Zweiter Teil der Resolution des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) zur Weltlage (zurück zum ersten Teil)
Dieses Dokument wurde im Dezember 2012 beim Treffen des Internationalen Exekutivkomitees (IEK) des „Committee for a Workers’ International“ (CWI; „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, deren Sektion in Deutschland die SAV ist) beschlossen.
Europa
In Südeuropa finden gerade erschütterndsten politischen Ereignisse statt. Wir waren Zeuge der Generalstreiks in Griechenland, mit vier 48-stündigen Generalstreiks, der massiven Bewegung in Spanien, mit zwei Generalstreiks in acht Monaten und Demonstrationen einer Million, in Portugal mit einer Million Streikenden und Demonstrierenden sowie des halbtägigen Generalstreiks in Italien. Am 14. November fanden zum ersten Mal koordinierte europaweite Aktionen statt, mit der stärksten Unterstützung in den, wie es die kapitalistische Presse nennt, „Club Med Ländern“: Spanien, Griechenland, Portugal und Italien. Die Teilnahme in Griechenland war nicht mit denen vorheriger Streiks zu vergleichen, aufgrund des unglaublichen Ausmaßes der Aktionen, die von der griechischen Arbeiterklasse davor unternommen wurden. In Südeuropa wurden Fernsehstudios besetzt. In Italien und Spanien kam es zu Auseinandersetzungen als die Bahngleise in Brescia und Neapel besetzt wurden. Es ist klar, dass gegen die auf dem ganzen Kontinent durchgeführten Kürzungsprogramme eine fast schon aufständische Stimmung existiert.
Großbritannien
Auch in Nordeuropa beginnen die Massen sich zu bewegen. In Großbritannien hat zum Beispiel die Konferenz vom Gewerkschaftsdachverband im September durch den Druck unserer Organisation sowie dem Nationalen Vertrauensleute Netzwerk (NSSN) und den linken Gewerkschaften, wie PCS, RMT und dem Zusammenschluss der Gefängniswärter (POA) zum ersten Mal seit Jahrzehnten dafür gestimmt, einen eintägigen Generalstreik gegen die Kürzungsprogramm der Tory geführten Regierung in Betracht zu ziehen. Im Nachhinein versucht die rechte Gewerkschaftsbürokratie in den Gewerkschaften gegen die Generalstreiksforderung vorzugehen. Auch die schärfsten Anti-Gewerkschaftsgesetze in den fortgeschrittenen Industrieländern, die von den Unternehmern und Regierungen ohne Zögern eingesetzt werden, um einen Streik zu verhindern, sind ein Hindernis, das überwunden werden muss. Aber auf der anderen Seite entwickelt sich ein enormer Druck für einen eintägigen Generalstreik, wegen dem enormen Ausmaß der Kürzungen, die schon stattgefunden haben, aber besonders auch wegen denen, die sich noch in der Pipeline befinden. Die Cameron-Regierung scheint zu der Schlussfolgerungen gekommen zu sein, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie die nächste Wahl gewinnt. Deshalb ist sie bereit eine ganze Serie von drakonischen Kürzungen durchzudrücken, ähnlich zu denen der Tory-Regierung in der Periode vor dem Generalstreik 1926. Sie planen das im sicheren Glauben, dass eine kommende Labour Regierung geführt von Ed Miliband diese Kürzungen nicht zurücknehmen wird. Tatsächlich wurde Ed Miliband bei der Demonstration des Gewerkschaftsdachverbandes mit 150.000 TeilnehmerInnen in London ausgebuht, als er zugab, dass er nicht in der Lage sein wird, die Kürzungen der Tory-geführten Regierung zu annullieren.
Ein eintägiger Generalstreik wird in der nächsten Periode in Großbritannien stattfinden, jedoch ist der genaue Zeitpunkt unsicher, insbesondere wegen dems langsameren Tempos der britischen Arbeiterbewegung, aber auch weil die Gewerkschaftsführungauf die Bremse tritt. Wenn ein eintägiger Generalstreik erst einmal stattgefunden hat, wird die ganze Situation sich ändern. Natürlich hängt das teilweise davon ab, wie er vorbereitet ist und ob der Streik ArbeiterInnen über den Öffentlichen Dienst und die existierende Gewerkschaftsmitgliedschaft hinaus erfassen wird, die im Moment bei 26 Prozent, was insgesamt 6,5 Millionen ArbeiterInnen sind.
Der Appetit für entschlossene Aktionen gegen die Regierung wird unvermeidbar wachsen während die Angriffe auf die Arbeiterklasse zunehmen, nicht nur durch Kürzungen, sondern auch durch Bedrohung von Gewerkschaftsrechten durch die Regierung. Sie schlägt Maßnahmen vor, wie die ungeheure Anhebung von Kosten für Gerichtsverfahren gegen Bosse, die ArbeiterInnen maßregeln oder entlassen sowie die Begrenzung von Freistellungsszeiten, in denen Gewerkschaftsfunktionäre Mitglieder vertreten. Wenn ein Generalstreik stattfindet, wird sich alle gärende Unzufriedenheit von allen Ebenen der britischen Gesellschaft hinter ihm versammeln. Obwohl die Lage in Großbritannien noch nicht das Ausmaß von Griechenland hat, ist es heute schon ein Griechenland in Zeitlupe. Mit den Angriffen auf die verletzlichsten Teile der Gesellschaft, auf die Armen, Behinderten etc., hat die britische herrschende Klasse, durch Osborne, mal wieder ihre Kaltblütigkeit bewiesen. Osborne wurde bei den Paralympischen Spielen ausgebuht, weil den Menschen mit Behinderung im Publikum und selbst einigen AthletInnen bald Einrichtungen und Leistungen gestrichen werden. Die Mittelklassen und ArbeiterInnen sind unter ernsthaftem Beschuss. Löhne und Gehälter sind zum Beispiel um 13 Prozent seit dem Beginn der Krise gesunken. Ein Generalstreik in Großbritannien könnte deshalb einem „Hartal“ in Indien oder Sri Lanka gleichen – ein Streik nicht nur von Gewerkschaftsmitgliedern in den städtischen Gebieten sondern unter Einbezug von Mittelschichten, Fachleuten und Kleinunternehmern in Städten und Dörfern – wenn die Aktion in Großbritannien durchgeführt wird.
Eine ähnliche Stimmung nimmt schon in ganz Europa Gestalt an. Vielleicht sind es nur Österreich – das bald als ein Ergebnis der verallgemeinerten Krise aufholen wird – und ein oder zwei kleinere Staaten wie Luxemburg oder Liechtenstein, die zeitweise in der Lage sein werden, den vollen Folgen der ökonomischen und sozialen Krise zu entgehen. Diese ist natürlich am schärfsten in Südeuropa. Selbst Zypern sieht sich jetzt der Wahl zwischen Rettung und Pleite gegenüber aufgrund seiner riesigen Bankenkrise. Aber „Griechenland, Spanien und Portugal“ können viel schneller nach Nordeuropa kommen, als selbst von Kadern des CWI vorhergesehen. Ein Element von „Südafrika“ kann auch nach Europa kommen mit einer ähnlichen Bewegung innerhalb der Gewerkschaften, welche diejenige Führungen stürzt und ersetzt, die sich weigern den Widerstand gegen den Angriff des Kapitalismus zu organisieren.
Nordeuropa
Schweden und Skandinavien als Ganzes werden in den Sog der Krise hineingezogen. Es sind bereits 28 Prozent der Jugendlichen in Schweden arbeitslos. Außerdem ist die Industrieproduktion in Schweden im September um 4,1 Prozent gefallen. Die Gesamtarbeitslosigkeit ist fast genauso hoch wie in Großbritannien mit 7,8 Prozent. Schweden war besonders in den 90er Jahren ein Versuchsfeld für die Politik des Neoliberalismus. Sowohl die sozialdemokratische als auch die konservative Regierung haben diese Politik im Gesundheitswesen und insbesondere in der Bildung fortgesetzt. Der Widerstand der ArbeiterInnen beginnt zu wachsen angesichts von Fabrikschließungen und dem Transfer von Ressourcen, die über eine lange Zeit aufgebaut wurden, nach Osteuropa und anderswo. Die verkommenen und bürokratischen Führer, die zur Zeit die Gewerkschaften in Schweden ersticken, sehen sich der ernsthaftesten Herausforderung seit Generationen gegenüber mit einer Arbeiterklasse, die beginnt, aktiv zu werden. Große Möglichkeiten werden sich für unsere schwedische Sektion in der nächsten Periode entwickeln. Wir haben bereits eine beeindruckende Kampferfahrung in einer Situation gesammelt, die zumindest bisher objektiv schwierig war.
Die dänischen Sozialdemokraten sind auch an ihrem niedrigsten Punkt in den Umfragen seit einem Jahrhundert! Die sozialdemokratische Premierministerin, die während dieses Kollaps in den Umfragen den Vorsitz hat, ist die Schwiegertochter des diskreditierten Neil Kinnock, der in den 80er Jahren innerhalb der Labour Partei die Attacken gegen uns angeführt hat und behauptete, dass wir eine „Belastung“ bei Wahlen seien. Er hat es als Vorsitzender der Labour Partei dann geschafft jede Wahl zu verlieren! Trotzdem sie die Wahl dieses Jahr gewonnen hat, scheint seine Schwiegertochter wahrscheinlich diesen Familientrend fortzusetzen.
Deutschland, bisher das ökonomische Kraftwerk von Europa, mit einer der niedrigsten Arbeitslosenraten, beginnt gleichwohl von der Krise betroffen zu sein. Andere angeschlagene Mitglieder der EU hoffen auf Deutschland als Lokomotive, um Europa aus der Krise zu ziehen. Aber sie werden enttäuscht werden. Deutschlands abkühlendes Wachstum führte dazu, dass Deutschlands regierende Mitte-Rechts Koalition sich entschlossen hat, die Bremsen anzuziehen und die Nettoschuldenaufnahme für 2013 zu verringern. Die kalten Winde die aus China und anderswo heranwehen haben deutsche Exporte ernsthaft gedrosselt. Die deutschen Kapitalisten haben bisher Arbeitsplätze erhalten, in der Erwartung, dass das europäische und Weltwachstum wiederkehrt. Jetzt legen sie diese Politik ab, was zu einem raschen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland führen könnte. Die Regierung steht vor Bundestagswahlen im September nächsten Jahres. Merkel wird, wenn sie die Macht behält, gezwungen sein, wieder einen Koalitionspartner zu suchen. Aber dieses mal ist es unwahrscheinlich, dass sie die stark diskreditierten Liberalen einbezieht. Es gibt Spekulationen, dass sie sogar die Macht mit den Grünen, die jetzt eine pro-kapitalistische Partei sind, in einer „Schwarz-Grünen“ Koalition teilen könnte. So eine Mischung, denken manche Analysten, „könnte die konservativste Regierung seit der Gründung der Bundesrepublik werden.“ Beide Parteien stimmen jetzt in ihrer Umweltpolitik, wo Merkel die Abschaltung von Atomkraftwerken befürwortet und in „strikter Finanzdisziplin“ überein. Das zeigt, wie weit die Grünen nach rechts gegangen sind. Sie würden immer noch eine „Rot-Grüne“ Koalition mit der SPD bevorzugen, mit der sie schon die Macht in einer Reihe von Ländern teilen. Aber die SPD bleibt bei rund 30 Prozent in Umfragen stehen, während die Grünen 12 bis 15 Prozent bekommen. Deshalb ist es im Moment wahrscheinlich, dass jede Koalition, die eine Mehrheit haben will, die CDU einbeziehen muss. Die Einbeziehung von der SPD und den Grünen, zusammen oder einzeln, öffnet den Raum für die Entwicklung der LINKEN – in der wir arbeiten – die enorm an Substanz gewinnen könnte unter der Bedingung, dass sie ein ernsthafter linkes Programm entwickelt, was der einzige Weg ist, eine Resonanz innerhalb der Arbeiterklasse zu bekommen in dieser sich wandelnden Situation in Deutschland.
Die abrupten Wechsel in den ökonomischen Schicksalen der europäischen Staaten drücken sich auch in politischen Wendungen aus, die wir in einer Reihe von Staaten in der letzten Periode gesehen haben. Die Wahlen in den Niederlanden führten zu einer „Mitte-links“ Regierung der liberalen VVD und der Arbeitspartei, die sich fast sofort einer rapiden wirtschaftlichen Verschlechterung im Land gegenüber sah. Die Regierung führte ein Kürzungsprogramm durch und traf auf einen massenhaften Aufschrei.
Die letztendliche Bildung einer Regierung in Belgien 541 Tage nach den Wahlen im Juni 2010 brachte keine Stabilität. Bei den lokalen Wahlen im Oktober machten die Flämischen Nationalisten NVA große Fortschritte. Gleichzeitig gab es regelmäßige gewerkschaftliche Proteste, inklusive einem Generalstreik im Januar gegen Stellenstreichungen und angedrohte Angriffe. Belgien war das einzige nordeuropäische Land in dem es wichtige Streiks am 14. November gab, angefacht durch die plötzliche Ankündigung der kompletten Werkschließung bei Ford Genk. In beiden Teilen von Belgien gibt es, trotz der fortgesetzten Anstrengungen der frankophonen PS, ein „arbeiterfreundliches“ Gesicht zu behalten, wachsende Diskussionen in den Gewerkschaften über die Notwendigkeit einer neuen politischen Kraft, um die Arbeiterklasse zu vertreten.
Frankreich
In Frankreich hat François Hollande und die Sozialistische Partei die Mehrheit in den Präsidentschaftswahlen und eine linke Mehrheit in der Nationalversammlung vor sechs Monaten gewonnen. Allerdings hat Hollande Zick-Zacks bei für die Arbeiterklasse wichtigen Fragen gemacht. Erst tat er so, als würde er Kürzungen ausschließen, dann führte er tiefgreifende Kürzungen durch. Er schlug dann eine Reichensteuer vor, um sie dann abzumildern, als es Widerstand der französischen Kapitalisten gab, die damit gedroht haben das Land zu verlassen. Konsequenterweise sind seine Umfragewerte eingebrochen und er steht jetzt bei 36 Prozent. Das ist ein Rekordeinbruch bei den Beliebtheitswerten für einen Präsidenten der Fünften Republik nach sechs Monaten im Amt.
Frankreich ist auch mit einem ernsthaften ökonomischen Einbruch konfrontiert, vor allem in der Industrieproduktion, zu einem gewissen Grad ähnlich wie Großbritannien, das jetzt, durch die Verwüstung angerichtet von Thatcher in der Vergangenheit, in zweiter oder dritter Reihe der Industriestaaten steht. Große Klassenkämpfe zeichnen sich in der Reaktion von ArbeiterInnen auf die Lawine von Entlassungen ab, charakterisiert durch die 6.000 Peugeot ArbeiterInnen in der Region von Paris und den StahlarbeiterInnen, die mit Entlassung konfrontiert sind. Eine politische Alternative auf der Linken bleibt so zentral wie zuvor, insbesondere durch die Herausforderung der rechten Nationalen Front, die Bestand hat und sogar wächst. Die NPA bietet kein nützliches Arbeitsfeld mehr. Das mag sich ändern, wenn eine korrekte Bilanz von ihrem Scheitern und ihrem Versuch in der Vergangenheit die Initiative auf der Linken zu bekommen, gemacht wird, die Lehren daraus gezogen werden und die Basis für eine kleine Massenpartei gelegt wird. Der Rechtsruck der Sozialistischen Partei und das Scheitern der linken Kräfte kann zu einer Wiederbelebung der NPA führen, aber im Moment ist sie weit davon entfernt.
Die Linksfront von Mélenchon hat sich noch nicht in eine ernsthafte Oppositionskraft entwickelt. Es finden auch viele unabhängige Kämpfe, wie der regionale Aufstand gegen einen neuen Flughafen in Westfrankreich statt. Bisher hat die Linksfront und Mélenchon, der neben der PCF ihr hauptsächlicher Sprecher ist, weder eine wirkliche Opposition zu Hollande aufgebaut, noch in die Kämpfe eingegriffen, die sich entwickelt haben. Allerdings kann sich das ändern und wir müssen vorbereitet sein für diese wichtigen Entwicklungen um die Linksfront.
Griechenland
Europa ist im Moment der Schlüssel zur Weltsituation. Die Klassenkämpfe sind hier am schärfsten und es bestehen die größten Möglichkeiten für linke und revolutionäre Kräfte einen Durchbruch zu erzielen. Innerhalb davon ist Griechenland der Schlüssel zur Situation in Europa. Spanien und Portugal sind in der Kette der schwächsten Glieder vom europäischen Kapitalismus gleich dahinter. Wir haben auf unserer Webseite und in den Zeitungen der verschiedenen Sektionen ausführliches Material veröffentlicht, das die explosiven Entwicklungen in Griechenland in der letzten Periode auflistet. So wie Trotzki über Spanien in den 1930er Jahren gesagt hat, wären nicht nur eine sondern drei oder vier Revolutionen möglich gewesen, wenn die griechischen ArbeiterInnen eine weitsichtige Führung und eine Massenpartei an ihrer Spitze hätten. Ein griechischer Programmierer hat am Tag des letzten Generalstreiks gegenüber der Zeitung The Guardian gesagt: „Persönlich bin ich überrascht, dass es nicht zu einer Revolution gekommen ist.“ Das britische Fernsehen hat auch gesagt, dass nur drei Prozent der Bevölkerung die Kürzungsmaßnahmen der Regierung und der Troika wirklich unterstützen würden. Trotz all dem Leid und den Schmerzen, die die griechische Bevölkerung weiterhin ertragen müssen, liegt die Verschuldung Griechenlands am Ende des jetzigen Sparprogramms immer noch bei 192 Prozent des BIP! In anderen Worten, es gibt absolut keine Chance, dass diese Schulden gezahlt werden. Trotzdem hat der Kapitalismus endlose Kürzungen für die Zukunft der griechischen Bevölkerung auserkoren.
Alle Bedingungen für Revolution sind nicht nur reif sondern überreif. Neunzehn Generalstreiks von denen vier 48-stündige Streiks und der Rest 24-stündige Streiks waren, bewiesen die kolossalen Energiereserven der griechischen ArbeiterInnen und ihre Bereitschaft sich zu wehren. Sie zogen die die Schlussfolgerung, dass ungeachtet ihres großartiges Kampfes die Troika und die griechischen Kapitalisten noch nicht aufgaben und es notwendig war, sich zur politischen Ebene und zur Idee einer linken Regierung zu wenden, die in der Lage ist, einen Ausweg aus der Krise zu zeigen. Das fand trotz der Skepsis gegenüber SYRIZA und seiner Führung seitens der Massen statt. Laut unserer GenossInnen sind große Schichten der Massen bereit, SYRIZA zu unterstützen, die im Moment bis zu 30 Prozent in manchen Umfragen bekommt, aber nicht bereit sind in SYRIZA einzutreten und sich aktiv in seinen Reihen zu engagieren. Ein Element davon gibt es in vielen Ländern. Große Enttäuschungen durch das Scheitern der Arbeiterparteien hat zu extremer Skepsis gegenüber ihnen geführt, selbst gegenüber denen, die auf der Linken stehen. Es gibt eine Bereitschaft linke Formationen und Parteien in Wahlen zu unterstützen, aber nicht Zeit und Energie zu opfern sich in ihnen zu engagieren und sie aufzubauen. ArbeiterInnen wurden in der Vergangenheit enttäuscht und haben Angst, dass es wieder geschieht. Die Stimmung kann natürlich geändert werden und wird sich ändern, wenn diese Parteien wirklich ihre Versprechen erfüllen. Statt sich nach links zu entwickeln, tendieren die linken Parteien im Allgemeinen und Syriza im Besonderen dazu, nach rechts zu gehen, ihr Programm zu verwässern und ihre Tore selbst denjenigen Führern der Sozialdemokratie zu öffnen, die in der jüngsten Vergangenheit eine offene Streikbrecher-Rolle gespielt haben. Das hängt natürlich auch von der Entwicklung von internen Debatten und lebendigen Diskussionen ab. Unsere Teilnahme in diese Parteien, ist in diesem Sinne, zentral.
Unter den Bedingungen von Griechenland werden die flexiblen Taktiken unserer griechischen Sektion, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung unseres Programms, der sehr komplexen Situation gerecht. Wir dürfen nicht nur die linken Kräfte innerhalb SYRIZAs im Blick haben sondern auch die beträchtlichen Kräfte außerhalb davon, von denen einige gerade, wie die GenossInnen ausführen, ihre politischen Positionen der Vergangenheit hinterfragen.
Wir können den Zeitpunkt nicht vorhersagen, wann die jetzige Regierung zusammenbrechen wird – was sie sicherlich wird – und wahrscheinlich eine SYRIZA-geführte Linksregierung an die Macht kommt. Aber wir müssen auf solch eine Eventualität vorbereitet sein, mit dem Ziel so eine Regierung nach links zu drücken, während wir gleichzeitig mithelfen demokratische Volkskomitees aufzubauen, welche einerseits die Regierung gegen die Rechten unterstützen kann und andererseits auf sie Druck ausüben kann, Maßnahmen zum Schutz der Arbeiterklasse zu ergreifen. Es ist dabei nicht vollkommen ausgeschlossen, dass sich eine neue wichtige Kraft durch die Taktik, die wir gerade anwenden, herausbilden kann.
Die zukünftigen Entwicklungen konzentrieren sich nicht nur auf die Linke und die Arbeiterparteien sondern auch auf die Gefahr, die sich durch die extreme Rechte stellt, insbesondere durch den Aufstieg der faschistischen Goldenen Morgenröte, die zwischendurch bis zu vierzehn Prozent in Umfragen bekam, aber jetzt wieder auf zehn Prozent gefallen ist. Einer der Gründe dafür ist die Gründung von massenhaften antifaschistischen Komitees, bei deren Bildung wir eine Rolle gespielt haben und in die wir ArbeiterInnen, Jugendliche und Flüchtlinge einbezogen haben. Unter den Flüchtlingen sind auch Flüchtlinge oder ihre Nachkommen aus Kleinasien. Diese Arbeit ist von außerordentlicher Wichtigkeit und könnte ein Vorbild für die Situationen sein, denen sich viele Sektionen in anderen Ländern in Zukunft gegenüber sehen.
Wenn die Arbeiterklasse und die Linke darin versagt, die sozialistische Revolution durchzuführen, so lehrt die Geschichte, wird sie einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Die sozialen Spannungen, die in Griechenland existieren, können nicht für immer im Rahmen der „Demokratie“ eingedämmt werden. Es gibt bereits einen verdeckten Bürgerkrieg mit mehr als neunzig Prozent der Bevölkerung, die gegen die ein Prozent antreten und das kann in der Zukunft in einen offenen Konflikt ausbrechen. Einige extreme Rechte haben die Idee einer Diktatur zur Diskussion gestellt, aber das ist unmittelbar noch nicht auf der Agenda. Jeder voreilige Schritt, der sich anschickt dem Militärputsch von 1967 nachzueifern, könnte einen unbefristeten Generalstreik provozieren, so wie der Kapp Putsch in Deutschland 1920 eine revolutionäre Situation geschaffen hatte. Außerdem würde ein Putsch in dieser Phase des Imperialismus für die „Internationale Gemeinschaft“ nicht akzeptabel sein, gerade in dieser Ära der „Demokratie und Konfliktlösung“.
Die Kapitalisten werden wahrscheinlich in erster Linie eine Form des parlamentarischen Bonapartismus gebrauchen, vergleichbar mit der Monti-Regierung in Italien, jedoch etwas autoritärer. Die angespannte wirtschaftliche und soziale Lage von Griechenland erfordert eine viel härtere und ausgesprochen rechtere Regierung als in Italien, die die Macht hätte, das Parlament im „Notfall“ zu überstimmen. Wenn das nicht funktioniert und eine Reihe von Regierungen ähnlichen Charakters nicht in der Lage sind die soziale Blockade zu brechen und wenn die Arbeiterklasse damit scheitert durch eine revolutionäre Partei die Macht zu erobern, könnten die griechischen Kapitalisten zur offenen Diktatur übergehen. Wir müssen die Arbeiterklasse warnen, dass wir zwar noch Zeit haben, in Griechenland, dass wir sie aber nutzen müssen, die Kräfte vorzubereiten, die den sozialistischen Wandel durchführen können. Die Resonanz auf den Streik am 14. November illustriert, wie die Kämpfe der Arbeiterklasse miteinander verbunden sind. Wenn die griechischen ArbeiterInnen die Kette des Kapitalismus zerschlagen und an die ArbeiterInnen von Westeuropa oder wenigstens Südeuropa appellieren, gäbe es eine große Resonanz zum Aufruf für eine sozialistische Konföderation – wahrscheinlich unter Einbeziehung von Spanien, Portugal und vielleicht Irland und sogar Italien. Es ist diese Herangehensweise, die die Arbeit unserer herausragenden griechischen Sektion in der Periode, die sich eröffnet, inspirieren muss.
Spanien
Spanien hängt Griechenland nur wenig nach, im Sinne des Klassenkampfes gegen die heftigen Kürzungen, die die rechte PP Regierung, mit Unterstützung der Troika versucht durchzusetzen. Jeder Vierte in Spanien und Griechenland ist arbeitslos und es gibt eine Jugendarbeitslosigkeit von über fünfzig Prozent. Diese Zahlen sind vergleichbar mit der US-Depression in den 30er Jahren. Natürlich gab es bisher ein Sicherheitsnetz von Staat und den Familien, aber diese Reserven verschwinden schnell. Wenn zum Beispiel Senioren von ihren Pflegeheimen wegen der Kürzungen herausgeschmissen werden, nehmen sie verarmte Familien gerne bei sich auf. Ironischerweise können die Renten von den älteren Verwandten – die zwar dürftig sind und durch Kürzungen weiter gesenkt werden – helfen, die Familienkasse aufzubessern. Viele Großeltern zahlen schon die Hypotheken ihrer Kinder mit ihren staatlichen Pensionen! Die Banken und die Regierungen setzen eine drakonische Politik durch, in der diejenigen, die nur mit eine paar Zahlungen in den Rückstand geraten – meist aus Arbeitsplatzverlust – aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt werden. 350.000 SpanierInnen erging es in den letzten vier Jahren so. Das bedeutet, dass das spanische Bankensystem letztendlich eine Politik umgesetzt hat, die der Immobilienkrise sehr ähnlich ist, die zum Zusammenbruch von Banken international und zur jetzigen Wirtschaftskrise geführt hat. Das sorgt auch dafür, dass die spanischen Banken und die Regierung, welche sie unterstützt extrem unbeliebt sind.
Das Ergebnis davon ist, dass die Kämpfe der spanischen Arbeiterklasse intensiviert und in vielen Schlachten ausgetragen wurden, gipfelnd in einer Reihe bitterer Generalstreiks, bei denen Millionen auf die Straßen der spanischen Städte von Madrid, Barcelona und Valencia geströmt sind. Eine Besonderheit der Periode nach den Wahlen von 1936, die die Volksfront an die Regierung brachte und zum Ausbruch des Bürgerkrieges im Juli des Jahres führte, war, dass in jeder Stadt ein eigener Generalstreik stattfand und in manchen mehr als einer. Das war ein unmissverständliches Zeichen, dass die Arbeiterklasse sich auf den Widerstand gegen die Bürgerkriegsvorbereitungen der spanischen Kapitalisten und Armee vorbereitete. Spanien ist noch nicht an diesem Punkt, aber die Arbeiterklasse, die überwältigend dominierende Kraft der Gesellschaft, demonstriert durch die Streiks ihre Ablehnung, die riesige Last der Krise zu tragen, die sie nicht verursacht hat. Die Kämpfe der spanischen ArbeiterInnen haben zweifellos geholfen die griechischen ArbeiterInnen in ihrem Kampf gegen die Kürzungen zu bestärken.
Nationale Frage
Gleichzeitig hat die ökonomische Krise dazu geführt, die nationale Frage wieder zu beleben, nicht nur in Spanien sondern auch anderen Ländern in Europa: Schottland, Belgien und andere. Selbst dort, wo es schien, dass die nationale Frage gelöst wäre, kann sie wieder auftreten als eine Konsequenz der sich entwickelnden Krise. Auch in Italien könnte das der Fall sein. Zum Beispiel könnte es in der ehemalig österreichischen Region Alto Aldige / Südtirol ein Wiederaufleben von nationalen Bewegungen geben, die sogar zur vollständigen Abtrennung führen könnten.
Es wäre für uns in diesen Situationen nicht möglich Erfolg zu haben ohne eine korrekte Position in Bezug auf die Nationale Frage. Im Allgemeinen stehen wir für das Recht auf Selbstbestimmung aller unterdrückten Nationalitäten. Aber das bedeutet keinesfalls den kapitalistischen Nationalismus zu unterstützen, der nur darauf abzielt die Arbeiterklasse zu spalten und zu teilen. In der Tat ist es eine unerlässliche Aufgabe für MarxistInnen die bürgerlichen Nationalisten jeglicher Sorte zu demaskieren, die legitime Hoffnungen auf Selbstbestimmung nutzen wollen, um ihre eigene Position zu stärken. Unabhängigkeit auf kapitalistischer Grundlage wird die Probleme nicht lösen, denen sich die Arbeiterklasse zur Zeit gegenübersieht. Nur durch einen sozialistischen Wandel und durch die Idee einer sozialistischen Konföderation, können die Hoffnungen der unterdrückten Nationalitäten erfüllt werden.
Katalonien ist so ein Fall, wo der kapitalistische Politiker Mas und seine nationalistische Partei Convergència i Unió kürzlich versucht haben, sich an die Spitze einer Unabhängigkeitsbewegung zu stellen und in Neuwahlen ihre Unterstützung auszubauen. Noch kurz vor dem Aufschwung dieser Unabhängigkeitsbewegung, setzte er ein Kürzungsprogramm durch, das ihn in scharfen Konflikt mit der katalonischen Arbeiterklasse brachte. Das war eine dramatische Niederlage für die CiU, die mitten in einer Linksverschiebung 12 Sitze in den Wahlen verlor, während die CUP, eine neue antikapitalistische Pro-Unabhängigkeits-Kraft, wichtige Zugewinne machen konnte. Die Aufgabe eine Einheitsfront aller linken Arbeiterorganisationen zu bilden, die damit anfängt einen gemeinsamen Kampf gegen Kürzungen, mit der Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung und dem Kampf für eine freiwillige sozialistische Föderation der iberischen Völker, zu führen, ist in dieser neuen Situation besonders wichtig. Die Unterstützung für eine Abtrennung hängt offenkundig von den konkreten Umständen ab. Das Baskenland, das eine der größten Unabhängigkeitsbewegungen in der Vergangenheit erlebt hatte, scheint jetzt neben Katalonien die Idee einer sofortigen und vollständigen Abtrennung zu unterstützen.
Die Aufgabe einen wichtigen Referenzpunkt des Marxismus in jedem Land zu schaffen, bleibt eine der lebenswichtigsten Aufgaben des CWI. Es ist verbunden mit der Schaffung von echten marxistischen Parteien innerhalb von breiteren Organisationen der Arbeiterklasse dort, wo sie existieren. Die Vereinigte Linke (IU) repräsentierte die größte Hoffnung in Spanien, so etwas zu erreichen. Allerdings ist sie kürzlich nach rechts gegangen, könnte aber nichtsdestotrotz ein Werkzeug für die Arbeiterklasse in zukünftigen Kämpfen sein. Spanien bleibt von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des CWI in der Arbeiterbewegung in Europa.
Portugal
Das gilt auch für Portugal. Der Ausbruch des Widerstandes und die Reaktion der Massen, die mit mehr als 600.000 auf die Straßen gingen und einen Marsch auf den Präsidentenpalast durchführten, als die Regierung brutale Kürzungsmaßnahmen verkündete, hat die Regierung gezwungen sofort einen Rückzieher zu machen. Allerdings hat sie ihr Kürzungsprogramm fortgesetzt, was wiederum die Wut der Massen angefacht hat inklusive Forderungen nach einem weiteren Generalstreik. Überdies werden die Traditionen der portugiesischen Revolution von 1974 gerade wiederbelebt. Es ist höchst bemerkenswert, dass Soldaten einschließlich einiger Offiziere an den Massendemonstrationen gegen die Regierung teilgenommen haben. Der Faden der Geschichte, der fallen gelassen wurde durch das Zurückdrängen der Errungenschaften der Revolution von 1974, insbesondere während der 1980er und 1990er Jahre, wird jetzt wieder von einer neuen Generation aufgenommen. Wir müssen sie erreichen und in die Reihen des CWI bringen.
Italien
In Italien bedeutet die Diskreditierung und faktische Auflösung der Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Lager, einschließlich von Berlusconis Partei für die italienische Bourgeoisie, dass sie kein brauchbares politisches Instrument hat, mit dem sie regieren kann. Berlusconi scheint sich nicht von den letzten Verurteilungen zu erholen und seine Partei könnte in Stücke brechen. Die Demokratische Partei ist von Skandalen und Machtkämpfen in der Führung geschüttelt. Eine Spaltung findet in Italia die Valori, der populistischen Partei vom ehemaligen Magistrat Antonio Di Pietro statt. Das Vakuum konnte teilweise vom Komiker Beppe Grillo und seiner Fünf-Sterne Bewegung gefüllt werden, die es geschafft hat, dort 20 Prozent der Stimmen in der Kommunalwahl zu bekommen, wo sie angetreten ist. Allerdings ist diese Bewegung nicht nur ein Scherz. Er wurde gezwungen ein Programm zu umreißen, das elative radikale Forderungen enthält, obwohl er nicht ein Wort über Löhne und Arbeiterrechte verliert. Natürlich ist das keine echte Anstrengung eine Massenarbeiterbewegung zu schaffen, aber es spiegelt die extreme Unbeständigkeit und Frustration wider jetzt, wo so eine Partei noch nicht existiert. Das Alte stirbt und das Neue muss erst noch geboren werden. Die RC ist praktisch ausgelöscht. Es entwickelt sich zwar eine Diskussion über die Notwendigkeit einer neuen linken Partei, aber bisher hat keine ernsthafte Kraft mit Wurzeln in der Arbeiterklasse geschafft, in dieses Vakuum zu stoßen. Unsere GenossInnen, die sehr erfolgreich darin sind eine landesweite Organisation aufrecht zu erhalten und auszubauen, können darin eine Schlüsselrolle spielen, insbesondere durch die Wurzeln, die sie in den Gewerkschaften geschlagen haben, einen Rahmen für eine neue Massenarbeiterpartei und eine revolutionäre Partei zu schaffen. Wir sollten niemals die großen revolutionären Traditionen in Italien vergessen, die unter den großen Ländern von Europa nur durch Frankreich erreicht werden.
Die Mario-Monti-Regierung hat ihre Ziele relativ erfolgreich erreicht, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse anzugreifen, obwohl sie es nicht vollständig geschafft hat den berühmten „Artikel 18“ der Verfassung zu eliminieren, in dem die Errungenschaften der Arbeiterklasse aus der Vergangenheit bewahrt sind. Die zwei Billionen Euro Schulden gehören zu den höchsten in Europa, gemessen am Anteil des BIP liegt das Land gleich hinter Griechenland. Der Lebensstandard wurde gesenkt, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen und für die Jugend ist sie nicht so weit weg von dem Stand in Griechenland oder Spanien. Es gibt eine wachsende Feindschaft gegen die Kürzungen, die sich kürzlich in Demonstrationen ausgedrückt haben. In einigen Fabriken (Finantieri, ILVA, Alcoa) war der Widerstand gegen Arbeitsplatzverlust sehr stark. Die Jugend scheint sehr entschlossen zu sein, zu kämpfen. Auf der anderen Seite fehlt eine politische Opposition gegen Montis Agenda. Die Schwäche der Gewerkschaften und auch der Druck der objektiven Situation auf die wichtigsten Schichten der Arbeiterklasse verhindern eine verallgemeinertere Gegenwehr gegen Kürzungsmaßnahmen. Die Kämpfe, die stattfanden, scheinen ein „Schlag ins Wasser“ zu sein. Deshalb setzen sich unsere GenossInnen in Italien dafür ein, die Kämpfe zu unterstützen und die Isolation zu überwinden.
Je länger „Super Mario“ im Amt ist, desto mehr schwindet sein Handlungsspielraum, der ihm am Anfang – nicht so sehr von der Arbeiterklasse, aber den Führern ihrer Organisationen – gegeben wurde. Deshalb riskiert er politisch kalt gestellt zu werden oder Neuwahlen ausrufen zu müssen, worin er die Möglichkeit hätte, eine Schlüsselrolle zu spielen. Als Vorbereitung darauf hat der Kapitalist Luca Cordero di Montezemolo eine Plattform zusammengestellt, aus der eine Partei werden könnte, von der geschätzt wird, dass sie fünfzehn Prozent der Stimmen für Monti holen könnte. In Bezug auf ihr Programm sagte er bei der Eröffnungskundgebung, zu der 7.000 Menschen in Rom kamen: „Keiner fragt mit nach verbindlichen Zusagen und heute werde ich euch keine geben.“ In anderen Worten „Ich stehe für nichts!“ als in Wirklichkeit mehr Kürzungen. Sie hoffen, dass es in der Phase nach den Wahlen für Monti und seine Partei möglich ist, eine Koalition zusammen zu bringen, die wahrscheinlich die ehemalige Kommunistische Partei, die Demokratische Partei umfasst, die zur Zeit bei 25 Prozent in Umfragen liegt.
Dieses Phänomen, dass Figuren und Parteien wie Pilze aus dem Boden schießen und zu landesweiter Prominenz gelangen, kann woanders wiederholt werden, nicht nur in Italien. Der Verruf der großen Parteien einschließlich der ehemaligen Sozialdemokratie hat Parteien hervorgebracht, die für ein einziges Thema stehen, so wie die National Health Action Party in Großbritannien, die sich größtenteils aus FacharbeiterInnen aus dem Gesundheitswesen zusammensetzen, die sich normalerweise hinter der Labour Party versammeln würden, um das staatliche Gesundheitswesen zu verteidigen. Die Tatsache, dass so eine Organisation entstehen kann, ist ein vernichtendes Urteil für die Unterstützung für die existierenden Parteien. Den neuesten und bizarrsten Ausdruck davon gab es in Japan. Die nationalistische Sonnenaufgangs-Partei existierte nur vier Tage: „eine kleinere Lebensspanne als die klassischen japanischen Embleme der Vergänglichkeit haben, wie die Kirschblüte“!
Asien
Der japanische Kapitalismus kämpft jetzt, wie der Rest der Welt auch, gegen seine schwerste Krise seit 1945. Nach dem verlorenen Jahrzehnt der 1990er – manche sprechen von zwei verlorenen Jahrzehnten – steht Japan vor einer neuen Rezession oder im Grunde einer Vertiefung der Rezession. Das BIP ist im dritten Quartal um fast ein Prozent gefallen, das ist der stärkste Einbruch seit dem Tsunami 2011. Sogar Premierminister Noda hat diesen Rückgang als „schwer“ bezeichnet. Er trifft den japanischen Kapitalismus besonders hart, weil er sich trotz der riesigen Staatsverschuldung – die jetzt 250 Prozent des BIP beträgt – von einer Flaute 2010 erholt zu haben schien und das Wirtschaftswachstum doppelt so hoch war wie der Durchschnitt der G10-Staaten. Neuwahlen wurden angekündigt, sie werden aber keines der grundsätzlichen Probleme des japanischen Kapitalismus lösen können [AdÜ: Ergebnis der Wahl am 16. Dezember war ein Sieg der konservativen LDP Shinzo Abes gegen Nodas Demokratische Partei]. Wir können uns auf das Wiedererstarken der japanischen Arbeiterklasse durch die Gewerkschaften und eine neue Massenpartei freuen.
Indien ist wie viele andere asiatische Länder stark von der Weltwirtschaftskrise betroffen. Statt des „Turbo-Wachstums“ früherer Jahre von durchschnittlich 9 Prozent ist die Wachstumsrate in diesem Jahr auf bestenfalls 5,5 Prozent zurückgegangen. Die Probleme Indiens sind offensichtlich. Zusätzlich zur erdrückenden Armut, die das Leben der Mehrheit der Bevölkerung insbesondere auf dem Land auch während der „India Shining“-Boomphase prägte, müssen die Menschen jetzt einen Abschwung verkraften. Er führt zu Unterbrechungen der Stromversorgung, Hunger und vor Kurzem zum größten Stromausfall aller Zeiten, von dem 600 Millionen InderInnen betroffen waren. Wie hat die Regierung darauf reagiert? Mit einem Vorschlag, die Benzinpreise zu erhöhen! Die als „India Shining“ gefeierte Aufschwungsphase entpuppt sich als eine Zeit „größter wirtschaftlicher Betrügereien“ (Jayati Ghosh, Guardian). Die von der Kongresspartei geführte Regierung unter Manmohan Singh hat einem neoliberalen Wildwest-Kapitalismus Tür und Tor geöffnet und die soziale Sicherheit der ArbeiterInnen und Armen zerschlagen. Dieser Kapitalismus ist stark von Korruption geprägt. Die Gandhis sind als „erste Familie“ tief in Betrügereien und Skandale verwickelt, die zu massiven Verlusten für den Staatshaushalt und damit zu einem Mangel an Ressourcen für die grundlegendsten Bedürfnisse der BürgerInnen, insbesondere der Armen geführt haben. Die Wut darüber führt zu einer wachsenden Welle der Opposition gegen Korruption, Preiserhöhungen und andere neoliberale Maßnahmen, etwa die Ansiedlung der Einzelhandelsriesen Walmart und Tesco, die angeblich den Abwärtstrend des Wachstums umkehren sollen. Im September gab es in vielen indischen Städten einen 24-stündigen Streik. Die oppositionelle Stimmung auch unter den Landlosen hat es den Maoisten ermöglicht, sich in ländlichen Gebieten eine kleine Basis aufzubauen. Auf der anderen Seite gibt es wegen der Rechtsbewegung der Führer der „Kommunistischen“ Parteien keine politische Stimme für die riesige indische Arbeiterklasse. Die aufkommenden Wirren und Spaltungen in der Führung der KP Indiens (Marxisten) sind auch ein Zeichen dafür, dass in der Arbeiterklasse und der Jugend mehr Menschen nach einer sozialistischen Alternative suchen werden. Es bleibt unsere Aufgabe, zu intervenieren und Kräfte um uns zu sammeln, die es uns ermöglichen eine wichtige Rolle beim Aufbau einer neuen Partei zu spielen, die ein Bezugspunkt für alle kampfbereiten ArbeiterInnen werden kann.
Im Gegensatz zu Indien gibt es in Pakistan starke Elemente des Zerfalls und Zusammenbruchs der Gesellschaft, die zu einer furchtbaren Situation für die Massen führen. Die starke Tendenz zur „Talibanisierung“ zeigt die Ausmaße dieser Entwicklung. Die Arbeiterklasse war bisher nicht in der Lage, zur führenden Kraft mit einer eigenen, unabhängigen Alternative zur vorherrschenden Krise zu werden. In dieser Phase überwiegen die Merkmale der Konterrevolution, wenn auch nicht in Form einer offenen Intervention des Militärs. In Sindh und anderen Provinzen werden nationalistische Tendenzen stärker. Im Allgemeinen verhalten sich die „linken“ Kräfte derzeit still, mit Ausnahme unserer GenossInnen. Es gibt eine Welle marktfreundlicher, neoliberaler Propaganda. Bei den für 2013 geplanten Wahlen ist eine Schwächung der PPP [Pakistanische Volkspartei, AdÜ] und einer Stärkung der PML [Pakistanische Moslemliga, AdÜ] und der religiösen Parteien wahrscheinlich. In einer solchen Situation ist die Aufgabe der MarxistInnen, die politisch bewusstesten und kämpferischsten Schichten der ArbeiterInnen und der Jugend auf eine bessere Situation vorzubereiten, die irgendwann kommen wird. Unsere GenossInnen spielen einer heroische Rolle beim Kampf gegen die Merkmale der Konterrevolution und bei der Verteidigung der Ideen des Sozialismus.
Sri Lanka ist seit langem eine wichtige Basis für das CWI. Es ist ein riesiger Erfolg unserer heroischen Sektion in Sri Lanka und ihrer Kader, dass unsere Partei unter Bedingungen die in der Region und auch weltweit zu den schwierigsten gehören erhalten werden konnte. Der 30-jährige Bürgerkrieg, der die Bevölkerung zwangsläufig entlang ethnischer Linien polarisierte, hat uns die Entwicklung und Verbreitung unseres sozialen Programms erschwert. Trotzdem haben wir stets eine prinzipientreue Position zu allen die Arbeiterklasse betreffenden Fragen vertreten, in der nationalen Frage zu Arbeitereinheit aufgerufen und die nationalen Rechte der TamilInnen verteidigt, während wir die Methoden der Tamil Tigers ablehnten. Eine Guerillaarmee die sich auf 18 bis 20 Prozent der Bevölkerung stützte und zudem rücksichtslose terroristische Methoden benutzte, hatte keine Chance, ein Regime militärisch zu besiegen das sich auf achtzig Prozent der Bevölkerung stützt. Zumal das Regime zunehmend von ausländischen Mächten unterstützt wurde – Indien, China, Pakistan und den USA – die mit ihrer Unterstützung für das blutige Rajapaksa-Regime alle eigene Ziele verfolgten. Ohne ihre Unterstützung, insbesondere die Waffenlieferungen, die dem Regime einen überwältigenden Vorteil verschafften, hätte die Armee Sri Lankas selbst wahrscheinlich keinen vollkommenen Sieg im Mai 2009 erreichen können.
Das brutale Ende des Krieges mit der willkürlichen Ermordung tamilischer ZivilistInnen und der Tötung des Führers der Tamil Tigers nachdem er kapituliert hatte, schockierte weltweit die öffentliche Meinung. Mittlerweile hat die UN selbst eingeräumt, dass ihre VertreterInnen nicht einschritten, obwohl sie als Puffer zwischen den letzten Resten der Tamil Tigers und der Armee dienen sollten. Der Präsident und sein Bruder, der Verteidigungsminister, werden international zunehmend als Kriegsverbrecher erkannt. Wie Pinochet wurde Rajapaksa mit einem internationalen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen gedroht, als er vor kurzem einen Besuch in London plante. Sogar seine internationalen kapitalistischen Unterstützer wurden davon beeinflusst, sie fürchten dass die Spitzen des Regimes ausgerechnet in einer Situation auf die Anklagebank kommen, in der dem Nachkriegsaufschwung in Sri Lanka die Luft ausgeht.
Selbst ein Wirtschaftswachstum von sechs Prozent hat wachsende Unzufriedenheit über die steigenden Lebenshaltungskosten nicht verhindert. Sie führt zu Streiks und Protesten. Obwohl es Erleichterung über das Ende des Krieges gibt, führen die Unterdrückungsmaßnahmen des Regimes, dessen Todesschwadrone Menschen in weiße Lieferwagen zerren und dann ermorden, zu Ablehnung und Empörung. Die Regierung versucht den Norden und Osten Sri Lankas zu kolonisieren und fördert die Ansiedlung singhalesischer Familien von Militärangehörigen in diesen Gebieten, um die tamilische Bevölkerung zu verdrängen. Gleichzeitig wurden nach dem Ende des Krieges die alten politischen Positionen von Organisationen wie der JVP [AdÜ: „Volksbefreiungsfront“, eine ehemals linke, heute singhalesisch-nationalistische Oppositionspartei] hinterfragt, was zu einer Spaltung und der Gründung der FSP [Sozialistische Frontpartei] geführt hat. Wir haben mit ihnen diskutiert, aber noch keine gemeinsamen politischen Positionen zu so wichtigen Themen wie der nationalen Frage oder der Frage, mit welchem Programm und welcher Taktik das Rajapaksa-Regimes gestürzt werden kann, erreicht. Sogar kapitalistische KommentatorInnen erkennen an, dass der Präsident und die herrschende Clique sich am ostasiatischen Modell orientieren, in dem „der Entwicklung nichts im Wege steht“ [Financial Times]. Mit anderen Worten: sie wollen jeden Anschein eines echten Parlaments abschaffen und sich Singapur zum Vorbild nehmen – eine Diktatur mit dünner „demokratischer“ Fassade.
Das muss zu einem Zusammenstoß mit den Massen in Sri Lanka führen, die durch die Gewerkschaften, das Wahlrecht und so weiter eine demokratische Tradition haben. Es ist kein Zufall dass es Demonstrationen und Proteste gegen die mögliche Absetzung des obersten Richters gab, und dass RichterInnen und AnwältInnen nach einem Angriff auf einen weiteren führenden Richter den Gerichtssälen fernblieben. Sie zeigten so ihren Verdacht, dass sich das Regime in Richtung Diktatur bewegt. Lehrende an Universitäten traten in einen langen Streik gegen Angriffe auf das Bildungssystem. Gleichzeitig bleibt das Regime das am stärksten militarisierte in der Region. Die Generäle beginnen sich wie ihre Kollegen in Pakistan zu verhalten und finden zunehmend Gefallen am Betreiben von Golfplätzen, Rennbahnen und sogar Einkaufszentren. Das wird eine Revolte gegen das Regime provozieren. Sie kann neue Möglichkeiten zur Entwicklung unserer Organisation eröffnen, die gemeinsam mit Anderen von den großen revolutionären Erfahrungen der Massen Sri Lankas profitieren und eine Kraft schaffen kann, die den Weg zum Aufbau des Sozialismus auf der Insel eröffnen kann, der gemeinsam mit den indischen Massen zu einer sozialistischen Konföderation der Region führen kann.
Ein weiteres Regime, das bisher gegen die stürmischen Zeiten immun zu sein schien, herrscht in Malaysia. Es gilt als kapitalistisches Musterland, mit 5,4 Prozent Wachstum im zweiten Halbjahr 2012. Insgesamt wird für 2012 mit 4,6 Prozent Wachstum gerechnet, was über dem asiatischen Durchschnitt liegt. Die Börse befindet sich auf einem historischen Höchststand und in der Hauptstadt Kuala Lumpur scheint es einen Boom zu geben. Trotzdem ist eine Verlangsamung des Wachstums in Malaysia unvermeidbar, weil es wie die meisten südostasiatischen Länder wirtschaftlich von China abhängig ist und die Wachstumsraten dort zurückgehen. Zudem werden Malaysia und Asien insgesamt von den Folgen der Krise der Eurozone nicht verschont bleiben. Die Anfälligkeit Malaysias für Erschütterungen von Außen wurde sichtbar, als der Preis für Palmöl – das wichtigste Exportprodukt – wegen Ängsten vor einer Überproduktion fiel. Die Regierung wird gezwungen sein, ihre Ausgaben zu kürzen, was sich auf die Lebensstandards auswirken wird.
Spätestens im April 2013 muss eine Wahl angesetzt werden. Wie bei den letzten Wahlen hat die Regierung begonnen, Stimmen zu kaufen. Sie fürchtet andernfalls einen Sieg der oppositionellen Koalition Pakatan Rakyat. Die herrschende Koalition unter Führung der UMNO hat bei den letzten Wahlen 2008 zum ersten Mal ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament verloren. Ein Sieg der Opposition ist möglich und würde eine völlig neue Situation in Malaysia bringen. Das Land wird seit der Unabhängigkeit von Britannien 1963 von der regierenden Koalition beherrscht, die ethnische Spaltungen genutzt hat um die malaiische Mehrheit gegen die chinesische und indische Bevölkerung auszuspielen und sich an der Macht zu halten. Diese Politik wird unter den eingeschränkten wirtschaftlichen Bedingungen heute nicht mehr so funktionieren. In dieser neuen Periode werden sich große Möglichkeit für die CWI-Sektion eröffnen, eine kleine aber sehr beeindruckende Gruppe von GenossInnen. Wir versuchen in breiteren Organisationen mitzuarbeiten, um unseren Einfluss zu erweitern.
Außerdem müssen wir unsere Ideen in der Region verbreiten, besonders nach Indonesien und auf die Philippinen. Diese Aufgabe müssen die GenossInnen in Malaysia und Australien gemeinsam mit anderen GenossInnen in der Region angehen. Wie in Afrika ist es eine der wichtigsten Aufgaben des CWI, in ganz Asien eine feste Basis aufzubauen. Der US-Imperialismus hat Asien eindeutig als Schlüsselregion identifiziert, die strategisch und ökonomisch wichtiger ist als etwa Europa. Nach seiner Wiederwahl führte die erste Auslandsreise Obamas in die Region. Sie sollte einerseits den ökonomischen Einfluss des US-Imperialismus in der Region verdeutlichen, andererseits aber auch China vor der Bedeutung militärstrategischer Interessen für die USA warnen. Die USA hielten das wegen der neuen militärischen Stärke Chinas notwendig, die sich vor Kurzem im Konflikt mit Japan um unbewohnte Inseln zeigte. Japan beginnt nach dieser und früheren Auseinandersetzungen mit China, seine Streitkräfte aufzurüsten – natürlich nur zur „Verteidgung“! Das bedeutet, dass Asien durch den Aufstieg des Nationalismus zu einem neuen und gefährlichen Schauplatz militärischer Konflikte wird. Ein offener Konflikt in dem die streitenden Mächte bereit sind notfalls mit Waffen um ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss zu kämpfen. Wir müssen dem entgegentreten, indem wir die Einheit der Völker der Region betonen und für die Idee einer sozialistischen Konföderation werben.
China
China ist der Koloss Asiens, die zweitstärkste Weltmacht nach den USA. Seine Entwicklung hat einen großen, vielleicht entscheidenden Einfluss auf die Region und die Welt. Und China steht definitiv am Scheideweg, was die herrschende Elite durchaus versteht. Wie viele herrschende Gruppen der Geschichte fühlt sie die von unten wachsenden Spannungen der Widersprüche und ist unsicher, wie sie darauf reagieren soll. Chinesische WissenschaftlerInnen haben im Economist die Situation im Land als „an der Basis instabil, in der Mittelklasse niedergeschlagen und an der Spitze außer Kontrolle“ beschrieben. Mit anderen Worten: derzeit reifen in China die Voraussetzungen einer Revolution heran. Das spektakuläre Wachstum von zwölf Prozent gehört der Vergangenheit an. Jetzt ist die wirtschaftliche Situation mit einem im Schnee festgefahrenen Auto vergleichbar: die Räder drehen sich, aber es kommt nicht voran. Das Wachstum ist wohl auf fünf bis sieben Prozent zurückgegangen. Das Regime spricht von einer gewissen „Erholung“, aber mit einer Rückkehr zu zweistelligen Wachstumsraten wird nicht gerechnet. Das wird die Perspektiven für die Weltwirtschaft automatisch beeinflussen. Ein Wachstum über zehn Prozent war nur durch massive Investitionen möglich, mitunter wurden fünfzig Prozent des BIP in die Industrie investiert. Dies hat durch die zunehmende Ungleichheit, Umweltzerstörung und die illegale Privatisierung öffentlichen Bodens durch gierige Beamte zu Unzufriedenheit geführt.
Diese Themen und die schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken haben bei den Massen eine enorme Ablehnung erzeugt. 2010 gab es 180.000 öffentliche Demonstrationen, im Jahr 2002 waren es nach offiziellen Angaben nur 40.000. Seither ist diese Zahl weiter gewachsen. Die Abschaffung der „eisernen Reisschüssel“ und Angriffe auf das Gesundheits- und Bildungssystem haben die Unzufriedenheit weiter verstärkt. Die Führung wurde gezwungen, ein Minimum an öffentlicher Gesundheitsversorgung wieder einzuführen. Die chinesische Führung wird von der Frage verfolgt, wie sie diesen Vulkan am Ausbrechen hindern kann und welchen Weg sie in der Wirtschaftspolitik einschlägt. Vor einem Jahr gab es einen Aufstand im Dorf Wukan, wo die Bevölkerung die Polizei verjagte und Land zurückeroberte, das die örtliche Bürokratie gestohlen hatte. Dabei wurde sichtbar, was in China direkt unter der Oberfläche liegt: eine unterirdische Revolte, die jederzeit ausbrechen kann. In diesem Fall wichen die örtlichen Beamten zurück, aber die Protestierenden führten ihre Bewegung nicht weiter. Anscheinend sind dieses und viele andere Ereignisse „kleine Aufstände, die immer wieder irgendwo in China hochkochen“. [Financial Times]
Viele AkteurInnen haben die naive Vorstellung, dass die Herren in Peking eingreifen und die Korruption beseitigen würden, wenn sie nur davon wüssten. Ähnliche Ideen gab es in Russland unter dem Stalinismus. Anfangs neigten die Massen dazu, Stalin von jeder Verantwortung für Korruption freizusprechen, weil er „nicht davon wusste“. Für Verbrechen wurde allein die Bürokratie vor Ort verantwortlich gemacht, nicht Stalin selbst. Aber die Verhaftung von Bo Xilai und der Prozess gegen seine Frau haben dazu beigetragen, solche Illusionen zu beenden. Bo wird vorgeworfen, durch Amtsmissbrauch ein Vermögen angehäuft, „riesige Bestechungsgelder“ angenommen und seine Kumpane in hohe Ämter gebracht zu haben. Bo, ein Mitglied der obersten Elite und „Prinzling“ (Sohn eines Führers der chinesischen Revolution) wird der Komplizenschaft bei Mord, Bestechung und massiver Korruption angeklagt. Das wirft natürlich die Frage auf, wie er so lange damit durchkommen konnte. In Wirklichkeit waren es nicht diese Verbrechen – obwohl er sie wahrscheinlich begangen hat – die zu seiner Verhaftung und dem bevorstehenden Prozess geführt haben. Der Grund ist vielmehr, dass er eine gewisse Gefahr für die oberste Elite darstellte, indem er ihren „magischen Kreis“ verließ und das Amt des obersten Führers anstrebte. Noch gefährlicher war, dass er einige radikale maoistische Phrasen wiederbelebte, die aus der Zeit der Kulturrevolution stammen. Denn damit hätte er unbewusst Kräfte entfesseln können, die er nicht hätte kontrollieren können und die ein Einschreiten gegen die Ungerechtigkeiten des Regimes hätten fordern können. Und wer weiß, wo das geendet hätte?
Das chinesische Regime ist in einer Krise. Es ist ziemlich offensichtlich geteilter Meinung darüber wie die nächsten Schritte aussehen sollten, besonders in der Wirtschaftspolitik. Ein Prinzling formulierte es schonungslos gegenüber der Financial Times: „Die beste Zeit für China ist vorbei und das ganze System muss erneuert werden.“ Bürgerliche KommentatorInnen in Zeitungen wie dem Economist, der Financial Times, der New York Times usw. haben seit kurzem den gleichen Begriff wie wir übernommen und beschreiben China als „staatskapitalistisch“. Sie übernehmen nicht den Zusatz, den wie verwenden: „staatskapitalistisch, aber mit besonderen Eigenschaften“. Er ist notwendig, um uns von den falschen Analysen der IST (AdÜ: International Socialist Tendency) und Anderer abzugrenzen, die die früheren Planwirtschaften so bezeichneten. In unseren Reihen herrscht völlige Einigkeit darüber, in welche Richtung sich China entwickelt. Der kapitalistische Sektor ist in der Vergangenheit auf Kosten der staatlichen Unternehmen gewachsen. Aber in den letzten Jahren, besonders seit dem staatlichen Investitionspaket 2008, gibt es eine gewisse Rezentralisierung und eine Konzentration ökonomischer Macht im staatlichen Sektor, so dass die staatlichen Unternehmen jetzt einen Wert von 75 Prozent des gesamten BIP erreichen. Andererseits beschreibt der Economist China wie folgt: „Die Experten sind sich nicht einig, ob der Staat jetzt die Hälfte oder ein Drittel des wirtschaftlichen Outputs ausmacht, aber stimmen darin überein, dass der Anteil heute geringer ist als vor zwei Jahrzehnten. Seit den späten 1990ern schienen sich die staatlichen Unternehmen jahrelang auf dem Rückzug zu befinden. Ihre Anzahl sank (auf ca. 114.000 im Jahr 2010, von denen etwa einhundert zentral verwaltete Großbetriebe sind) und ihr Anteil am Arbeitsmarkt sank. Aber jetzt hat sich der Rückzug des Staates verlangsamt und in einigen Branchen umgekehrt, obwohl die Zahl der privaten Unternehmen weiter wächst.“
Es ist klar, dass innerhalb der Elite hinter verschlossenen Türen heftige Diskussionen stattfinden. „Reformer“ fordern eine entschlossenere Abwicklung des staatlichen Sektors und eine stärkere Orientierung auf den „Markt“. Sie schlagen vor, bestehende Barrieren für ausländische Investitionen zu beseitigen. Der neue „Führer“ Xi Jinping unterstützt Gerüchten zufolge die „Reformer“, obwohl er rituelle Phrasen vom „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“ verwendet. Andererseits scheinen die Vertreter einer Öffnung auf wirtschaftlichem Gebiet, aber auch begrenzter „demokratischer“ Reformen beiseite gedrängt zu werden. Es gibt Studien darüber, wie ehemalige Diktaturen wie Südkorea angeblich den „kalten Übergang“ zur „Demokratie“ geschafft haben sollen. Diese fanden statt als der Wirtschaftsboom noch nicht beendet war und auch dann nur vor dem Hintergrund von Massenbewegungen. Der vorgeschlagene „Übergang“ Chinas fände mitten in einer massiven Wirtschaftskrise statt. Die chinesischen Herrschenden studieren angeblich intensiv die Rolle Gorbatschows in Russland. Er begann mit der Intention, das System zu „reformieren“ und herrschte schließlich über seine Abwicklung. Ernsthafte Reformen von oben werden im heutigen China eine Revolution von unten provozieren. Es ist nicht auszuschließen, dass sich nach einer revolutionären Erhebung eine Phase sehr schwacher „Demokratie“ – in der die Macht aber weiter in der Hand der alten Eliten bleibt, wie heute in Ägypten unter der Herrschaft der Armee und der Muslimbruderschaft – in China entwickeln könnte. Aber sie wäre nur ein Vorspiel für eine der größten Massenbewegungen der Geschichte. Unsere Organisation hat wunderbare Fortschritte gemacht und wir müssen darauf aufbauen, um uns auf die kommenden großen Ereignisse vorzubereiten.
Lateinamerika
Lateinamerika stand in der letzten Periode nicht an der vordersten Front des Klassenkampfes. Das Wachstum der wichtigsten Volkswirtschaften wie Brasilien, Argentinien, Chile und anderer baute auf dem Export von Mineralien nach China und in andere asiatische Länder auf. Das verlangsamte Wachstum dieser Länder zieht die Volkswirtschaften Lateinamerikas jetzt herunter, wie sich in Brasilien zeigt. Die wachsende Abhängigkeit von exportierten Rohstoffen wie Soja, Kupfer, Erdgas etc. hat die industrielle Basis Brasiliens und anderer Länder geschwächt. Mit dieser geschwächten Basis werden sie in eine neue Phase der Wirtschaftskrise eintreten.
Die Welle von Streiks, die Brasilien ergriff als sich die wirtschaftliche Lage zu verschlechtern begann, hat vergleichbar auch in anderen Ländern wie Argentinien und sogar Bolivien stattgefunden. In der Phase des Wirtschaftswachstums ist das Selbstvertrauen der ArbeiterInnen gewachsen, weil es keine drohende Massenarbeitslosigkeit gab. In Brasilien forderten ArbeiterInnen ihren Anteil der Profite. Die veränderte wirtschaftliche Lage Lateinamerikas eröffnet schon jetzt eine neue Phase des Widerstands der Massen. Der letzte Generalstreik in Argentinien macht diese Entwicklung deutlich. Chile, das ehemalige wirtschaftliche Musterland, wurde vom sozialen Erdbeben der Studierenden- und Jugendbewegung erschüttert. Sie hat die soziale und politische Situation verändert.
In vielen Ländern stecken die traditionellen rechten Parteien des Kapitalismus in einer Krise. Die herrschenden Klassen in vielen Ländern wurden gezwungen, sich auf „radikal nationalistische“ Bewegungen oder ehemalige Arbeiterparteien wie die PT in Brasilien zu stützen. Aber Cristina Kirchner in Argentinien und Dilma Rousseff sind gezwungen, die Arbeiterklasse anzugreifen weil die Wirtschaftskrise beginnt, sich auf Lateinamerika auszuwirken. Die PSOL existiert weiter und bleibt für uns ein wichtiges Arbeitsfeld, es ist aber weiterhin unklar wie sich diese Kraft entwickelt. Der deutliche Stimmenzuwachs der Partei bei den letzten Wahlen hat eine neue Krise in der Partei eingeläutet, weil der rechte Flügel sich für Übereinkünfte mit bürgerlichen Parteien entschieden hat.
In den „Andenländern“ hat eine neue Phase begonnen. Chavez‘ Wahlsieg in Venezuela, den wir begrüßt haben, bedeutet nicht einfach die Fortsetzung der Situation unter den bisherigen Chavez-Regierungen. Die ArbeiterInnen und die Massen haben sich zwar um Chavez geschart, um die bourgeoisen Rechten zu besiegen, aber die Unzufriedenheit und Wut über die Schwäche des Chavez-Regimes wächst. Jetzt wird eine neue Phase des Kampfes und der Differenzierung innerhalb der chavistischen Bewegung beginnen, die unseren kleinen und isoliert kämpfenden Kräften neue Möglichkeiten geben wird, bedeutende Fortschritte zu machen. Die Morales-Regierung in Bolivien bewegt sich seit 2008 zunehmend nach rechts und greift Teile der Arbeiterklasse an. In Venezuela und Bolivien ist eine unsere Hauptaufgaben, Speerspitze des Aufrufs zum Aufbau einer unabhängigen Bewegung der ArbeiterInnen und Jugendlichen mit unabhängigen Organisationen zu sein. Die Ereignisse der nächsten Periode in Lateinamerika werden uns neue Möglichkeiten geben, unsere Kräfte zu stärken und aufzubauen.
Perspektiven
Vier bis fünf Jahre nach Beginn einer verheerenden Weltwirtschaftskrise können wir sagen, dass die Bedingungen zum Aufbau des CWI sehr günstig sind. Mit der notwendigen Einschränkung, dass das Bewusstsein – die in der Arbeiterklasse verbreitete Sicht der eigenen Lage – die objektive Situation noch nicht eingeholt hat, kann sie dennoch als vorrevolutionär bezeichnet werden, besonders bei Betrachtung der gesamten Welt. Die Produktivkräfte entwickeln sich nicht mehr weiter, sondern stagnieren und gehen zurück. Dabei gibt es einen gewissen sozialen Zerfall von Schichten der Arbeiterklasse und der Armen. Gleichzeitig werden neue Schichten der Arbeiterklasse geschaffen, Teile der Mittelschichten werden proletarisiert und damit gezwungen, die traditionellen Kampfmethoden der Arbeiterklasse, Streiks und gewerkschaftliche Organisierung, zu übernehmen. Die potentielle Macht der Arbeiterklasse bleibt bestehen, obwohl die rechte Gewerkschaftsführung, die Sozialdemokratie und die Kommunistischen Parteien sie behindern und schwächen.
Wir konnten unsere zahlenmäßige Stärke halten und in einigen Fällen vergrößern, insbesondere unser Einfluss in der Arbeiterbewegung ist gewachsen. Aber viele ArbeiterInnen sympathisieren mit uns und beobachten was wir tun, und auf der Grundlage der Ereignisse und unserer Arbeit können sie sich uns anschließen. Wir sind in einigen Ländern bereit für wichtige Durchbrüche, auch bei den Mitgliederzahlen, wie die oben dargelegte Analyse zeigt. Wir müssen uns der Situation stellen, indem wir unsere Kader schulen und auf die ereignisreiche nächste Periode vorbereiten, die große Möglichkeiten zur Stärkung der Organisationen und Parteien des CWI und der Internationale als Ganzes bringen wird.