Der Clown Beppe Grillo wirbelt Italiens Politik durcheinander
Mit seiner „Tsunami-Wahlkampftour“ hat der Comedian Grillo damit begonnen, der wegen der Wirtschaftskrise und der Austerität tief sitzenden Unzufriedenheit eine Stimme zu verleihen
von Christine Thomas
Der Schock, den die jüngsten Wahlen in Italien ausgelöst haben, war überall auf der Welt zu spüren, führte zu instabilen Märkten und löste die Sorge vor einem möglichen Wirtschaftsrückgang aus. Die „Fünf-Sterne-Bewegung“ ( „M5S“ – „Movimento 5 Stelle“), wurde erst vor vier Jahren vom Comedian Beppe Grillo ins Leben gerufen. Aus den Wahlen vom letzten Monat ging sie als stärkste Partei hervor und kam auf über 25 Prozent der Stimmen. „Wir haben die ganze Wut der Gesellschaft, kanalisiert“, sagte Grillo und fasste damit in einem Interview mit der internationalen Presse seinen Wahlerfolg zusammen. Er lehnt es ab, mit den italienischen Medien zu sprechen.
Während die ArbeiterInnen und die jungen Leute in Griechenland, Spanien und Portugal Generalstreiks durchgeführt haben und millionenfach auf die Straße gegangen sind, um Widerstand gegen einen nicht enden wollenden Feldzug der Austerität zu leisten, herrscht in Italien relative Ruhe. Und das trotz der verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen für die „einfachen“ Leute, mit einem Absinken der Lebensstandards auf den Stand von vor 27 Jahren. Am 24. und 25. Februar strömte dann aber all die angestaute Wut und Unzufriedenheit förmlich durch die Wahlurnen empor und machte die „M5S“ zur größten Nutznießerin.
Bei den vollgepackten Wahlkampfveranstaltungen, die im ganzen Land auf den Piazzas stattfanden, stieß Grillos Slogan „tutti a casa“ („Schickt sie allesamt nach Hause“) auf besondere Resonanz, da die Bevölkerung die Nase voll hat von den korrupten, raffgierigen und selbstsüchtigen Politiker der etablierten Parteien und den Industriellen und Bankiers, die in die Skandale verwickelt sind. Angesichts von nur zwei Prozent der ItalienerInnen, die noch Vertrauen in die politischen Parteien haben, wendeten sich mehr als acht Millionen Stimmberechtigte der „M5S“ zu, die versprach, das politische System „aufräumen“ und „durchschütteln“ zu wollen.
Getreu ihrem Wahlkampfversprechen lehnt „M5S“ es bisher ab, eine Allianz mit dem Wahlbündnis der PD („Partito Democratico“) einzugehen oder eine Koalition mit der PDL („Popolo della Libertà“), der Partei von Silvio Berlusconi, zu bilden. Beide Parteienbündnisse waren auf ungefähr 29 Prozent der Stimmen gekommen. Die Grillini, wie sie oft bezeichnet werden, sind in der Tat das Zünglein an der Waage. Während unklar bleibt, wie es auf kurze Sicht weitergehen kann, so steht doch fest, dass jede Regierung, die aus diesen Wahlen hervorgehen wird, eine schwache Position hätte. Sie wäre gekennzeichnet durch Instabilität und sicher nur von kurzer Dauer. Neuwahlen sind wahrscheinlich, vielleicht schon in wenigen Monaten. In dem Fall könnte „M5S“ sogar noch stärker werden. In den Meinungsumfragen hat sie schon drei Prozentpunkte zugelegt und liegt derzeit bei 29 Prozent.
Eine „Bewegung“, keine Partei
Es ist klar ersichtlich, dass der „Fünf-Sterne-Bewegung“ auf der politischen Bühne Italiens eine Schlüsselrolle zukommt. Aber welchen Charakter hat sie, wofür steht sie und wie wird sie sich in Zukunft weiterentwickeln? Die konfuse, heterogene und schwammige Beschaffenheit der Bewegung machen es in der Tat nicht leicht, sie zu definieren. Grillo beschreibt sich selbst als ihr „Sprachrohr“, weil „M5S“, die sich in Opposition zu den traditionellen Parteien entwickelt hat, eine „Bewegung“ ist, die die Strukturen der Parteien ablehnt und deshalb keinen Vorsitzenden haben kann. Tatsächlich hat Grillo, der „M5S“ zusammen mit dem wohlhabenden Marketing- und Internet-Geschäftsmann Robert Casaleggio gegründet hat, enormen individuellen Einfluss auf die Bewegung. Ihm gehören alle „M5S“-Lizenzen und er persönlich kann entscheiden, wer die Symbole bei Wahlkämpfen nutzen darf und wer nicht.
Grillo beschreibt „M5S“ als „weder rechts noch links“. Sie sei eine „Bewegung der Ideen und nicht der Ideologien“. Das zeigt sich an ihrer Mitgliedsstruktur, Programmatik und Wählerschaft. Die Bewegung besteht hauptsächlich aus jungen, gut ausgebildeten Beschäftigten aus der Mittelschicht. 24 Prozent ihrer Abgeordneten sind Selbstständige oder BesitzerInnen kleinerer Unternehmen. 35 Prozent sind Beschäftigte aus Wirtschaft und Verwaltung und 15 Prozent studieren, sind RentnerInnen oder erwerbslos. 78 Prozent von ihnen haben einen Hochschulabschluss.
„M5S“ bekam ihre Stimmen von überall her: sowohl aus dem linken wie auch aus dem rechten Lager, aber auch über das ganze Land verstreut. Rund 25 Prozent der WählerInnen hatten sich zuvor nicht an Wahlen beteiligt. Von welcher Partei die meisten Stimmen zu „M5S“ wanderten, war regional unterschiedlich. In Turin, einer Industriestadt im Norden des Landes, kamen beispielsweise 37 Prozent der Stimmen für „M5S“ von ehemaligen WählerInnen der PD (zu der auch ein Teil der ehemaligen „Kommunistischen Partei“ gehören) und 20 Prozent von der „radikalen“ Linken. In Padua bestanden 46 Prozent der Wählerschaft aus ehemaligen WählerInnen der rechtspopulistischen „Lega Nord“. In der süditalienischen Reggio Calabria stammten 49 Prozent der „M5S“-Stimmen von Berlusconis PDL.
Die Bewegung hat ein Programm, über das die Mitglieder zuvor im Internet abgestimmt hatten. Allerdings haben vor allem die Verlautbarungen, die Grillo auf den Piazzas abgibt, und die Posts auf seinem Blog, dem meistgelesenen in Italien, erhebliches Gewicht. Auf Twitter hat er eine Million „Follower“. Die Nutzung des Internets und der sozialen Medien spielt eine wesentliche Rolle für die Organisierung der Bewegung. Es herrscht eine „horizontale“ Demokratie, mit der die üblichen „vertikalen“ Formen mit ihren demokratischen Strukturen und gewählten Ausschüssen, Delegiertenkonferenzen usw. ersetzt werden sollen. Die 163 Abgeordneten der Grillini sind online ausgewählt worden, woran sich 20.000 Menschen beteiligten.
Grillo hatte seinen Blog zusammen mit Casaleggio im Jahr 2005 angelegt und die ersten „Freunde von Beppe Grillo“ fingen damit an, online zu diskutieren und vor Ort lokale „meet-ups“ (sie nutzten dafür diesen engl. Ausdruck) zu organisieren. Richtig los ging es dann im September 2007, als Grillo den „V-Tag“ organisierte. Das „V“ steht im italienischen für ein Schimpfwort. An diesem Tag stellten sich zehntausende Menschen über Stunden auf den Piazzas überall im Land an, um eine Petition zu unterschreiben, mit der die Politiker mit krimineller Vergangenheit zum Rücktritt gebracht werden sollten. Die Bewegung breitete sich über das Internet und die sozialen Medien aus, und die ersten dreißig Kommunalräte der „Fünf-Sterne-Bewegung“ wurden bei den Wahlen 2008 ins Amt gewählt. Im Herbst 2009 fand dann die offizielle Gründung der „Movimento 5 Stelle“ statt. In der Folge wurden weitere „M5S“-KandidatInnen in Kommunalparlamente gewählt und zum ersten Mal schaffte man es, das Bürgermeisteramt einer großen Stadt (von Parma in der Emilia Romagna) zu besetzen. In einer Art Vorwegnahme dessen, was später, nach der Parlamentswahl noch passieren sollte, wurde „M5S“ bei den Wahlen auf Sizilien im November 2012 zur stärksten Kraft.
Korruption überall
In erster Linie hat sich die Bewegung auf die korrupte politische „Kaste“ und das politische System eingeschossen. In seinen Kabarettprogrammen hatte sich Grillo seit langem schon mit diesen Themen befasst. In den 1980er Jahren schimpfte er gegen korrupte PolitikerInnen. 1986 verschwand er vom öffentlich-rechtlichen Bildschirm, nachdem er einen Witz über den damaligen Premierminister Bettino Craxi gemacht hatte, der schließlich Italien verließ, um einer juristischen Verfolgung im Zuge des Tangentopoli-Skandals zu entgehen. Tangentopoli brachte Licht ins von Bestechung und Korruption durchzogene politische Spektrum, was zum Kollaps und Zerfall der meisten großen bürgerlichen Parteien führte. Vor diesem Hintergrund der politischen Krise konnte Berlusconi an die Macht gespült werden. Außerdem wuchs die „Lega Nord“, und beide behaupteten von sich, „neue“, „frische“ und unverdorbene Kräfte zu sein.
Heute ist Italien erneut gebeutelt von Korruptionsskandalen, die vom Fußballverein bis in den Vatikan geradezu jede Institution unterhöhlen. In internationalen Korruptionsrankings liegt Italien hinter Botswana, dem Tschad und Ruanda auf Platz 72. Landesweit aber auch auf lokaler Ebene hat es gegen PolitikerInnen aller etablierten Parteien, darunter auch die „Lega Nord“ und vor allem Berlusconis PDL, aber auch der PD, Verfahren und Schuldsprüche gegeben. Etliche Untersuchungen laufen noch. Dabei ging und geht es um Fälle von Bestechung, um FreundInnen und Familienmitgliedern Gefälligkeiten zukommen zu lassen. Millionen an öffentlichen Geldern wurden zur Finanzierung eines ausschweifenden Lebenswandels umfunktioniert und unzählige andere Anschuldigungen standen und stehen im Raum. Die in der Gesellschaft bereits weit verbreitete Annahme, dass diese Leute alle knietief mit im Sumpf stecken und alle alle Diebe sind, ist durch die jüngsten Skandale nur bestätigt worden.
In Teilen ist dies auch die Erklärung für den Erfolg der Grillini. Grillo macht Gebrauch von einer revolutionär klingenden Phraseologie und sagt, man müsse die momentanen Abgeordneten, Parteien und das politische System hinwegfegen. Das spricht vielen aus der Seele, vor allem jungen Leuten, die für die traditionellen Parteien nur Verachtung übrig haben und unter den bestehenden Parteien und politischen Formationen keine glaubwürdige, links-antikapitalistische Alternative für die Massen sehen. Fünfzig Prozent der Unter-25-Jährigen votierten für „M5S“ (in Sizilien waren es sogar 67 Prozent) und 60 Prozent der Studierenden.
In Wirklichkeit steht die Bewegung aber nicht für Revolution, sondern für eine demokratische Reformen des bestehenden politischen Systems. Das soll die Kürzung der Bezüge der ParlamentarierInnen beinhalten. Die VertreterInnen der Grillini werden nur die Hälfte ihres Salärs annehmen, möglicherweise noch weniger. In Sizilien wurde der Rest ihrer Einkünfte zur Unterstützung lokaler Mikro-Geschäfte eingesetzt. „M5S“ fordert die Änderung des Wahlrechts, womit die Zahl der Abgeordneten halbiert würde. Außerdem will man die staatliche Parteienfinanzierung beenden etc. Das eingesparte Geld solle zur Finanzierung des übrigen „M5S“-Programms verwendet werden. Der Rest käme zusammen, wenn man die Rüstungsausgaben für Kriege in Afghanistan und anderswo beenden würde.
Ausdruck der Wut
Vor Ausbruch der Wirtschaftskrise beschäftigte sich Grillo eigentlich mit nur zwei Themen: die politische Kaste und die Umwelt. Die Probleme, denen sich ArbeiterInnen in den Betrieben gegenübersehen, die Kürzungen im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich und öffentlichen Dienst wurden kaum, wenn überhaupt, aufgegriffen. Auch heute noch rangieren wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen hinter den politischen Reformen an zweiter Stelle. Doch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise waren sowohl für ArbeiterInnen, als auch die Leute aus der Mittelschicht tiefgreifend. Nahezu vierzig Prozent der jungen Menschen sind erwerbslos und zehntausende ArbeiterInnen befinden sich in „cassa integrazione“ (geringfügige Beschäftigung oder Heimarbeit mit Niedriglohn). Bei der überwältigenden Mehrheit der Unternehmen in Italien handelt es sich um Kleinbetriebe, die sich häufig in Familienbesitz befinden und kämpfen müssen, um von den Banken Kredite zu bekommen. Jede Minute geht einer dieser Betriebe pleite.
Während seiner „Tsunami“-Wahlkampftour auf insgesamt 77 Piazzas der italienischen Städte, begann Grillo damit, der tiefsitzenden Wut über die Wirtschaftskrise und die Austerität eine Stimme zu verleihen. Indem er Forderungen bei der Linken kopierte, rief er dazu auf, die Banken zu verstaatlichen, Arbeitszeitverkürzung und ein „Bürgergeld“ durchzusetzen. Er sprach von der Restrukturierung der Schulden und forderte eine Referendum über den Euro. Das „M5S“-Programm spricht sich gegen Kürzungen im Bildungsbereich und für ein allgemeines kostenloses Gesundheitssystem aus. Man ist gegen die Privatisierung der Wasserversorgung und für die Rückverstaatlichung der Telekom.
Wenn man berücksichtigt, dass die Parteien der „radikalen Linken“ (wie etwa die „Rifondazione Comunista“, PRC) sowohl bei den sozialen Kämpfen als auch bei Wahlen so gut wie unsichtbar geworden sind, dann ist die Tatsache, dass diese Dinge überhaupt aufgebracht werden als positive Entwicklung anzusehen. Die PRC war bei den Wahlen als Teil eines heterogenen Wahlbündnisses namens „Rivoluzione Civile“ (Bürgerrevolution) angetreten, dass von Juristen dominiert war und bloß zwei Prozent der Stimmen erhielt. Zwar hat „M5S“ mit ihrer reformistischen Agenda die in der Gesellschaft brodelnde Wut widergespiegelt und kanalisiert. Als Antwort auf die Krise ist sie aber völlig unzureichend. Selbst wenn die politischen Reformen umgesetzt und die Rüstungsausgaben gestrichen würden, so stünden darüber nur schätzungsweise zwei Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Das würde nie und nimmer reichen, um die im „M5S“-Programm beschriebenen Reformen zu finanzieren.
In der Linken gibt es viele, die sagen, dass eine Stimme für „M5S“ eine reaktionäre Stimme sei. Das liegt vor allem an den Kommentaren, die Grillo zu den Gewerkschaften, dem öffentlichen Dienst und – das ist das wichtigste – gegenüber der neofaschistischen Organisation „CasaPound“ abgegeben hat. Es ist wichtig, diese Kommentare und die letztliche Stimmabgabe der Leute für „M5S“ differenziert zu betrachten. Zwischen Grillo, der Bewegung „M5S“ und denen, die die Grillini gewählt haben, besteht ein Unterschied.
Sieht man sich die Stimmergebnisse der „M5S“ im einzelnen an, so wird klar, dass die größten Erfolge in Gegenden gefeiert werden konnten, in denen es bedeutende lokal verortete soziale Kämpfe gegeben hat. So kam „M5S“ z.B. in Taranto, wo tausenden von ArbeiterInnen die Arbeitslosigkeit droht, weil ILVA, die größte Stahlgießerei Europas schließen wird unter allen Parteien auf den ersten Platz. In Carbonia Sulcis auf Sardinien, wo Bergleute das letzte Bergwerk Italiens besetzt und sich Dynamit an den Körper gebunden hatten, um die Schließung aufzuhalten, kamen die Grillinis auf 33,7 Prozent. In Bussoleno im Val di Susa, dem Zentrum der Bewegung gegen die Hochgeschwindigkeitstrasse TAV, erzielte „M5S“ unglaubliche 45 Prozent.
Es besteht kein Zweifel, dass in der norditalienischen Region Venetien viele der Stimmen für die Grillini von ehemaligen WählerInnen der „Lega Nord“ stammten. Darunter waren viele von BesitzerInnen kleinerer Betriebe. Einige von ihnen hätten in der Vergangenheit für die Linke gestimmt und – wie Grillo gezeigt hat – könnten für ein Programm gewonnen werden, das die Verstaatlichung der Banken und die Einführung zinsniedriger Kredite für Kleinunternehmen vorsieht.
Ein eklektischer Politik-Mix
Es besteht kein Zweifel, dass eine glaubwürdige antikapitalistische Alternative viele der Stimmen, die auf die Grillini entfielen, nach links hätten ableiten können, wie die Erfahrungen in Griechenland mit dem raschen Aufstieg von SYRIZA zeigen. Für Italien gilt dies aber nicht. Die historische Schwäche und der Zusammenbruch der Linken hat ein Vakuum hervorgebracht, das „M5S“ sehr schnell und auf spektakuläre Art und Weise füllen konnte. Dies ist definitiv ein Faktor, der die Entwicklung einer neuen linken Arbeiterpartei mit Massencharakter verkompliziert. Doch in Ermangelung einer entsprechenden Alternative markierte das Wahlergebnis der „M5S“ einen bedeutsamen Bruch mit den Parteien der Austerität und die Hoffnung auf einen radikalen Wandel.
Das Programm der „grillinis“ ist konfus, zusammenhanglos und stellt einen Mix aus unterschiedlichen Politikansätzen dar, was auf ihre Herkunft aus der Mittelschicht zurückzuführen ist. Grillos Kommentare sind oft mehrdeutig und lassen Raum für unterschiedliche Interpretationen. Dabei drückt die Bewegung mehr recht als schlecht die tatsächliche Gefühlslage vieler Menschen aus der Mittelschicht und der Arbeiterklasse aus. Bei seinen Kommentaren über die Organisation „CasaPound“ handelte es sich nicht um eine offene Zustimmung oder Billigung des Faschismus, sondern um eine Bestätigung des Umstands, dass einige der politischen Ansätze von „CasaPound“ mit denen von „M5S“ (und sogar der antikapitalistischen Linken) übereinstimmen. Er stellte nur fest, dass einige junge Menschen, die sich vom Faschismus angesprochen fühlen, für „M5S“ zu gewinnen sind. Allerdings interpretieren viele Linke Grillos Aussagen so, als hege dieser Sympathien für den Faschismus.
Die Frage, welchen Charakter der Faschismus hat und wofür er steht, muss aufgegriffen werden. Auch der Fraktionsführer der Grillini im Unterhaus hat bereits Kommentare abgeben, die auf völlige Ahnungslosigkeit hinsichtlich der wahren Natur des Faschismus hinweisen. Dasselbe gilt für einige Äußerungen von Grillo, der zum Thema Einwanderung sagte, dass Italien sich nicht mit allen Problemen dieser Welt fertig werden könne und dass die in Italien geborenen Kinder von EinwanderInnen nicht automatisch die italienische Staatsbürgerschaft erhalten sollten. Diesen Dingen darf man allerdings nicht begegnen, indem man „M5S“ einfach als „faschistisch“ bezeichnet oder auf moralisierende Weise vorgeht. Vielmehr muss man dem ein Programm entgegenstellen, in dem erklärt wird, wie es möglich ist, für mehr Arbeitsplätze, Arbeitnehmerrechte und qualitativ hochwertige öffentliche Daseinsvorsorge für alle zu kämpfen und weshalb auch die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft in Frage gestellt werden müssen.
Als Grillo dazu aufrief, die Gewerkschaften zu „eliminieren“, weil es sich bei ihnen (wie bei den Parteien) um „alte Strukturen“ handelt, interpretierten dies einige als allgemeinen Angriff auf die Gewerkschaften. Andere, darunter viele organisierte ArbeiterInnen, betrachteten dies als willkommene Attacke auf die Gewerkschaftsbürokratie, vor allem, als Grillo sagte, dass – wenn die Gewerkschaften wie die viel kämpferischere Metallarbeitergewerkschaft FIOM oder die Basisgewerkschaft COBAS wären, die Lage eine andere wäre. In derselben Rede erklärte er später, dass die Betriebe denen gehören sollten, die darin arbeiten.
Das passt zu dem Umstand, dass die Grillini mehr „direkte Demokratie“ in einer Demokratie fordern, die von zwischengeschalteten Instanzen wie den Parteien abhängig ist. Das Kernproblem besteht jedoch darin, dass – und das wird in den Reden von Grillo deutlich, in denen er die Mitbestimmungsregelungen in Deutschland über den Klee lobt – damit jeglicher Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Klassen negiert wird. Man hängt der Idee an, wonach ArbeiterInnen und Konzernleitungen dasselbe Interesse an der Zusammenarbeit hätten und daran, gemeinsam zum Wohle der Wirtschaft zu arbeiten. Das ist eine Position, die in direktem Zusammenhang mit der Zusammensetzung und Perspektive von „M5S“ steht: Sie ist dominiert von den Ideen der Mittelschicht.
Druck und Gegendruck
Was die Mitgliedszahlen aber auch die Wahlergebnisse angeht, wird die Bewegung kurzfristig wahrscheinlich noch zulegen. Es ist aber vorauszusehen, dass die politischen und organisatorischen Widersprüche schnell zunehmen und letztlich zur Auflösung und Zersplitterung führen werden. Dies wird vor allem dann passieren, wenn die Bewegung sich auf Bundesebene in welcher Form auch immer an einer Regierung beteiligt. Einige Reformen werden durchaus möglich sein. In Sizilien konnten die Grillinis den Bau einer kontrovers diskutierten US-Satelliten-Bodenstation blockieren und dasselbe könnte auch hinsichtlich der TAV bevorstehen. Aber die wirtschaftliche Schwäche Italiens und die anhaltende Krise bedeuten, dass diese Reformen nur sehr begrenzt ausfallen werden. Die Bewegung wird von allen Seiten unter Druck geraten: von Seiten der kapitalistischen Klasse, die Austerität und eine „Reform“ des Arbeitsrechts fordert, genauso wie durch die Mittelschicht und die Arbeiterklasse, die „M5S“ in der Hoffnung gewählt hat, dass es so zu echter politischer und ökonomischer Veränderung kommt.
Die Grenzen der reformistischen Politik und Methoden von „M5S“ sehen wir am Beispiel Parma, wo der Bürgermeister Federico Pizzarotti Grillino ist. Als Erbe der vorherigen korrupten Stadtverwaltung übernahm der Bürgermeister ein Haushaltsdefizit von fast einer Milliarde Euro. „Weil das Geld fehlt“, hat die neue Stadtverwaltung schon damit begonnen, die Gebühren für öffentliche Dienste anzuheben und Kürzungen umzusetzen. Die Grillini sind in Parma auch deshalb gewählt worden, weil man sich gegen den Bau einer Müllverbrennungsanlage aussprechen wollte, mit der – so sagte es „M5S“, man „über Leichen gehen würde“. Nun ist die Anlage in Betrieb und kann nicht mehr aufgehalten werden, weil, so behaupten erneut die „M5S“-VertreterInnen, ansonsten enorme Entschädigungszahlungen fällig würden.
Für den Aufbau einer massenhaften Kampagne unter den Menschen vor Ort, um von der Zentralregierung mehr Geld für die hiesigen öffentlichen Dienste einzufordern oder um die Müllverbrennungsanlage zu stoppen, wurde nichts getan. Während einzelne Stadträte jüngst damit begonnen haben, Fabriken zu besuchen, die von der Schließung bedroht sind, und sich Mitglieder individuell an lokalen umweltpolitischen Auseinandersetzungen (wie etwa der „No TAV“-Kampagne im Val di Susa) beteiligen, beschränkten sich die wesentlichen Kampagnen von „M5S“ auf die Frage der demokratischen politischen Reformen.
Das Fehlen von Parteistrukturen in der „M5S“ bedeutet einen Mangel an Rechenschaftspflicht und demokratischer Kontrolle gewählter VertreterInnen. Vor allem gilt dies für die Bundesebene. Die Unruhe, die unter Mitgliedern aus der Emilia Romagna besteht, und der Ausschluss von zwei Stadträten (darunter das erste, je für „M5S“ gewählte Stadtratsmitglied überhaupt, das Grillo wegen dessen undemokratischer Methoden kritisiert hatte) gibt einen Vorgeschmack von dem, was in Zukunft an Rebellionen gegen die politische und organisatorische Dominanz Grillos über die Bewegung noch kommen mag. Grillo hat bereits den zehn bis zwölf SenatorInnen mit „Konsequenzen“ gedroht, weil sie „Verrat“ begangen hätten, indem sie bei der Wahl des Senatspräsidenten für den Kandidaten der PD (einen Anti-Mafia-Staatsanwalt) gestimmt haben. Im Netz führte das zum Aufruhr unter den Mitgliedern der Bewegung. Wenn es zu politischen und organisatorischen Widersprüchen kommt, dann wird das Raum für Diskussionen über den Bedarf an einer antikapitalistischen politischen Partei bieten, die sich auf die Arbeiterbewegung und den Kampf stützt.
In einer Situation der politischen, ökonomischen und sozialen Krise ist die Bewegung „M5S“ ein neuer und bedeutender Faktor. Es ist nötig, sich den Charakter und die Schwächen dieser Bewegung genau anzusehen und einer Analyse zu unterziehen. Für sich genommen ist dies jedoch nicht ausreichend. Diejenigen, die sich zur Linken in Italien zählen, müssen sich politisch einbringen und sich mit den Grillini und ihren Ansätzen befassen und – das ist entscheidend – mit den radikalisierten ArbeiterInnen und jungen Leuten, die diese Bewegung gewählt haben. Das muss in einen Prozess des Aufbaus einer echten Alternative für und aus der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System eingebettet sein.
Christine Thomas lebt in Bologna. Sie ist Mitglied der sozialistischen Strömung ControCorrente und des Internationalen Vorstands des Komitees für eine Arbeiterinternationale.