Unter diesem Titel lud die Blockadegruppe der Parkschützer am 8. April im Anschluss an die 167. Montagsdemo zu einer Diskussionsveranstaltung ein.
von Wolfram Klein, aktiv bei den „Bad Cannstattern gegen Stuttgart 21“ und im „AK Stuttgart 21 ist überall“
Auf der Montagsdemo hatte Dominik (besser bekannt als „Zwuckelmann“ – unter diesem Namen betreibt er einen Blog) in einem Redebeitrag für die Blockadegruppe kritisiert, dass der Protest gegen Stuttgart 21 zu wenig störe, zu wenig nerve. „Das war früher anders. Unser Protest gegen Stuttgart21 war sichtbarer. Unser Protest war spontaner. Und er war kreativer, weniger routiniert. Wir waren weniger berechenbar und wahrscheinlich radikaler. Und oft wünsche ich mir wie viele von Euch auch, dass der Widerstandsgeist von 2010 wieder stärker auflebt und wir doch wieder ein bisschen radikaler werden.“ Über die Arbeit der Blockadegruppe sagte er: „Unsere Aktionen erschöpfen sich nicht, wie es die Gruppenbezeichnung nahe legt, in reinen Blockadeveranstaltungen. Vielmehr geht es darum, gezielt und ganz bewusst Grenzen zu überschreiten. Im Kernerviertel beispielsweise, wo gerade kräftig Rohre verlegt werden, stehen viele Parkverbotsschilder für die Baustellen. Manche der Schilder hüpfen wie von Geisterhand über Nacht aus ihrer Halterung und stehen morgens nicht mehr an Ort und Stelle. Das führt dazu, dass Autos genau dort parken, wo eigentlich Bauarbeiten stattfinden sollten. Auch das ist ziviler Ungehorsam. Und auch die symbolische Besetzung von Gebäuden oder von Baustellenflächen ist natürlich ziviler Ungehorsam, aber eben auch Blockadeaktionen.“ (Die gesamte Rede ist hier nachzulesen.)
Hauptredner der Montagsdemo war der Finanzjournalist Lukas Zeise: Er stellte Stuttgart 21 in den Kontext von anderen „Renditeprojekten“ wie die Privatisierung von Post und Bahn. Außerdem ging er auf die Praktiken der LBBW ein. Besonders viel Beifall bekam er, als er die große bundesweite Bedeutung des Kampfs gegen Stuttgart 21 schilderte.
Im Anschluss an den Demozug fand mit mehr als 400 Besuchern die Diskussionsveranstaltung der Blockadegruppe im völlig überfüllten Foyer des Württembergischen Kunstvereins am Schlossplatz statt. Das große Interesse an der Veranstaltung war besonders deutlich daran abzulesen, dass eine ganze Reihe von TeilnehmerInnen, die keine Sitzplätze bekommen hatten, fast zwei Stunden lang im Stehen ausharrten.
Die Blockadegruppe hatte PodiumsteilnehmerInnen eingeladen, die das ganze Spektrum der Bewegung gegen Stuttgart 21 widerspiegelten: Eisenhart von Loeper (Juristen zu Stuttgart 21 und einer der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21), Werner Sauerborn (GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21), Matthias von Hermann (Pressesprecher der Parkschützer), Hans Heydemann (Ingenieure 22) und Ursel Beck (Blockadegruppe der Parkschützer).
Nach den Einleitungsstatements bildete sich gleich eine so lange Schlange am Saalmikrofon, dass die Redezeit auf zwei Minuten begrenzt werden musste (was auch von den meisten diszipliniert eingehalten wurde). Trotz des breiten Spektrums auf dem Podium kam in den Beiträgen ein hohes Maß an Einigkeit zum Ausdruck. So betonte Eisenhart von Loeper zwar naheliegenderweise die juristische Auseinandersetzung um Stuttgart 21, leitete aber aus seinen juristischen Ausführungen die Berechtigung von Blockaden ab.
Nicht zuletzt waren sich alle einig, dass der Widerstand gegen Stuttgart 21 schon viel erreicht hat und auch den Stopp von Stuttgart 21 erreichen kann.
Meinungsverschiedenheiten wurden bei der Bilanz der Vergangenheit deutlich. Während z.B. Werner Sauerborn meinte, bisher habe man im Wesentlichen alles richtig gemacht und müsse das fortsetzen, aber seit der Aufsichtsratsentscheidung für den Weiterbau gebe es eine Grundlage für eine stärkere Betonung von Blockaden, kritisierte zum Beispiel Ursel Beck das zu große Augenmerk auf Regierungswechsel, Schlichtung, Stresstest, Volksabstimmung usw. in der Vergangenheit.
Das betraf natürlich nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die bevorstehenden Bundestagswahlen. Heike Hänsel warnte in einem Diskussionsbeitrag davor, einen Anti-Merkel-Wahlkampf zu machen. Sie verwies ebenso wie andere DiskussionsteilnehmerInnen auf die nicht akzeptable Rolle von SPD und Grünen.
Ursel Beck, die auch Mitglied in der Linken und in der SAV ist, erklärte in ihrer Einleitung, dass die gleichen Banken und Kapitalbesitzer, die aus S 21 riesige Profite ziehen wollten, Profite aus der Spekulation mit Nahrungsmitteln und Wohnungen, aus dem Betreiben von AKWs, aus Kriegen und aus der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft ziehen. „Stuttgart 21 ist Teil des kapitalistischen Wahnsinns, der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht, die Natur zerstört und ganze Länder in den Abgrund stürzt. Wir sollten unseren Kampf als Teil eines Kampfes gegen diese Verhältnisse und Machtstrukturen insgesamt betrachten. Und die Konsequenz daraus sollte sein, dass wir uns inhaltlich öffnen und mit denjenigen vernetzen, die bei anderen Anlässen oder anderen Fronten gegen diese Verhältnisse aufbegehren“. Als Ansatzpunkte für eine solche Vernetzung schlug Ursel Beck u.a. die Teilnahme von S-21-Gegnern bei den Blockupy-Protesten Ende Mai, Anfang Juni vor.
Ursel betonte in ihrem Schlusswort, dass ziviler Ungehorsam eine zentrale Aktionsform sein muss, wenn Stuttgart 21 verhindert werden soll. Als aktuelles Beispiel für die Wirksamkeit von Zivilem Ungehorsam nannte sie die Feldbefreiungsaktionen von Gen-Kartoffeln, die dazu geführt hätten, dass BASF im Januar sämtliche Zulassungsanträge für deren Anbau mit der Begründung zurückgezogen hätte, dass diese Investitionen aufgrund der Feldzerstörungen durch Gentechniker nicht gerechtfertigt seien. Der Stopp der Daimler-Teststrecke bei Boxberg (1987) sei zwar durch ein Verfassungsgerichtsurteil erfolgt, aber Gerichte entschieden nicht im luftleeren Raum. Aufgrund der vielen Aktionen des Zivilen Ungehorsams befürchtete die Polizei damals ein zweites Wackersdorf, wenn das oberste Gericht eine Enteignung von Bauern zugunsten von Daimler für rechtens erklärt hätte.
Mehrere Beiträge gingen auf die mögliche und tatsächliche Rolle der Gewerkschaften ein. Nicht strittig war, dass sie eine wichtige Rolle spielen könnten und müssten. Ein Kollege brachte positive Beispiele von gewerkschaftlichen Beschlüssen. Werner Sauerborn, der sonst vor Optimismus sprühte, war in dieser Frage sichtlich frustriert, versicherte aber seine Bereitschaft, weiter in den Gewerkschaften Druck für ein stärkeres Engagement gegen Stuttgart 21 zu machen.
Einigkeit bestand bei der Bedeutung des zivilen Ungehorsams gegen den Bau des Grundwassermanagements (aktuell der Verlegung der „blauen Rohre“ im Kernerviertel) und gegen die für Mai angekündigte Anlieferung des Riesenbohrers der Firma Herrenknecht für die Stuttgart-21-Tunnel, die für den Widerstand gegen Stuttgart 21 eine ähnliche Bedeutung haben könnten wie die Castor-Transporte für die Anti-AKW-Bewegung. Wenn Matthias von Herrmann davor warnte, sich von Aktionen gegen die Bohrer-Anlieferung den entscheidenden Durchbruch zu erhoffen, was zu Resignation führen würde, lief er damit sicher bei den anderen offene Türen ein. (Auch die Castor-Blockaden haben noch nie einen Transport verhindern können und sind trotzdem zentrale Punkte des Widerstands.)
Die Veranstaltung war ein wichtiger Auftakt der Diskussion über die Strategie und Taktik des Widerstands nach dem Beschluss des Bahn-Aufsichtsrats. Der Blockadegruppe gebührt Dank, dass sie die Initiative dafür ergriffen hat. Sicher ist die Diskussion nicht beendet, sondern muss in den verschiedenen Gruppen des Widerstands und auf weiteren gemeinsamen Veranstaltungen weitergehen. Konkrete Aktionen und Kampagnen sollen bei der Aktionskonferenz am 19.4. (ebenfalls im Württembergischen Kunstverein) diskutiert werden.
Am nächsten Morgen nahmen 10 Leute mehr als sonst an der Frühstücksblockade teil, wodurch die Bauarbeiten im Kernerviertel für 3 Stunden lahmgelegt werden konnten. Einige erklärten, sie seien durch die Veranstaltung dazu motiviert worden.