8000 Menschen demonstrieren gegen das Projekt
Leise rieselte der Schnee und lausig kalt war es auch, als sich am 23. Februar mal wieder Tausende zum Protest gegen Stuttgart 21 auf dem Stuttgarter Schlossplatz versammelten.
von Wolfram Klein, aktiv bei den „Bad Cannstattern gegen Stuttgart 21“ und dem Arbeitskreis „Stuttgart 21 ist überall“
Die Kundgebungs-Moderatorin Rosalinde Brandner-Buck sprach während der Kundgebung von „fast 9000“. Nachher war „nur“ von 8.000 die Rede. Aber selbst die Polizei, die üblicherweise nur die Hälfte oder ein Drittel der DemonstrantInnen sieht, sprach diesmal von 6.000.
Diese Demo-Beteiligung hat einiges an Medienaufmerksamkeit bewirkt, bis hin zur Haupt-Nachrichtensendung des Schweizer Fernsehens. Da die Bewegung gegen Stuttgart 21 in den überregionalen Medien monatelang fast totgeschwiegen wurde, ist das sehr willkommen. Aber wir AktivistInnen in Stuttgart wissen, dass die Montagsdemos gegen Stuttgart 21 weiter gingen und in den letzten Monaten die Beteiligung wieder anstieg, auf deutlich über 3.000 jeden Montag. Vor diesem Hintergrund war die Beteiligung am 23. keineswegs das Ende der Fahnenstange und wäre bei besserem Wetter sicher noch höher gewesen.
Stuttgart 21 in der Krise
Hintergrund der Demonstration war die tiefe Krise, in der das Projekt Stuttgart 21 in den letzten Monaten geraten war. Die Demonstration sollte im Vorfeld der geplanten Sitzung des „Lenkungskreises“ (in dem die „Projektpartner“ von Stuttgart 21 sich absprechen sollen) Druck aufbauen. Wegen einer Verschiebung des Lenkungskreises war die Kundgebung schon von Januar auf Ende Februar verschoben worden. Jetzt wurde der Lenkungskreis erneut abgesagt, was zeigt, wie tief die Krise von Stuttgart 21 ist.
Große Teile der Bewegung gegen Stuttgart 21 zogen aus dieser Krise die Schlussfolgerung, Stuttgart 21 sei schon so gut wie tot. Das Motto der Kundgebung „Endstation Stuttgart 21“ drückt das ebenso aus wie mehrere Veranstaltungen zu der Frage: wie weiter nach dem Ende von Stuttgart 21. Diese Haltung ist politisch gefährlich. Kurzfristig können Stuttgart-21-GegnerInnen die Schlussfolgerung ziehen: ich brauche mir nicht mehr den Arsch aufzureißen, wenn das Projekt ohnehin bald tot ist. Mittelfristig kann es zu Enttäuschung und Resignation führen, wenn sich die Hoffnungen als falsch erweisen.
Deshalb sind Teile der Bewegung in den letzten Wochen diesen Hoffnungen entgegen getreten und haben auf die starken wirtschaftlichen und politischen Interessen verwiesen, die immer noch hinter Stuttgart 21 stehen. Die Blockadegruppe veröffentlichte einen offenen Brief und auch wir als SAV warnen in unserem neuen Faltblatt vor falschen Erwartungen: [wpfilebase tag=file id=1820 /]
Das Imperium schlägt zurück
Aber wahrscheinlich die beste Medizin gegen Illusionen waren die Bekenntnisse von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble zu Stuttgart 21 unmittelbar vor der Demonstration vom 23. 2. Entsprechend war Frau Merkel dann auch eines der Hauptthemen der Demonstration. Das wird sicher bis zur Bundestagswahl und (je nach Wahlergebnis) darüber hinaus so bleiben. Als die Kanzlerin im Oberbürgermeister-Wahlkampf im Oktober einen Auftritt in Stuttgart hatte, gestaltete sich der als Dauer-Pfeifkonzert. Wenn sie im Bundestagswahlkampf nach Stuttgart kommt, sollte sie ihr Ohropax nicht vergessen.
Die deutlichsten Worte zu Merkel und Schäuble fand aber der Regisseur Volker Lösch bei der Montagsdemo zwei Tage später. „Da setzen Merkel und Schäuble in Brüssel vor allem zugunsten der Großbanken die brutalsten Sparprogramme der EU-Geschichte durch. Sie erschleichen sich gesetzwidrig Subventionen für S21 und gleichzeitig wollen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in Stuttgart Milliardenbeträge an Steuergeldern vergraben!“
Und er ging auch auf Merkels Motive ein: „2010 verriet die Kanzlerin bei einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Industrie in Berlin, warum ihr eine Niederlage der Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 so wichtig ist. Wenn sie in Europa einräumen müsse, so Merkel, dass Deutschland aufgrund von Protesten seine Zusagen nicht mehr einhalten könne, dann käme ‚morgen mein griechischer Kollege und sagt: weil bei uns so viel protestiert wurde, kann ich die Stabilitätszusagen nicht mehr einhalten.’ Angela Merkel geht es also längst vor allem ums Prinzip, und das heißt: Der Protest der Bürger darf sich nicht durchsetzen, denn das könnte ja Schule machen. Dann doch lieber einen Schutzschirm ausspannen für das Pleiteprojekt.“
Explodierende Kosten oder implodierendes Lügengebäude?
Die „Kostenexplosion“ bei Stuttgart 21 war ein zentrales Thema bei der Kundgebung am Samstag. Allerdings wurde schon bei einer Veranstaltung der „GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21“ richtig gesagt, dass es keine Explosion der Kosten, sondern eine Implosion des Lügengebäudes gibt. Denn die Zahlen, die jetzt genannt werden, wurden vom Bundesrechnungshof und unabhängigen Experten schon seit Jahren errechnet, nur wurden sie früher von der Bahn abgestritten. Darauf wies auch Brigitte Dahlbender vom BUND in ihrer Rede hin. Die jetzt von der Bahn zugegebenen Kosten seien auch nur die Spitze des Eisbergs.
Peter Pätzold von der Grünen-Gemeinderatsfraktion beschäftigte sich in seiner Rede hauptsächlich mit den Kosten. Dort meinen die Grünen gerade punkten zu könne, weil ihr Ministerpräsident Kretschmann und ihr Oberbürgermeister Kuhn weitere Kostenübernahmen durch Land und Stadt ablehnen (zumindest, wenn man das Kleingedruckte nicht liest). „Der Bahnhofsbau ist weder Sache des Landes noch der Stadt“, sagte Pätzold. Aber warum die Grünen dann die bereits von Land und Stadt übernommenen Kosten nicht in Frage stellen, erklärte er nicht.
Wirtschaftliche Interessen und Neoliberalismus
Völlig zu Recht warnte der Kolumnist Joe Bauer in seiner Rede davor, sich auf die Finanzierung zu beschränken, so wie man sich bei der „Schlichtung“ 2011 nur um die technische Seite von Stuttgart 21 gekümmert hatte, „aber nicht um die ökonomischen Machenschaften dahinter.“
Auch Hannes Rockenbauch, Gemeinderat des Wahlbündnisses Stuttgart Ökologisch Sozial (das im Gemeinderat eine gemeinsame Fraktion mit der LINKEN bildet) wies auf die wirtschaftlichen Interessen hinter Stuttgart 21 hin: „Natürlich liegt es auch daran, dass jede Milliarde, die diesen Projekt den Steuerzahler mehr kostet, schlicht eine Milliarde für irgend ein beteiligtes Unternehmen mehr ist – und eine sichere Milliarde bei all diesen Finanzspekulationen“
Er stellte Stuttgart 21 auch in den Kontext der neoliberalen Politik: „Diese Politik führt zu Städten, die keine Lebensorte mehr für Menschen sind sondern schlicht noch eine Maschinerie für Profite.“ Auch Joe Bauer schlug in seinem Beitrag einen Bogen und thematisierte die Wohnungssituation und wachsende Armut in Stuttgart: „Die Kosten fürs Wohnen in der Stadt steigen extrem. Es herrscht buchstäblich der Mietwahnsinn. Unterdessen stieg der Anteil von mehr als 750.000 Euro teuren Luxuswohnungen in Städten wie Stuttgart in den vergangenen Jahren um mehr als 25%. (…) Der Anteil der Armen in Stuttgart ist in den letzten zwei Jahren erschreckend gestiegen. (…) Soll uns doch keiner erzählen, die Milliarden für Stuttgart 21 hätten nichts mit sozialen Problemen zu tun.“
Angesichts der Proteste gegen einen Nazi-Aufmarsch in Pforzheim am selben Abend sagte Bauer auch: „Wichtig für die politische Arbeit ist aber auch, Zusammenhänge zu erkennen. Es ist kein Zufall, wenn ausgerechnet in dieser Zeit der neoliberalen Übermacht die Zahl der Neonazis zunimmt, in manchen Gegenden geradezu erschreckend. Meine Damen und Herren, wir müssen genau hinschauen, uns mit dieser gefährlichen Entwicklung beschäftigen und uns dagegen wehren. (…) Experten warnen vor der politischen Scharnierfunktion in unserer Gesellschaft. Immer mehr Nazis, adrett gekleidet und halbwegs gebildet, drängen sich ungehindert in konservative Kreise und genau dort werden ihre rassistischen Parolen unterstützt. (…) Wir dürfen nicht zuschauen, wenn Justiz und Polizei mit der Unterstützung rechter Parteipolitiker den Rechtsextremismus rechtfertigen, indem sie sich linke Nazigegner greifen und abstrafen. Auch deshalb: Solidarität mit der heutigen Aktion der Antifaschisten gegen den Naziaufmarsch in Pforzheim.“
Widerstand geht weiter
Erfreulich war ebenfalls, dass sowohl die Moderatorin als auch Hannes Rockenbauch die drohenden Baumfällungen im Rosensteinpark ansprachen. Rosalinde Brandner-Buck sagte: „Machen Sie sich schlau, wann die Baumrodungen stattfinden sollen im Rosensteinpark. Die Vegetationsperiode geht am 28. Februar zu Ende. Und wer kann, ist dort, und verhindert diesen Wahnsinn.“ Hannes Rockenbauch appellierte: „Auch Stuttgart 21 wird sich nicht von alleine erledigen. Und deswegen habe ich gerade in diesen Tagen das Gefühl, dass wir noch öfters wieder so mächtig wieder auf die Straße gehen sollten wie heute. Und auch – ich denke da gerade an die Bäume im Rosensteinpark – uns in Zukunft wieder hinsetzen sollten, in den Weg setzen sollten, wenn es darum geht, dass unsere Heimat bedroht ist.“
Trotzdem waren am Montag, als ein Teil der Bäume im Rosensteinpark gefällt wurde, nur ein paar Dutzend AktivistInnen vor Ort, die gegen ein Großaufgebot der Polizei wenig ausrichten konnten. Offenbar genügen allgemeine Appelle nicht, so richtig sie auch sind. Blockaden müssen konkret organisiert werden.
„bis Stuttgart 21 der Geschichte angehört“
Die Montagsdemo am Abend nach den Baumfällungen zeigte, dass auch diese erneute sinnlose Zerstörung uns nicht kleinkriegen wird. Volker Lösch fühlte sich dadurch vielmehr veranlasst, bei der Montagsdemo zu reden, wo er u.a. an die Adresse von Ministerpräsident Kretschmann sagte: „Über Ihre Ankündigung, dass die Zeit des Durchregierens von oben vorbei sei, können wir inzwischen sogar herzhaft lachen. Über Ihre Geschicklichkeit, opportunistische Politik so zu machen, dass sie nicht als opportunistisch rüber kommt, müssen wir staunen. Dass Sie immer noch wider besseren Wissens davon schwafeln, dass die manipulierte Volksabstimmung bindend sei, das lässt uns eher verzweifeln. Dass sie aber ihre Richtlinienkompetenz jetzt nicht dazu nutzen, endlich das zu tun, was Sie vor Ihrer Wahl jahrelang gepredigt haben, nämlich Stuttgart 21 zu beenden, das ist beschämend.“
Und er sprach sicherlich Tausenden AktivistInnen aus dem Herzen, als er sagte: „Und ich sage es zum hundertsten Mal, und ich werde es gerne noch Tausend mal sagen: wir werden uns hier so lange weiter engagieren, bis wir am Ziel sind, bis Stuttgart 21 der Geschichte angehört.“
Die Reden auf der Kundgebung vom Samstag gibt es auf Video hier.