Der „Governmental shutdown“ ist ein weiterer Beleg dafür, wie nötig es ist, eine neue Partei für die 99 Prozent der Bevölkerung aufzubauen.
von Kai Stein, CWI („Committee for a Workers´ International“ // „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist)
Mehr als 800.000 Bundesbeschäftigte sind in den USA in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt worden. Während sie und ihre Familien von der Bundesregierung auf Null gesetzt werden, erhalten die Kongressabgeordneten weiterhin ihre jeweils 174.000 US-Dollar an Monatsgehältern. Einige Bereiche gelten als grundlegend und werden daher aufrechterhalten. Dazu zählen beispielsweise das Militär und die Bundesstaatsanwälte, die etwa über Zwangsräumungen von zwangsversteigerten Häusern entscheiden. Andere Bereiche drohen hingegen völlig zum Erliegen zu kommen, so z.B. einige Sozialprogramme, mit denen Familien aus dem Niedriglohnsektor im Bildungsbereich geholfen wird oder bundesstaatliche Gesundheitsprogramme, wie der Grippeimpfung. Das sind einige der Folgen des „governmental shutdown“, der am 1. Oktober einsetzte.
Mit der Mehrheit der „Republikaner“ im Repräsentantenhaus, der zweiten Kammer des Parlaments, sind alle Versuche von Präsident Barack Obama blockiert worden, zu einer Einigung über den Haushalt zu kommen bzw. den vorangegangenen zu verlängern.
Einerseits handelt es sich hierbei um einen Versuch, die reichlich beschränkte und Konzern-freundliche Gesundheitsreform von Obama zu verhindern. Dieses, unter dem Titel „Obamacare“ bekannte Reformvorhaben umfasst einige positive Schritte, um mehr Menschen in die Gesundheitsvorsorge mit einzubeziehen, zwingt jedoch auch Menschen dazu, private Krankenversicherungen abzuschließen und bietet keine bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle. Die erbittertsten Fürsprecher des Kapitalismus wollen um jeden Preis den Eindruck vermeiden, dass es in den USA zu irgendeiner Form der Ausweitung des Sozialstaates kommen könne – selbst, wenn es dabei nur um eher symbolische Maßnahmen geht. Für sie stellt das Ganze eine ideologische Auseinandersetzung ihrer gesellschaftlichen Klasse dar, in der die Bestrebungen der Arbeiterklasse bekämpft werden müssen.
Funktionsunfähige Partei, überkommenes System
Auf der anderen Seite hat es die US-amerikanische herrschende Klasse mit einem kaputten politischen System zu tun und einer funktionsunfähigen „Republican Party“.
Der boshafteste Teil der herrschenden Klasse steht seit einigen Jahren hinter der „Tea Party“-Bewegung, um die eigenen Interessen durchzusetzen und dabei auf einen rechtsgerichteten Populismus zurückzugreifen. Doch die herrschende Klasse hat dieses Monster à la Frankenstein nicht vollkommen im Griff, und allgemein handeln die „Republikaner“ nicht im besten Interesse der US-amerikanischen herrschenden Klasse.
Die politische Krise, die aus der Haushaltskrise hervorgeht, ist Ausdruck der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme, mit denen die USA konfrontiert sind, die für sich in Anspruch nehmen, die Super-Macht der Welt bleiben zu wollen. Die Schwäche des US-Imperialismus äußerte sich vor kurzem erst im Zuge der Syrien-Krise. Das galt sowohl für das internationale Bankett wie auch hinsichtlich der Unfähigkeit Obamas, in der eigenen Bevölkerung Unterstützung für einen Angriff auf Syrien zu bekommen.
Die Sorgen der Reichen
Das Finanzhaus „Goldman Sachs“ geht davon aus, dass ein drei Wochen andauernder „shutdown“ zu einer Verringerung des US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,9 Prozent führen wird. Das träge zweiprozentige Wachstum, von dem in diesem Jahr ausgegangen wird, könnte damit noch geringer ausfallen. Was der „Wall Street“ jedoch viel mehr Sorgen bereitet, ist die Möglichkeit, dass die USA um den 17. Oktober herum die „Schuldenobergrenze“ erreichen könnten. Ohne neuen Gesetzesbeschluss im Kongress kann die Regierung keine weiteren Schulden aufnehmen und die USA wären nicht in der Lage, ihre Schulden zu bedienen. Das kann zu einem technischen Ausfall führen – zum ersten Mal in der US-amerikanischen Geschichte.
Um derart tiefgreifende Schwierigkeiten zu verhindern, ist der moderatere Teil der „Republikaner“ im Kongress bereit, mit den „Demokraten“ einen Deal einzugehen und nach einem Kompromiss zu suchen. Allerdings könnte dies zu noch schwerwiegenderen Spaltungstendenzen in ihrer „Grand Old Party“ führen und weitere Zersplitterungserscheinungen zur Folge haben.
Die „Demokraten“ versuchen die Mär zu verbreiten, dass wir eine Wiederholung der Ereignisse aus dem Jahre 1995/-96 erleben. Damals ging ein politisch schwacher Bill Clinton einen Konflikt mit dem Kongress ein, stand kurz vor dem „shutdown“ und stand am Ende gestärkt da, weil die Bevölkerung die „Republikaner“ für die Krise verantwortlich machten.
Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass viele Menschen tatsächlich von einer Wiederholung der damaligen Krise ausgehen. Obama hat an Beliebtheit leicht zugelegt, seine Werte liegen allerdings immer noch im negativen Bereich. Aufgrund der Polarisierung zwischen den Lagern, liegt dies in erster Linie daran, dass Obama fast ausschließlich von WählerInnen der „Democratic Party“ neuen Zuspruch erhält.
Und doch gibt es eher zum Jahr 2011 Parallelen als zur Krise von 1995/-96. Vor zwei Jahren war es zwischen „Demokraten“ und „Republikanern“ zum Patt gekommen und es drohten automatische Kürzungen, was beide Seiten zum Einlenken zwang. In dieser Episode wurde jedoch klar, dass das bestehende politische System nicht funktionsfähig ist. Die „Wall Street“ hat zwei Parteien, während die Menschen aus der Arbeiterklasse keine einzige haben. Ein paar Wochen später entstand 2011 die „Occupy“-Bewegung. Darüber kam zum Ausdruck, dass in der US-amerikanischen Gesellschaft eine noch viel größere Wut und Frustration herrscht.
„Occupy“ drückte die bestehende Wut aus
Und diese Wut besteht immer noch. Meinungsumfragen zweigen auch, dass die Frustration gegenüber dem Kongress zunimmt. Der Beliebtheitsgrad dieser Kammer liegt bei unter zehn Prozent. Aber auch das Gesamt-System steht mehr und mehr zu Disposition. Nach dem jüngsten Skandal um die NSA, der Kriegstreiberei um Syrien und der Unfähigkeit Obamas, sich gegen die „Republikaner“ durchzusetzen, haben einige der begeistertsten UnterstützerInnen Obamas hinsichtlich des wahren Charakters der US-Administration ihre Schlussfolgerungen gezogen.
Die wirtschaftliche Lage trägt nicht dazu bei, dass Obama mehr Unterstützung bekommt. Es gab zwar eine schwache Erholung. Von dieser konnten aber nur die Reichen profitieren. Das reichste eine Prozent der Bevölkerung konnte seine Einkünfte von 2009 bis 2012 um 31 Prozent steigern, während die unteren 40 Prozent rund sechs Prozent verloren haben, so Paul Krugman, der bekannte Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger, in der „New York Times“ vom 23. September 2013.
Es gibt das Potential für eine neue große Bewegung wie „Occupy“, aber diesmal ist es wahrscheinlicher, dass es um viel konkretere Fragen und Forderungen geht.
Die Kämpfe entwickeln sich
Gruppen, die sich für die Rechte der EinwanderInnen stark machen, mobilisieren gegen eine Politik, die sich gegen MigrantInnen richtet. Die „Demokraten“ unternehmen nur sehr zaghafte Versuche, um das Problem der elf Millionen EinwanderInnen, die keinen rechtlichen Status haben, mit einer gesetzlichen Neuregelung anzugehen. Immer und immer wieder machen sie den „Republikanern“ neue Zugeständnisse.
Die Beschäftigten der Fast-food-Ketten stehen auf für merkliche Lohnzuwächse und fordern einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde sowie volle gewerkschaftliche Rechte.
ArbeiterInnen, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, und in Unternehmen wie „Walmart“ beschäftigt sind, die für ihre Gewerkschaftsfeindlichkeit bekannt sind, beginnen damit den Widerstand zu organisieren.
Der Kampf gegen Zwangsräumungen und für bezahlbaren Wohnraum hat dazu geführt, dass die Stadt Richmond in Kalifornien nun eine Bürgermeisterin von der „Green Party“ hat, die sich nicht für die Durchsetzung von Konzerninteressen einsetzt, sondern HausbesitzerInnen im Kampf gegen die Banken unterstützt. Die Initiative „Occupy Homes“ in Minneapolis und in anderen Orten hat sehr fassbare Beispiele dafür geliefert, wie Bewegungen die Häuser der Leute verteidigen und Räumungen verhindern können.
Dass diese Stimmung allgemein auch auf betrieblicher Ebene zum Ausdruck kommt, scheitert bisher noch an den rechtslastigen GewerkschaftsbürokratInnen und der Schwäche der Organisationen der Arbeiterklasse im Allgemeinen. Aus diesem Grund findet die Wut ihren Ausdruck, indem sie viel kompliziertere Bahnen einschlägt. Manchmal geschieht dies auch auf der Wahlebene.
Die Wahlebene
In New York konnte Bill de Blasio die Vorwahlen der „Democratic Party“ um die Kandidatur für das Bürgermeisteramt für sich entscheiden. Er trat mit einem Programm an, das sich gegen das Establishment richtete und in der die Frage der Klassenzugehörigkeit, der Armut und des institutionellen Rassismus aufgeworfen wurde. Die herrschenden Eliten müssen sich wegen de Blasio allerdings keine Sorgen machen, da er schon der Regierungsadministration von Bill Clinton angehörte und als Wahlkampfmanager von Hillary Clinton in ihrer erfolgreichen Kandidatur zum Senat im Jahre 2000 agierte. Besorgt sind sie jedoch wegen der Erwartungen, die er mit dieser Art von Populismus weckt, mit dem er als Außenseiter das Rennen erfolgreich für sich entscheiden konnte.
In anderen Teilen des Landes konnten andere, radikalere KandidatInnen unabhängig von den „Demokraten“ Fortschritte erzielen und größere Aufmerksamkeit erregen. In besonderer Weise zeigen die Wahlkampagnen der „Socialist Alternative“ (US-amerikanische UnterstützerInnen des „Committee for a Workers´ International“ // „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist), wie sehr Teile der Arbeiterklasse und der verarmten Massen auf der Suche nach einer radikalen Lösung für die anhaltende Krise sind, die aus der Arbeiterklasse heraus kommt.
Sozialistin erhält in Seattle Unterstützung von Zehntausenden
Was die finanzielle Seite angeht, so wird Kshama Sawant in Seattle niemals gegen den seit 16 Jahren im Amt befindlichen Stadtrat Richard Conlin gewinnen. Er hat bereits 200.000 US-Dollar gesammelt, um seinen Sitz zu verteidigen. Der von der „Socialist Alternative“ organisierte Wahlkampf gegen ihn hat nur auf ein Viertel dieser Summe zur Verfügung, was für eine Wahlkampagne, die sich gegen die Konzerninteressen richtet, schon beachtlich ist. Und der Mangel an finanziellen Mitteln wird mit Ideen kompensiert, die unter einer wachsenden Schicht von Menschen aus der Arbeiterklasse und jungen Leuten auf sehr positive Resonanz stößt.
Die ganze Kampagne wird auf Basis der Forderung nach „15 Dollar Mindestlohn und eine[r] Gewerkschaft“ geführt. Mit einem offen sozialistischen Wahlprogramm erreichte Kshama Sawant im November 2012 gegen den Sprecher des Repräsentantenhauses des Bundesstaates Washington, Frank Chop, in Seattle 29 Prozent der Stimmen. Mit 44.000 Stimmen für Kshama Swant bei den Vorwahlen im August 2013 gegen Conlin hat die Kampagne der „Socialist Alternative“ gezeigt, dass es sich dabei nicht nur um eine Eintagsfliege gehandelt hat. Und am 5. November werden noch mehr WählerInnen in Seattle zeigen, dass sie offen sind für eine kämpferische, sozialistische Kandidatur, die sich auf die Arbeiterklasse beruft.
Kopf-an-Kopf-Rennen in Minneapolis könnte Sozialisten ins Rathaus bringen
Als Aktivist, der sich gegen Zwangsräumungen und für die Erhaltung von Schulstandorten einsetzt, hat Ty Moore in seinem Viertel in Minneapolis an einer beachtlichen Anzahl von Kämpfen teilgenommen. Er kandidiert gegen fünf andere KandidatInnen um einen Sitz im Stadtrat, von denen alle versucht haben, die Unterstützung der örtlichen Gliederung der „Democratic Party“ zu bekommen, die sich dort DFL nennt. Wegen der so gut wie gar nicht vorhandenen Präsenz in den Medien und aufgrund einer verwirrenden Bürgermeisterwahl an sich, muss ein Kandidat, der für bezahlbaren Wohnraum, für einen Mindestlohn von 15 Dollar und gegen Geschenke an die Konzerne kämpft, im Gespräch von Tür zu Tür bekannt gemacht werden. Und genau dies tut die „Socialist Alternative“, die dabei von der SEIU, einer der größeren Gewerkschaften in den USA, starken Stimmen aus der Community der Hispanics und von AktivistInnen mit unterschiedlichen Hintergründen unterstützt wird. Es ist ein extrem enges Rennen, zeigt aber das Potential, das SozialistInnen haben, wenn es um Erfolge bei Wahlen in den USA geht.
Offenheit für sozialistische Ideen
Dies ist der Anfang eines neuen Kapitels im Kampf für eine echte Kraft der Arbeiterklasse in den USA. Es kann es sein, dass es erneut zu Versuchen kommt, mit der die Wut durch rechtslastige populistische Kräfte kanalisiert werden soll. Die „Libertären“, ultra-liberale Befürworter des Kapitalismus, der nur mit ein paar fortschrittlich klingenden Phrasen gegen den Staat und Kriege im Ausland verbessert werden solle, versuchen in das bestehende Vakuum vorzustoßen.
Allerdings werden bei den Wahlen, die im nächsten Jahr stattfinden, mehr unabhängige KandidatInnen, die aus der Linken kommen, nicht nur die „Republikaner“ sondern auch die „Demokraten“ und das ganze Zwei-Parteien-System herausfordern. In der „Democratic Party“ könnte es zu Spaltungen kommen, und es ist möglich, dass eine neue „linkspopulistische“ Kraft entsteht.
Für die herrschende Klasse ist es schon ein Problem, dass es aufgrund des politischen Systems schwer möglich ist, den real existierenden Stimmungswandel, der in der Arbeiterklasse zu verzeichnen ist, widerzuspiegeln und einen Puffer zwischen den Massen und der Herrschaft der Großkonzerne zu schaffen. Beide Parteien verschieben die Grenzen der Wahlbezirke zu ihrem eigenen Vorteil und achten dabei auf die ethnische Zugehörigkeit der EinwohnerInnen. Man kann eigentlich nur bei wenigen Wahlen davon sprechen, dass es sich dabei um von vornherein offene Rennen handelt. Diese Starrheit macht noch deutlicher, wie dysfunktional das politische System ist. Das wirft weitere Fragen darüber auf, wie das US-amerikanische System strukturiert ist.
Als Teil einer neuen Welle des Widerstands bereitet sich die „Socialist Alternative“ darauf vor, eine wichtige Rolle einzunehmen. Es geht darum, der Arbeiterbewegung dabei zu helfen, sich eine eigene politische Stimme zu verschaffen, eine breite Plattform aufzubauen, um Widerstand zu organisieren, mit der „Democratic Party“ zu brechen, und eine derartige Kraft mit einem sozialistischen Programm auszustatten, mit dem das Ende des Kapitalismus erkämpft werden kann.