Dollar Mindestlohn aufgreifen, bei den Aktionen, die sie diesbezüglich durchführen, auf ein sehr positives Echo stoßen.
Peter sagte, dass die Bedingungen in wirtschaftlicher Hinsicht im Moment denen der 1930er Jahre sehr ähnlich sind. Das Bewusstsein der Arbeiterklasse hängt weit hinter dem zurück, was eigentlich nötig wäre. Dies gilt selbst für Länder, in denen die Krise am weitesten fortgeschritten ist, wie z.B. Griechenland und Südeuropa. Welche Folgen die Austerität in Europa nach sich zieht, wird durch den jüngsten Bericht des „Roten Kreuzes“ deutlich (für Details zu Europa: vgl. den entsprechenden Bericht). Es gibt kein klar ausgearbeitetes Programm darüber, wie die Gesellschaft verändert und wie die sozialistische Alternative geschaffen werden kann. Dies wird dazu führen, dass die Revolution einen eher langwierigen Charakter bekommt. Bislang haben wir es mit einer der unruhigsten Perioden in der Geschichte der Menschheit zu tun, und das gilt für alle Bereiche: ökonomisch, politisch, die Umwelt betreffend, militärisch.
Peter folgerte, dass die Kapitalisten die Probleme nicht lösen können, die sich langfristig aus der Existenz des Privateigentums und den nationalen Spannungen ergeben. Wir haben gesagt, dass dem Nationalstaat in dieser Krise wie wild zu neuer Geltung verholfen wird, und genau das ist weltweit und so auch in Europa eingetreten. Es ist Tatsache, dass weltweit neue Grenzanlagen und -zäune errichtet werden, die zusammengenommen eine Länge von fast 10.000 Kilometern ausmachen.
Das große Potenzial, das sich dem CWI bietet, zeigt sich an den Ereignissen in Brasilien, Südafrika und den USA. In diesen Ländern zeigt sich, dass kleine Kräfte im Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl enorme Kräfte freisetzen können. In der bevorstehenden Phase werden sich für die Arbeiterklasse große Möglichkeiten ergeben, um die Bühne der Geschichte zu betreten, und das CWI wird sich an diesen Bewegungen beteiligen. Eine spannende neue Phase tut sich auf, und das CWI wird Erfolge verbuchen, wenn wir klare Perspektiven aufstellen und mutig zu handeln wissen.