Es gibt verschiedene Mittel und Wege, Betriebsräte kompromissbereit oder gar gefügig zu machen. Eine Möglichkeit ist, dass Konzerne ihre eigenen „Beschäftigtenorganisationen“ – sogenannte gelbe Gewerkschaften – gründen oder diese unterstützen. Siemens ist damit vor einigen Jahren kräftig auf die Nase gefallen: 2007 wurde bekannt, dass der Technologiekonzern die „Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger“ (AUB) jahrelang mit Millionenbeträgen gepäppelt hatte, um ein Gegengewicht gegen die als renitent geltende IG Metall zu schaffen. AUB-Chef Wilhelm Schelsky landete im Knast, Siemens-Manager Johannes Feldmayer wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
von Daniel Behruzi, Frankfurt/M.
Gelernt haben die Bosse in der Münchner Siemens-Zentrale aus diesem Desaster aber offenbar nichts. Denn schon kurz danach wählten sie einen anderen Weg der Einflussnahme auf Beschäftigtenvertreter. Das zumindest lässt ein Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 9. Oktober vermuten, wonach der Gesamtbetriebsratschef des Unternehmens, Lothar Adler, im Jahr 2008 plötzlich eine kräftige Gehaltserhöhung bekam. Auf Betreiben des damaligen Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher sollen Adlers Bezüge um jährlich 100.000 Euro aufgestockt worden sein. Aktuell soll dessen Bruttogehalt demnach bei mehr als 200.000 Euro im Jahr liegen – plus bis zu 100.000 Euro „erfolgsabhängige Vergütungen“. Letzteres ist aus Gewerkschaftssicht besonders empörend: Wenn das Einkommen von Betriebsräten an das Erreichen der Unternehmensziele geknüpft wird, ist das eine starke Motivation, zur Steigerung von Umsätzen und Profiten beizutragen – und Beschäftigteninteressen gegebenenfalls hintan zu stellen.
Sollte sich der SZ-Bericht bestätigen – Siemens hat eine interne Untersuchung begonnen, äußert sich aber nicht zum Sachverhalt – könnte das erneut eine Debatte über die Mitbestimmung auslösen. Mit Bauchschmerzen erinnern sich Gewerkschafter immer noch an den Skandal um „Lustreisen“ und andere „Vergünstigungen“ für VW-Betriebsräte im Jahr 2005. Danach stand nicht der Konzern im Mittelpunkt der Kritik, sondern die betriebliche Mitbestimmung insgesamt. Die Debatte drehte sich vor allem um die angeblich zu große Macht von Betriebsräten.
Das ist freilich Unsinn. Im Gegenteil: Die betrieblichen Interessenvertretungen haben deutlich zu wenig Mitspracherechte – zum Beispiel beim Thema Werkverträge. Viele der Zehntausende von Betriebsratsmitgliedern sind nicht überbezahlt, sondern überlastet. Oft setzen sie sich weit über ihre Arbeitszeit hinaus für die Belange ihrer Kolleginnen und Kollegen ein.
Dennoch sollten Gewerkschafter die Vorkommnisse nicht als Einzelfälle abtun. Denn die Tendenz zum „Abheben“ von Interessenvertretern wird durch das Betriebsverfassungsgesetz gefördert – unter anderem durch die Verschwiegenheitspflicht und das Gebot zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Unternehmen. Ein neues Nachdenken über wirksame demokratische Kontrolle tut daher Not.
Dieser Beitrag erschien am 10. Oktober zuerst in der Tageszeitung „junge Welt“