Ein Erfahrungsbericht
Dass es nicht leicht ist, einen guten Job zu finden, war mir bewusst. Dass es so schwer beziehungsweise komplett unmöglich ist, wurde mir relativ schnell klar, als ich zum ersten Mal auf der Jobbörse der ARGE war.
von Tony Reed, Köln
Neben Jobangeboten wie für sechs Euro pro Stunde in 9,5-Stunden-Schichten eine Spielhölle zu beaufsichtigen, sind die Angebote der Leiharbeitsfirmen schnell die „beste“ Alternative. Natürlich nur weil die meisten Angebote so oder so über Leiharbeit laufen.
8,19 Euro als beste Alternative
Ich bekam dann was für 1.040 Euro brutto bei einer 30-Stunden-Woche. Die Tatsache, dass 30 Stunden vertraglich festgelegt sind, heißt natürlich nicht, dass man auch tatsächlich 30 Stunden arbeitet. Die meiste Zeit arbeiten die, die einen 30-Stunden-Vertrag haben, 40 Stunden pro Woche. Bezahlt wird das erst mal nicht. Die Überstunden werden mit einem Zeitkonto verrechnet.
Wer irgendwelche finanziellen Verpflichtungen hat, und sei es nur der Unterhalt eines Autos, der arbeitet nicht nur 40 Stunden in der Woche, sondern braucht noch einen Zweitjob. So musste sich beispielsweise eine Kollegin, die von 6 bis 14 Uhr ihre Frühschicht ableistete, anschließend von 18 Uhr bis 24 Uhr im Supermarkt abrackern. Am nächsten Tag geht es natürlich wieder um 6 Uhr von vorn los.
Von der Ausnahme zur Regel
Wie das bei der Leiharbeit so ist, weiß man nicht, wo man dann tatsächlich landen wird. Ich bin in einem Subunternehmen der Post gelandet. Entgegen der Behauptung, dass die Leiharbeit mit zwei Prozent Anteil an der Gesamtbeschäftigung ein Randphänomen sei, kehrte sich dieses Verhältnis bei uns um. Unser Standort ist bis auf die oberste Standortleitung ausschließlich mit LeiharbeiterInnen besetzt. Und obwohl die Aufträge für die nächsten Jahre schon sicher waren, hat kein Arbeiter und keine Arbeiterin einen Vertrag über mehr als sechs Monate Laufzeit erhalten. Ganz praktisch, wenn man verhindern will, dass die Leute anfangen sich beispielsweise gegen die Überstunden zu wehren.
Auch der Widerstand gegen andere Dinge wurde bei uns dadurch erschwert, dass der Betriebsrat eben nicht zum Einsatzbetrieb gehörte, sondern zur Verleihfirma. Konkret bedeutete das, dass nie ein Betriebsratmitglied den Betrieb betrat. Der einzige „Kontakt“ zum Betriebsrat bestand in der bundesweiten Betriebsratszeitung.
Bildung schützt vor Armut nicht
Was ich mir vorher nicht wirklich vorstellen konnte, war die Tatsache, dass auch massenhaft ArbeiterInnen mit abgeschlossener Berufsausbildung, ja sogar AkademikerInnen, keine besseren Jobs finden. So konnte ich jetzt gemeinsam mit Anwältinnen, Mechanikern und Maschinenbauingenieuren Heftklammern aus alten Akten ziehen und Kisten durch die Gegend tragen. – Wer weiß, vielleicht kann ich mich ja nach meiner geplanten Ausbildung direkt wieder bei einer Leiharbeitsfirma melden. Einige meiner KollegInnen jedenfalls hatten die gleiche Ausbildung abgeschlossen, die mir noch bevorsteht.
Schluss damit!
Alles in allem könnte man jetzt sagen: „Was jammert der eigentlich so herum? Denkt er, er sei der einzige, der keinen tollen Job hat?“ Nein, ganz sicher denke ich das nicht. Es wird auch nicht bei den zwei Prozent Leiharbeit bleiben. Viel zu groß ist die Verlockung für die Kapitalisten, die Vorzüge der Leiharbeit – wie die faktische Aushebelung des Kündigungsschutzes und des Betriebsrats – weiter zu nutzen. Darum soll mein „Jammern“ zum einen zeigen, was in Zukunft noch viel mehr ArbeiterInnen bevorsteht, wenn wir nicht schnell etwas ändern; aber es soll auch andere dazu animieren, ebenfalls zu „jammern“. Mögen aus den Millionen, die allen Grund zum „Jammern“ haben, Millionen werden, die sich wehren.