Die SAV-Stellungnahme, die bei den LINKE-Regionalkonferenzen zum Wahlprogramm verteilt wird, kann hier als PDF runtergeladen werden:[wpfilebase tag=file id=1825 tpl=simple /]
Wahlkampf als Klassenkampf: bewegungsorientiert, außerparlamentarisch, kämpferisch
„100 % sozial“ lautet Titel der Titel des Wahlprogrammentwurfs und er steckt voller Forderungen und Positionen, die die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen und sich grundlegend von der Politik des prokapitalistischen Parteienkartells aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen unterscheiden. Und trotzdem bringt der Text nicht zum Ausdruck, was für eine Politik DIE LINKE machen muss, um das für eine linke Kraft bestehende Potenzial tatsächlich auszuschöpfen.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie über NichtwählerInnen besagt, dass unter diesen der Anteil von Menschen, die sich selbst als „links“ einstufen, drei Mal so hoch ist wie im Durchschnitt der Bevölkerung. Warum gehen diese Menschen nicht zur Wahl und wählen DIE LINKE?
Die Antwort lautet: Weil Papier geduldig ist und die meisten Menschen nicht nach Wahlprogrammen wählen, sondern nach den realen Erfahrungen, die sie mit Parteien und deren VertreterInnen machen. Die Erfahrungen mit der LINKEN sind leider ganz unterschiedlich. Natürlich steht die Partei immer wieder an der Seite von Protestbewegungen. Aber gleichzeitig machen die Menschen die Erfahrung mit einer LINKEN, die in Landesregierungen an Kürzungsmaßnahmen beteiligt war und ist, die sich immer wieder als Korrektiv für SPD und Grüne präsentiert und deren Abgeordnete mehrheitlich den Parlamentarismus wichtiger finden als die Unterstützung von Demonstrationen, Streiks und die Selbstorganisation der arbeitenden Bevölkerung.
Widersprüche im Wahlprogramm
Der Inhalt des Wahlprogramms hat genauso zwei Seiten, wie die ganze LINKE zwei Seiten hat. Einerseits enthält es viele gute Positionen und Forderungen, deren Umsetzung die Lebensverhältnisse für Millionen Menschen verbessern würde. Andererseits enthält es viele Unklarheiten, Widersprüche und vermittelt vor allem den Eindruck, dass diese Forderungen ohne einen Bruch mit den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen erreichbar wären. Denn diese sollen ja, wenn überhaupt, nur langfristig in Frage gestellt werden. Tatsache ist aber, dass der real existierende Krisen-Kapitalismus die Umsetzung des LINKE-Wahlprogramms mit allen Mitteln versuchen wird zu verhindern, weil die darin enthaltenen Forderungen sein Lebenselixier – die Profitmaximierung – in Frage stellen. DIE LINKE sollte daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass für ihre Forderungen die breitest mögliche Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend nötig ist – und die Bereitschaft, den Rahmen der kapitalistischen Logik zu durchbrechen.
Verhältnis zu Rot-Grün
Es ist gut, wenn im Programmentwurf steht: „Die Lobby der Konzerne und Reichen findet bei uns kein Gehör.“ Es ist naiv, wenn darin steht, DIE LINKE wolle Druck machen „auf andere Parteien, damit diese eine andere Politik einschlagen“. Wer darauf hofft, ist verloren. Es ist gut, dass im Programmentwurf keine Rede mehr ist von einem linken Lager aus SPD, Grünen und LINKE, das für einen Politikwechsel eine parlamentarische Mehrheit braucht. Es ist schlecht, dass nicht explizit gesagt wird, dass die Lager entlang anderer Linien verlaufen: DIE LINKE auf der einen Seite, alle anderen, weil pro-kapitalistischen Parteien, auf der anderen Seite. So lässt der Programmentwurf weiter Spielraum dafür, dass das Führungspersonal der Partei die strategische Fehlorientierung auf ein Bündnis mit SPD und Grünen im Wahlkampf weiter wiederholen wird. Dass dies geschehen wird zeigen die Äußerungen vieler LINKE-VertreterInnen nach Lothar Biskys Aufforderung für ein rot-rot-grünes Bündnis.
Das Wahlprogramm sollte aber die Lehren aus den Erfahrungen sogenannter rot-roter Koalitionen und auch der verlorenen Niedersachsen-Wahl ziehen und solchen Spekulationen eine explizite Absage erteilen. Es ist gut, wenn Bernd Riexinger im junge Welt-Interview sagt, es komme für die Partei nicht in Frage, Kernpunkte ihrer politischen Identität für Koalitionsgespräche aufzugeben. Aber was soll dann im gleichen Interview auf die Frage, ob DIE LINKE auf SPD und Grüne zugeht, die Aussage: „Aber wäre mit Sicherheit falsch, jetzt alles Mögliche auszuschließen.“??? Widersprüchliche Aussagen und das Aufhalten von Hintertürchen für eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen werden nur zu Misstrauen führen und die Mobilisierung der eigenen Mitglieder und WählerInnen untergraben.
Der Entwurf des Wahlprogramms sagt, ähnlich wie das Erfurter Programm, dass sich DIE LINKE nicht an Regierungen beteiligen wird, die „Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt oder deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes verschlechtert“ und die „Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt“. Schon beim Erfurter Parteitag waren diese „Haltelinien“ umstritten: Einige Parteilinke hatten unter anderem argumentiert, dass Stellenabbau im Öffentlichen Dienst und eine Absage an alle Auslandseinsätze der Bundeswehr benannt werden sollten. Die SAV hat immer darauf hingewiesen, dass auch die weitestgehenden Haltelinien die Illusion implizieren, eine linke Politik sei mit SPD und Grünen machbar und die innerparteiliche und öffentliche Diskussion zu sehr auf die Frage der Regierungsbeteiligung im Rahmen des Kapitalismus fokussieren. Aber trotz solcher Überlegungen sollten auch die beschlossenen Haltelinien so übersetzt werden: DIE LINKE wird sich an keiner Regierung mit prokapitalistischen Parteien beteiligen, wie es SPD und Grüne sind.
Systemfrage
Der Programmentwurf erweckt den Eindruck, man könne den Kapitalismus zähmen und die sozialistische Veränderung der Gesellschaft sei nur ein langfristiger Wunsch, aber keine zwingende Notwendigkeit. An vielen Stellen wirkt er inkonsequent. Zum Beispiel, wenn er an manchen Stellen eine Vergesellschaftung der privaten Banken fordert, aber ausgerechnet im entsprechenden Kapitel diese Forderung nicht mehr erwähnt.
Der Programmentwurf kann und sollte auf dem Bundesparteitag im Juni weiter verbessert werden und einen deutlich antikapitalistischen und sozialistischen Inhalt erhalten. Aber entscheidend wird sein, dass sich DIE LINKE als widerständlerische und unangepasste Anti-System-Partei präsentiert, dass sie ihre Praxis dementsprechend von einer Partei des parlamentarischen Alltags zu einer Partei des außerparlamentarischen Widerstands ändert. Wenn dies gelingt, wird sie auch die vom Kapitalismus und den bürgerlichen Institutionen entfremdeten und von allen Parteien enttäuschten linken NichtwählerInnen erreichen und mobilisieren können.