Vom 14. bis zum 16. Juni hast du am Bundesparteitag in Dresden teilgenommen, wo das Wahlprogramm der LINKEN beraten wurde. Welchen Eindruck hattest du von der Stimmung und den Beschlüssen?
Die Stimmung war verhalten, die Erwartungen waren durch den veränderten Leitantrag des Parteivorstands, der viele Änderungsanträge schon übernommen hatte, nicht sehr hoch. Die Tendenz zur Ruhe widerspricht natürlich einer LINKEN, die in der Bevölkerung emanzipatorisch wirken muss und zur Selbstorganisation aufrufen sollte.
DIE LINKE sollte nach meiner Auffassung deutlich als antikapitalistische Protestpartei erkennbar sein. Auf diesem Parteitag hat vor allem der Parteivorsitzende Bernd Riexinger auf die außerparlamentarischen Proteste in Frankfurt (Blockupy) hingewiesen und die Verbindung zu den sozialen Protesten in Griechenland, Portugal und der Türkei hergestellt. Gut angekommen ist auch, dass wir hier in der Bundesrepublik um soziale Verbesserungen kämpfen müssen und unser „Nein“ zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht aufgeben dürfen.
DIE LINKE wirkt in die Bewegungen hinein und sollte daher ein über den Status Quo hinausgehendes deutlich antikapitalistisches Profil vertreten. Das Mobilisieren für diese Reformen gelingt besser, wenn eine gesellschaftliche Alternative vorgeschlagen wird. Sonst geraten wir schnell in den Verdacht, nur die Funktionsfähigkeit des kapitalistischen Systems zu sichern. Der Widerstand und die Eigentumsfrage müssen nicht nur im Erfurter Programm festgeschrieben werden, sondern auch in den Alltagsforderungen deutlich werden.
Im Mittelpunkt der Generaldebatte stand das Verhältnis zu SPD und Grünen. Welche Lehren wurden aus der Niederlage in Niedersachsen gezogen?
Zunächst bestimmen die Medien sehr stark, welche Forderungen auf der Tagesordnung stehen. Bei Mindestlohn liegt es an uns, den Ursprung der Forderung, nämlich aus der Erwerbslosenbewegung und der LINKEN darzustellen. Das gelingt umso besser, je mehr wir als Personen bei den Menschen verankert sind.
Die Fragen von Gregor Gysi, wann andere Parteien mit uns die Verbesserung der sozialen Lage angehen wollen, zielt nicht darauf, uns von anderen scharf abzugrenzen. Die Verursacher der Agenda 2010 und die Kriegstreiber waren SPD und Grüne und sie setzen dies gemeinsam mit Union und FDP fort.
Die starke Ablehnung der anderen Parteien ist nicht erfolgt, sondern die Frageform suggeriert, dass man es für möglich hält, zu Regierungsvereinbarungen zu kommen. Ob damit Wähler mobilisiert werden können oder gar Mitglieder gewonnen werden, ist fraglich. Nicht das Aufbauen auf einem falschen Bewusstsein der Stellvertreterpolitik ist unsere Aufgabe, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit eines Systemwechsels ist zu verbreitern.
Unsere Position als Partei der Interessenvertretung muss glaubwürdig bleiben. In Niedersachsen haben wir vor den Landtagswahlen einen Beschluss des Landesparteitages verabschiedet. Darin wird selbst ein Tolerierungsvertrag mit einer Minderheitsregierung von Rot-Grün ausgeschlossen. Nur bei konkreten Verbesserungen wollte DIE LINKE im Landtag in Einzelfall-Entscheidungen zustimmen.
Was haben die Delegierten zur umstrittenen Euro-Frage entschieden?
Die Aussagen zum Euro waren in zweifacher Hinsicht eine Sackgasse: Der Vorschlag des Parteivorstands und des Leitantrags wurde angenommen, da auch der Alternativvorschlag keine Systemalternative bot.
Ob mit dem Euro oder mit einer nationalen Währung – die Beschäftigten werden und wurden immer ausgebeutet und die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft von der jeweiligen Regierung zu Lasten der „kleinen Leute“ gestaltet. Dazu zählen die Steuererleichterungen für die großen Konzerne und die Abwälzung der Bankenkrise auf die abhängig Beschäftigten. So wie der Kapitalismus insgesamt wurde auch die Europäische Union als reformierbar dargestellt. Darüber hätte der Parteitag debattieren sollen. Wie kommen sie zu mehr Lohn, mehr Absicherung im Alter? Mit oder ohne Euro? Die Befürwortung des Euro im Leitantrag des Parteivorstands diente wahrscheinlich dem Ziel, dass DIE LINKE die Menschen nicht verunsichern will. Aber aufrütteln ist geradezu die Voraussetzung für Empörung.
Du hast dich ja auf dem Parteitag häufig zu Wort gemeldet. Um welche Anträge ging es?
Als langjährige Beschäftigte im Öffentlichen Dienst und Sozialpolitikerin begründete ich den Antrag der Bundesarbeitsgemeinschaft „Betrieb & Gewerkschaft“ zur Erhöhung des Personals im Öffentlichen Dienst. Denn dort wurden in den letzten zehn Jahren mehr als eine Million Beschäftigte abgebaut. Daher habe ich die Forderungen der Beschäftigten der Charité Berlin nach einer Personalbemessung im Tarifvertrag als Meilenstein der gewerkschaftlichen und betrieblichen Forderungen herausgestellt. In allen Bereichen der Daseinsvorsorge ist mehr Fachpersonal notwendig. Leider hatten wir 20 Stimmen zu wenig und der Antrag wurde nicht angenommen.
Bei der Debatte um Europa und die Währung habe ich den Antrag von Kassel vertreten, der auch den Auffassungen der „Antikapitalistischen Linken“ (AKL) Niedersachsen entspricht. Letztendlich ging es mir darum, das Bekenntnis zum Euro aus dem Bundestagswahlprogramm herauszustimmen, da nicht der Euro der Konstruktionsfehler ist, sondern das kapitalistische System. Unabhängig von der Währung muss um mehr soziale Rechte in Europa gekämpft werden. Reformen werden nicht parlamentarisch verhandelt, sondern kommen durch außerparlamentarischen Druck zustande. Ohne eine sozialistische Zukunftsvorstellung kann für Reformen nicht genug mobilisiert werden.