Zur Debatte um das Europawahlprogramm
Am 23./24. November hat der Vorstand der Linkspartei über das Europawahlprogramm beraten, das auf einem Europaparteitag/VertreterInnenversammlung (mit Kandidatenwahl) am 15./16. Februar in Hamburg verabschiedet werden soll. Nachdem DIE LINKE schon bei den Bundestagswahlen etwa 340.000 frühere WählerInnen an die nationalistische und rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ verloren hat, weil die Wut der Bevölkerung über die Bankenrettungspolitik der Bundesregierung zu wenig aufgegriffen wurde, drohen bei den Europawahlen zusätzliche Verluste, wenn die Partei keine antikapitalistischen Alternativen zum Europa der Banken und Konzerne entwickelt.
von Heino Berg, Göttingen
Der am 23. und 24. November im Parteivorstand beschlossene Entwurf zum Europaparteitag lag uns bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Diese Fassung soll laut „Neues Deutschland“ vom 26. November im Vorstand „18 Stimmen erhalten haben, fünf votierten dagegen, acht enthielten sich. Ein Gegenentwurf des niedersächsischen Linken-Politikers Diether Dehm unterlag.“
Der vom Parteivorstand mehrheitlich verabschiedete Entwurf fußt auf einen Kompromissvorschlag, der von den Parteivorsitzenden ebenso wie von Sahra Wagenknecht, Diether Dehm, Sabine Lösing auf der einen und Gabi Zimmer, Axel Troost und Thomas Händel auf der anderen Seite unterzeichnet worden war.
Viele richtige, aber nicht ausreichende Forderungen
Die Parteiführung hält (genauso wie der Dresdner Parteitag) den Fortbestand des Euro für möglich und wünschenswert, wenn die Sparpolitik beendet und die Handelsbilanzen ausgeglichen werden – als ob die Exportüberschüsse gerade von Deutschland in einem übernationalen Binnenmarkt ein Betriebsunfall und keine notwendige Folge seiner kapitalistischen Verfassung wären.
Private Großbanken sollen in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung überführt werden. Allerdings wird die öffentliche Subventionierung von Privatbanken keineswegs ausgeschlossen, sondern mit dem Erwerb von öffentlichen Eigentumstiteln und einer Einflussnahme auf die Geschäftspolitik verknüpft.
Zudem wird, wie bereits im Bundestagswahlprogramm, für eine europaweite Besteuerung von Reichtum eingetreten: konkret eine Bankenabgabe zur Finanzierung der Krisenkosten und eine einmalige Abgabe auf Vermögen ab einer Million Euro.
Die Spitze der Partei fordert auch die Ausgabe von Eurobonds, also von gemeinsamen Anleihen der Länder in der Euro-Zone an Stelle von Staatsanleihen – die, wenn sie denn eingeführt werden sollten, sicherlich so ausgestaltet werden, dass sie erneut Kapitalinteressen dienen und die arbeitende Bevölkerung belangen würde.
Regierungsfrage
DIE LINKE gilt den Herrschenden als europapolitisch unzuverlässig. Sie verlangen einen grundlegenden Kurswechsel der Partei und die Aussöhnung mit der bestehenden EU als Eintrittskarte für rot-rot-grüne Regierungsbündnisse. Die Debatte über das Europa-Programm ist damit ein Teil des Streits darüber, ob DIE LINKE sich weiterhin als Oppositions- oder als Regierungspartei im Wartestand betrachtet.
Das geht einher mit der Frage, ob die Partei sich auch in der Außenpolitik – im Sinne der Bürgerlichen – „regierungsfähig“ zeigt. Der Europaparteitag muss diesem Druck stand halten. Jegliche Auslandseinsätze, ob mit UN-Mandat oder im Rahmen einer EU-Mission, müssen eine Abfuhr erteilt werden.
Ist die EU reformierbar?
Die Europäische Union wird in der LINKEN von vielen gern als offener institutioneller und rechtlicher Rahmen beschrieben, der wie ein leeres Blatt Papier mit neuen sozialen Inhalten gefüllt werden könne. Die EU ist jedoch seit ihrer Gründung durch die wirtschaftsliberale Ordnung eines Binnenmarktes mit freiem Kapitalverkehr bestimmt. Dieser wird durch ein engmaschiges Geflecht von Verordnungen ergänzt, die sich sogar bürgerlich-demokratischen Einflussmöglichkeiten durch gewählte Abgeordnete entziehen.
Wie bereits im Erfurter Programm kursiert auch im Vorfeld des Europaparteitags die Forderung nach einem kompletten „Neustart der EU“. Aber was ist darunter zu verstehen? Die EU und ihre bestehenden Institutionen lassen sich nicht einfach so umgestalten, dass sie plötzlich den Interessen von Beschäftigten und Erwerbslosen dienen könnten. Folglich muss DIE LINKE dafür kämpfen, das Zusammenleben der Menschen Europas im radikalen Bruch mit der bisherigen staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung der EU neu zu organisieren. Europa braucht eben nicht nur ein Update der kapitalistischen EU, sondern ein anderes, sozialistisches Betriebssystem.
Von daher greift es zu kurz, den Abbau von sogenannten Demokratiedefiziten in der EU zu beklagen und die Rechte des EU-Parlaments stärken zu wollen.
Systemalternative
Die Krise in Europa wird auch im neuen Programmentwurf nicht als Folge der kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, sondern als die einer neoliberalen und ungerechten Verteilungs- beziehungsweise Sparpolitik beschrieben. Wenn es um die Ziele geht, ist deshalb nicht von einem sozialistischen Europa die Rede, sondern eben, wie schon im Bundestagswahlprogramm, von einem „Neustart der Europäischen Union – demokratisch, sozial, ökologisch, friedlich“. Richtige Einzelforderungen können aber in eine Sackgasse führen, wenn sie nicht mit dem Kampf für einen konsequenten Bruch mit den Institutionen der EU und einer neuen Gesellschaftsordnung verknüpft werden.
Der Fiskalpakt hat den Abbau von Arbeitsplätzen und sozialen Errungenschaften für alle EU-Länder verbindlich gemacht. Nationalistische Rattenfänger wie die „AfD“ und andere reaktionäre Parteien in Europa können nur gestoppt werden, wenn DIE LINKE ihre Kritik an der Bankenrettungspolitik in Europa mit einer sozialistischen Antwort auf die Systemfrage verbindet – und den Wahlkampf zu einer massenhaften Absage an die Abwälzung der Krisenlasten auf die Bevölkerung und zur Solidarität mit dem Widerstand insbesondere in Südeuropa nutzt.